Wenn man im Internet sieht, was das Bündnis „Demokratie braucht jede Stimme“ sagt, dann stellt man fest, dass sich das in etwa mit dem deckt, was Herr Schaus hier vorgetragen hat. Man muss eingangs einmal dartun, dass immer wieder hervorgehoben wird,dass die Wahlbeteiligung sehr gering ist und dass das Bündnis will, dass mehr Menschen an die Wahlurnen kommen. Sie wollen ein Kommunalrecht für alle rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebenden Einwohnerinnen und Einwohner. Die Ausgangslage ist so ähnlich, wie sie Herr Schaus skizziert hat.
Ich habe andere Zahlen. Danach leben 6,75 Millionen Ausländerinnen und Ausländer rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland, fast die Hälfte davon seit mehr als 15 Jahren. In vielen Großstädten sei der Anteil der ausländischen Bevölkerung sehr hoch, z. B. in Frankfurt – dazu habe ich mir Zahlen aus dem Internet geholt – Ende 2007 26 %, in Mainz 16 %, in Wiesbaden 18 %, in Rüsselsheim 30 %.
Trotzdem muss man die Diskussion sehen, die seit Mitte der Achtzigerjahre geführt wird, jedenfalls soweit ich sie mitbekommen habe. Ich will hier ganz kurz die unterschiedlichen Positionen der Parteien skizzieren. In dem Beitrag des CDU-Vertreters wurde deutlich: Die CDU im Bund lehnt ein kommunales Wahlrecht ab. – Die SPD befürwortet ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Aus
länder und hat einen Prüfantrag an die Große Koalition gestellt, das in den entsprechenden Vertrag aufzunehmen. Aber Taten sind noch nicht gefolgt.
Sie sieht das Thema sehr differenziert und möchte das Thema im Kontext mit der Grundgesetzänderung und mit dem, was einhergeht, diskutiert wissen. Deshalb wird das auch noch einmal im Innenausschuss und im Rechtsausschuss zu diskutieren sein.
Gleichwohl sage ich, um den kurzen Beifall ein bisschen auf den Punkt zu bringen: Wir sehen nach wie vor, dass das, was in dem Antrag gewollt ist, vom Landtag nicht geleistet werden kann, weil kommunales Wahlrecht nicht aufgesplittet werden soll. Auch Landtags-, Oberbürgermeister- und Kommunalwahlen sollen nicht aufgesplittet werden, sondern, wenn überhaupt, hat der Bundesgesetzgeber in Form einer Grundgesetzänderung zu entscheiden, die zwingend erforderlich ist.
Das kann man bei uns in den Wiesbadener Grundsätzen nachlesen. Bei den LINKEN ist das der Antrag vom 4. Juli.Ich habe es erwähnt.Bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist es der Antrag vom letzten Mal. Alle haben eigentlich die Erkenntnis – das ist auch ein Bestandteil der Großen Koalition –, dass das, was festgeschrieben ist, schwer zu praktizieren ist und rechtlich in Form einer Grundgesetzänderung abgearbeitet werden muss, die hier nur am Rande erwähnt wird. Die Diskussion werden wir aber nicht nur im Innenausschuss, sondern auch im Rechtsausschuss zu führen haben.
Ich wiederhole noch einmal: Die Bedenken liegen im Rechtlichen. Die Grundgesetzartikel 79 und 20, die Besonderheiten im EU-Recht hat der CDU-Kollege hervorgehoben.All das, was wir hier zu diskutieren haben, müssen wir dezidiert – darauf legen die Liberalen Wert – noch einmal im Ausschuss besprechen.
Ich glaube, dass die Zielrichtung beider Anträge falsch ist. Wenn, dann ist der Bundesgesetzgeber gefragt. Wenn, dann ist eine Grundgesetzänderung gefragt. Ob das wirklich dem Rechnung trägt, was Sie wollen, da haben wir erhebliche Bedenken.
Die Diskussion wird zu führen sein.Wir freuen uns auf die Diskussion. Wir glauben, gleichwohl verbleibt das Fazit, dass eine Änderung des Wahlrechts mit den Grundsätzen des Grundgesetzes zurzeit nicht vereinbar ist. Darüber werden wir noch einmal reden müssen,wenn man die Diskussion sachlich führen will. – Danke schön.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Dr.Ulrich Wil- ken (DIE LINKE): Genau das haben wir beantragt! – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))
Meine Damen, meine Herren! Wir haben das Thema in den zurückliegenden Jahren schon des Öfteren erörtert. Ich will für die Landesregierung ausdrücklich deutlich machen: Ich kann nicht erkennen, was sich in den letzten Jahren wirklich geändert hat. Es gibt einen grundsätzlichen Konflikt und eine grundsätzlich unterschiedliche Bewertung, was zu einem wünschenswerten Ziel führt. Alle, die politische Verantwortung tragen, müssen vernünftigerweise daran interessiert sein, dass Menschen, die hier lange leben, nicht nur hier leben, sondern dass sie miteinander leben, dass sie Verantwortung übernehmen, dass sie mitgestalten und dass wir vom Nebeneinander immer stärker zum Miteinander kommen. Darüber kann niemand streiten.
Nun haben wir gehört, dass der größte Teil derer, um die es hier geht, über 15 Jahre, im Schnitt 17 Jahre, in der Bundesrepublik Deutschland lebt. Meine Damen und Herren, ich kann nur ausdrücklich unterstreichen: Politische Willensbildung,Teilhabe an der Demokratie ist wünschenswert.Ich habe bis heute kein einziges Argument gehört, warum wir dann nicht den richtigen Schritt gehen. All diejenigen, von denen wir hier reden, können deutsche Staatsbürger werden. Ich hätte gerne ein Argument, warum wir dies nicht tun.
