Protocol of the Session on April 12, 2011

Ich will Ihnen zum Thema Atompolitik abschließend sagen und ausdrücklich festhalten: Unsere Einschätzung im Hinblick auf die fehlende externe Notstandswarte bei Biblis A und Biblis B sowie den fehlenden Schutz vor Flugzeugabstürzen oder Terrorattacken hat Bestand. Dazu braucht man keine Prüfung mehr. Ich vermute, dass auch Sie zu diesem Ergebnis kommen. Deshalb kann es nur ein

Ergebnis geben – dass nämlich Biblis A und Biblis B nicht mehr angefahren werden dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will ausdrücklich anerkennen, dass die hessische FDP eine sehr ernsthafte Debatte auf ihrem Landesparteitag geführt hat, und das unterscheidet sie ganz offensichtlich von ihrem Koalitionspartner. Gleichwohl scheint es hier einen massiven Konflikt innerhalb der Koalition zu geben. Deshalb bin ich sehr gespannt, wie die Koalitionsfraktionen sich heute zu den Texten verhalten und ob der Ankündigung von Herrn Hielscher, dass die Wahlen vom 27. März eine „Volksabstimmung über den Atomausstieg“ waren, mit einem entsprechenden Abstimmungsverhalten in dieser Debatte Geltung verschafft wird.

(Beifall bei der SPD)

Damit komme ich zum vierten Punkt. Was ist eigentlich zu tun? Keine andere Fraktion hier im Hause hat so konkret und nachvollziehbar dargelegt, was zu tun ist, um in Hessen die Energiewende zu schaffen, wie die sozialdemokratische Fraktion. Ich werde es Ihnen nicht ersparen, sich damit wieder und wieder zu befassen. Wie gesagt, wir können nicht warten, bis es auch der Letzte begriffen hat und damit das Tempo vorgibt. Herr Ministerpräsident, Sie haben ausdrücklich erklärt – wie ich finde, zu Recht –, dass der entscheidende Ort der Auseinandersetzung und der Entscheidung der Hessische Landtag ist, nicht ein vom Ministerpräsidenten einberufener Gipfel.

(Beifall bei der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Das ärgert Sie!)

Hier im Parlament werden die Entscheidungen getroffen. Deswegen haben wir, auch eingedenk der notwendigen und zügigen Beratungen, die wir vorzunehmen haben, heute in der Fraktion entschieden, dass das Pendant im Hessischen Landtag zu diesem Energiegipfel eigentlich ein Sonderausschuss zum Thema Energiewende ist. Genau diesen Sonderausschuss haben wir beantragt. Warum? Weil wir glauben, dass es richtig ist, gemäß unserem gemeinsam verabredeten Zeitplan bis zum September Ergebnisse in der Energiepolitik zu produzieren und diese anschließend zügig im Parlament zu beraten. Das ist dem Thema angemessen, auch vor dem Hintergrund der vielen richtigen Fragen, die Sie gestellt haben, die vielleicht für Sie neu waren, für uns aber nicht.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen bitten wir Sie ausdrücklich um Unterstützung zur Einrichtung eines Sonderausschusses zur Energiewende. Ein solcher Sonderausschuss wird, glaube ich, einen erheblichen Beitrag dazu leisten, die notwendigen parlamentarischen Maßnahmen zügig, entschlossen und konzentriert umzusetzen, damit wir den Worten endlich auch Taten folgen lassen können.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben darüber hinaus eine sehr verdichtete Version unserer Position zum Thema Energiewende eingebracht, die ich nicht in aller Ausführlichkeit noch einmal begründen will. Sie können das alles in den Plenarprotokollen nachlesen. Ich will allerdings darauf hinweisen, dass Sie bisher immer gesagt haben, das werde mit Ihnen nicht gehen. Das war eine ein Stück weit hochmütige Position. Bekanntlich kommt der Hochmut vor dem Fall. Ich will gar nicht weiter in den Wunden stochern, sondern Sie einladen, jetzt mit uns ernsthaft über diese Konzepte zu reden.

Dezentral erzeugte erneuerbare Energien sind die Alternativen zur Nutzung fossiler und atomarer Energie. Sie sorgen nicht nur für saubere Energie, sondern schaffen Tausende von Arbeitsplätzen in unserem Land. Sie bringen neue Einnahmen in die klammen kommunalen Kassen. Wenn jetzt schleunigst und konsequent die vollständige Energiewende eingeleitet wird, kann das Energieland Hessen bis spätestens 2030 im Bereich Strom und bis 2040 im Bereich Wärme zu 100 % energieautonom werden.

Dazu will ich eine Bemerkung machen, denn offensichtlich haben Sie nicht verstanden, was „energieautonom“ heißt. „Energieautonom“ heißt nicht, dass wir eine Mauer um Hessen bauen, dass wir die Stromkabel an der hessisch-thüringischen, an der hessisch-niedersächsischen, an der hessisch-rheinland-pfälzischen, an der hessisch-nordrhein-westfälischen, an der hessisch-baden-württembergischen und an der hessisch-bayerischen Grenze kappen und sagen: Ab sofort wird alles innerhalb von Hessen produziert.

