Protocol of the Session on April 12, 2011

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich eine zweite Anmerkung zu dem Thema gesellschaftliche Akzeptanz machen. Wenn wir die Energiewende dezentral und vor Ort in Gang setzen und Beispiele wie in Alheim und Marburg Schule machen, wird die Akzeptanz bei den Menschen steigen, weil sie sehen, es bringt ihnen etwas.

Ein Teil der Distanz, die die Menschen heute gegenüber der Politik und den staatlichen Institutionen empfinden, hat doch etwas damit zu tun, dass sich immer mehr der Eindruck verfestigt, dass politische Entscheidungen nur noch im Interesse einiger weniger getroffen werden und sehr wenig mit der Lebens- und Arbeitswirklichkeit der Menschen zu tun haben. Genau darin liegt die große Chance der Energiewende: Das Legitimationsdelta wird aufgehoben, und damit wird auch die Akzeptanz politischer Prozesse erhöht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es einer Brückentechnologie bedarf, dann sind dies für uns in erster Linie moderne, hoch effiziente und flexibel regelbare Gaskraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung. Sie haben ausdrücklich auf die Kraft-Wärme-Kopplung hingewiesen. Das ist doch der Punkt bei Block 6 des Kohlekraftwerks Staudinger. Bei Staudinger 6 gibt es keine Kraft-Wärme-Kopplung. Deswegen haben die Vertreter von E.ON auf dem Energiegipfel zu Recht gesagt, sie wollten wissen, ob es eine Akzeptanz für diese 1,9 Milliarden € teure Investition gibt. Ich sage, eine gesellschaftliche Akzeptanz für ein solches Projekt, das klimapolitisch und energiepolitisch keine Perspektive bietet, kann es nicht geben. Das muss man klar und deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt wird der eine oder andere auf dieser Seite wieder sagen: „Die Sozis sind der Auffassung“, oder es heißt, wir hätten Matthias Kurth nicht verstanden. Deswegen will ich dazu gern zwei Bemerkungen machen. Wenn wir davon reden, dass wir die Stromversorgung bis 2030 auf erneuerbare Energien umstellen wollen, wenn wir davon reden, dass die Wärmeversorgung bis 2040 aus erneuerbaren Energien gedeckt werden soll, und wenn wir sagen, wir wollen aus der Atomenergie so schnell wie möglich aussteigen – am besten schneller oder vielleicht zurück zu dem, was einmal vereinbart worden ist, wie auch immer; gehen wir einmal von 2021 oder 2022 aus, bis das letzte Kraftwerk vom Netz ist –, stellen wir gleichzeitig fest, dass wir bei der Stromversorgung ein Delta von mindestens zehn und bei der Wärmeversorgung ein Delta von mindestens 20 Jahren haben.

Dann gibt es natürlich noch die Spannungen davor. Das heißt, wenn man versucht, zu erklären, dass es, wenn man jetzt alles abschaltet, keine Energie mehr gibt, dann ist das so absurd. Es ist wirklich peinlich, was hier manchmal versucht wird, um solche Debatten anzustoßen. Natürlich reden wir hier über einen langen, komplizierten und schwierigen Transformationsprozess.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das haben wir nicht gemerkt!)

Aber der entscheidende Punkt, Herr Wagner, ist, dass wir sagen, dass wir die Weichenstellung für den Transformationsprozess am Eingang des Prozesses vornehmen wollen. Deswegen werden wir nicht dazu beitragen, Strukturen aufzubauen, die diesen Transformationsprozess auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich will Ihnen allerdings ausdrücklich sagen, dass wir beim Ausbau der Speicherkapazitäten wie z. B. beim Edersee ausdrücklich dafür sind. Das ist völlig unzweifelhaft. Wir brauchen Pumpspeicherkraftwerke und vieles andere mehr, um die Speicherkapazitäten zu erhöhen. Wir müssen bei den Stromnetzen unendlich viel investieren und ausbauen.

Ich bleibe aber bei meiner Bemerkung, die ich beim Energiegipfel gemacht habe: Man muss beim Ausbau der Energienetze zunächst wissen, welche Stromversorger man im Kern will. Deswegen ist es richtig, dass wir dort zentrale und dezentrale Strukturen haben werden. Denn wir werden natürlich Teile der Offshore-Produktion im Bereich Windkraft nach Süden transportieren müssen. Das ist völlig unstrittig. Einige haben die Fantasie – ich wiederhole mich –, dass wir ein paar große Windparks in der Nordsee und der Ostsee bauen, und die Sonnenkollektoren kommen in die Sahara, um die Energie dann mit zwei großen Leitungen nach Zentraleuropa zu transportieren. Das ist absurd.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Punkt, auf den wir beim Netzausbau noch einmal sehr genau schauen werden. Wir werden beim Netzausbau dort sehr genau hinschauen müssen. Wir werden einen regionalen und einen dezentralen Netzausbau brauchen. Wir wissen, dass wir in spätestens sieben Jahren in ein Loch fallen, weil die Ausbaukapazitäten bei den erneuerbaren Energien bei der jetzigen Planung, die im Verhältnis noch relativ unambitioniert ist, im Stromnetz nicht ausreichen werden, um die entsprechenden Mengen zur Verteilung zu bringen.

