Protocol of the Session on May 18, 2011

Wir wissen auch, dass die parlamentarische Kontrolle nur so weit gehen kann, wie die Parlamentarische Kontrollkommission in Kenntnis gesetzt wird. Das hat mit dem Berichtswesen sowohl der Regierung als auch des Verfassungsschutzes zu tun. Wenn die Parlamentarische Kontrollkommission nicht über diese Dinge informiert wird, dann kann sie natürlich nicht nachfragen. Es gibt kein Befassungsrecht, es gibt kein Akteneinsichtsrecht. Kollegin Faeser hat zu Recht gesagt, dass man in diesem Bereich vielleicht einmal darüber nachdenken sollte, wie man die Parlamentarische Kontrollkommission den geänderten Bedürfnissen und den geänderten Befugnissen anpassen muss.

Denn das, was wir an Befugnissen für den Verfassungsschutz im Gesetz normiert haben, sind tiefe Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte. Das muss man wissen. Hier gilt es Abwägung zu treffen zwischen den Grund- und Freiheitsrechten auf der einen Seite und den Interessen des Staates und der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite.

Wir haben einen weiteren Punkt, wo wir Gemeinsamkeiten haben. Das ist die Prävention. Ich nenne hier das Stichwort KOREX. Da gibt es eine gute Arbeit des Verfassungsschutzes. Es ist das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus, um es denen zu sagen, denen die Abkürzungen nicht so präsent sind. Ich glaube, dass es eine wichtige Arbeit ist. Es gibt eine Fülle von Broschüren zu verschiedensten Themenbereichen, die sich gerade an Jugendliche und an junge Menschen richten und auch den Rechtsextremismus behandeln.

Ich glaube aber, dass man in diesem Bereich unter Umständen noch mehr machen kann. Wenn man sich z. B. den Islamismus anschaut, könnte man sich auch vorstellen, hier präventiv tätig zu werden und in diesem Bereich beispielsweise auch einmal die Frage eines Aussteigerprogramms in Erwägung zu ziehen. Man kann nicht auf der einen Seite die Entwicklungen beklagen und auf der an

deren Seite keine Maßnahmen ergreifen, um hierbei präventiv tätig zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein weiterer Punkt, in dem Einigkeit besteht, ist, dass wir in sehr fachkompetenter Weise von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes informiert werden.

Ich habe es gerade schon gesagt: Wir haben es mit Bedrohungen für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Hessen zu tun, wir haben es mit Rechts- und Linksextremismus, mit gewaltbereitem Islamismus, mit Salafismus – neulich erst gab es Demonstrationen und Aufmärsche in Frankfurt – sowie mit Ausländerextremismus zu tun. Es gilt hier also schon, den Staat wehrhaft zu halten und ihm auch Informationen zugänglich zu machen, was in diesen Bereichen passiert. Ich glaube daher auch, dass es wichtig ist, dass der Verfassungsschutz in diesen Feldern Kompetenzen besitzt.

Ich habe gerade schon über die wehrhafte Demokratie geredet. Ich glaube, dass wir den Spagat zwischen dem Schutz der Grundrechte der Betroffenen auf der einen und dem Gewinn von Informationen auf der anderen Seite hinbekommen müssen.

Rückblickend – und das ist auch eine kleine Schwäche der Debatte – muss man auch sagen, dass beim Verfassungsschutz in Hessen wie auch insgesamt nicht immer alles gut gelaufen ist und es hier durchaus Kritikpunkte gibt. – Ich erinnere an Skandale, als parlamentarische Kontrolle nicht funktioniert hat und Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission aus Zeitungen erfahren haben, dass V-Leute von Behörden in gewisse Straftaten verstrickt waren. Wir wissen, dass es Pannen bei der Führung von V-Leuten gegeben hat. Wir wissen – das betrifft jetzt nicht den Verfassungsschutz in Hessen – beispielsweise um die Frage der Sprengung der JVA in Weiterstadt – Herr Dr. Wagner kann sich noch erinnern –:

