Protocol of the Session on June 7, 2011

Ebenso sinnvoll ist es, die scharfe Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen. Wenn ein angestellter Krankenhausarzt Sprechstunden auf dem Dorf abhalten kann oder wenn die ambulante Behandlung im Krankenhaus ausgeweitet wird, schaffen wir Versorgungssicherheit. Dabei müssen wir lediglich darauf achten, dass wir nicht durch die Hintertür Überversorgung produzieren, wie wir sie schon jetzt teilweise haben.

Ein weiteres Problem ist, dass laut Gesetzentwurf erstmals auch die Kassenärztlichen Vereinigungen länderübergreifend fusionieren können. Welche Konsequenzen wird das haben? Wer müsste im konkreten Falle zurate gezogen werden und diese Entscheidungen begleiten?

Die sektorübergreifende Landesplanung soll nach dem Willen der Länder alle sinnvollen Entwicklungen, also gerade auch solche bei den Spezialärzten, besser steuer- und planbar machen. So wie das Ministerium diesen Bereich angelegt hat, wird er völlig ungesteuert auf die vorhandenen Strukturen aufsetzen. Das wird neben dem Effekt der Kostensteigerung auch dazu führen, dass Ärzte planerisch aus der Regelversorgung herausfallen werden, wenn sie sich in spezialärztliche Sektoren begeben. Sie können dann bei der Regelbedarfsplanung ersetzt werden. Das ist kein wirklicher Beitrag zur Stärkung der Landärzte.

Wenn man die ärztliche Versorgung nach anderen Kriterien als nur nach der Anzahl der Menschen im Verhältnis zur Anzahl der Ärzte planen will, braucht man eine sinnvoll abgestimmte Datenlage. Mit dem Versorgungsgesetz wird die überfällige Umsetzung einer Regelung hinsichtlich der Datentransparenz in Angriff genommen.

Allerdings soll das auf die Morbi-RSA-Daten beschränkt bleiben. Das wird dem Datenbedarf der Länder zur Mitwirkung an der regionalen Versorgungsplanung nicht genügend Rechnung tragen. Die Umsetzung der Transparenzregelung darf nicht auf diese Daten eingeschränkt werden. Denn erstens sind die Morbi-RSA-Daten lediglich eine Teilmenge aller Behandlungsdaten. Sie erfassen die Daten zu 80 chronischen Erkrankungen, die für die Kassen besonders kostenintensiv sind. Aussagen zur Behandlungshäufigkeit akuter Krankheiten sowie von Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter werden damit nicht erfasst.

Außerdem reagieren die Morbi-RSA-Daten nur auf das stattfindende Leistungsgeschehen. Würden die Leistungserbringer in einer Region immer weniger – es fehlen Ärzte, oder sie gehen in den Ruhestand und werden nicht nachbesetzt –, würde auch die Zahl der erbrachten Leistungen abnehmen. Also würde sich aus dem Morbi-RSA auch das Volumen zukünftiger Zuweisungen für die zukünftigen Leistungen verringern. Damit würde ein Kellertreppeneffekt zulasten der strukturschwachen Regionen entstehen. Deshalb muss man noch nach anderen Kriterien schauen, mit denen man das in Einklang bringen kann.

Die „Welt“ hat getitelt:

Der liberale Minister verspricht auf dem Ärztetag Freiheit, Flexibilität und weniger Bürokratie im Gesundheitswesen

Das klingt eher nach einem liberalen Wirtschaftsminister als nach einem Gesundheitsminister, bei dem die Versorgung der Menschen an erster Stelle stehen müsste. Mehr Bedrohung unseres Gesundheitssystems kommt von der FDP als durch den demografischen Wandel.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Frau Schott, danke. – Für die FDP-Fraktion hat sich ihr Vorsitzender, Herr Rentsch, zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will ich das herausstellen, was uns eint. Bei diesem Thema bestehen an vielen Stellen Gemeinsamkeiten.

Herr Kollege Spies, vielleicht darf ich einmal eines herausstellen, weil wir heute viele Bürgerinnen und Bürger im Landtag haben, die sich dafür interessieren. Wir alle haben doch gemeinsam ein Interesse daran, dass es in unserem Bundesland motivierte Ärztinnen und Ärzte gibt, die zur Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung beitragen. Geben Sie sich doch einmal einen Ruck, und sprechen Sie über Ihren eigenen Berufsstand nicht so negativ, sondern versuchen Sie es einmal ein bisschen mit Positivem. Wir brauchen in Hessen gut ausgebildete Ärzte, und nicht das Gegenteil.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU) – Dr. Thomas Spies (SPD): Eben! Warum tun Sie nichts dafür?)

Herr Spies, ich sage es Ihnen persönlich, ich sage es aber auch als Patient: Ich habe nichts gegen Ärzte. Ich habe

auch nichts gegen Sie. Insofern sollten Sie einfach einmal das Kriegsbeil begraben.

Ich weiß nicht, wie Ihre eigene medizinische Berufstätigkeit war. Vielleicht haben Sie mit den Kollegen nicht immer nur gute Erfahrungen gemacht. Das kann sein. Das ist in einem Berufsstand eben so. Man trifft nicht nur auf nette Leute. Ich würde sagen, bis auf die FDP ist das fast überall so.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Das hat ein bisschen gedauert. Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Herr Rentsch, das geht uns auch so!)