Vielmehr ist mit dem Begriff „energieautonom“ gemeint, dass wir uns von der Einfuhr fossiler Energieträger, z. B. von Kohle oder Öl, aber auch von der Atomkraft unabhängig machen und unseren eigenen Beitrag leisten wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit ist gemeint, es ist nicht akzeptabel, sich immer bei den anderen zu bedienen und darauf zu hoffen – ich werde später noch einmal darauf zurückkommen –, dass möglichst viele Offshore-Windparks in der Nordsee und möglichst viele Sonnenkollektoren in der Sahara gebaut werden, damit man sich nicht mit Windmühlen und Solaranlagen in der hiesigen Landschaft beschäftigen muss. Das ist ein Handeln nach dem Sankt-Florians-Prinzip. Bei der Energiewende wird das nicht gehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Energieautonomie heißt, dass wir unseren Beitrag in unserem Land leisten. Das wird eine Kraftanstrengung sein. Wir haben das Thema Akzeptanz schon angesprochen.

Ich akzeptiere ausdrücklich, wenn manche in diesem Raum sagen, das sei zu ambitioniert. Ich glaube, wir können das spätestens zu diesem Zeitpunkt erreichen, wenn wir uns richtig anstrengen. Wir haben schon ganz andere technische Fragen, auch Innovationen betreffend, in viel kürzerer Zeit gelöst. Wenn es zwei Jahre länger dauert, dauert es eben zwei Jahre länger. Aber wir brauchen die Zielvorgabe, weil sie eine realistische Option ist, an der man sich orientieren kann.

Wir werden nicht müde, die Chancen der erneuerbaren Energien zu betonen. Es geht nicht um romantische Vorstellungen, sondern um eine handfeste Steigerung des Bruttoinlandsprodukts. Es geht nicht um Sonnenblumenfelder – ich habe das schon einmal gesagt –, sondern um weltmarktfähige Hightech in unserem Industrieland und für unser Industrieland. Es geht um Arbeitsplätze, um Exportchancen, um regionale Wertschöpfung, um die Stärkung der ländlichen Räume und um sicheren, sauberen und bezahlbaren Strom. Das sind die Herausforderungen, um die es geht. Es geht nicht um eine Reduzierung auf einzelne Aspekte, wie Sie es gerade versucht haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allein in Nordhessen sind in diesem Segment 13.000 Arbeitsplätze entstanden. Herr Wirtschaftsminister, vor diesem Hintergrund ist besonders erschreckend, dass Hessen im Bundesländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung dramatisch abgerutscht ist. Hierbei ist Hessen vom 4. auf den 11. Platz zurückgefallen. Bei der Ansiedlungsstrategie sind wir sogar das Schlusslicht, was nichts anderes bedeutet, als dass es eine solche Strategie faktisch nicht gibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich eine Bemerkung zu dem Thema bezahlbarer Strom machen. Damit hat auch ein Totschlagargument der Atomkraftbefürworter zu tun. Schauen wir uns zunächst die volkswirtschaftliche Ebene an – nach Fukushima besteht da wirklich jede Klarheit –: Eine solche Katastrophe übersteigt, was ihre volkswirtschaftlichen Kosten betrifft, jede Vorstellung. Das Geschäftskonzept der Atomkrafterzeuger beruht schon immer darauf, dass die Gewinne privatisiert und die ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgekosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Das ist aus unserer Sicht volkswirtschaftlich unbezahlbar und unsinnig.

(Beifall bei der SPD)

Schauen wir nun auf die Unternehmen und auf die privaten Haushalte. Wir treten für eine bezahlbare Stromversorgung ein; denn wir stehen zum Industriestandort Deutschland und für eine gerechte Verteilungspolitik. Ich habe das eben schon einmal angesprochen. Aber wir wissen, dass die Produktionskosten nur ein Drittel des Strompreises ausmachen. Wir wissen, dass der angeblich billige Atomstrom nicht die Industrie und die Haushalte entlastet, sondern den Stromriesen milliardenschwere Zusatzgewinne beschert. Schließlich bildet sich der Strompreis an der Strombörse nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Wagner, das sollten Sie zumindest verstehen. – Deswegen bleibt es dabei: Die Energiewende ist eine große Chance für einen neuen Aufschwung des Technologie- und Wirtschaftsstandorts Hessen. Sie trägt zum Klimaschutz und zur Unabhängigkeit von Energieimporten aus oft politisch instabilen Regionen bei. Jeder Ökonom, der nicht am ideologischen Gängelband der Stromriesen geführt wird, müsste diese Chance eigentlich sehen.

