„www“ ist aber nicht, wie Sie vielleicht meinen, die neudeutsche Bezeichnung für „Wachstum, Wachstum, Wachstum“, sondern hat eine andere Bedeutung.
Nur, eines ist doch klar, wenn wir die Regeln, die wir alle hinreichend kennen sollten, ernst nehmen. Herr Kollege Noll, wenn Sie sie nicht kennen, können Sie sie sich noch einmal anschauen. Ich meine z. B. die Beschreibung in Art. 115 Grundgesetz, die in den Grundgedanken dem entspricht, was wir als – wie ich es einmal nennen will – Perspektivbeschluss für unsere eigene konkrete Regelung festgehalten haben. Das ist im Prinzip dasselbe.
Wenn man sie ernst nimmt und für einen Augenblick gedanklich unterstellt, diese Regeln würden schon gelten – sie gehören zur Schuldenbremse und sollen daher erst ab 2020 greifen; aber wir wenden sie einmal auf die Istsituation an –, stellt man fest, dass mit der Sanierung des Haushalts im Hinblick auf sein strukturelles Defizit mithilfe der Steuermehreinnahmen, die zurzeit glücklicherweise sprudeln, relativ schnell Schluss ist. Wissen Sie auch, warum das so ist? Ein Wachstum von 2,5 % oder sogar mehr ist nämlich nicht mehr als eine konjunkturelle Normallage zu bezeichnen, sondern eher als eine Überausnutzung der Produktionskapazitäten, was nichts anderes bedeutet, als dass wir nach diesen Regeln dann etwas zurücklegen müssten. Damit sind wir an genau dem Punkt, dass mit der Gesundbeterei und der Hoffnung auf Steuermehreinnahmen, die einfach so kommen – Wachstum, Wachstum, Wachstum –, das strukturelle Defizit nicht zu beseitigen ist. Es ist ein Stück weit zu mildern; aber man muss mehr tun.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Man muss z. B. sparen! Das hat der Kollege Noll auch gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP) )
Ich danke für den Applaus. – Darauf, dass man noch mehr tun muss, bezog sich meine Bemerkung – entschuldigen Sie, Herr Finanzminister –, dass das, was Sie uns vorgetragen haben, noch ein paar Gedanken mehr hätte in sich haben müssen. Darauf war das gemünzt. Wir haben in der Tat erwartet, dass von Ihnen deutlich mehr kommt.
Stattdessen teilt uns der Herr Finanzminister mit, dass wir in dem merkwürdigen Wettbewerb, wer wann die Schuldenbremse in seiner Verfassung verankert hat, auf dem 3. Platz liegen – als ob es darauf ankäme. Es kommt darauf an, dass man einen Plan hat, wie man die strukturellen Defizite abbaut und zu einer stabilen Finanzierung seines Betriebs kommt, nicht aber darauf, wer das zuerst wo hineingeschrieben hat.
Herr Finanzminister, abgesehen davon hat es mir nicht gefallen – ich sage das ganz offen –, dass Sie das Handeln derjenigen, die das über einfache gesetzliche Regelungen festgeschrieben haben, mit dem Begriff „lediglich in der Landeshaushaltsordnung“ umschreiben. Was am Ende besser funktioniert, wird man sehen. Das wird sich insbesondere dann zeigen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung getroffen hat.
Ich gehe davon aus, dass es sinnvoll ist – ich stelle das zumindest als Frage in den Raum –, dass wir mit unserer Ausführungsgesetzgebung erst dann in die entscheidende Phase treten, wenn wir wissen, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. Es hat nämlich keinen Sinn, sich irgendetwas auszudenken und anschließend festzustellen, dass man das in Karlsruhe etwas anders sieht. Insoweit sollten wir hier nicht unnötigerweise auf die Zeittube drücken.
Es ist richtig, dass man auch noch nicht sagen kann, das Problem sei komplett gelöst. Es sind noch Punkte offen, ganz ohne Zweifel. Aber vielleicht können wir es jetzt ruhiger angehen, nachdem sich die anfängliche Hektik gelegt hat, die, Herr Kollege Milde, auch etwas mit politischer Taktik Ihrerseits zu tun hatte. Das ist auch in Richtung FDP gesagt. Es hat Sie bei der Wahl nicht so recht nach oben getragen, wie man ganz nüchtern feststellen kann. Insoweit war es eine Fehlkalkulation. Aber jetzt können wir versuchen, die Probleme sachgerecht zu lösen.
Ich bin auch nicht glücklich darüber, dass jetzt versucht wird, festzulegen, dass wir es genauso wie alle anderen Bundesländer machen. Wir haben hier schon ein paar Mal – zumindest kurz – darüber diskutiert, und es braucht heute auch nicht breit ausgewalzt zu werden. Aber es genauso zu machen wie die anderen ergibt nur dann einen Sinn, wenn auch die Bedingungen genauso sind wie bei den anderen.
