An den Verfassungsschutz würde ich mich nicht wenden, weil die dort oft nur Informationen über die Szene abschöpfen wollen.
Hilfe würden Aussteigerwillige kaum erhalten, weil das nicht das Ziel der Geheimdienste sei. Dementsprechend würden viele Aussteiger rückfällig.
Lernen will der Verfassungsschutz daraus aber nicht. Stattdessen bietet er inzwischen auch eine Telefonhotline für ausstiegswillige Dschihadisten an. Selbst das bayerische Innenministerium zweifelt den Sinn dieser Aktion öffentlich an, denn, so die „Süddeutsche Zeitung“, der „Verfassungsschutz gibt keine Statistiken über Zahl und Art der Anrufer heraus und blockt Anfragen zu dem Projekt ab“. Das heißt auf gut Deutsch, meine Damen und Herren: Geheimdienste machen eh, was sie wollen. Was kann das Ministerium da schon machen? Auch hier ist das Problem, dass die bloße Behauptung, etwas sei wichtig und notwendig, ausreicht, um diese Politik zu begründen. Der Rest unterliegt der Geheimhaltung. Man könnte das problemlos anders organisieren. Das macht SchwarzGelb aber nicht.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Das sieht man ganz besonders an Ihnen! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
Deshalb bleibt auch immer die Frage im Raume stehen, wie groß der Beitrag des Verfassungsschutzes zur Sicherheit eigentlich ist. Die Behauptung von Bedrohung und ihrer erfolgreichen Bekämpfung lässt sich eben nicht überprüfen. Selbst wenn Dinge offensichtlich schieflaufen, bleibt das öffentlich außen vor – wie z. B. der Fall Hadid N., den ich hier ausdrücklich anführen möchte.
Dieser deutsch-afghanische Student – ich weiß, dass Sie da nervös werden, Herr Minister, das ist mir schon klar – wurde des Islamismus bezichtigt. Nachweisen konnte die Staatsanwaltschaft ihm nichts, obwohl man sich wohl in mehreren Verfahren sehr viel Mühe gemacht hatte. War er nun eigentlich ungefährlich, oder war er sogar besonders gefährlich, weil er sogar die Behörden täuschen konnte? Eine Gelegenheit, dieses genauer zu überprüfen, ergab sich offenbar, als der junge Mann beschloss, nach mehr als einem Jahr der Ausreiseverweigerung endlich seine Verwandten in Kabul zu besuchen. Seltsamerweise gelangten dann Informationen – auch über den Aufenthaltsort – irgendwie an das US-Militär, die ihn für mehrere Wochen in ein für Folterpraktiken bekanntes Gefängnis brachten. Selbst hier konnte ihm nichts nachgewiesen werden.
War also alles nur ein Missverständnis? Wer trägt dafür die Verantwortung? Man weiß es bis heute nicht. Wer glaubt, in einem Rechtsstaat müsse dies aufgeklärt werden, der irrt. Alle Anfragen, wie, warum und von wem die Information an das US-Militär weitergegeben wurde, hat man nicht beantwortet – Geheimhaltung eben. Damit möchte ich dem Herrn Innenminister gar nichts persönlich unterstellen, aber ich frage mich,
was mit Menschen passiert, deren Familien sich nicht so wehren können, wie es die Familie von Hadid N. getan hat. Was wäre gewesen, wenn es keine Familie gegeben hätte, keine Studenten, die Unterschriften sammelten? Was, wenn sich daraus kein Politikum entwickelt hätte?
Lassen Sie mich deshalb zum Schluss sagen: Mir sei der Hinweis gestattet, dass es im Zusammenhang mit der 60Jahr-Feier des Landesamts für Verfassungsschutz auch die Chance gegeben hätte – und noch gibt –, sich in das Wertesystem der Anfangsjahre der Behörde zu versetzen und sich damit auseinanderzusetzen. Zumindest vor dem Hintergrund des langsam bekannt werdenden braunen Erbes des Bundesnachrichtendienstes wäre auch eine kritische Erforschung der Frühgeschichte des Hessischen Landesamts für Verfassungsschutz angezeigt.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir blicken zurück auf sechs erfolgreiche Jahrzehnte Verfassungsschutz in Hessen. Wir haben Anlass, die hervorragende Arbeit des Amts für Verfassungsschutz in Hessen zu würdigen. Dazu will ich an dieser Stelle einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Dass die angezeigt sind, hat insbesondere die von Herrn Schaus eben gehaltene Rede wieder einmal unterstrichen. Ich kann nur sagen, Herr Kollege Schaus: Nehmen Sie die Zerrbrille ab, wenn Sie sich mit dem Rechtsstaat beschäftigen. Vielleicht wird das auch Ihnen irgendwann den Blick etwas verklaren.
Der freiheitliche Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass er die liberalen Werte und Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger garantiert und schützt. Bedrohungen für die Freiheit gibt es aber sowohl von außen als auch von innen. Die kann man nicht wegdiskutieren, wie es Herr Schaus – aus welchem Interesse heraus auch immer – anscheinend gerne tun würde. Organisierte Kriminalität, extremistischer Terror und andere Angriffe auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung sind nach wie vor reale und ernst zu nehmende Gefahren. Deshalb ist ein gut funktionierender und mit den notwendigen Befugnissen ausgestatteter Verfassungsschutz wesentlicher Bestandteil eines modernen und offenen Gemeinwesens.
