Protocol of the Session on May 19, 2011

Alle, die in diesen Arbeitsgruppen dabei sind, suchen mit großer Ernsthaftigkeit nach Lösungen. Vier Unterarbeitsgruppen reden schon über das, was Sie meinen, heute klarstellen zu müssen. Es ist wichtiger, dass wir in den Arbeitsgruppen zügig zu brauchbaren Ergebnissen kommen.

Ich bin auch ein bisschen darüber verwundert, was gestern geschehen ist. Wir gingen davon aus, es gebe schon die Notwendigkeit, eine neue Energiepolitik zu machen. Es war ein Stück Entlarvung, was der Ministerpräsident gestern losgelassen hat.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Holger Bellino (CDU): „Loslassen“, was ist das denn für ein Deutsch? Was für ein Stil!)

Ich muss zweifeln, dass Sie ernsthaft an eine Energiewende denken. Es wäre notwendig, dass die CDU-Fraktion dazu auch noch einmal etwas sagt. Ich will das nicht weiter vertiefen, aber es wäre Ihre Rolle, klarzustellen, wo Sie eigentlich hin wollen.

Ich will aber zum Thema Netzausbau reden. Im Vorfeld des Netzausbaus müssen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um mit den technischen Möglichkeiten, die es schon gibt, eine Reduzierung des Ausbaus einzuführen. Das heißt, vor dem Ausbau und der Verstärkung des Netzes muss es optimiert werden. Wir brauchen eine Bündelung der Infrastruktur im Bereich der Netze, eine Verringerung der Akzeptanzprobleme, indem man die Netze bündelt, und wir brauchen die Einführung neuer Techniken, beispielsweise HGÜ-Leitungen, Gleichstromübertragung und eine Verbesserung der Laststeuerung, z. B. Smart Grids.

Zweitens. Der Netzausbau ist notwendig. Es handelt sich um eine Schlüsselfunktion, die wir vor uns haben, dass wir sowohl die erneuerbaren Energien in der Erzeugung ausbauen müssen als auch die Netze ausbauen müssen, sowohl Übertragungsnetze als auch Verteilnetze. Wir haben auch einen Nachholbedarf in der Instandhaltung, insbesondere bei den Übertragungsnetzen. In den Jahren 2005 bis 2008 entsprach der Instandhaltungsaufwand der Netzbetreiber nicht dem, was eigentlich notwendig war. Wir haben im Münsterland erlebt, was das bedeuten kann.

Bei den Netzbetreibern handelt es sich nicht nur um die vier Großen. Es gibt Vorschriften im Energiewirtschaftsrecht, die besagen, die Erzeugung ist zu trennen vom Transport und vom Vertrieb. Das ist der Fall. Wir reden heute von drei verschiedenen Unternehmen. Die einen erzeugen, die anderen transportieren, und wiederum andere verkaufen den Strom. Es gibt also einen erhöhten Aufwand, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Es bedarf einer besseren Koordinierung zwischen den Erzeugern – zentral oder dezentral –, den Transporteuren und den Verkäufern. Auch das wird uns nicht erspart bleiben.

Meine Damen und Herren, sie brauchen auch Kapital. All diese Unternehmen müssen in den nächsten 20 Jahren 20 bis 25 Milliarden € in ihre Netze investieren. Es muss klar sein, nicht nur im Übertragungsnetz und im Verteilnetz ist eine Menge zu tun. Zurzeit müssen dort jedes Jahr ca. 1,5 Milliarden € in neue Netze gegeben werden. Beim Übertragungsnetz handelt es sich um 1 Milliarde €. Auch dieses Geld muss aufgebracht werden.

Drittens. Das Netz muss intelligenter werden. Wir stehen hier erst am Anfang. Es gibt bereits zahlreiche Vorschläge. Es bedarf umfangreicher Investitionen, insbesondere in die Messsteuerregel und die I+K-Techniken, um das Netz

so zu steuern, dass zwischen Bedarf und Angebot, zwischen Schwach- und Starklast auch wirklich eine Steuerung stattfinden kann.

Gestatten Sie Zwischenfragen?

Nein. – Es bedarf einer Harmonisierung der Protokolle der Verfahren auf europäischer Ebene.