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Da waren die Dienste in Rheinland-Pfalz wie auch die Bundesdienste vorher informiert, und sie haben billigend in Kauf genommen, dass seinerzeit dieser Anschlag durchgeführt worden ist. Wir hatten die Debatte zur Führung von V-Leuten im Zusammenhang mit dem NPDVerbot. Ich erinnere daran, dass das NPD-Verbot vom Verfassungsgericht unter anderem daran gescheitert ist, dass fast alle Dienste V-Leute in den Entscheidungsgremien der NPD platziert hatten und daher gar nicht einsichtig war, welche Entscheidungen bei der NPD ohne Einwirkung von V-Leuten gefällt worden sind; die Dienste waren auch nicht bereit, ihre V-Leute dort abzuziehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich glaube, dass es Anlass zur Gratulation für den Verfassungsschutz gibt. 60 Jahre kann man zurückblicken und sowohl die positiven wie auch die negativen Seiten betrachten; das ist, wie schon gesagt, wie im normalen Leben. Herr Desch, bitte richten Sie auch von meiner Fraktion herzliche Grüße aus, wir werden das wohl auch hier im Hessischen Landtag demnächst in einer Feierstunde feiern.

Ich glaube, dass wir uns beim Verfassungsschutz auch den Zukunftsaufgaben stellen müssen, nämlich dem, was Frau Faeser mit der Neuorganisation angesprochen hat, ebenso wie der Frage der Aufarbeitung der Geschichte. Daher

wünsche ich mir auch weiterhin eine gute Zusammenarbeit. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Schaus für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Warum beschäftigen wir uns eigentlich zwei- bis dreimal im Jahr mit dem Verfassungsschutz in Hessen?

(Zuruf von der CDU: Weil es wichtig ist!)

Warum thematisieren CDU und FDP nicht einmal die Leistung anderer Landesbehörden?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!)

Warum nicht 60 Jahre Gerichte, 60 Jahre Schulämter oder 60 Jahre Hessen-Forst? Der ist zwar noch nicht so alt, das Vorläuferlandesamt allerdings schon. Oder 60 Jahre Jugendhilfe?

(Zuruf: Der Wald ist älter!)

Ja, der Hessen-Forst ist älter, aber die Behörde dieses Namens ist etwas jünger, Herr Minister.

Der Verfassungsschutz ist – und darauf sei auch an diesem Tage explizit hingewiesen – zunächst eine weisungsgebundene Behörde des Landes, also eine wie jede andere auch. Und trotzdem erfreut sich nur der Verfassungsschutz regelmäßiger Aufmerksamkeit von CDU und FDP – einschließlich Jubelreden wie heute und ständiger Ausweitung der Haushaltsmittel. Herr Minister, wenn die so gut sind und Sie andere Behörden nicht gleichermaßen thematisieren, heißt das doch, dass diese viel schlechter wären – darüber würde ich aber mal nachdenken, ob Sie das aufrechterhalten wollen.

(Beifall der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Selbst der Steuerzahlerbund, meine Damen und Herren von der CDU – eigentlich ein Ihnen nahestehender Verband –, fragt längst öffentlich nach dem Sinn unseres außerordentlich aufgeblähten Geheimdienstes. Was ist also der Grund für die in jeder Beziehung besondere Wertschätzung des Verfassungsschutzes seitens CDU und FDP? In Ihrem Antragstitel heißt es: „Verfassungsschutz auch zukünftig unverzichtbarer Pfeiler für Sicherheit und Demokratie“.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Das muss man sich einmal genauer ansehen, weil dem Verfassungsschutz damit natürlich eine immense Bedeutung zufällt; denn „unverzichtbarer Pfeiler“ heißt doch, dass Sicherheit und Demokratie ohne Verfassungsschutz in der Vergangenheit nicht funktioniert hätten und auch in Zukunft nicht funktionieren könnten. Sie behaupten also, ohne diese eine Landesbehörde würden Sicherheit und Demokratie zusammenbrechen.

(Zuruf von der CDU: Ach du liebe Güte!)

Dem widerspreche ich ganz deutlich, Herr Kollege. Es wäre geradezu ein Armutszeugnis, wenn das stimmen

würde. Dann könnten wir ohne Geheimdienst weder Sicherheit noch Demokratie aufrechterhalten. Was wäre das denn noch für eine Demokratie, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich halte diese Auffassung sogar für widersinnig, denn eine Gesellschaft, in der Geheimdienste immer wichtiger werden, ist meines Erachtens eben nicht freiheitlicher und demokratischer.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Grund: Demokratie lebt vom Mitmachen, von Transparenz, von Kommunikation und Offenheit. – Frau Faeser hat ja dankenswerterweise auch darauf hingewiesen. Beim Geheimdienst kann man aber nicht mitmachen. Er ist weder transparent, noch kommunikativ, noch offen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau! – Minister Boris Rhein: Sie können da wirklich nicht mitmachen!)

Er ist zwangsläufig Staat im Staate, Herr Minister, was immer wieder eine Reihe von Problemen mit sich bringt.

