Protocol of the Session on June 7, 2011

Aber ein Problem, Kollege Spies, ist mit Sicherheit die Frage einer Gesellschaft, die sich verändert, was Demografie und Alter angeht.

Meine Damen und Herren, wir haben in Hessen die Situation, dass wir außerhalb der Ballungsgebiete ländliche Strukturen haben, wo viele alte und ältere Menschen leben. Es ist eben so – darauf geht das neue Gesetz mit seinen Ideen auch ein; Kollege Grüttner hat da auch aus meiner Sicht den Finger in die Wunde gelegt –, dass ermöglicht werden soll, dass Ärzte, die dort eine Praxis übernehmen und dort ihren Dienst tun, nicht noch zusätzlich in ihren Arzneimittelbudgets dafür bestraft werden, wenn sie viele chronisch kranke oder ältere Patienten behandeln. Das ist eines der Hauptprobleme, da müssen wir ran.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist Unsinn, was Sie da erzählen! Lesen Sie einmal das letzte „Ärzteblatt“!)

Nein, es ist kein Unsinn. Herr Kollege Spies, wir sollten ehrlich einmal eine gemeinsame Exkursion durch die Gesundheitsberufe Hessens machen, das wird bestimmt auch persönlich nett.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Verdummen Sie doch nicht die Leute!)

Sie dürfen nicht immer nur mit den Ärzten reden, die noch in der SPD sind, nehmen Sie doch einmal ein paar andere zur Hilfe.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich glaube, dass es Sinn macht, nicht immer nur mit Menschen zu sprechen, die beispielsweise nur sagen, dass die Privatisierung von Gießen/Marburg falsch war. Es gibt auch andere Ärzte, und man sollte sich ein komplettes Meinungsbild erarbeiten.

Meine Damen und Herren, deshalb ist es so, dass das Versorgungsgesetz jetzt den Versuch startet, dort eines der Hauptprobleme ein Stück weit zu lösen und Anreize zu geben, auch wieder in die ländlichen Strukturen zu gehen. Nur so bekommen wir eine medizinische Versorgung für die Bürgerinnen und Bürger auch im ländlichen Raum hin.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Schlussendlich glaube ich, dass in den letzten Jahren auch versucht worden ist, viel Misstrauen gegenüber den ärztlichen Berufen zu säen. Ich glaube, dass Minister Grüttner mit seiner Art, ohne die Probleme auf der Ärzteseite zu negieren, aber auf der anderen Seite auch für diesen Beruf zu werben, der richtige Spagat gelingt. Ich glaube, dass wir mit dem Gesetz definitiv bessere Möglichkeiten haben werden – ob das nun die Frage des G-BA oder die der Versorgungsplanung ist. All diese Bereiche haben wir jetzt stärker in den Händen, und ich bin mir sicher, dass wir mit dem Gesundheitsminister auch das Beste daraus machen werden. Die Regierungsfraktionen werden Sie auf jeden Fall dabei unterstützen, Herr Kollege Grüttner. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Bevor ich Herrn Dr. Spies zu einer Kurzintervention das Wort erteile, freue ich mich, auf der Tribüne unsere frühere Kollegin Frau Velte begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen, Frau Velte.

(Allgemeiner Beifall)

So, Herr Dr. Spies, zwei Minuten zur Kurzintervention.

Herr Kollege Rentsch, eigentlich habe ich mich gemeldet, weil ich Ihnen etwas Nettes sagen wollte. Aber jetzt muss ich doch etwas klarstellen: Was Sie hier über den Gesundheitsfonds erzählt haben, ist ein so grotesker Quatsch, das ist wirklich nicht zu ertragen. Erstens kostet er keine Verwaltungskosten, weil er nichts anderes ist als die Umsortierung der bestehenden Verbeitragung durch die Krankenkassen; an Bürokratie kostet der nichts. Da haben Sie elementare Fragen nicht verstanden.

Was aber viel wichtiger ist – und da, Herr Rentsch, ist es außerordentlich bedenklich, was Sie erzählt haben –: Sie haben eben das Bild aufgebaut, dass die fleißigen Regionen Geld erwirtschaften, um es den neuen Bundesländern – um die geht es ja hauptsächlich – zu schenken, weil die nicht in der Lage seien, wirtschaftlich aktiv zu sein, und deshalb auch noch eine bessere Gesundheitsversorgung als wir bekämen. Das ist nicht nur Unsinn, das ist schäbig, Herr Kollege Rentsch;

(Beifall bei der SPD)

denn Tatsache ist: Die reichsten Landkreise sind die, die am überversorgtesten sind. Der Landkreis Starnberg, einer der reichsten Landkreise in Deutschland, hat eine Ärzteversorgung von 150 %. Das heißt, die hessischen Beiträge von hessischen Beitragszahlern fungieren dazu, die Überversorgung der Villenviertel um den Starnberger See zu finanzieren, und keineswegs in der Uckermark. Die Uckermark hat eine 70-prozentige Hausarztversorgung, und das bei den komischen Berechnungsmodi, die wir haben.

Die Wahrheit ist an der Stelle genau umgekehrt, Herr Kollege Rentsch. Durch die Art und Weise, wie Ärzteversorgung in Deutschland stattfindet, profitieren die Reichen über alle Maßen zulasten der Armen und Unterversorgten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Gemeldet habe ich mich allerdings wegen etwas anderem.

(Heiterkeit – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Gut, dass es Ihnen noch eingefallen ist!)

Das wird jetzt ziemlich knapp, Herr Rentsch.

