Protocol of the Session on June 7, 2011

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Eigenes Handeln an den Stellen, an denen die Landesregierung hätte handeln können – leider wenig zu sehen.

Wir kommen zu einem weiteren Punkt, nämlich der Debatte um die Aus- und Fortbildung. Wir haben ein Problem mit zu wenigen Allgemeinmedizinern.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Das stimmt. Herr Staatsminister, das hätte man aber sehr einfach im Krankenhausgesetz regeln können, indem man den Krankenhäusern aufgibt, dass Bestandteil der Landesplanung auch die Zahl und die Art der Weiterbildungsstellen ist, damit die Krankenhäuser von vornherein darauf ausgerichtet sind, die erforderliche Zahl an Fachärzten für Allgemeinmedizin, d. h. die erforderliche Zahl an Hausärzten, auszubilden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das wäre eine Lösung, wie das Land in eigener Zuständigkeit handeln kann. Nichts davon.

Dann kommen wir auf die Frage des Studiums. Es gibt eine interessante Gespensterdebatte über die Auswahl der Medizinstudenten. Ich kann nur davor warnen, zu glauben, man könnte Achtzehn-, Neunzehn- oder Zwanzigjährige darauf festlegen, welche Art von beruflicher Tätigkeit sie ihr Leben lang führen wollen.

Wenn Sie alle einmal einen kleinen Augenblick in sich gehen und sich überlegen, wie Sie in dem Beruf, den Sie ergriffen haben, der geworden sind, der Sie sind, dann werden Sie möglicherweise feststellen, dass sich das von Ihren Vorstellungen am ersten Tag des Studiums unterscheidet. Die entscheidende Größe in der Prägung nachwachsender Ärztegenerationen ist nicht die Auswahl vor, sondern die Struktur während des Studiums.

An dieser Stelle ist Handlungsbedarf gegeben. An dieser Stelle muss etwas verändert werden, wenn wir wollen, dass wir mehr Ärzte und weniger Humaningenieure ausbilden, damit wir auf dem Land Ärzte bekommen – keine Humaningenieure.

(Beifall bei der SPD)

Auch an dieser Stelle vollständige Fehlanzeige – eine Frage, die allerdings mehr als drängt.

Dann kommen wir zur Frage des Engagements von Ärztinnen und Ärzten auf dem Land, auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und, und, und. Was fällt Ihnen dazu ein? – Praxisgründungszuschüsse.

Meine Damen und Herren, die Ärzte, die wir im ländlichen Raum brauchen, bekommen Sie mit ein bisschen mehr Geld nicht dahin, weil es nämlich wie in den allermeisten Berufen auch in der Medizin nicht allein als Allererstes auf die Kohle ankommt, sondern weil man diese Art von Arbeit, diese Art von Versorgung, diese Art von Hausarzttätigkeit wollen muss. Man muss sie mit seiner sonstigen Lebensplanung vereinbaren können. Wenn Sie Ärzten Planbarkeit sicherstellen wollen, d. h. eine Vorhersehbarkeit ihres Einkommens, dann müssen Sie die Option bieten, als angestellte Ärzte zu arbeiten. Dann weiß man, was man bekommt. Und dann kann man es verhandeln.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, in welcher Art und Weise auch und gerade im Bereich der niedergelassenen Kollegen so getan wird, als müsse man allen nachwachsenden Ärzten die Tätigkeit als angestellte Ärzte im öffentlich betriebenen MVZ verbieten, weil das nicht wünschenswert sei. Wenn Sie sich anschauen, wie nachwachsende Ärztegenerationen arbeiten wollen, dann stellen Sie fest, die möchten Familie und Beruf vereinbaren können, die möchten geregelte und planbare Arbeitszeiten haben.

(Zurufe der Abg. Alfons Gerling (CDU) und Florian Rentsch (FDP))

Sie möchten wissen, wann sie nachts arbeiten müssen und wann nicht. Dann muss man das konsequent zu Ende denken. Es ist nicht damit getan, ein bisschen mehr Geld in Niederlassungen zu investieren. Wer sich niederlassen will, dem sei das unbenommen. Es kommt darauf an, die Art von Arbeitsplatz im Gesundheitswesen zu schaffen, die versorgungsorientiert genau diesen Ärztinnen und Ärzten kalkulierbare Arbeitsplätze schafft.