Aber wer glaubt, dass das alles mit Großleitungen auf dem jetzigen technologischen Stand abzufrühstücken ist, der irrt einfach gewaltig. Wir haben bei den Energienetzen ganz andere Herausforderungen. Da sind wir an Ihrer Seite, was dieses Thema angeht.

Ich will allerdings ausdrücklich sagen, Herr Posch, dass wir nicht an Ihrer Seite sind, wenn jetzt unter dem Stichwort gesellschaftliche Akzeptanz der Versuch gemacht wird, die richtigen Interessen von Natur- und Umweltschutzverbänden, die notwendig sind, um gesellschaftliche Akzeptanz herzustellen, gegen den Ausbau von erneuerbaren Energien und den Energienetzen auszuspielen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will allerdings ausdrücklich sagen, dass das ein Prozess ist, zu dem wir sicherlich noch manch spannende Debatte

bekommen werden. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich dem Niedersächsischen Ministerpräsidenten McAllister zustimme, wenn er sagt, wir brauchen für den Ausbau des Stromnetzes echte Bürgerbeteiligung, und ohne ein gewisses Maß an Erdkabel wird es nicht gehen. Herr Posch, das sind zwei Bemerkungen, die Sie sich bei Ihrer Arbeitsgruppe vielleicht merken sollten. Denn ich finde, das sind zwei Orientierungspunkte, die ausdrücklich richtig sind.

(Beifall bei der SPD)

Die Politik des Entweder-oder ist gescheitert. Entweder Atomstrom oder die Lichter gehen aus – das war Unsinn. Das sagt heute im Prinzip fast niemand mehr – auch wenn man bei dem einen oder anderen nicht ganz sicher sein kann.

Ich will ausdrücklich einen letzten Punkt noch einmal nennen, wo Sie auch dagegen waren. Das hat so viel mit dem Thema zu tun und bekommt jetzt eine ganz andere Wertung. Das war ein Projekt, das wir in Hessen diskutiert haben – Stichwort: Internationale Bauausstellung Frankfurt/Rhein-Main. Eine der wesentlichen Aufgaben, die Gottfried Milde, Nicola Beer, Kai Klose und ich für meine Fraktion damals verhandeln durften, war die Frage, was das Thema Herausforderung der Energiewende für den Umbau einer Stadtregion und einer Metropolregion wie Frankfurt/Rhein-Main bedeutet. Das war der Kern des Projekts Internationale Bauausstellung. Es rächt sich heute, dass Sie einen damals hoch innovativen Prozess, der mit vielen Akteuren in der Region abgestimmt war, gerade vor den deutlich größeren Herausforderungen in Frankfurt/Rhein-Main damals so gestoppt haben, wie Sie es getan haben, mit kleiner Münze.

(Beifall bei der SPD)

Wir wären heute unendlich viel weiter, wenn wir eine Internationale Bauausstellung Frankfurt/Rhein-Main hätten implementieren können.

(Beifall bei der SPD)

Damit will ich schon fast zum Schluss kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat hier im Landtag stets für eine Energiepolitik gestanden, die bis spätestens 2030 die Stromerzeugung und bis spätestens 2040 auch die Wärmeerzeugung auf erneuerbare Energien umstellen will. Vielleicht geht das alles sogar unter dem Druck der Ereignisse noch ein bisschen schneller.

Das weite Feld der Energieeffizienz möchte ich noch einmal am Rande streifen. Auch da hat die SPD weitgehende Vorschläge auf den Tisch gelegt – Stichwort: EnergieWärmegesetz. Die Steigerung der Energieeffizienz ist eine der größten Ressourcen, die wir für die Energiewende aktivieren müssen. Ein Schwerpunkt dabei muss sein, privaten Verbrauchern und Unternehmen durch entsprechende Anreize den Weg zu weisen. Die Energiewende ist machbar. Dafür müssen aber die Bremsklötze aus dem Weg geräumt werden, die diese Landesregierung angebracht hat. Vielleicht schaffen Sie es jetzt endlich, nicht nur die Atomkraftwerke abzuschalten, sondern auch Ihre ideologische Borniertheit.

(Zuruf von der CDU: Na, na, na!)

Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten. Vor 100 Jahren hat man geglaubt, Kohleenergie werde paradiesische Zustände auf der Erde bescheren. Vor 50 bis 60 Jahren haben viele geglaubt, die angebliche friedliche Nutzung der Atomkraft werde uns ein sorgenfreies Leben ermög

lichen. Seit etwas über 30 Jahren wachsen die Zweifel an dieser Energieform – bei dem einen früher, bei dem anderen dauert der Lernprozess länger, und manche weigern sich bis heute, diesen Lernprozess überhaupt anzutreten.

Für uns steht fest: Das Atomzeitalter ist vorbei. Wer das jetzt nicht begriffen hat, ist nicht konservativ oder marktliberal, sondern, mit Verlaub, einfach schwer von Begriff.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen jetzt die Zeit nach der Atomkraft gestalten und dürfen dabei die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Wir brauchen Hightech, die alle Ansprüche unseres modernen Gemeinlebens erfüllt. Die Energie der Zukunft muss sicher, bezahlbar, verlässlich und umweltschonend gewonnen werden. Fukushima ist ein Menetekel, das hoffentlich jeder verstanden hat.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Hermann Scheer enden. Es stammt aus seinem letzten Buch „Der energethische Imperativ: 100 % jetzt: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist“. Dieses Buch ist sicherlich ein Stück weit das Vermächtnis von Hermann Scheer. Er schreibt dort Folgendes – ich zitiere wörtlich, Herr Ministerpräsident –:

Der Wechsel zu erneuerbaren Energien hat eine zivilisationsgeschichtliche Bedeutung.... Knapp sind nicht die erneuerbaren Energien, knapp ist die Zeit.

Deshalb mein Appell an diese Landesregierung: Nutzen Sie die Zeit, entscheiden Sie schnell, handeln Sie schnell, reißen Sie die ideologischen Hürden ab. Wir helfen Ihnen gerne dabei. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herzlichen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Als Nächster spricht Herr Dr. Wagner, Vorsitzender der CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unser Ministerpräsident Volker Bouffier hat sich in seiner Regierungserklärung mit großer Nachdenklichkeit und mit großer Gründlichkeit der Thematik gewidmet, die uns alle bewegt,

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

nicht nur in diesem Landtag, sondern weit darüber hinaus.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hat angesichts der gegenwärtige Lage – der Diskussionslage, der Erörterungslage und der politischen Debatten – nach den japanischen Vorkommnissen, Ereignissen und Unglücken zu einem Energiegipfel eingeladen. Der Ministerpräsident hat die Hand allen Fraktionen in diesem Landtag gereicht, und er hat alle gesellschaftspolitisch relevanten Gruppierungen eingeladen. Sie sind alle gefolgt.

Meine Damen und Herren, ich gebe ganz freimütig zu, dass ich bis vor einer Dreiviertelstunde der naiven Ansicht war, dass diese ausgestreckte Hand des Ministerpräsidenten auch ergriffen werden würde. Herr SchäferGümbel, Sie haben heute eine Chance verpasst.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben demjenigen, der Sie, möglicherweise von unterschiedlichen Positionen ausgehend, eingeladen hat, einen Konsens zu suchen und nach Möglichkeit auch zu finden, so wörtlich, „ideologische Borniertheit“ vorgeworfen. Mit einer wirklich unübertreffbaren Selbstgewissheit und Rechthaberei haben Sie festgestellt, alle anderen müssten sich bewegen, nur Sie nicht. Sie haben Vorwürfe gegen die Mitglieder der Koalitionsregierung und gegen Mitglieder der hier vertretenen Regierungsparteien erhoben.

Sie haben völlig vernachlässigt, die Frage zu beantworten, wie Sie jenseits jeglicher Rechthaberei bereit sind, Ihren Beitrag zu erbringen. Sie stellen Bedingungen. Sie beschimpfen diese Regierung. Sie beschimpfen den politischen Gegner. In Ihrer Rede konnte man nicht eine Spur Konsensbereitschaft erfahren. Das bedauere ich.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Es kann nicht sein, dass wir von einem gesamtgesellschaftlichen Konsens sprechen – diese Worte also auf den Lippen haben –, der schwierig genug zu erreichen sein wird, dass wir uns nach einer formalen Einladung in der Staatskanzlei und an anderer Stelle miteinander zusammensetzen und dann gleichzeitig auf Konfrontation machen. Ihr Konfrontationskurs wird nicht zu einem gesellschaftlichen Konsens führen. Das wird zur Spaltung führen. Wir werden versuchen, das zu verhindern.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Bei Herrn Schäfer-Gümbel gab es keine Nachdenklichkeit. Er nannte keine Argumente. Es gab Rechthaberei aus der Vergangenheit heraus. Das führt nicht weiter.