Protocol of the Session on June 7, 2011

Sie sollten darüber nachdenken, in welche Isolation Sie die hessische CDU mittlerweile führen. Herr Kollege Wagner, mit Ideen von gestern kann man Zukunft eben nicht gewinnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Wagner, Sie müssen zum Ende kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Bei der Philippika, die Sie am letzten Sonntag gegen Ihre eigene Bundeskanzlerin geschrieben haben, würde es mich nicht wundern, wenn die hessische CDU in den nächsten Wahlkampf mit dem Slogan geht: „Merkel, Seehofer und die Kommunisten stoppen“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Kollege Wagner. – Das Wort hat Frau Abg. Wissler für DIE LINKE.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich den Titel dieser Aktuellen Stunde gelesen habe, habe ich mich gefragt, was damit eigentlich bezweckt werden soll.

(Holger Bellino (CDU): Ich auch!)

Der Landtag diskutiert auf Antrag der GRÜNEN über parteiinterne Auseinandersetzungen zur zukünftigen Ausrichtung der CDU. Erst wollte ich mich gar nicht zu Wort melden.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Denn die CDU wird auf absehbare Zeit nicht zu meiner politischen Heimat werden, zumindest nicht mehr in diesem Leben. Da können Sie ganz beruhigt sein.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Meine sehr verehrten Herren von der CDU, aber dann fiel mir ein, wie akribisch Sie sich immer mit uns auseinandersetzen,

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

wie viel Mühe sich die CDU immer gibt, unsere Arbeit zu verfolgen, die Aufsätze unserer Parteivorsitzenden zu studieren und jede Verlautbarung von uns eifrig zu kommentieren.

(Holger Bellino (CDU): Der Verfassungsschutz macht das auch!)

Vor Kurzem hat Ihr Fraktionsvorsitzender im Rahmen einer Pressekonferenz den vierten Teil einer umfangreichen Dokumentationsreihe zur LINKEN in Hessen vorgestellt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Genau! Man muss die Kommunisten immer gut beobachten!)

Darin stellen Sie unsere Arbeit dar. Sie recherchieren aufwendig unsere Aktivitäten. Sie tippen Landtagsprotokolle ab, um unsere besten Reden zu dokumentieren.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Ja, wir fragen uns immer wieder: Was haben Sie eigentlich gemacht, als DIE LINKE noch nicht im Landtag war? Aber diese Zeiten sind ja erfreulicherweise vorbei.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans- Jürgen Irmer (CDU) – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Wissler, damals waren wir es!)

Weil Sie sich so intensiv mit uns beschäftigen, erschien es mir dann doch unhöflich, in dieser Debatte zu schweigen und Ihnen meine guten Ratschläge vorzuenthalten. Und deshalb, Herr Wagner, habe ich Ihren Artikel gelesen.

Sie schreiben, die Lage der Union sei besorgniserregend, und machen das an Wahlniederlagen und Parteiaustritten fest, aber auch daran, dass es „zahlreiche kritische Äußerungen von Unionsmitgliedern an der Basis“ gebe.

Herr Wagner, mein Verständnis einer demokratischen Partei ist, dass kritische Äußerungen an der Basis durchaus zum normalen Parteileben gehören, dass sie auch hilfreich sein können und nicht automatisch eine Krisenerscheinung darstellen.

(Holger Bellino (CDU): Was verstehen Sie denn von einer demokratischen Partei?)

Aber für einen Kampfverband, als den sich die hessische CDU gerne bezeichnet, ist das natürlich ein Problem.

