Protocol of the Session on April 12, 2011

Seit Verkündung des Moratoriums ist der Preis pro Megawattstunde an der deutschen Strombörse von 53 auf 60 € gestiegen. Noch ist der Windstrom doppelt so teuer. Wir arbeiten ja daran. Wir sind für jegliche Forschung aufgeschlossen, die es uns ermöglicht, durch Wind erzeugten Strom auch kostengünstiger zu gestalten. Aber er ist im Augenblick noch doppelt so teuer wie der Strom an der Strombörse, und Fotovoltaik ist 500 % teurer.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen beziffert die Kosten eines vollständigen Umstiegs – natürlich nicht innerhalb eines Jahres und auch noch nicht einmal innerhalb eines Jahrzehnts – auf insgesamt 1,5 Billionen €. Das resultiert vor allem aus dem erforderlichen kompletten

Umbau der Infrastruktur für neue Kraftwerke, Speichermedien und Stromleitungsnetze. Diese höheren Kosten werden unter anderem die Verbraucher tragen müssen.

Deshalb müssen wir uns fragen – auch diese Frage muss in diesen Wochen beantwortet werden –: Welche Kostensteigerung können und wollen wir den Menschen in unserem Land zumuten? Kann es sein, dass die Kosten des Systemumbaus eine Dimension erreichen, die die ökologische Energiewende auch zu einer sozialen Frage macht? – Diese Frage hat bereits der DGB-Vorsitzende von Hessen in einem anderen Zusammenhang als der Ministerpräsident aufgeworfen. Auch damit müssen wir uns beschäftigen.

Hinzu kommt, wenn Energie teurer wird, geht es auch möglicherweise um Hunderttausende von Arbeitsplätzen und um den Wohlstand in unserem Land. Energie ist ein zentraler Produktionsfaktor in vielen Industrien, das wissen wir alle. Für diese Unternehmen sind Energiekosten ein wichtiger Standortfaktor im internationalen Wettbewerb. Ich bedauere sehr, es ist leider so, dass schon jetzt deutscher Strom im europäischen Vergleich – ich habe die Tabellen mitgebracht – der teuerste ist. Es wird zwischen privatem Stromverbrauch und Stromverbrauch in der Industrie unterschieden. In beiden Bereichen ist der deutsche Strom bereits der teuerste. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen.

Meine Damen und Herren, die Frage des vorzeitigen Ausstiegs hat auch Auswirkungen auf den Klima- und Umweltschutz, zumindest kurzfristig. Die GRÜNEN argumentieren mit ihrem Papier – das ich mit großem Interesse gelesen habe, Herr Al-Wazir –, dass das langfristig anders aussieht.

Können wir unsere Klimaschutzziele auch ohne Kernkraft erreichen? Mithilfe der Kernkraftwerke – das gehört zur Vollständigkeit der Faktenlage dazu – spart Deutschland derzeit pro Jahr in etwa so viel CO2 ein, wie der gesamte deutsche Straßenverkehr in die Atmosphäre bläst. Allein das Moratorium bedingt in den drei Monaten einen zusätzlichen CO2-Ausstoß von ca. 8 Millionen t. Auch hier müssen wir europäisch denken. Ich wiederhole das Beispiel, das bereits der Herr Ministerpräsident hier vorgetragen hat: Polen baut gerade neue Kernkraftwerke, um alte Kohlekraftwerke abzuschalten und so seine eigene CO2-Bilanz zu verbessern.

Herr Ministerpräsident, Sie haben mir ein schönes Zitat weggenommen. Weil es so schön ist, will ich es hier aber ausdrücklich wiederholen. Man kann es gar nicht häufig genug sagen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Der große alte Mann der Umweltbewegung der USA, Stewart Brand, sagt in der „FAZ“ vom 9. April, also vor wenigen Tagen:

Deutschland hat nicht das Gesamtbild im Blick. Und das Gesamtbild umfasst eben auch den Klimawandel und Treibhausgase.... Aus wirtschaftlichen Gründen und angesichts der Bedrohung durch Treibhausgase können wir nicht auf Atomkraft verzichten.