Ja.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Jetzt nicht noch unterbrechen, jetzt fehlen mir noch fünf Sekunden. – Sie haben freundlicherweise überhaupt nicht zur Regierungserklärung geredet, was ganz richtig war – da war auch nichts gesagt worden –, sondern Sie haben das Thema der Motivation der Ärzte angesprochen.

(Zuruf von der CDU: Blabla!)

An der Stelle will ich Ihnen zustimmen. Wir haben da ein Problem. Wir haben ein Problem mit ziemlich viel Unzufriedenheit. Wir haben ein Problem mit nachlassender Motivation.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Dr. Spies.

Wir haben ein Problem mit dem daraus folgenden Verfall der Normen, mit der Abweisung von Patienten, mit dieser abstrusen Regressargumentation, mit zunehmenden IGeL-Leistungen usw.

(Zuruf von der CDU: Redezeit!)

Aber, Herr Kollege Rentsch, ist denn mehr vom Gleichen das richtige Instrument? Oder ist es nicht vielleicht so – da will ich Ihnen gern einen konstruktiven Dialog anbieten, und das meine ich ganz offen, weil mich diese Frage an vielen Stellen außerordentlich fasziniert –, dass wir sehr viel genauer und sehr viel differenzierter schauen müssen, wie eigentlich Ärzte gestrickt sind und ob unsere Steuerungsinstrumente überhaupt dafür geeignet sind? Denn ich glaube, das Mehr an Wettbewerb, das Ulla Schmidt eingeführt hat, war ein Fehler.

Herr Dr. Spies, jetzt bitte Schluss.

Das Mehr an Staatsmedizin, das Sie jetzt einführen, führt auf den richtigen Weg.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Herr Rentsch, Sie haben von vorhin noch Redezeit von über vier Minuten.

Lieber Kollege Dr. Spies, man kann nur hoffen, dass Sie bei lebenserhaltenden Maßnahmen nicht so lange brauchen und gelegentlich über den Punkt hinaus arbeiten. Das könnte gelegentlich eng werden.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei Abge- ordneten der CDU)

Aber das, was Sie gesagt haben, zeigt ein bisschen ein Problem. Man hat sich im Gesundheitsfonds vorgenommen – wir können es gern gemeinsam nachlesen, so steht es nämlich im Gesetz –, dass durch dieses System Geld umverteilt wird. Sie sagen, Umverteilung koste kein Geld. Das mag aus Ihrer Sicht richtig sein. Ich kann Ihnen an dieser Stelle aber auch ganz persönlich versichern, Umverteilung kostet immer Geld, weil irgendjemand sie verwalten muss. Auch wenn es nur eine Stelle wäre, würde es etwas kosten. Da sind es ein paar mehr. Es ist eine dreistellige Zahl von Stellen, die den Gesundheitsfonds verwalten.

Aber überdies: Der Gesundheitsfonds war der Versuch, Strukturprobleme über Umverteilung zu lösen. Doch, das war er. Sie sehen an dem Beispiel Starnberg – deshalb ist es so schön –, dass Sie so viel umverteilen können, wie Sie wollen, aber dass Sie die Leute auch per Umverteilung nicht aus einem der schönsten Gebiete Deutschlands wegbekommen, nur weil der Staat es sich so ausgedacht hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist genau der Punkt. Nicht deshalb, weil der Staat sich auf Planbrettspielen ausgedacht hat, wie ein Land aussehen muss, machen Menschen das, was der Staat will, sondern sie machen gelegentlich auch das, was sie für richtig und sinnvoll halten.

(Beifall bei der FDP)

Das mag auch ein Problem an der Stelle sein, dass man einfach München als wirtschaftsstarke Region für sich als attraktiv empfindet, dass das Bildungssystem in Bayern vielleicht charmanter ist als das in Mecklenburg-Vorpommern.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Die arbeiten doch nicht für weniger Geld als woanders!)

Es sind doch nicht nur Gründe im medizinischen Bereich, die den Arzt leiten, sondern es spielen ganz viele Gründe eine Rolle, warum sich ein Arzt in einer Region niederlässt oder nicht.

Herr Kollege Spies, ich glaube schon, dass es auch um die Frage geht: Wie stellen sich die starken Bundesländer dar? Das Thema können einige nicht hören, aber die Bürger müssen immer wieder darüber informiert werden. Wir haben doch den direkten Wettkampf mit RheinlandPfalz in dieser Frage. Neben der Tatsache, dass wir über den Länderfinanzausgleich viel Unsinn dort finanzieren, müssten die doch eigentlich auf Rosen gebettet sein. Aber die Wahrheit ist, dass die schlechte wirtschaftliche Situation, die durch den Koalitionsvertrag mit den GRÜNEN noch deutlich verschärft wird, weil Infrastrukturprojekte nicht realisiert werden, dazu führt, dass dort 2.000 Lehrerstellen abgebaut werden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das rotgrüne Politik ist, bin ich froh, dass ich in Hessen lebe. Das kann ich definitiv sagen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das ist schon ein Umstand, der fatal ist. Nachdem sich die GRÜNEN zur Bildungspartei auserkoren haben, ist der erste Schritt, den die Landesregierung mit grüner Beteiligung geht: 2.000 Lehrer weniger. Das hat mich schon überrascht, muss ich ehrlich sagen, das hätte ich ihnen nicht zugetraut. Dieser bildungspolitische Kahlschlag wird sicherlich auch noch Folgen haben, weil wir jetzt schon erleben, dass hessische Schulen auf einmal in den Fokus von vielen Rheinland-Pfälzern geraten, weil sie interessanter geworden sind. Das wird eine Landflucht von Rheinland-Pfalz nach Hessen geben, und da werden wir noch sehen, wie wir das überhaupt aufhalten können.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))