Protocol of the Session on March 2, 2011

(Günter Rudolph (SPD): Aber geschrieben hat er es!)

Geschätzter Herr Kollege Wilken, diese Hoffnung muss ich Ihnen nehmen. Die Letzten, die in diesem Hause etwas Trennendes zwischen CDU und FDP treiben werden, sind Sie von der Linkspartei.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Deswegen muss dieser Versuch scheitern. Ich will Ihnen noch eines deutlich sagen: Es ist in der Tat der sehr durchsichtige Versuch, von Ihrem Verhalten und vom Verhalten anderer abzulenken – das Sie meiner festen Überzeugung nach zu verantworten haben –, das schweren Schaden über das Parlament und den Umgang in diesem Parlament gebracht hat. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren von den LINKEN, werden wir Ihnen an der Stelle nicht durchgehen lassen.

Sie sind für uns kein Ansprechpartner, wenn es um die innere und äußere Ordnung dieses Parlaments geht, und Sie werden diese Debatte auch nicht für uns bestimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Kollege Dr. Wilken, aus unserer Sicht haben Sie als Fraktion jedes Recht darauf verwirkt, an diesen Debatten teilzuhaben. Sie haben dieses Recht verwirkt, als es sich der damalige Vizepräsident Schaus angemaßt hat, Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses öffentlich als „hinterlistige Schweine“ zu bezeichnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie haben das Recht darauf verwirkt, als Sie mit einer politischen Willensdemonstration und dem Hochhalten von Plakaten bewusst gegen die innere Ordnung dieses Hauses verstoßen haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie haben das Recht darauf verwirkt – dabei bleibe ich –, als mit Ihrem Wissen und mit Ihrer Unterstützung die Kolleginnen und Kollegen von ver.di auf der Tribüne demonstriert und ebenfalls gegen die Ordnung dieses Hauses verstoßen haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie haben mehrfach unter Beweis gestellt, dass Sie kein Partner und auch kein Ansprechpartner sind, wenn es darum geht, dass sich dieses Parlament nach innen und nach außen eine Ordnung gibt, die auf der einen Seite ein ordentliches parlamentarisches Verfahren sowie eine freie parlamentarische Willensbildung und auf der anderen Seite Transparenz und Offenheit gegenüber denen gewährleistet, die uns gewählt haben.

Herr Blum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wilken?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Meine Redezeit ist um. Er kann sich gleich zu einer Kurzintervention melden.

Liebe Kollegen von der Linkspartei, deswegen ist der Weg Ihres Gesetzentwurfs vorgezeichnet: Er geht ins Plenum, er geht in den Ausschuss, und dann wird er in die Archive des Landtags wandern. Zustimmung wird er zu diesem Zeitpunkt sicherlich nicht finden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Blum. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Aussprache in erster Lesung angelangt.

Es ist vorgeschlagen, diesen Gesetzentwurf zur Vorbereitung der zweiten Lesung an den Innenausschuss, federführend, und an den Ältestenrat, mitberatend, zu verweisen. – So verfahren wir auch.

Bevor Sie alle aufspringen und in die wohlverdiente Mittagspause gehen, darf ich Sie daran erinnern, dass sich das Präsidium vor dem Medienraum einfindet, um ein Foto zu machen, und dass sich die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr sowie des Haushaltsausschusses zu einer Anhörung im Raum 510 W treffen.

Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr und wünsche Ihnen eine angenehme Mittagspause.

(Unterbrechung von 12:52 bis 15:03 Uhr)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die Sitzung fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf – Setzpunkt der Fraktion DIE LINKE –:

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Verfassungsbruch der vier Hartz-IV-Parteien setzt sich fort – Drucks. 18/3753 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 75:

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Kompromiss bringt Fortschritt beim Bildungspaket, beim Mindestlohn und bei der Grundsicherung – Drucks. 18/3801 –

und dem Tagesordnungspunkt 76:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu den Regelsätzen im ALG II – Drucks. 18/3803 –

sowie dem Tagesordnungspunkt 80:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Einigung bei Verhandlungen zur Hartz-IV-Reform hilft bedürftigen Kindern und entlastet die Kommunen – Drucks. 18/3808 –

Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Es beginnt Frau Schott für die Fraktion DIE LINKE. Frau Schott, Sie haben das Wort.

(Leif Blum (FDP): Jetzt spricht die Expertin für prekäre Beschäftigungsverhältnisse!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit einem Jahr warten Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher auf die Verbesserung einer vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuften Gesetzeslage. Angesichts dessen waren die sich über Monate hinziehenden Verhandlungen ein erbärmliches Schauspiel. Bei der Bankenrettung wurden innerhalb kürzester Zeit Milliarden von Euro bereitgestellt, und an den Verhandlungen waren die Banken selbst beteiligt. Für die Milliarden von Euro, die ihnen über den Tisch geschoben wurden, müssen sie nicht den Hauch einer Gegenleistung erbringen; sie müssen keine nennenswerten Zugeständnisse bei Regulierungen machen, die zukünftige Blasenbildungen und Krisen zumindest abmildern können.

