Meine Damen und Herren, wenn man bei dem Bild der Brückentechnologie bleiben will, bestehen unterschiedliche Auffassungen über die Länge der Brücke oder über das Tempo, mit dem wir uns über die Brücke bewegen wollen. Auch SPD und GRÜNE wollten nicht sofort aussteigen,
sondern hatten in ihrem Ausstiegsbeschluss größenordnungsmäßig das Jahr 2022/23 anvisiert. Lassen Sie uns einmal intellektuell ganz redlich und ganz sauber einen gedanklichen Schritt weitergehen: Wer die Nutzung der Kernenergie unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit für absolut unverantwortbar halten würde, der müsste sofort, nämlich heute, abschalten. Zur intellektuellen Redlichkeit gehört die Feststellung, dass auch Rot-Grün abgewogen und für eine ganze Anzahl von Jahren den Betrieb von Kernkraftwerken für vertretbar gehalten hat – das muss man doch auch klar und deutlich sagen;
ich kritisiere das nicht – und deshalb auch die Restrisiken, von denen wir alle sprechen, in Kauf genommen hat.
Meine Damen und Herren, unser Ziel – es ist mehrfach gesagt worden – ist eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung. Eine verantwortungsvolle Energiepolitik ist ein hochkomplexes Thema. Herr Schäfer-Gümbel, einfache Antworten gibt es nicht. Gefragt sind eine gründliche Analyse und eine gewissenhafte Abwägung.
An erster Stelle – darin sind wir uns alle einig – steht die Frage nach der Sicherheit unserer Kernkraftwerke. Daran gibt es keinen Zweifel. Gewiss ist aber auch, dass es in unserer Lebenswirklichkeit keine absoluten Sicherheiten gibt. Restrisiken gibt es bei jeder Technik.
Ich bin doch noch gar nicht fertig. Versuchen Sie einfach einmal, intellektuell Schritt für Schritt mitzudenken.
Wenn ich am Ende bin, können Sie Ihr gedankliches Gegenmodell beschreiben, aber nicht zwischendurch schreien, sondern erst einmal zuhören und dann antworten. Das gilt leider auch für Sie, Herr Al-Wazir.
Es gibt bei jeder Technik Restrisiken; das ist doch völlig unbestritten. Jetzt kommt der nächste Satz, der Herrn AlWazir wahrscheinlich etwas beruhigen wird, wenn er nur die Geduld gehabt hätte, zuzuhören. Richtig ist, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadensereignisses und das Ausmaß des möglichen Schadens sorgfältig abgewogen werden müssen. Das ist genau das Thema, über das wir uns unterhalten und wo wir zu einem Ergebnis kommen wollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dem Zusammenhang ein nachdenkliches Zitat aus dem Munde von Helmut Schmidt vom 17. März dieses Jahres vortragen. Helmut Schmidt sagt:
Sich eine Welt vorzustellen, in der Gefahren ausgeschlossen sind, das ist eine Utopie. Man muss die Warnungen wegen der weltweiten Erwärmung ernst nehmen. Nukleare Elektrizitätserzeugung hilft dabei, sie einzuschränken. Aber noch ist die Wissenschaft nicht so weit, dass sie in vollem Ernst den Politikern empfiehlt, sowohl auf nukleare Energie als auch auf Energie aus Kohlenwasserstoffen zu verzichten und stattdessen sich auf Windund Sonnenenergie zu konzentrieren.
Ich bin dagegen, die gegenwärtige Dreifachkatastrophe in Japan für die innerdeutsche Pro- oder Anti-Kernkraft-Diskussion zu missbrauchen.
Meine Damen und Herren, ich will Folgendes hinzufügen. Es geht mir dabei nicht darum, vordergründig etwa Helmut Schmidt gegen die SPD in Stellung zu bringen.