Viertens. Die Zähler müssen auch intelligenter werden. Wir brauchen einen Übergang vom bedarfsorientierten zum angebotsorientierten System. Das bedeutet, dass wir nicht wie heute den Strom bei Bedarf anbieten, sondern dass den Bürgern gesagt wird: Wir haben ein Angebot, wenn der Strom um die und die Zeit abgenommen wird, ist er günstiger. – Das muss mit neuen Zählern dargestellt werden. Das ist eine Riesenaufgabe für die Verteilnetzbetreiber. Auch da hat der Gesetzgeber einen Wettbewerb eingeführt. Es gibt einen Wettbewerb im Messwesen. Das bedeutet, ich muss nicht meinen angestammten Netzbetreiber wählen, sondern kann mir jemanden aussuchen, der mir meinen Zähler setzt. Auch das bedeutet einen erhöhten Aufwand.

Fünftens. Die Regulierung – mein Leib- und Magenthema – muss angepasst werden. Der Auftrag, den wir bisher von der Bundesnetzagentur hatten, den Netzbetrieb effizient und so günstig wie möglich zu machen, reicht nicht aus. Wir brauchen eine Kostenanerkennung des Netzausbaus. Wir brauchen ebenso ein Anreizsystem für den Netzausbau für die erneuerbaren Energien.

Sechstens. Der Bundesnetzplan muss dringend aufgestellt werden, ähnlich dem Bundesverkehrswegeplan. Dazu ist anschließend die Ausführungsplanung durch die Länder zu erstellen. Bei den Ländern sollte diese Aufgabe auch bleiben.

Wir wissen, dass wir den schnellen Ausbau auch brauchen. Das ist durchaus schwierig. Ich will einmal die Version unseres Gesetzentwurfs für die erneuerbaren Energien vortragen. In diesem Gesetzentwurf sprechen wir uns für einen Vorrang des Ausbaus der erneuerbaren Energien aus. Herr Kollege Lenders, um das deutlich zu sagen, wir wollen auch einen Vorrang des Ausbaus des Netzes. Das bedeutet, in den Verfahren muss der Grundsatz des Vorrangs auch festgeschrieben werden. Dann kann man in der Abwicklung sagen, der Ausbau hat Vorrang. Auch das muss an dieser Stelle deutlich gemacht werden. An der Stelle wird es in den Arbeitsgruppen zu Diskussionen kommen. Das müssen wir vor dem Hintergrund, dass wir die Energiewende wollen, zur Kenntnis nehmen.

Siebtens. Das Thema Akzeptanz. Wir wollen den Anwohnern die Chance geben, bei Planungen rechtzeitig eingebunden zu werden. Wir wollen eine frühzeitige Verständigung mit den Anwohnern, Bürgerinitiativen, Naturschutzverbänden. Wir halten das für unverzichtbar.

(Beifall bei der SPD)

Auf diesem Weg wollen wir auch das Wissen um die örtlichen Gegebenheiten einbeziehen. Das Einbeziehen der Bürgerinnen und Bürger und der Initiativen fördert die Akzeptanz.

Zum Ende will ich sagen: Noch wichtiger als alles andere ist der Konsens, den die Politik herstellen muss. Die Poli

tik muss eine klare Sprache zur Notwendigkeit des Ausbaus sprechen. Sie muss Mut und Zuversicht verbreiten und das, was sie beschließt, in verlässlicher Weise der Bevölkerung klarmachen. Das erhöht ganz entscheidend die Akzeptanz.

(Beifall bei der SPD)

Das ist bei dem, was wir bisher erlebt haben, an der Stelle nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, ich will auch deutlich sagen, damit heute alle Aspekte angesprochen sind: Es wird Zeit brauchen. Niemand wird glauben, wenn wir in Berlin im Juni oder im Juli beschließen – in Hessen vielleicht etwas später –, dass dann alles geschehen ist. Dann geht der Prozess erst los. Das heißt, wir werden eine erhebliche Zeit brauchen, die erneuerbaren Energien aufzubauen, die Atomkraftwerke abzuschalten, das Netz aufzubauen, es intelligent zu machen, um am Ende das, was wir für die Bürgerinnen und Bürger wollen – die Versorgungssicherheit für die Zukunft –, darzustellen.

Es gehört auch dazu, dass das Ganze nicht ohne Geld gehen wird. Die Diskussion, die schon geführt wird, es sei eine soziale Frage, ist richtig. Dennoch wird es ohne Geld nicht gehen. Wenn wir die Netzentgelte einrechnen – ich habe eben erwähnt, dass es 20 bis 25 Milliarden € kosten wird –, wie wir es fordern und wie es auch für die Unternehmen notwendig ist, dann bedeutet das eine Erhöhung der Durchleitungsentgelte. Das muss man wissen, und das muss man der Bevölkerung auch sagen.