Der Verfassungsschutz ist in der Tat unverzichtbar für die Abwehr von Gefahren für unsere Sicherheit und damit auch – das ist die entscheidende Verknüpfung – für unsere Freiheit. Denn Freiheit ohne die Gewährleistung von Sicherheit ist eine Illusion, Herr Schaus. Lassen Sie sich das gesagt sein. Allein der Blick auf zahlreiche totalitäre Staaten in der Welt macht uns deutlich: Wer um die persönliche Integrität fürchten muss, wer sich auf das nackte Überleben konzentrieren muss, hat keine reelle Chance, Freiheitsrechte tatsächlich wahrzunehmen.
Oft müssen diese Freiheitsrechte erst mühsam erkämpft werden. In vielen Staaten, in denen der Kommunismus herrscht, wird noch heute darum gekämpft. Nehmen wir als Beispiel Kuba und Nordkorea. Umso wichtiger ist es in diesem Teil der Welt, in dem die Wahrnehmung von Bürgerrechten eine Selbstverständlichkeit ist, dies nicht zu vergessen und deshalb gleichermaßen für die Sicherung von Freiheit und Sicherheit einzutreten.
Realitätsfern ist aber – das betone ich ganz besonders – das Streben nach absoluter Sicherheit. Der Anschlag auf die US-Soldaten am Frankfurter Flughafen am 2. März 2011 hat uns dies wieder einmal in Erinnerung gerufen. Perfektion ist im Bereich der inneren Sicherheit nicht möglich. Das sage ich insbesondere all denen, die bei jeder Gelegenheit danach rufen, die Sicherheitsgesetze zu verschärfen.
Ich kann an dieser Stelle zum wiederholten Male Benjamin Franklin sinngemäß zitieren: Das Streben nach dem unerreichbaren Ziel der absoluten Sicherheit führt im Zweifelsfall dazu, Freiheit und Sicherheit zu verlieren.
Deshalb sind Augenmaß und rechtsstaatliche Sensibilität im Umgang mit der inneren Sicherheit, insbesondere im Umgang mit den Geheimdiensten, ein wesentlicher As
pekt liberaler Arbeit für die Sicherheit unserer Bürger sowie für die Bewahrung ihrer Freiheit. Der Blick zurück, den Frau Kollegin Faeser angesprochen hat – der auch in dem SPD-Antrag erwähnt wird –, ist ein Thema, über das wir uns im Ausschuss sicherlich unterhalten müssen und auch werden. Ich bin guten Mutes, dass wir da zu einer Verständigung kommen.
Herr Kollege Schaus, eines ist auch klar: Naturgemäß spielt sich die Arbeit der Nachrichtendienste mit dem Sammeln von Informationen – teilweise unter Einsatz spezieller nachrichtendienstlicher Mittel – im Verborgenen ab. Umso wichtiger sind funktionierende Kontrollmechanismen. Die notwendige Geheimhaltung beeinflusst nämlich das Machtgefüge in der parlamentarischen Demokratie. Kontrollen der Regierung und auch des Nachrichtendienstes durch das Parlament sind Ausfluss des Demokratieprinzips, und dieses lebt grundsätzlich von der Öffentlichkeit der Kontrolle.
Diese ist, wie man sich denken kann, bei den Geheimdiensten notwendigerweise eingeschränkt. Wir haben in Hessen mit der Parlamentarischen Kontrollkommission ein unverzichtbares Instrument, um die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes in unserem demokratischen Rechtsstaat zu gewährleisten.
Ich will an dieser Stelle eines hervorheben: Nicht nur der Rechtsstaat per se erfordert die intensive Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission, sondern auch die Nachrichtendienste selbst sind darauf angewiesen; denn sie müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und behalten. Die Voraussetzung dafür ist aber auch und gerade, dass die Menschen auf eine zuverlässige und intensive Kontrolle durch das Parlament bauen können.
Herr Kollege Schaus, wenn Sie es immer noch nicht verstanden haben: Auch das ist einer der Gründe, warum wir hier über die Behörde Verfassungsschutz ein bisschen häufiger reden als über andere. Wir haben hier in der Tat eine eingeschränkte Möglichkeit, und wir müssen die Kontrolle auf einem anderen Wege ausüben als z. B. bei der Polizei oder bei den Schulämtern. Deshalb reden wir im Parlament so häufig über den Verfassungsschutz, den wir zwar dringend brauchen, aber auch entsprechend kontrollieren müssen.
Ich gehe davon aus, dass ich noch gut vier Minuten Redezeit habe. Aber ich nehme den Hinweis gern auf; vielleicht bekomme ich die Zeit dazu, die die Unterbrechung gekostet hat.
Entschuldigung, das war mein Versehen. Als ich die Sitzungsleitung übernommen habe, habe ich die Uhrzeit nicht gesehen.