Das sagt Stewart Brand. Man muss seine Meinung nicht teilen. Aber leichtfertig hat er es sicherlich nicht gesagt. Er nimmt eine globale Abwägung vor zwischen den Gefahren auch für die Existenz menschlichen Lebens auf unserem Globus, die durch CO2-Emissionen entstehen, und den Gefahren, die von uns nicht bestritten werden, die

durch den Betrieb von Kernkraftwerken entstehen. Da hat er für sich selbst eine sehr grundsätzliche Abwägung und nachfolgende Entscheidung getroffen.

Meine Damen und Herren, wie Sie aus meinem Bemühen, einige Fakten zusammenzutragen, entnehmen, gibt es zahlreiche Fragen, die mit großer Nachdenklichkeit und Verantwortlichkeit geklärt werden müssen. Wie wollen wir mit den fossilen Energieformen wie Gas und Kohle umgehen? Welchen Beitrag können und müssen diese Erzeugungsformen in der Zukunft leisten? Können wir alles – Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke – in fünf oder zehn Jahren abschalten? Diese Fragen müssen beantwortet werden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier noch einige Sätze zu den erneuerbaren Energien verlieren. Ich wiederhole es: Die CDU-Landtagsfraktion steht ausdrücklich zu dem Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch in Hessen deutlich zu vergrößern.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Deshalb haben wir – schade, dass Elisabeth Apel nicht mehr da ist; denn unsere Kollegin hat dazu einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet –

(Zurufe der Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Janine Wissler (DIE LINKE))

schon im Jahr 2008, vor drei Jahren, ein entsprechendes Papier vorgelegt. Danach hat die bereits zitierte Umweltministerin Silke Lautenschläger nach gründlicher Diskussion in der Fraktion, auch nach kontroverser Diskussion in der CDU-Fraktion, in der Regierung einen Beschluss mit ehrgeizigen Zielen für 2020 durchgesetzt. Ich brauche das nicht im Einzelnen vorzutragen.

Meine Damen und Herren, bei den erneuerbaren Energien muss man aber auch zur Kenntnis nehmen, welche Rahmenbedingungen wir zu beachten haben. Ein Jahr hat knapp 9.000 Zeitstunden. Die Sonne scheint in Hessen 800 Stunden im Jahr. Der Wind weht etwa 2.000 Stunden im Jahr.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich hatte bereits gesagt: Sonnen- und Windenergie sind nicht grundlastfähig, jedenfalls im Augenblick noch nicht. Das könnten sie sein, wenn wir entsprechende Speicherkapazitäten schaffen würden. Mit der Tiefengeothermie habe ich mich in besonderer Weise beschäftigt, weil ich hoffte, dass wir daraus mittelfristig bereits erhebliche Energien schöpfen würden können. Die Tiefengeothermie ist aber noch lange nicht so weit. Ich hoffe, dass wir für die Energiegewinnung in der Zukunft erhebliche Aussichten haben.

Die Kapazitäten für Biomasse und Wasserkraft sind in Deutschland begrenzt. Lassen Sie mich einen nachdenklichen Satz zur Biomasseproduktion sagen: Ich bin dafür. Aber ob wir das angesichts damit in Zusammenhang stehender Lebensmittelpreise grenzenlos tun können, das müssen wir jedenfalls überlegen und abwägen.

Ein wichtiger Bestandteil des Umbaus der Energieversorgung fällt unter das Stichwort Dezentralisierung: kleine Biomassekraftwerke und die Nutzung von Oberflächengeothermie. Die Oberflächengeothermie ist erheblich weiter. Hier können wir durchaus bereits Einfamilien

oder auch Mehrfamilienhäuser energetisch autark gestalten.

Hinzu kommt der bereits angesprochene Ausbau von Offshore-Windparks. Vor den Küsten Europas gibt es keine Platzprobleme. Standorte im Meer gibt es viele, und auch der Wind bläst über der offenen See kräftiger und beständiger.