Mit Verlaub, ich bleibe dabei: Die Wirtschaftsstruktur des Landes Hessen und die – um nur ein Beispiel zu nennen – des Landes Mecklenburg-Vorpommern unterscheiden sich. Insofern sind z. B. auch die zeitlichen Abläufe der konjunkturellen Phasen unterschiedlich. Dafür gibt es eine gewisse Kompensation durch den Länderfinanzausgleich alter Art. Wie der Länderfinanzausgleich neuer Art aussehen wird, wissen wir noch nicht. Aber es wird ein Unterschied bleiben. Insofern kann es nicht richtig sein, wenn wir davon ausgehen, dass alles über einen Leisten geschlagen wird.
Herr Finanzminister, ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, warum manche die Umsetzung der Schuldenbremse zu Recht – manche auch mit großem Recht – sehr kritisch hinterfragt haben. Sie haben den Beweis selbst geliefert. Das heißt: Besteht zwischen den Regeln und dem, was man als Minister macht – das bedeutet auch, Texte in die Welt zu setzen oder Vorgaben zu machen –, eine Übereinstimmung oder ein Widerspruch? Sie merken, ich spreche vom Aufstellungserlass für das Haushaltsjahr 2012.
Ich kann nur eines sagen: Wenn man einerseits erklärt, es gebe Prioritäten, die man finanzieren will, nämlich Bildung und innere Sicherheit – das ist Ihre Festlegung, nicht mei ne –, und andererseits der vorgeschriebene Einsparbetrag, der für das kommende Jahr allen Ressorts vorgegeben ist, zu mehr als der Hälfte aus Kürzungen besteht, die man in eben diesen Bereichen vornimmt, ist man nicht glaubwürdig. Das kann man drehen und wenden, wie man will.
Dann setzt man dort keine Priorität mehr. Wenn die Kürzungen bei der inneren Sicherheit – sprich: Einzelplan 03 – und bei der Bildung, nämlich bei den Einzelplänen 04 und 15, zusammen mehr als die Hälfte der Gesamteinsparungen liefern sollen, ist es nicht glaubwürdig, wenn Sie sagen, dass Sie dort eine Priorität setzen.
Deswegen muss man das noch einmal überarbeiten. Herr Finanzminister, wir finden es ja gut, dass Sie da jetzt am
Einlenken sind – am Einlenken, dass man angesichts der Steuermehreinnahmen davon ausgeht, dass gerade im Bildungsbereich das eine oder andere nicht so stark gekürzt wird.
Aber es ist keineswegs das, was z. B. wir in der Darstellung, wie die Schuldenbremse umgesetzt wird – mit „wir“ meine ich jetzt die GRÜNEN-Fraktion –, in unserem Papier „Hessen tritt auf die Schuldenbremse“ vom Herbst vergangenen Jahres deutlich gemacht haben: dass es gerade für die Zukunftsfähigkeit unter dem Stichwort Nachhaltigkeit auch notwendig ist, in bestimmte Bereiche mehr Geld hineinzustecken, mehr zu investieren, wenn Sie so wollen, als es derzeit der Fall ist. Das ist an allerers ter Stelle die Bildung. Hierüber streiten wir immer weiter. Denn es nützt am Ende nichts, wenn ich ein paar Schulden weniger habe, aber dafür sich der allgemeine Bildungsstand so verschlechtert hat oder nicht positiv entwickelt hat – ganz wie Sie es ausdrücken wollen –, dass am Ende auch der Wohlstand, die Generierung von Mehrwert, deutlich darunter leidet. Das macht keinen Sinn, dann hat man sich kaputtgespart.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der fortgeschrittenen Zeit kann ich nur noch einige Anmerkungen machen. Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass der Versuch, die LFA-Diskussion jetzt in die Schuldenbremse einzubinden, schon immer daneben war.
Andererseits, wenn Sie einmal genau nachsehen, was die neue Landesregierung von Baden-Württemberg zu dem Thema gesagt hat – bislang gibt es noch nicht so viele Äußerungen –, stellen Sie fest, das ist genau der vernünftige Ansatz, über den wir uns in diesem Hause übrigens schon einmal einig waren, nämlich konkret zu analysieren, dann Verhandlungen aufzunehmen und, wenn die Verhandlungen am Ende zu keinem Ergebnis führen, auch den Rechtsweg zu beschreiten.
Insoweit können wir, gerade auch wir Hessen, sehr froh sein, dass der polternde Stefan Mappus jetzt in dieser Frage nichts mehr zu sagen hat. Denn ich glaube, er hat mehr Porzellan zerdeppert, als er uns in dieser Frage geholfen hat, nämlich am Ende zu einer gerechteren Lösung beim Länderfinanzausgleich zu kommen.
(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Herr Kretschmann hat doch sofort mit der Klageandrohung begonnen!)
Von daher ist ein Ergebnis des 27. März, jetzt nicht auf unser Bundesland bezogen, sondern auf das südlich von uns, auch darin festzustellen, dass wir jetzt eine gute Chance haben, in der Auseinandersetzung um den Länderfinanzausgleich gemeinsam mit mehr Vernunft tätig zu werden.