(Horst Klee (CDU): Das Thema ist jetzt schon verfehlt!)

Hier wie auch an vielen anderen Stellen wird das Demokratieverhältnis von Schwarz-Gelb deutlich. Einmal mehr wird auch deutlich, was Fördern heißt und für wen das gilt und was Fordern heißt und für wen das gilt: Banken und Konzerne bekommen Milliarden von Euro zugeschoben; den Erwerbslosen, Niedriglohnempfängern und den Armen werden Milliarden von Euro genommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die weiteren Kürzungen bei Hartz IV, die im Haushalt der Bundesregierung Ende letzten Jahres durchgedrückt wurden, belaufen sich nach Schätzungen der Bundesregierung auf 5 Milliarden € pro Jahr. Die jetzt beschlossenen erhöhten Ausgaben liegen in jedem Fall deutlich unter den Kürzungen Ende letzten Jahres. Wir haben es also

insgesamt mit einer erneuten Runde des Sozialabbaus zu tun.

Die wenigen Verbesserungen, auf die die beteiligten Parteien Lobreden halten, werden von den Betroffenen selbst finanziert. Die Entlastung der Kommunen zahlen die Erwerbslosen ebenfalls: mit den Kürzungen bei der Arbeitsförderung. Ohnehin ist es ein Hohn, dass die beschlossenen Regelsatzerhöhungen noch nicht einmal einen ernsthaften Inflationsausgleich darstellen.

Zu dem Thema weiterer Sozialabbau ist das aber noch nicht alles. Der Gesetzentwurf sieht in § 22a die Möglichkeit vor, in kommunalen Satzungen die Höhe der Kosten für die Unterkunft zu pauschalieren. Den durch die Steuersenkungen der vier Hartz-IV-Parteien systematisch klamm gemachten Kommunen ist damit die Lizenz zum Kürzen in die Hand gegeben.

(Leif Blum (FDP): Kein Vertrauen!)

Nein, Erfahrung. Fahren Sie nach Kassel. – Das jetzige Ergebnis sieht eine Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten vor, also die Kürzung von Leistungen. Es sind ohnehin bereits acht Sanktionsmöglichkeiten vorhanden. Das Ganze ist jetzt ohne schriftliche Belehrung möglich. Wozu wird das führen? Es wird zu einem verschärften Kontrollieren und Überwachen und damit zu mehr Angst und mehr Armut führen.

Unerträglich ist es aber, mit welcher Ignoranz mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umgegangen worden ist. Dort heißt es:

Schätzungen „ins Blaue hinein“ laufen jedoch einem Verfahren realitätsgerechter Ermittlung zuwider und verstoßen deshalb gegen Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG.

Es geht um die „Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums“, die „nachvollziehbar zu begründen“ ist. Die Rede von den Schätzungen „ins Blaue hinein“ hat einen guten Grund. Die schwarz-rote Bundesregierung hatte 2006 in zahlreichen Verbrauchspositionen Kürzungen vorgenommen, ohne dies sachlich zu begründen. Diese Kürzungen „ins Blaue hinein“ zu beseitigen und durch ein nachvollziehbar berechnetes „menschenwürdiges Existenzminimum“ zu ersetzen war ein wesentlicher Teil des Auftrags der BVG-Entscheidung.

Die jetzige schwarz-gelbe Bundesregierung verneint diesen Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, in ihrem Gesetzentwurf explizit. So wird aus dem Regelbedarf der Besuch von „Restaurants, Cafés, Imbissständen, Kantinen und Mensen“ herausgerechnet. Begründung: Das gehört „nicht zum physischen Existenzminimum“. Das Bundesverfassungsgericht hatte aber gerade explizit gefordert, ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ sicherzustellen – nicht nur das physische.

(Beifall bei der LINKEN)

Das physische Existenzminimum ist nämlich nichts anderes als unverhüllte, nackte Armut.

Ein weiterer Auftrag des Verfassungsgerichts bestand darin, eigenständige Kinderregelsätze zu berechnen. Auch diesem Auftrag sind Sie nicht nachgekommen. Dabei war gerade die Berechnung der Kinderregelsätze mit Spannung erwartet worden. Auch die Kinder werden mit der jetzigen Regelung der reinen Armut ausgesetzt. Das Verfassungsgericht hat dazu erklärt, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind.

Dabei hätte es mehrere Möglichkeiten gegeben. Die Bundesregierung hat sich aber wieder für die Schätzungen „ins Blaue hinein“ entschieden. Den Beweis dafür führt sie selbst auf ihren Webseiten. Wenn da angegeben wird, dass Menschen für ihre Kinder unter sechs Jahren 3,60 € für alkoholische Getränke und 6,72 € für Tabakwaren ausgeben, wird doch klar, dass hier lediglich die Einkaufsausgaben einer Familie genommen und aufgeteilt wurden. Damit verhöhnt man nicht nur die Hartz-IVBezieherinnen und -Bezieher, sondern auch das Bundesverfassungsgericht.

(Beifall bei der LINKEN)