Meine Damen und Herren, aber dann kommt das Nächste. Sie wissen, was jetzt kommt. Für offshore erzeugte Energie benötigen wir entsprechende Starkstromleitungen, damit die Energie beim Verbraucher auch ankommt. Wir liegen in der Mitte Deutschlands. Wenn Strom von der Küste in den Süden transportiert werden soll, brauchen wir Trassen, die auch durch Hessen führen. Es ist fast banal, das festzustellen. Wir müssen allerdings auch feststellen und zur Kenntnis nehmen, dass es in der Bevölkerung Widerstände gegen Stromtrassen gibt, nebenbei bemerkt an erster Stelle oftmals vom BUND und zuweilen auch von den örtlichen GRÜNEN organisiert.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt nicht!)

Herr Al-Wazir, weil Sie dazwischenrufen: Ich freue mich über Ihre jüngste Beschlussfassung auf dem Parteitag der GRÜNEN am letzten Wochenende. Das ist im Vergleich zu Ihrer bisherigen Position aus meiner Sicht ein Schritt nach vorne.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie bewegen sich. Das kann man bei der SPD bisher nicht erkennen.

(Timon Gremmels (SPD): Natürlich! – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Auch wir wollen uns bewegen. Deshalb ist es richtig, dass die GRÜNEN in ihrem Parteitagsbeschluss am vergangenen Wochenende festgestellt haben, dass sie sich noch engagierter als in der Vergangenheit für Stromtrassen einsetzen wollen.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Sie haben dann einige Äußerungen zu Genehmigungsverfahren gemacht. Herr Al-Wazir, wenn ich das so freimütig sagen darf: Ich glaube, da sind Sie ein bisschen blauäugig. Da scheint mir das, was unser Verkehrsminister Posch generell für Infrastrukturmaßnahmen geplant hat und wofür er politisch kämpft, erheblich vernünftiger und erfolgversprechender zu sein. Aber lassen Sie uns darüber heute nicht im Grundsatz streiten.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Was mich allerdings schon etwas stutzig macht, ist, dass häufig diejenigen, die engagiert gegen Kernenergie kämpfen und demonstrieren, dieselben sind, die dann gegen Stromtrassen demonstrieren, in denen die Windenergie transportiert werden soll. Meine Damen und Herren, das passt nicht zusammen.

(Timon Gremmels (SPD): Das stimmt doch gar nicht! – Norbert Schmitt (SPD): Wo sind die Belege?)

Eine Energiewende gegen die Menschen werden wir nicht durchsetzen. Auch das müssen wir bei aller Besonnenheit

und Nachdenklichkeit bedenken. Eine Energiewende gegen die Menschen werden wir nicht durchsetzen können.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Genau hier setzt die Forderung an, dass alle Fraktionen im Landtag selbstkritisch – damit beziehe ich meine eigene Fraktion ausdrücklich ein – bisherige Positionen überdenken. Alle müssen sich bewegen. Keiner hat die Wahrheit für sich alleine gepachtet. Meine Damen und Herren, ein überparteilicher Konsens, das ist ein hoher Anspruch.

(Norbert Schmitt (SPD): Sie haben ihn doch aufgekündigt!)

Die Union ist bereit und entschlossen, die Sicherheit der Kernkraftwerke in Deutschland und in Europa neuen Bewertungskriterien zu unterwerfen. Von allen ist die vorurteilsfreie Bereitschaft gefordert, sich zu bewegen, auch in diesem Hause.

Meine Damen und Herren, es geht um wohlüberlegte Strategien zur Sicherung der Energieversorgung in der Zukunft. Viele Fragen müssen beantwortet werden. Ich wiederhole es: Moratorium heißt, man prüft die Lage, beurteilt und zieht dann die Schlussfolgerung. – Das ist der richtige Weg, dem sich die CDU-Landtagsfraktion verpflichtet fühlt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir wollen unsere Entscheidung nach dem Ende des Moratoriums treffen. Es gilt der alte lateinische Spruch, die Lebensweisheit: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. Was du auch immer tust, tue es klug, und bedenke das Ende. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Wagner. – Als Nächster spricht zu uns Herr Al-Wazir, Vorsitzender der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Tue es klug, und bedenke das Ende. Herr Kollege Wagner, ja, genau das ist der Grund, warum meine Partei, seitdem es sie gibt, der Auffassung ist, dass die Atomenergie eine Technologie ist, von der der Mensch die Finger lassen sollte – genau deswegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)