Herr Kollege Milde, wenn Sie sich an das erinnern, was wir hier gemeinsam beschlossen haben, dann kommen wir alle ein Stück weiter, und dann bin ich ganz fest davon überzeugt, dass wir, auch gemeinsam mit Baden-Württemberg – ob jetzt die Südschiene noch trägt, was Herr Dobrindt so alles erzählt, will ich jetzt nicht vertieft untersuchen –, mit Vernunft einen guten Weg gehen werden. Mit Gepolter à la Mappus allerdings nicht, aber der ist Gott sei Dank weg. – Vielen Dank.
Herr Kaufmann, vielen Dank. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt der Vorsitzende, Herr van Ooyen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Frank Kaufmann, wir haben bei den Analysen der Schuldenbremsenentscheidung festgestellt, dass natürlich auch unter den GRÜNEN und den Sozialdemokraten vernünftige Leute sind – und nicht nur in Großkrotzenburg, Herr Noll, um das gleich zu sagen –, die sich dort zu erkennen gegeben haben.
(Alexander Noll (FDP): Ja, aber das war doch sehr erheiternd! – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
Es gibt immerhin einzelne Orte, wo wir über 60 % gegen die Schuldenbremse hatten. Ich glaube, wenn wir etwas mehr Zeit gehabt hätten und noch mehr Aktionen hätten durchführen können – das zeigt sich in der Schlussphase sehr deutlich –, wäre uns sicherlich auch über die 30 % hinaus noch mehr gelungen.
Sehr geehrte Damen und Herren, so langsam kehrt in die Debatte um die Schuldenbremse wieder ein wenig Ehrlichkeit ein, nachdem insbesondere SPD und GRÜNE deutlich gemacht hatten, dass es ihnen vor allem darauf ankam, das Thema Schuldenbremse bei der Kommunalwahl nicht allein CDU und FDP zu überlassen, und so sehr deutlich auf die inhaltliche und politische Auseinandersetzung nicht eingegangen wurde.
Inhaltlich wurden aber schon vor dem 27. März die Unterschiede zwischen den Regierungsfraktionen und SPD und GRÜNEN deutlich. Während CDU und FDP mit der Schuldenbremse vor allem die nächsten Kürzungsrunden begründen wollten, ging das dem rot-grünen Bündnis dann doch zu weit. Sie wollten aber auch nicht so richtig dagegen sein, und deshalb kam der Dissens, der zwischen ihnen besteht, innerhalb der Bürgerschaft nicht wirklich rüber. Es entstand der Eindruck, wenn SPD und GRÜNE das auch noch mittragen, dass das mit der Schuldenbremse schon irgendwie in Ordnung ginge.
Was Sie aber dazu getrieben hat, auch noch eine Bedienungsanleitung für den Wahlzettel zu versenden, das verstehe ich bis heute noch nicht. Das ist schlichte Abstimmungsmanipulation, oder, wie Prof. Hermes von der Uni Frankfurt es treffend bezeichnete: „Das ist Volksverdummung“.
Wir werden deshalb im Hauptsacheverfahren vor dem Hessischen Staatsgerichtshof überprüfen lassen, ob die Abstimmung zur Schuldenbremse ordentlich zustande gekommen ist.
Aber es ist schon ein erstaunlicher Vorgang, dass in Hessen zu Volksabstimmungen eine Information des Landtags versandt wird, deren Inhalt eindeutig Position bezieht und ein bestimmtes Abstimmungsverhalten nahelegt. Vielleicht denken hier die vier Fraktionen noch einmal
über die Bemerkung von Prof. Schiller aus Marburg nach, dass in jedem anderen Land selbstverständlich Pro- und Kontra-Argumente den Bürgern zur Verfügung gestellt werden. Nur in Hessen finden Sie es völlig normal, dass das Parlament eine Mitteilung an die Bevölkerung versendet, die eindeutig darauf hinweist, dass ohne ein Ja bei der Abstimmung Schlimmes drohen werde.
Meine Damen und Herren, wer so den Menschen eine Abstimmung vorschlägt, bei der es nichts mehr abzustimmen gibt, weil die Zustimmung „alternativlos“ ist, der braucht keine Abstimmung mehr, und letztlich braucht er auch keine Demokratie.
Tatsächlich haben es aber vier Parteien geschafft, sich formal über die Ziellinie zu retten, ohne die inhaltlichen Fragen öffentlich breit zu diskutieren. Gerade die GRÜNEN hatten sich noch im Herbst letzten Jahres hingestellt, lieber Frank, und eine breite gesellschaftliche Debatte über die Schuldenbremse gefordert. Ich frage euch: Warum haben Sie diese Debatte nicht auch geführt?
(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haben wir! – Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Ihr wart nur nicht da!)
Wir haben die meisten Podiumsdiskussionen geführt. Wir haben mit den Gewerkschaften auf der Straße gestanden. Gott sei Dank waren viele GRÜNE und auch Sozialdemokraten der Meinung: „Ihr habt recht“. Das will ich nur dazusagen.
Natürlich. Es war nicht nur Großkrotzenburg, es waren auch die Jusos, die sehr aktiv dabei waren. Da gebe ich Ihnen recht.
Nein, ich bin der Meinung, dass die Großkrotzenburger Sozialdemokraten recht hatten, nicht wie die FDP, die das verurteilt.