Warten Sie doch ab. – Sie könnten genauso gut Zitate von führenden Köpfen aus meiner Partei vorlegen, die Ihre Überzeugungen stützen. Lassen Sie uns das einfach einmal mit einer gewissen Gelassenheit und Souveränität hinnehmen. Ich möchte mit diesem Helmut-Schmidt-Zitat und auch mit meinem Hinweis, dass es Zitate aus dem Munde meiner Parteifreunde, zumal in Berlin, gibt, die Sie gerne für Ihre Argumentation einsetzen, nur zeigen, dass es auf allen Seiten ernst zu nehmende Persönlichkeiten gibt, die innerhalb ihrer eigenen Partei unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Ich werbe deshalb dafür, in einer umfassenden Debatte rational alle Argumente zur Kenntnis zu nehmen, ernst zu nehmen und zu würdigen. Die Sicherheit unserer Kernkraftwerke, ich sagte es bereits, hat nicht erst seit Japan oberste Priorität.
Dabei gilt es festzuhalten: Die konkrete Sicherheitslage in deutschen Kernkraftwerken hat sich durch die Ereignisse in Japan nicht verändert. Alle deutschen Kernkraftwerke erfüllen höchste internationale Sicherheitsstandards. Bei der durch das Moratorium jetzt veranlassten erneuten Sicherheitsprüfung geht es um eine Neubewertung der geltenden Standards und möglicherweise um eine neue Antwort auf die Frage, welches Risiko wir zu tragen bereit sind.
Diese Prüfung wird sehr sorgfältig unter Einbeziehung von externem und unabhängigem Sachverstand durchgeführt. Alles steht auf dem Prüfstand. Es ist ein Gebot der Vernunft und der Klugheit, diese Fragen nicht emotional und nicht überhastet, sondern besonnen und auf der Basis von Fakten zu beantworten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich hinzufügen: Sosehr wir Politiker Ängste ernst zu nehmen haben, dürfen wir aber nicht aus Angst vor der Angst reagieren und entscheiden. Auch in einer Krise müssen wir Argumente wägen. Es wäre falsch, die schon häufig zitierte Brücke zu begehen und aus Angst schon vor dem Ende der Brücke kopflos ins Wasser zu springen.
Meine Damen und Herren, erst wenn die Expertenkommission ihre Arbeit erledigt hat, wollen wir bewerten und beschließen, wie wir in Zukunft mit der Kernenergie in Deutschland umgehen. Bei der Diskussion über die Sicherheit unserer Kernkraftwerke dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, was im Ausland passiert. Wir müssen uns das nicht zum Vorbild machen. Aber das muss in die gesamte Diskussion – ich werde es noch begründen – mit einbezogen werden.
Am 4. April, also in der letzten Woche, sagt zu diesem Thema Fritz Vahrenholt – allen Kundigen bekannt –:
Kein einziges Land hat es aber für nötig befunden, Kernkraftwerke außer Betrieb zu nehmen oder auf Ausstiegskurs zu gehen.... Aber wir legen still, importieren aus Frankreich, dessen Anlagen eine hundertmal geringere Erdbebensicherheit zu erfüllen haben.
Meine Damen und Herren, deshalb ist nämlich der Hinweis auf die Bundeskanzlerin Merkel richtig und auch so wichtig. Wir müssen eine Europäisierung – ich füge hinzu: eine Internationalisierung – des Themas der Sicherheit von Kernkraft erreichen.