Herr Wagner, Sie beklagen die fehlende programmatische Erkennbarkeit, und Sie kritisieren, dass Unionspolitiker den Super-GAU von Fukushima zum Anlass genommen haben, einen schnelleren Atomausstieg zu fordern. Ich muss sagen, ich finde es beruhigend, wenn der zweite Super-GAU innerhalb von 25 Jahren auch in der CDU zu einer veränderten Wahrnehmung führt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Andrea Ypsilanti und Norbert Schmitt (SPD))

Gerade eine Partei, die sich christlich nennt und die für die Bewahrung der Schöpfung eintritt, muss eine derartige Katastrophe doch zum Anlass nehmen, um ihre bisherige Politik zu überdenken. Meine Damen und Herren, ich hatte aber schon häufiger den Eindruck, dass bei Ihnen die Bewahrung der Wertschöpfung über der der Schöpfung steht.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beim Thema Atomenergie habe die Union ihre Erkennbarkeit verloren. Aber ich frage mich: Worin bestand denn diese Erkennbarkeit eigentlich? Denn das Vertreten von Lobbyinteressen ist auf Dauer programmatisch etwas dünn.

Herr Wagner, Sie fordern Grundsatztreue ein. Ja, Herr Wagner, in der Energiepolitik sind Sie tatsächlich ein Hort der Stabilität – man könnte auch sagen: unbelehrbar und erfahrungsresistent.

Noch vor einem halben Jahr haben Sie gefordert, die Laufzeit für Atomkraftwerke um mindestens 15 Jahre zu verlängern. Auch Fukushima hat bei Ihnen keine wahrnehmbare Bewusstseinsänderung ausgelöst. Deshalb wurden Sie auch völlig zu Recht von einer Umweltorganisation mit dem „Goldenen Brennstab der Woche“ ausgezeichnet.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich würde sogar noch weitergehen: Herr Wagner, ich finde, Sie haben den „Goldenen Brennstab des Jahrzehnts“ verdient.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Sie warnen davor, dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Aber da kann ich Sie beruhigen: Solange Sie die hessische Fraktion führen, werden Sie dem Zeitgeist nicht allzu nahe kommen.

Herr Wagner, Sie sprechen von Baden-Württemberg als einer historischen Wahlniederlage der Union. Aber der Grund dafür ist doch gerade nicht, dass Sie einem Zeitgeist hinterhergelaufen wären, sondern ganz im Gegenteil: Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie wollten Stuttgart 21 mit allen Mitteln durchsetzen, obwohl die Mehrheit der Stuttgarter das ablehnt. Und wer gegen Demonstranten mit Polizeiknüppeln und Wasserwerfern vorgeht,

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer und Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

der darf sich am Wahltag nicht wundern. Oder, um es mit den Worten des Kabarettisten Georg Schramm zu sagen – ich darf zitieren –:

Eine Landesregierung, die nicht in der Lage ist, einen Pflasterstein von einer Kastanie zu unterscheiden, hat nichts anderes verdient, als in den Orkus der Bedeutungslosigkeit gestoßen zu werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Wagner, Sie nennen ehemalige Ministerpräsidenten wie Koch, Rüttgers, Althaus und Mappus „hervorragende Führungspersönlichkeiten“, die der Union verloren gegangen seien. Aber Sie verschweigen, dass diese Herren immerhin bei den letzten Wahlen, zusammengerechnet, etwa 40 % verloren haben, durchschnittlich also jeder der vier ungefähr 10 %; bei Roland Koch waren es etwas mehr.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Das Problem ist, dass Ihre Partei eine ziemliche Mogelpackung ist. Sie nennen sich christlich, aber Ihre Politik ist weder von der christlichen Soziallehre noch von Nächstenliebe geprägt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was verstehen Sie denn davon?)

Sie nennen sich demokratisch, aber Sie scheuen jedes Mehr an Demokratie und Bürgerbeteiligung. Und nun, meine Damen und Herren, bröckelt auch noch die Union.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Klären Sie doch einmal Ihr Verhältnis zum Judentum!)

Aber eine Frage bleibt, nämlich: Warum beantragen die GRÜNEN diese Aktuelle Stunde? Sie scheinen in ernster Sorge um den Zustand der CDU zu sein – denn immer wieder kommt da jemand wie Herr Dr. Wagner daher, der Zweifel weckt, ob Schwarz-Grün eine so verheißungsvolle Perspektive ist.