Meine Damen und Herren, wenn man diese Frage beantworten will, dann erinnere ich an die Kosten von fast 40 % des Strompreises, die der Staat selbst verursacht. Wenn wir darüber reden, ist auch die Frage zu klären, ob wir die Höhe der Kosten, die der Staat selbst auf den Strompreis legt, zulassen oder mithelfen, dass die Finanzierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und des Netzes über diesen Weg, sprich: eine Senkung der Staatsquote, auch beantwortet wird. Darüber würde ich gerne mit Ihnen in die Diskussion gehen. Ich glaube, die FDP würde an dieser Stelle mit Sicherheit auf unseren Weg gehen, wenn ich sage, an der Stelle muss sich etwas bewegen. Ich glaube, darin sind wir uns näher, als man im Moment glaubt.

Herr Abgeordneter – –

Herr Präsident, ich habe es schon gesehen. – Ich will am Ende sagen: Konsens heißt, an einem nachvollziehbaren transparenten Dialog mit brauchbaren Ergebnissen arbeiten. Keinen Minimalkonsens. Nur mit brauchbaren Ergebnissen, die uns voranbringen, ist die Energiewende auch zu schaffen. In diesem Sinne wünsche ich allen, dass wir das, was von uns erwartet wird, auch erfüllen, indem wir in den Arbeitsgruppen konstruktiv zusammenarbeiten und ein brauchbares Ergebnis liefern. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP – Dr. Walter Ar- nold (CDU): Sehr gut!)

Schönen Dank, Herr Görig. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Lenders gemeldet.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Kollege Dr. Arnold wollte einen Zwischenruf machen, hat sich aber nicht getraut!)

Sehr geehrter Herr Görig, lieber Kollege! Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie das Thema Finanzierung überhaupt angeschnitten haben. Mir fehlte dazu eben ein wenig die Zeit. Ich finde es gut, dass Sie einmal klargestellt haben, dass Sie als SPD auf die Frage der Netzdurchleitungspreise setzen. Die Anträge von SPD und auch von den GRÜNEN kann man nämlich, was den Finanzierungsteil anbelangt, auch so verstehen, dass Sie eher für Subventionen wären.

Ich bin sehr froh, dass Sie das gerade klargestellt haben. Sind Sie denn mit uns als FDP und CDU einer Meinung, dass wir eine stärkere Differenzierung der Netzdurchleitungspreise brauchen, nämlich abhängig davon, wo die Netze sind, wo die Kunden derer sitzen, die am Ende einer Leitung sind, und wo der Produzent ist? Würden Sie auch sagen, dass dieses Instrument in der Marktwirtschaft ein wichtiges Element ist, um die Probleme der Finanzierung in den Griff zu bekommen?

(Beifall bei der FDP)

Nach dieser Kurzintervention erteile ich für die CDUFraktion dem Kollegen Landau das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Satz zu dem Vorwurf, der vorhin angeklungen ist, bezüglich dieser Anträge, dieses Tagesordnungspunktes und der Arbeitsgruppen im Energiegipfel: Ich sehe keinen Widerspruch, sondern sehe in den Anträgen, die wir heute diskutieren, eine Arbeitsgrundlage, in die die Arbeit der Arbeitsgruppen aus dem Energiegipfel einfließen wird. Insofern ist das heute keine Vorwegnahme der Arbeit dort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein europäischer Stromverbund, Netzintegration von konventionellen Kraftwerken, die Anbindung der Offshorewindparks, unstete Wind- und Sonnenenergie, die witterungsbedingt einen unterschiedlichen Beitrag zur Lastdeckung liefern, erfordern für die Zukunft eine – so hat es einmal die „Wirtschaftswoche“ formuliert – Totalrenovierung der Strominfrastruktur, wenn weiterhin Netzstabilität und Leistungsfähigkeit der Maßstab sein sollen.

(Beifall bei der CDU)

Die Deutsche Energie-Agentur dena hat bereits 2005 eine erste Netzstudie vorgelegt, der im November letzten Jahres eine zweite folgte. Wir erfahren dort, dass je nach Szenario 2.600 km Stromautobahn und 4.500 km Übertragungsnetz neu benötigt werden. Die Studie hat zudem gezeigt, welche entscheidende Bedeutung dem Netzausbau bei der Integration erneuerbarer Energien im Stromsektor zukommt.

Die Stromnetze der Zukunft müssen mit einer Vielzahl an Klein- und Kleinstkraftwerken auf den Dächern, in den Höfen und Kellern fertig werden. Ein Beispiel: Volkswagen und der Hamburger Ökoenergieversorger Lichtblick planen zurzeit, 10.000 erdgasbetriebene Blockheizkraftwerke zu installieren. Diese Entwicklung führt zu einer weiteren Notwendigkeit, nämlich 20.000 km neu zu bauende Leitungen im Verteilnetz.