Allein im europäischen Ausland befinden sich 135 Kernkraftwerke. In einem Radius von 500 km um Frankfurt befinden sich neben etwa zwölf deutschen Standorten weitere zwölf ausländische Kernkraftwerke. Weltweit – diese Zahlen kennen Sie – sind rund 440 Kernkraftwerke in 30 Ländern in Betrieb, über 50 in Bau und über 80 in konkreter Planung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns einmal einen weiteren Gedanken fortsetzen. Unterstellt – es kann ja sein, dass wir das für uns in Anspruch nehmen können –, wir sind verantwortungsbewusster als alle anderen in der Welt,
mit Ausnahme von Österreich. Die haben in der Verfassung bereits festgelegt, dass sie keine Kernenergie friedlich nutzen wollen. Unterstellt, wir sind hier vernünftiger. Man kann das gedanklich einmal fortsetzen. Dann frage ich mich, was mit unserer Sicherheit angesichts der nahen ausländischen Kernkraftwerke geschieht. Das müssen wir doch einmal mit zusammen denken. Können wir es uns leisten, energiepolitisch einen deutschen Alleingang zu unternehmen? Ist es verantwortbar, unsere Kernkraftwerke, die weltweit über die höchsten Sicherheitsstandards verfügen, abzuschalten und dafür Kernenergie aus Fessenheim, Cattenom oder Temelin oder demnächst aus Polen zu importieren?
Meine Damen und Herren, selbst wenn wir nicht importieren müssten, bleibt die Frage unserer eigenen Sicherheit angesichts zahlreicher nahe gelegener Kernkraftwerke im Ausland. Das muss zusammen gesehen werden. Das muss zusammen dargestellt werden. Hier dürfen wir keine wichtigen Gedanken von vornherein aus ideologischer Verblendung ausschalten.
Ein weiteres Faktum müssen wir zur Kenntnis nehmen. Die Kernenergie stellt zurzeit fast die Hälfte der Grundlastversorgung in Deutschland. An der Tatsache, dass die erneuerbaren Energien, zu denen wir uns als CDU-Landtagsfraktion ausdrücklich bekennen, derzeit nicht grundlastfähig sind und den Industriestandort Deutschland in Hessen auf Jahre noch nicht sicher versorgen können, kommen wir nicht vorbei. Aktuell müssen wir abgeschaltete Kernkraftwerke durch zusätzliche fossile Kraftwerke oder durch den Import von Kernenergie aus dem Ausland ersetzen. In der „FAZ“ vom 5. April steht im Wirtschaftsteil Folgendes:
Das vorläufige Abschalten der deutschen... Kernkraftwerke hat zu einem Ausfall von 7 Gigawatt Kraftwerksleistung geführt. Daher hat sich die Menge an Importstrom aus Frankreich und Tschechien verdoppelt.
Der bereits vom Herrn Ministerpräsidenten zitierte ehemalige hessische Staatssekretär Matthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur, sagt am 4. April:
Seit dem 17. März führt Deutschland im Saldo durchschnittlich 2.500 MWh am Tag ein, in erster Linie aus Frankreich und Tschechien, dann aus Polen.
Ich finde, wenn ich jetzt Fakten vortrage, dann nehmen wir sie hin. Wenn Sie mir widersprechen wollen, dann können Sie es nachher.
Ich denke, wir sollten sine ira et studio gemeinsam mit dieser wirklich hoch schwierigen, hochkomplexen und hoch verantwortungsvollen Frage umgehen.
Wir importieren in Hessen nach dem Abschalten von Biblis A und B also zwei Drittel unseres Strombedarfs. Daraus wird klar, die Frage des Ausstiegs hat keine deutsche und erst recht keine allein hessische, sondern wenigstens eine europäische Dimension. Zur intellektuellen Redlichkeit gehört auch, den Menschen zu sagen: Energie wird teurer werden, wenn wir schneller als vorgesehen aus der Kernenergie aussteigen.
Seit Verkündung des Moratoriums ist der Preis pro Megawattstunde an der deutschen Strombörse von 53 auf 60 € gestiegen. Noch ist der Windstrom doppelt so teuer. Wir arbeiten ja daran. Wir sind für jegliche Forschung aufgeschlossen, die es uns ermöglicht, durch Wind erzeugten Strom auch kostengünstiger zu gestalten. Aber er ist im Augenblick noch doppelt so teuer wie der Strom an der Strombörse, und Fotovoltaik ist 500 % teurer.