Die Partner der Energiewende sind die hessischen Kommunen. Herr Ministerpräsident, es gibt in Ihren Reihen Gott sei Dank einige, die weiter sind als Sie. So erklärt der CDU-Landrat Fischbach des Landkreises Marburg-Biedenkopf – wörtliches Zitat aus der „Oberhessischen Presse“ vom 22. März –:

Wenn jede Gemeinde im Landkreis neun Windräder hätte, wäre der komplette Strombedarf auf heutigem Niveau gedeckt, und jede Kommune könnte zusätzlich mit bis zu 300.000 € an Einnahmen rechnen.

(Beifall bei der SPD)

Die CDU-Kommunalpolitiker haben unsere Argumente offensichtlich verstanden. Der Landesregierung fehlen in

des die Kreativität, der Mut und die visionäre Kraft, dies vollständig umzusetzen.

Da Sie immer erklären, all das gehe nicht, will ich das noch einmal mit dem Beispiel der Gemeinde Alheim unterstreichen. Alheim, das in Nordhessen liegt und 5.500 Einwohner hat, hat 2004 beschlossen: Wir wollen bis 2015 den Stromverbrauch in unserer Gemeinde, und zwar in allen Haushalten und bei allen Gewerbetreibenden, zu 80 % aus erneuerbaren Energien decken.

Der Bürgermeister hat vor drei Wochen in Wiesbaden seine Zahlen vorgestellt: Im Jahr 2010, also sechs Jahre nach dem Beschluss, hat die Gemeinde Alheim ihren Energieverbrauch beim Strom bereits zu 118 % selbst gedeckt. Der Wärmebedarf wird zu 54 % aus erneuerbaren Energien gedeckt. In demselben Zeitraum hat man 250 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen, und die Gewerbesteuereinnahmen sind von 340.000 auf 1,3 Millionen € gestiegen.

Das ist ein Erfolgskonzept. Es ist keine Bedrohung der Volkswirtschaft, sondern das genaue Gegenteil. Nutzen Sie das Innovationspotenzial.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber wenn Ihnen schon die Vision fehlt, warum müssen Sie dann den Kommunen auch noch Steine in den Weg legen, so, wie Sie es mit den Einschränkungen bei der wirtschaftlichen Betätigung und den Änderungen der Bauordnung – Stichwort: Solarsatzung – gemacht haben? Beides muss sofort zurückgenommen werden, besser heute als morgen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben bis heute kein Papier zur Energiewende vorgelegt, das den Namen „Konzept“ auch nur ansatzweise verdient. Sie haben jahrelang auf Ihren Ministersesseln gesessen und Däumchen gedreht. Das gilt für die Regierungsspitzen Koch und Bouffier, für die Umweltminister Dietzel, Lautenschläger und Puttrich, für die Wirtschaftsminister „Doppel-Posch“ – weil er zweimal dabei war bzw. ist – und Rhiel sowie für alle anderen Beteiligten.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist süß!)

Herr Posch kann das akzeptieren; wir mögen uns. – Die Landesregierungen befinden sich seit 1999 in einer andauernden Sitzblockade gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie ist allerdings nicht strafbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich den Bundesländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien anschaut, muss man feststellen: So was kommt von so was. – Wie schon im Jahr 2008 war Hessen auch im Jahr 2010 unter den Flächenländern Schlusslicht bei der Nutzung der erneuerbaren Energien.

Bei dieser Blockade haben Sie nicht einmal vor politischer Willkür haltgemacht. Auch ich freue mich, wie der Beschluss in Nordhessen gestern ausgefallen ist. Aber es gibt eine Vorgeschichte dazu. Genau das hat Ihnen der VGH mit seinem Urteil zur Windkraftnutzung im Regionalplan Nordhessen nämlich vorgeworfen, wenn auch freundlicher formuliert. Sie haben eine Verhinderungsplanung betrieben, die

(Zuruf des Staatssekretärs Mark Weinmeister)

Herr Weinmeister – schlicht rechtswidrig ist. Ihr Kampf gegen die Windräder, von Ihnen regelmäßig als „Windkraftmonster“ tituliert, ist gescheitert. Geben Sie endlich Ihre Dagegen-Politik auf, und stoppen Sie diese Verhinderungsplanung.

(Beifall bei der SPD)

Der Aspekt der Dezentralisierung der Energieversorgung spielt in unserem Konzept eine zentrale Rolle. Eine Politik im Dienste und im Sinne des Stromoligopols ist nicht zukunftsweisend. Wir wissen, dass unser Energiekonzept auch eine Kampfansage an die Stromriesen war, die den Markt unter sich aufteilen und die Bedingungen setzen. Ich habe allerdings nie verstanden, warum ausgerechnet die Marktliberalen auf die Hürden beim Marktzugang bestanden haben.

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich eine zweite Anmerkung zu dem Thema gesellschaftliche Akzeptanz machen. Wenn wir die Energiewende dezentral und vor Ort in Gang setzen und Beispiele wie in Alheim und Marburg Schule machen, wird die Akzeptanz bei den Menschen steigen, weil sie sehen, es bringt ihnen etwas.