Meine Damen und Herren der CDU, Sie sollten einmal nach Oberfranken, Unterfranken oder nach Miltenberg schauen. Da können Sie sehen, wie das endet, wenn man damit angefangen hat. Sie haben zwei der drei wichtigsten medizinischen Einrichtungen dieses Landes einem privaten Unternehmen überantwortet. Sie fangen jetzt an, sich den Boden zu bereiten.
Ich möchte jetzt auf das Thema Abwanderung der Hausärzte aus dem ländlichen Raum zu sprechen kommen.Die Sicherstellung der Versorgung ist die Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung. Sie erhält ziemlich viel Geld, um geeignete Zuschläge zu zahlen, um die Hausärzte vor Ort zu halten. Warum tut sie das denn nicht? Warum haben wir denn die Abwanderung aus dem ländlichen Raum, obwohl doch die einzige für die Sicherstellung der Versorgung zuständige Organisation alle Mittel in der Hand hat? Sie hat genug Ärzte, und sie hat genug Geld. Sie soll das vernünftig organisieren.
Die Bundesregierung hat mit der Honorarreform und mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz alle Möglichkeiten geschaffen, die heute bestehenden Probleme gerade in den abgelegenen Gegenden des ländlichen Raums in den Griff zu bekommen. Es ist allerdings durchaus Aufgabe der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass die zuständige Institution ihre Arbeit macht. Es reicht nicht aus, dass Herr Rentsch und Herr Bartelt ein Gespräch mit der Lobby führen und anschließend die Wunschliste der Kassenärztlichen Vereinigung und der Kammer in einem Antrag präsentieren. Da kommt es darauf an, dass die Regierung eine Institution beaufsichtigt, die sich seit 20 Jahren nicht darum gekümmert hat, das zu machen, wozu sie da ist, nämlich im öffentlichen Auftrag die ambulante Versorgung sicherzustellen.
Ja,sicher.– Seit dem Jahr 2003 hat die SPD eingefordert, dass die Landesregierung Daten produziert, aus denen hervorgeht, wie die Perspektiven der ärztlichen Versorgung eigentlich sind. Wie viele Ärzte brauchen wir? Wie viele brauchen wir an welchen Stellen? Welche Qualifikationen werden wir in Zukunft brauchen? Welche Berufsbilder brauchen wir?
Im blinden Privatisierungswahn hat sich diese Landesregierung konsequent verweigert, auf diese Fragen Antworten zu geben. Das wurde in den Zusammenhang mit den wichtigsten Stationen gestellt, nämlich den beiden Universitätsklinika Gießen und Marburg. Denn die Universitätsklinika sind die Orte, an denen die Medizinstudenten ausgebildet werden. Zwei der drei sind jetzt verkauft. Das macht die Sache nicht leichter.
Das sind die Orte, an denen die ärztliche Weiterbildung stattfindet. Darauf haben wir überhaupt keinen Einfluss mehr. Denn zumindest bei zwei der drei wichtigsten Weiterbildungseinrichtungen wurde die Herrschaft vollständig aus der Hand gegeben.
Meine Damen und Herren, wir müssen über eine vernünftige Organisation im Verbund schauen. 2001 haben wir vorgeschlagen, regionale Gesundheitskonferenzen einzuführen. Wenn wir endlich dazu kämen, wären wir sehr viel weiter, weil nämlich die Akteure vor Ort miteinander gemeinsam nach vernünftigen Lösungen suchen würden.
Meine Damen und Herren, jede Kommune, jeder Landkreis sollte sich angesichts der eingeschränkten Handlungsbereitschaft der KVen bereit finden, selbst ein MVZ einzurichten, selbst einen oder mehrere frei werdende Kassenarztsitze zu übernehmen, weil sie dann die Möglichkeit haben, sich als Mitspieler in der Frage der Sicherstellung zu beteiligen und erheblichen Einfluss zu nehmen.
Dringend sollten wir das tun, was die SPD schon vor Jahren beantragt hat, uns nämlich der Frage arztentlastender Konzepte, wie sie in den neuen Bundesländern sehr erfolgreich umgesetzt werden, zuzuwenden.
Dringend sollten wir uns den Empfehlungen der obersten Gesundheitsbehörden der Länder – auch von Hessen, übrigens ein einstimmiger Beschluss, leider gar nicht umgesetzt – zur Frage der Primärarztsysteme und Hausarztversorgung widmen.