Umweltminister Röttgen hat schon vor einem Jahr festgestellt, dass das Netz die wichtigste strategische Weichenstellung für den Ausbau der erneuerbaren Energien ist – ein Satz, der durch die zweite Netzstudie unmissverständlich bestätigt worden ist. Da sich die Rahmenbedingungen in der letzten Zeit – Stichwort: schnellerer Ausstieg aus der Kernenergie und verstärkter Umstieg in erneuerbare Energien – sehr verändert haben, hat die Forderung der GRÜNEN nach einer neuen Netzbedarfsstudie einen gewissen Charme. Aber jetzt können wir nur auf das zurückgreifen, was aktuell vorliegt. Experten wissen längst, dass wir ohne eine neue Netzinfrastruktur einen Blackout, einen Netzkollaps haben werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ausbau des Stromnetzes ist zuerst einmal eine technische Frage. Die Stromnetze müssen in der Lage sein, rasch wachsende, aber unstete Mengen an Wind- und Sonnenenergie aufzunehmen. Binnen fünf Jahren ist die Erzeugungskapazität der erneuerbaren Energien von 24 auf 54 Megawatt bis Ende 2010 gestiegen. Die derzeit bestehenden Netze sind dafür nicht ausgelegt. Der Ausbau regenerativer Energien und der Ausbau der Netzinfrastruktur sind also zwei Seiten derselben Medaille.

Die Leistung der bestehenden Stromübertragungsleitungen in Nord-Süd-Richtung liegt bei etwa 7 Megawatt. Die tatsächlichen und geplanten Leistungen der Offshoreanlagen in der Nordsee lagen bereits zum Zeitpunkt der dena-Studie von 2005 bei 40 Gigawatt. Die Anlagen an Land sind dabei noch nicht berücksichtigt. Also sind effizientere Transporttechnologien wie die Hochspannungsgleichstromübertragung, HGÜ, und technische Neuerungen wie Hochtemperaturleiterseile in Aus- und Umbauüberlegungen einzubeziehen.

Es mangelt dem Stromnetz nicht nur an zusätzlichen Trassen. Es fehlt auch an intelligenten Netzschaltungen und Steuerungen. Smart Grids und Smart Metering können helfen, Angebot und Nachfrage zusammenzuführen und Spitzen zu bestimmten Tageszeiten zu verhindern. Damit beginnt das digitale Stromzeitalter.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ein Wort zur Energiespeicherung. Heute stellen Speicherkraftwerke in Deutschland ein Speichervolumen an elektrischer Arbeit von 0,04 Terawattstunden zur Verfügung. Damit lässt sich eine Stunde Strom puffern. Künftig wird aber das 250-Fache benötigt. Es ist also auch hier einiges zu tun, auch – ich sage das mit Blick auf Süddeutschland – im Schwarzwald.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Ausbau des Stromnetzes ist auch eine finanzielle Frage. Energiekommissar Oettinger bezifferte jüngst die europaweiten Kosten der Sanierung und Neuausrichtung des Stromnetzes auf 140 Milliarden € bis zum Jahr 2020.

Bleiben wir in Deutschland. Werfen wir einen Blick auf die hiesigen Kosten. Die dena-Netzstudie vom November beziffert diese auf 9,7 Milliarden € bis zum Jahr 2020. Was heißt das? – Das heißt auch, für alle potenziellen Investo

ren müssen verlässliche Rahmenbedingungen von Netzentgelten, Durchleitungsentgelten und anderem gelten.

Wenn man diese Kosten betrachtet, stellt man fest, dass die Netzanbindung von Offshoreanlagen im Extremfall so teuer sein kann wie die installierte Technik selbst. Beim Netzausbau stellen sich aber auch die Fragen nach der Akzeptanz und den Genehmigungsverfahren. Beim Energiegipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs im Februar dieses Jahres ging es auch darum. Das Energiebinnenmarktpaket verpflichtet die Netzbetreiber erstmalig, einen konkreten Zehnjahreszeitplan zum Ausbau der Infrastruktur vorzulegen. Netze sollen stärker als aktuell nötig ausgebaut werden, um später nicht nachbessern zu müssen. Auch der EU-Energiekommissar Günther Oettinger ist für eine Verkürzung der langwierigen Genehmigungsverfahren, die nicht nur Zeit kosten, sondern die Projekte auch teurer machen. Die Kommission fordert die Mitgliedsländer ausdrücklich dazu auf, ihre Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.