Ich glaube, das Erste und Wichtigste bei dieser Frage ist – das hat Gesundheitsminister Grüttner auch fundiert ausgeführt –, dass wir mit jeglichen gesetzlichen Möglichkeiten, die wir haben, dafür Sorge tragen, dass wir keinen weiteren Verlust an Ärztinnen und Ärzten haben, die wir in Deutschland teuer ausbilden. Frau Kollegin Schott, das geschieht in Hessen übrigens an drei Universitäten. Wenn Sie die Klinika in Gießen und Marburg zusammenrechnen, sind es zwei.

Wir bilden überproportional viele aus im Verhältnis zu dem, was wir an Bevölkerung haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen da also deutlich mehr als andere Bundesländer. Auch das sollte man einmal sagen.

(Beifall bei der FDP)

Eines ist wirklich wichtig: Die Ausbildung eines Mediziners ist eine der teuersten überhaupt. Ich habe das letztens bei einer Veranstaltung gesagt: Die Ausbildung kostet ca. das Fünf- oder Sechsfache der eines Juristen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Brauchen wir Ärzte, oder brauchen wir Ausbildung?)

Ob sie das wert ist, weiß ich nicht. Bei Herrn Kollegen Spies kann man auf jeden Fall sagen, er war es uns wert, ansonsten säße er heute nicht als Arzt hier.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Oh!)

Eines ist aber nicht sinnvoll. Darüber sind wir uns vielleicht einig.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Ich erkläre Ihnen das gerne alles noch einmal!)

Wir kennen uns jetzt schon seit acht Jahren. Sie haben mir schon sehr viel erklärt. Ich stehe trotzdem noch hier. Nehmen Sie das einmal als positives Zeichen.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme jetzt zum ernsten Teil. Es ist wirklich nicht sinnvoll, dass wir einen Exportartikel kreieren, der hier teuer ausgebildet wird und der dann in der Schweiz oder in anderen Ländern seinen Dienst versieht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Darüber müssen wir uns Gedanken machen. So einfach ist das. Frau Kollegin Schulz-Asche, deshalb will ich Folgendes sagen: Ich glaube, dass die Gesundheitsminister – Herr Kollege Rösler als Vorgänger und Herr Kollege als Bahr als Nachfolger – sehr bewusst gesagt haben: Wir

brauchen da Regelungen. – Denn das ist nichts, was man dem freien Markt überlassen kann.

Natürlich brauchen wir aber auch für die Bevölkerung eine Planung, damit sie weiß, dass die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung funktioniert. Aber genauso richtig ist es, dass man da natürlich nicht nur die Planwirtschaft aktivieren muss.

Damit komme ich wieder zu den Sozialdemokraten. Wir haben in Deutschland relativ lange erlebt, was passiert, wenn eine sozialdemokratische Gesundheitsministerin versucht, das bisschen, das wir an Wettbewerb hatten, immer weiter in Richtung Staatsmedizin zu treiben. Da sage ich ganz offen: Ich bin nicht der Auffassung, dass das richtig ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Denn eines muss man einfach konstatieren. Man muss konstatieren, dass natürlich vieles wichtig ist, wenn man die Mediziner hier halten will. Da sind Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig. Herr Kollege Grüttner hat das bereits gesagt. Angesichts der älter werdenden Gesellschaft ist die Frage wichtig, wie man die Mediziner bezahlt und ausstattet.

Eines ist aber natürlich mindestens genauso wichtig: Die Mediziner müssen Spaß an ihrem Beruf haben. Sie dürfen nicht das Gefühl haben, dass das Heilen der Menschen in den Hintergrund tritt und dass das Verwalten und die Bürokratie im Vordergrund stehen. Darum muss es uns gehen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Wilhelm Dietzel (CDU))

Ich bin relativ viel als Patient und gesundheitspolitischer Sprecher meiner Fraktion unterwegs und rede mit Ärztinnen und Ärzten und dem Pflegepersonal. Dabei stelle ich eines fest. Ich glaube, das geht uns allen so. Da kann es eigentlich gar keinen Dissens geben. Es ist doch so, dass viele einfach keine Lust mehr haben, weil das Heilen der Menschen überhaupt keine Rolle mehr spielt. Vielmehr steht das Dokumentieren stark im Vordergrund.

Roland Koch hat einmal zu Recht einen Satz geprägt. Der Staat hat ein solches grundsätzliches Misstrauen gegenüber den Heilberufen installiert, dass wir – das ist der Wunsch der öffentlichen Hand – eigentlich in vielen Fällen hinter jeden Arzt einen Notar stellen müssten.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Frau Kollegin Fuhrmann, ich sehe einmal davon ab, dass das von der Zahl her nicht geht. Ich sage aber auch: Man muss jedem Berufsverband und jeder Berufsgruppe ein Grundvertrauen entgegenbringen.

(Zuruf)

Ja, das ist richtig: Das ist liberal. – Frau Kollegin Fuhrmann, wenn man glaubt, alles müsse staatlich kontrolliert werden, muss man zu den Sozialdemokraten gehen. Ja, das stimmt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das hat an vielen Stellen zu dem geführt, wo wir heute stehen. Wir stehen mit einer überbordenden Verwaltung hinter jeder Berufsgruppe und schauen, ob die Leute ihr Werkzeug richtig schwingen.

Das wollen wir nicht. Wir wollen keinen Staat des Misstrauens. Denn das führt wiederum dazu – und sorgt dafür –, dass wir uns diesen Staat nicht mehr leisten können. Bei dieser Grundsatzfrage unterscheiden wir uns. Das ist völlig richtig. Ich bin froh darüber, dass das so ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))