Wir haben uns doch gemeinsam mit der SPD und auch mit den Freien Demokraten in der sogenannten retrograden Integration bemüht, Menschen, die schon lange hier leben,für die Gemeinschaft in einem Staat zu gewinnen.Ich halte überhaupt nichts von Scheinlösungen. Das kommunale Wahlrecht löst nichts, schafft völlig falsche Erwartungen und programmgemäße Frustration.
Frau Kollegin, zum einen haben Sie eine völlig falsche Vorstellung. Es ist doch nicht so, dass die Kommunalpolitiker nicht bereit sind. Ganz im Gegenteil, sie legen größten Wert auf die Mitwirkung der Gremien, die wir haben. Sie haben als Beispiel Kindergärten und Ähnliches mehr genannt.Ich weiß,dass es eine Reihe sehr vernünftiger Initiativen in den Kommunen gibt, zu denen die Ausländerbeiräte um Stellungnahmen gebeten wurden. Wenn wir dort aber eine Wahlbeteiligung von teilweise unter 5 % haben, wenn bei Schulelternveranstaltungen gerade der Personenkreis,den wir besonders brauchen,fast nie da ist, dann sage ich: Mit dem Kommunalwahlrecht werden Sie nichts erreichen.
Sie werden aber zwei Dinge erreichen. Sie werden ein Recht zum Recht minderer Güte machen, nach dem Motto: „Das Kommunalwahlrecht ist nicht so wichtig“, und Sie werden erleben, dass alle wichtigen Fragen, die diese Leute haben – die Kernfragen, nämlich zum Aufenthaltsrecht: Darf ich arbeiten, wie lang, wo, wie ist das mit dem Schulbesuch, wie ist das mit dem Studium, wie ist das mit der Rente? –, auf Landes- und Bundesebene entschieden werden.
Wenn Ihre Theorie richtig wäre, müssten Sie konsequenterweise fordern, dass die Menschen in den Kernfragen, die sie haben, wahlberechtigt sind. Dann sind Sie nämlich – das ist der eigentliche Sinn der Übung – irgendwann auch beim Land oder beim Bund.
Meine Damen und Herren, ich will von vornherein deutlich machen: Das ist ein Irrweg. Sie haben seit Jahren nichts anderes auf der Pfanne. Ich hätte gerne einmal gewusst, was Sie zu jemandem sagen, warum er nicht Staatsbürger werden will. Wir haben das Staatsbürgerschaftsrecht mehrfach reformiert,
damit man leichter Staatsbürger werden kann.Wir wollen keine partiellen Bürgerschaften, sondern wir möchten gerne eine Rechtsgemeinschaft bilden, die für alle die gleichen Rechte und Pflichten hat.
Deshalb hat unser Bundesverfassungsgericht so, wie es im Grundgesetz heißt, gesagt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Volk ist das Staatsvolk nach Art. 28. Jetzt sind wir schon einmal weiter, dass Sie auch sagen, man müsste die Verfassung ändern.
Ich will es kurz halten. – Ich will ausdrücklich festhalten: Bei dieser Position muss man dann auch Farbe bekennen. Das Wahlrecht ist Ausfluss eines Bürgerrechts. Das Bürgerrecht ist Ausfluss des Staatsbürgerrechts. In keinem Staat dieser Erde können Sie wählen und mitbestimmen, ohne Staatsbürger zu sein.
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ohne Bürger zu sein! – Axel Wintermeyer (CDU): Richtig! – Dr.Thomas Spies (SPD): Objektiv falsch!)
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD) – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Viele Afrikaner dürfen in Frankreich wählen!)
Meine Damen und Herren, es ist ein grober Fehler, das kommunale Wahlrecht als Recht minderen Ranges abzutun. Es ist eine völlig falsche Wegentscheidung. Sie werden den Betroffenen Steine statt Brot geben. Sie werden vor allen Dingen eines tun: Dort, wo wir Sorge haben müssen, dass eine Gesellschaft auseinanderläuft, ist die Gewährung des kommunalen Wahlrechts ein weiterer Baustein des Auseinanderlaufens.
Ich will keine Gesellschaft mit unterschiedlichen Wahlrechten.Wer sich entschieden hat, hier zu leben, der kann hier leben. Wer sich entschieden hat, hier zu leben und mitzubestimmen, ist herzlich eingeladen. Aber dann gilt beides:
Es tut mir leid, ganz so kann ich das jetzt nicht stehen lassen. Ja, alle Gewalt geht vom Volke aus – aber eben nicht vom Volker, sehr verehrter Herr Minister.
(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der war gut!)
Wenn es in zahlreichen EU-Staaten genau dieses Recht gibt, sehr verehrter Herr Innenminister Volker Bouffier, dann können Sie sich nicht hierhin stellen und behaupten, dass damit das kommunale Wahlrecht disqualifiziert würde. Denn auf der anderen Seite würden Sie im Umkehrschluss behaupten, dass die Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten hier leben, Bürger zweiter, dritter oder wer weiß wievielter Klasse sind.Das kann wohl auch nicht sein.
Diese Menschen verantworten auch das, was sie hier machen, denn sie zahlen Steuern. Wenn sie Straftaten begehen würden, würden sie genauso verknackt werden – das ist auch in Ordnung so.