Deshalb stellt sich uns, dem mit der Kontrolle des Verfassungsschutzes betrauten Parlament, stets aufs Neue die Frage nach der Verbesserung der Wirksamkeit der Kontrolle und nach Optimierungsmöglichkeiten.
Ich darf an dieser Stelle einige Überlegungen hierzu zur Diskussion stellen. Es gibt bei der Ausübung der Kontrollrechte selbstverständlich Grenzen. Gleichwohl meine ich, dass konkrete Verbesserungen denkbar sind. Wir haben dazu die Gelegenheit. Die Evaluation des Gesetzes steht an: Ende 2012 laufen sowohl das Gesetz über den hessischen Verfassungsschutz als auch das G 10-Gesetz aus. Bei der Gelegenheit sollten wir über verschiedene Punkte sehr gründlich nachdenken.
Ich habe keine Lösungen, sondern stelle einfach ein paar Fragen, genauso wie ich das, was Frau Faeser gesagt hat und was auch ich an anderer Stelle teilweise schon formuliert habe, für nachdenkenswerte Überlegungen halte, aber nicht etwa für fertige Erkenntnisse. Darüber werden wir reden müssen.
Ich will hier noch erwähnen, dass mir zunächst eine Klarstellung erforderlich scheint: dass sich die Kontrollbefugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission teilweise auch auf die Tätigkeit der Polizeibehörden, insbesondere auf die des Landeskriminalamts, beziehen sollten, nämlich dann, wenn sich Vorgänge schwerpunktmäßig aus der Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz ergeben oder dort ihren Ursprung haben und aus Geheimhaltungsgründen in einem großen Umfang der Erörterung, auch im Innenausschuss, entzogen sind. Darüber sollten wir nachdenken.
Frau Kollegin Faeser hat schon die zweite Frage erwähnt, nämlich ob wir nicht in gewisser Weise den Datenschutzbeauftragten in die Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission einbeziehen sollten, wie das im Übrigen heute schon bei der G 10-Kommission möglich ist. Ich denke dabei an die Funktion des Datenschutzbeauftragten als eine Art Ombudsmann, wobei er insofern auch als ein zur Geheimhaltung zu verpflichtender Bürgervertreter einzubeziehen wäre.
Es stellt sich letztlich die Frage – zu der ich überhaupt keine abschließende Meinung habe, die ich aber für sehr spannend halte –, ob man nicht die G 10-Kommission und die Parlamentarische Kontrollkommission Verfassungsschutz zu einem einzigen, umfassend zuständigen Gremium zusammenführen sollte. Hierfür spricht vor allem, dass die in beiden Gremien zu behandelnden Vorgänge erhebliche Schnittmengen aufweisen. Häufig sind Vorgänge, die gegenüber der PKV berichtspflichtig sind, auch Gegenstand von G 10-Maßnahmen. Andererseits weiß ich, dass die G 10-Kommission anders ausgestaltet ist – teilweise ist sie gerichtsähnlich ausgestaltet – und dass sie auch anders gewählt wird.
Dieses Wahlverfahren ist auch ein Thema, über das wir nachdenken sollten. Ich meine, dass in diesem speziellen Bereich generell Mehrheitswahlen stattfinden sollten. Es überrascht vielleicht, das von dem Vertreter einer Fraktion zu hören, die nicht ganz so groß ist wie manche andere. Aber ich habe durchaus die Verantwortung im Blick, die sich daraus ergibt, dass wir es im Parlament mit Vertretern extremistischer Parteien zu tun haben. Ich verweise insbesondere auf die Präsenz der Fraktion DIE LINKE. Die Partei – nicht die Fraktion – steht mit gutem Grund unter der Beobachtung des Landesamts für Verfassungsschutz.
Deshalb ist stets zu beachten, dass Kompetenz und Verschwiegenheit der Mitglieder die unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Arbeit der Gremien ist. Die Sicherheitsinteressen dürfen nicht beeinträchtigt werden. Herr Schaus, das ist genau der Grund, weshalb wir Sie dort nicht haben wollen.
Sie haben ein gebrochenes Verhältnis zum Rechtsstaat. Das zeigen Sie uns immer wieder, z. B. indem Sie im Kelsterbacher Wald auf die Bäume steigen – was auch immer. Deswegen müssen wir dort aufpassen.
Jetzt ist meine Redezeit wirklich um; deswegen komme ich zum Schluss. Die Überlegungen, die ich hier vorgetragen habe, dienen der Flankierung der erfolgreichen und unverzichtbaren Arbeit des Verfassungsschutzes. Die FDP-Fraktion wird den Verfassungsschutz in Hessen weiterhin bei seinen Aufgaben, nämlich dem Schutz der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, unterstützen.
Ich beende meine Rede mit dem ausdrücklichen Dank an die vielen Menschen – Herr Desch, wenn Sie ihn bitte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übermitteln –, die in oft schwierigen Situationen unermüdlich dafür arbeiten, gleichermaßen die Freiheit und die Sicherheit unserer Bürger zu schützen. – Herzlichen Dank.