Ich komme sehr gerne zum Schluss. – Dringend müssen wir uns um Aus- und Weiterbildung und die Integration der Frauen kümmern. Dringend müssen wir allerdings dafür sorgen, dass auch an den Hochschulen in der ärztlichen Ausbildung die Frage des Hausarztes wieder eine stärkere Rolle spielt. Herr Rentsch, aber – das ist mein letzter Satz – dafür kommt es nicht auf eine Infobroschüre an. Dazu müssten wir sehr grundsätzlich über Fragen der Strukturierung der ärztlichen Ausbildung nachdenken. Leider – letzter Punkt – haben Sie die Einrichtungen, an denen wir genau das tun müssten, verkauft. – Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE) – Dr. Walter Arnold (CDU): Doch nicht die Forschung und Lehre! Völliger Blödsinn!)
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Spies. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Spies, nichts ist langweiliger, als mehrfach dieselbe Rede zu hören. Deswegen habe ich mein Manuskript gerade liegen gelassen. Wir wollen alle in die Mittagspause. Es gibt dem inhaltlich kaum etwas hinzuzufügen. Wir unterstützen das, was Sie gesagt haben, in ganzer Breite.
Das Einzige, was ich noch anmerken möchte, ist: Wir sollen nicht immer nur nach Speziallösungen schauen, wie wir die Ärzte aufs Land locken, sondern wir sollten ein bisschen mehr danach schauen, wie auch die Lebensqualität der Menschen im Lande insgesamt verbessert wird.
Denn die Arztflucht vom Land hat wenig damit zu tun, dass es keine Ärzte gibt, dass die Ärzte keine Lust haben, sich selbstständig zu machen. Sie wollen schlicht und ergreifend nicht jwd sitzen, wo es keine Infrastruktur gibt, wo die Schulen zu großen zusammengefasst sind,
wo der Busverkehr zur Schule für ihre Kinder eine Zumutung ist, wo die Lebensqualität tagtäglich schlechter wird. Unser Job besteht darin zu schauen, dass die Lebensqualität im ländlichen Raum besser wird – und nicht für eine Spezialgruppe von Ärzten. An diesem Beispiel Ärzte macht sich deutlich, was wir für eine Situation auf dem Land haben. Wer es sich leisten kann, will nicht unbedingt dorthin. Daran müssen wir etwas tun. Daran müssen wir etwas verändern.
Ich finde, das ist eine der vernünftigen Aufgaben, die wir genau betrachten müssen – neben dem Spezialproblem, dass Ärzte tatsächlich nicht so gerne dahin gehen, weil es nicht so attraktiv ist, und nicht, weil sie sich nicht selbstständig machen wollen, weil sie nicht als Hausarzt arbeiten wollen. Wir haben das Problem der Nachbesetzung der Praxen in den Städten in der Form nicht. Die Verantwortung liegt deutlich bei den KVen. Die müssen, bitte schön, auch etwas dafür tun. – Danke.
Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Für die Landesregierung hat Herr Gesundheitsminister Banzer das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin den Fraktionen von CDU und FDP für diesen Antrag sehr dankbar, weil ich glaube, dass er zur rechten Zeit kommt.Wenn man die Zahlen und Statistiken der offiziellen Bundesrahmenbedarfsplanung sieht, gibt es an sich keinen Grund, diesen Antrag zu stellen, weil alles in Ordnung zu sein scheint.Nur – das ist in der Debatte deutlich geworden – ist die Realität anders.
Wenn Sie mit Landkreisen reden, mit Bürgermeistern reden, dann hört man sehr oft die Sorge, wie es weitergeht. Ich glaube, dass es gut ist, dass man nicht dann, wenn das Problem zu überragend ist, an die Sache herangeht, sondern jetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem ich noch die Hoffnung habe, dass man Einfluss nehmen kann, noch steuern kann.
Die Demografie schlägt an dieser Stelle eigentlich in zwei Effekten zu. Zum einen ist immer, wenn Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen ist, die ökonomische Seite von Infrastruktur besonders problematisch. Wenn das noch einhergeht mit einer älter werdenden Gesellschaft, ist das natürlich eine besondere Fragestellung im Bereich von Gesundheit und von ärztlicher Versorgung.