Dazu könnte man beitragen, indem man im ländlichen Raum an Krankenhäusern die Einrichtung Medizinischer Versorgungszentren unterstützt, weil genau die dazu geeignet sind, sich um die Frage der Versorgung an den Stellen, wo es sich nicht rechnet, zu kümmern. Es kommt genau an dieser Stelle darauf an, dass man planbare, flexible Arbeitszeiten zur Verfügung stellen kann.

Mit Verlaub, es ist nichts dagegen zu sagen, dass sich eine Praxisinhaberin in Mutterschaft vertreten lassen kann. Aber warum wollen Sie die alle zwingen, sich niederzulassen? – Nein, erst recht, wenn wir über die Frage der sozialen Brennpunkte reden, wenn wir über die Frage in den kritischen Stadtteilen reden, werden wir um eine Versorgung in anderen Zusammenhängen, in Kooperation mit anderen sozialen Tätigkeitsfeldern in einem weitaus umfassenderen Verständnis von ambulanter Versorgung überhaupt nicht herumkommen.

Die Herausforderung, die Versorgung der Menschen sicherzustellen, und die Herausforderung, Arbeitsplätze im Gesundheitswesen denjenigen anzubieten, die dort arbeiten und arbeiten sollen, die die auch haben wollen, bleiben auch mit diesen Regelungen bestehen. Ja, es geht ein bisschen weiter. Ja, Sie können dem einen oder anderen ein bisschen auf die Finger schauen. Herr Minister, aber das einen großen Wurf zu nennen, ist ein bisschen arg euphemistisch. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vielen Dank, Kollege Dr. Spies. – Bevor wir in der Debatte weitermachen, begrüße ich auf der Besuchertribüne unseren langjährigen Kollegen und Freund Dieter Fischer. Herzlich willkommen, lieber Dieter.

(Allgemeiner Beifall)

Die nächste Wortmeldung ist vom Kollegen Dr. Bartelt, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zugang und Qualität der ambulanten medizinischen Versorgung dürfen nicht vom Wohnort abhängig sein. Bei der

Behandlung von Kranken darf es keine Priorisierung in Abhängigkeit von Alter, Einkommen und eben auch nicht vom Wohnort geben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Wiederherstellung der flächendeckenden und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung im dünn besiedelten ländlichen Raum ist unser wichtigstes Anliegen. Daher möchte ich mich bei der Bewertung des kommenden GKV-Versorgungsstrukturgesetzes auf diesen Punkt konzentrieren.

Entscheidend ist die Verkleinerung der Zulassungsbezirke für Artpraxen. Bedarfsorientierte Planungsbezirke erfordern die Mitwirkung der Landesebene in enger Abstimmung mit der kommunalen Familie. Der Hessische Sozialminister Grüttner hat für die Länder und damit auch für die Kommunen als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz nach langen Jahren den entscheidenden Durchbruch erzielt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz ist ein guter Kompromiss zwischen Bundes- und Landesebene. Das Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2012 schafft die Grundlage für eine gute, wohnortnahe medizinische Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Dieses Gesetz gehört auch zu dem ausgezeichneten Start des Bundesgesundheitsministers Bahr in seinem neuen Amt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Florian Rentsch (FDP): Guter Mann!)

Das gegenwärtige Problem der Unterversorgung in Teilen des ländlichen Raums lässt sich so beschreiben: Die Zulassungsbezirke entsprechen den Landkreisen. Bei einem Praxisinhaberwechsel aus Altersgründen kann der Praxisstandort in die weit entfernte Kreisstadt verlegt werden. Der Versorgungsgrad bleibt statistisch unverändert. Das Sozialministerium kann gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung keine Unterversorgung unter Verweis auf den Sicherstellungsauftrag anmahnen und hat selbst keinerlei Möglichkeiten, die Grenzen der Zulassungsbezirke bedarfsgerecht zu verändern. Das ist der Kern des gegenwärtigen Problems.