(Beifall bei der LINKEN)

Obwohl ich nun seit einigen Jahren Abgeordneter des Hessischen Landtags bin, kann ich z. B. bis heute nicht sagen, was der Geheimdienst eigentlich macht, weil es mir ja nicht gesagt werden darf, im Gegenteil: Obwohl ich gewählter Vertreter des Volkes und damit Teil der höchsten Gewalt im Lande bin, werde ich sogar von dieser Behörde beobachtet. Ich kann mich nicht dagegen wehren, weil das eine politische Entscheidung der Regierung ist: Sie behaupten einfach, DIE LINKE sei gefährlich – beweisen müssen Sie das nicht. Das ist ziemlich absurd, zumal DIE LINKE in den meisten anderen Bundesländern eben nicht überwacht wird und sogar in zwei Landesregierungen vertreten ist. Ich bin allerdings trotzdem dagegen, dass z. B. CDU und FDP in Berlin oder in Brandenburg überwacht werden; denn meine Vorstellung von Demokratie ist eine andere.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht mir aber nicht um meine eigene Betroffenheit. Meine Damen und Herren, die Frage, wie man die Kontrolleure kontrolliert, scheint so alt zu sein wie die Geheimdienste selbst. Die „Zeit“ listet in einem Artikel aus dem Jahre 2006 eine Vielzahl von Geheimdienstskandalen auf, die auch parlamentarisch nicht aufgearbeitet werden konnten. „Von den heiklen Operationen des Geheimdienstes erfahren die Wächter im Parlament meistens erst aus der Zeitung“, ist dort zu lesen. Die „Zeit“ beschreibt, wie namhafte Parlamentarier immer wieder an der Nicht-Kontrollierbarkeit der Geheimdienste scheitern. Zumindest im Kern haben das meine Vorrednerinnen und Vorredner von SPD und GRÜNEN ja auch bestätigt. „So wird das Parlamentarische Kontrollgremium zur Grabstätte, in dem ruchbar gewordenen Skandale beerdigt werden“.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Vorsicht, meine Damen und Herren, insbesondere von der FDP: So lautet das Zitat des ehemaligen FDP-Innenministers Burkhard Hirsch.

Der Widerspruch zwischen Geheimhaltungsinteresse und Verschwiegenheitspflicht einerseits und öffentlichem Interesse andererseits ist eben nicht auflösbar. Auch Peter Struck, SPD, später Fraktionsvorsitzender und Verteidi

gungsminister, gelangte zu der Auffassung, Geheimdienste ließen sich nicht demokratisch kontrollieren, und hat seine Arbeit im Kontrollgremium des Bundestags 1995 frustriert hingeschmissen.

Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen ist ein kritischer Blick auf die Arbeit der Geheimdienste notwendig. Geheimdienste sollen die Demokratie schützen, aber sie stehen per se außerhalb des demokratischen Diskurses. Doch diese kritische Distanz fehlt der schwarz-gelben Landesregierung offensichtlich in jeder Hinsicht. Es ist bezeichnend, dass Hessen Vorreiter ist, den Geheimdienst an Schulen zu schicken, um dort Vorträge über Demokratie zu halten. Nach meiner Überzeugung ist Teilhabe durch Ausbildung, Arbeit, Integration und Zukunftschancen für junge Menschen das beste Argument für die Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wäre sinnvoller, unsere Schulen endlich deutlich besser auszustatten, statt Geheimdienstmitarbeiter zum Politikunterricht à la CDU und FDP abzustellen.

Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel fragwürdiger innenpolitischer Geheimdienstarbeit, nämlich die sogenannten Aussteigerprogramme. Wer sich mit der neofaschistischen Szene intensiv beschäftigt, weiß, dass Aussteigerprogramme dort funktionieren, wo sie von unabhängigen Trägern gemacht werden. Denn die Gefahr, in der Szene nicht nur als Aussteiger, sondern sogar als Verräter zu gelten, hindert Ausstiegswillige eher daran, derartige Angebote wahrzunehmen. Das ist nicht nur eine mentale Frage, sondern auch eine Frage realer Gefahren. Die „Süddeutsche Zeitung“ vom 17. Mai dieses Jahres zitiert den Leiter des erfolgreichen bundesweiten Aussteigerprogramms EXIT mit folgenden Worten – ich zitiere –:

An den Verfassungsschutz würde ich mich nicht wenden, weil die dort oft nur Informationen über die Szene abschöpfen wollen.