Dazu kommt – damit wird dieser Cocktail zu einem wirklich giftigen Cocktail – die Situation unter den Ärzten. Herr Dr. Spies, ich rate Ihnen, bei den Ärzten genauer hinzuschauen. Ich stelle immer wieder fest, dass Sie der Meinung sind, es gibt da keine demografischen Probleme.
Ich hatte dieser Tage ein nettes Gespräch – so will ich es jetzt einmal euphemistisch sagen – anlässlich der Kammerversammlung der hessischen Ärzte.Auch dort konnte man in breiter Seite, egal in welcher Betroffenheit die jeweiligen Ärzte waren, bemerken, wie groß die Verunsicherung ist.
Wie weit jetzt diese Verunsicherung harte Daten und Fakten als Grundlage hat oder wo diese Verunsicherung eine Sorge um Perspektiven ist – auf jeden Fall besteht das breite Gefühl unter den Ärzten, dass die Zukunft und die Perspektive ausgesprochen unsicher sind.In einer solchen Situation trifft man keine unternehmerische Entscheidung, sich irgendwo niederzulassen.
Herr Staatsminister, die gefühlte Verunsicherung ist unbestritten.Aber teilen Sie nicht meine Auffassung, dass es gerade die Aufgabe der Landesregierung wäre, an dieser Stelle die Möglichkeiten überzogener Beunruhigungen mit den von Ihnen beschriebenen schädlichen Konsequenzen frühzeitig geradezurücken, statt sich der Gefahr hinzugeben, sie auch noch zu verfestigen? Mit den objektiven Daten sind viele spezifischen Befürchtungen gar nicht nachvollziehbar, auch nicht mit denen, die Sie uns in der letzten Ausschusssitzung genannt haben.
Herr Dr. Spies, hier bei der Arbeit – seien Sie völlig beruhigt – machen wir das. Ich glaube, dass man eine Kommunikationsfähigkeit einbüßt, wenn man nicht ausreichende Sensibilität hat, erst einmal nachzuvollziehen, warum die Sorge da ist. Die kann ich schon nachvollziehen.Wenn ich die Kommunikation, die Briefe, die Mitteilungen, die die Ärzte empfangen, selbst anschaue, dann würde ich mich als niedergelassener Arzt, der Unternehmer ist, der Verantwortung für die Verträge hat, die er zu erfüllen hat – die Arbeitsverträge, die Mietverträge, die Leasingverträge, die Kreditverträge –, zu Recht sorgen.All das muss er erfüllen.
So einer ist unter den Umständen, wie sie ihm gegenwärtig begegnen, nach meiner Meinung zu Recht besorgt. Deswegen müssen wir, wenn wir dieses Problem analysieren, neben der demografischen Komponente auch die große Sorge der Ärzte um ihre Zukunft mit ins Kalkül ziehen und versuchen, aus diesen beiden Problempunkten trotzdem eine Perspektive zu entwickeln.
Unter den gesamten ärztlichen Berufsbildern ist natürlich die Position des Hausarztes die, die zentral und fundamental für die Qualität von ärztlicher Versorgung ist, die aber zugleich auch schnell das schwächste Glied unter den ärztlichen Berufen ist. Deswegen müssen gerade diese Berufe das Gefühl haben, dass wir hinter ihnen stehen und dass wir sie unterstützen, dass sie politisch gewollt sind, dass sie ordnungspolitisch gewollt sind, dass sie gesundheitspolitisch und ökonomisch unterstützt werden, damit ihr Engagement eine Perspektive hat.
Denn die kommen beispielsweise von der Klinik,und dort ist ihre Absicherung ganz anders. Jeder muss abwägen, ob er diesen festen Monatsscheck, den er bekommt, gegen das Risiko austauschen will, in einer selbstständigen Praxis tätig zu sein, mit der enormen – das werden wir auch nicht wegbekommen – zusätzlichen Zeitbelastung und dem Risiko.Dafür muss es eine Prämie geben.Dafür muss es sich für diese Person lohnen, und darauf müssen wir geeignete Antworten finden.
Insoweit bin ich Ihnen dankbar, dass dieses Thema aufgegriffen wird. Ich bin sehr dankbar für die vielen Anregungen, die dazu gekommen sind.Wir werden versuchen, daraus sehr zügig eine Initiative zu entwickeln.
Vielen Dank, Herr Minister Banzer. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende dieser Aussprache angelangt.