Dieser Teufelskreis nimmt an Dynamik zu, weil 20 % der niedergelassenen Ärzte gegenwärtig über 60 Jahre alt sind, sodass innerhalb der nächsten fünf Jahre jede fünfte Praxis von einem Standortwechsel in dieser Weise bedroht ist. Gerade die Gemeinden, die ihren Standort verlieren, haben häufig einen erhöhten Versorgungsbedarf, weil ihre Einwohner aufgrund des Wegzugs älter sind.

Meine Damen und Herren, es gibt keinen generellen Ärztemangel. Die Anzahl der Ärzte steigt. Die Arztdichte in Deutschland nimmt europaweit eine Spitzenstellung ein. Im Vergleich der Bundesländer liegt Hessen im Durchschnitt bei einer geringen statistischen Streuung der Flächenbundesländer.

Aber es gibt eine bedrohliche Ausdünnung der Versorgung im schwach besiedelten ländlichen Raum und auch Anzeichen für eine vergleichbare negative Entwicklung in Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten in den Ballungsräumen.

An dieser Stelle kann ich auf die Kritik von Herrn Kollegen Spies eingehen. Ich frage Sie: Welches Gesetz, welche Eckpunkte haben Sie gelesen, welche Äußerungen des Ministers, welche Regierungserklärung haben Sie eigentlich angehört? Selbstverständlich gilt die Behebung von

Mangelversorgung im ambulanten Bereich auch für die sozialen Brennpunkte der Großstädte.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Hans-Christian Mick (FDP))

Es ist doch in dünn besiedeltem ländlichem Raum und in sozialen Brennpunkten das gleiche Problem. Natürlich hat auch hierfür das Gesetz seine Geltung.

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Sie hätten nur besser lesen und zuhören sollen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Und verstehen!)

Dann komme ich noch zu den anderen Punkten Ihrer Kritik, um das hier abzuarbeiten. Sie haben uns unterstellt, dass wir das Problem nur mit Geld lösen wollen, um damit die Klientel zu bedienen. Der Herr Minister hat auch sehr ausführlich über die Überversorgung gesprochen.

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Auch das ist ein Problem, das dieser Gesetzentwurf angeht. Wir wollen zugunsten der Beitragszahler Kassenarztsitze dort schließen, wo sie nicht benötigt werden. Ich werde darauf noch eingehen.

Dann haben Sie sich auf das Krankenhausgesetz bezogen und gesagt, dass man zu wenig für die Ausbildung von Allgemeinmedizinern tue. Gerade das Problem geht man im Krankenhausgesetz an, indem man sagt, die Krankenhäuser sollen Weiterbildungsverbünde bilden, damit die jungen Medizinerinnen und Mediziner im ländlichen Raum gehalten werden und sich entsprechend ausbilden lassen können.

Dann haben Sie abschließend noch gesagt, Sie wünschten sich regionale Budgets. Das habe ich nicht ganz verstanden. Wenn Sie nur regionale Budgets für den ärmer strukturierten ländlichen Raum haben wollen, dann stehen wir am Ende noch schlechter da. Regionale Budgets können nur wohlhabenderen Regionen nützen. Ich weiß nicht, ob das Ihre Intention ist. Ich will es Ihnen nicht unterstellen. Aber hier haben Sie vielleicht nicht ganz zu Ende gedacht.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Die ersten Vorschläge zu einem GKV-Versorgungsstrukturgesetz von der Bundesebene gingen bereits in die richtige Richtung. Bis zur Neuordnung der Versorgungsbezirke auf Bundesebene kann auf Landesebene davon abgewichen werden. Bei der Neuordnung der Zulassungsbezirke erhält ein Vertreter der Bundesländer ein Mitspracherecht im Gemeinsamen Bundesausschuss. Der G-BA ist ein Gremium aus jeweils fünf Vertretern der Ärzte und der gesetzlichen Krankenkassen sowie drei unabhängigen Sachverständigen. Er leitet das gesamte operative Geschäft auf der Grundlage der Gesetze und Gremienbeschlüsse.