Protocol of the Session on February 2, 2011

(Wolfgang Decker (SPD): Nach einem Monat!)

Liebe Kollegen von der SPD, bei dem, was Sie fordern, sind wir gar nicht so weit auseinander. Ich weiß nicht, warum Sie hier diesen Dissens aufgebaut haben. Das Pro

blem ist aber, dass die Regelung mit einem Monat, die Sie wollen, zu einem Drehtüreffekt führen würde. Die Zeitarbeitsfirmen würden dann so reagieren, dass sie den Mitarbeiter nach einem Monat abziehen würden.

Ich habe eben versucht, Ihnen zu erklären, dass Zeitarbeitsfirmen sich weiterentwickelt haben.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

Wir haben vielfach unbefristete Arbeitsverträge in den Zeitarbeitsfirmen. Genau das würden Sie riskieren. Genau das gute Instrument, das die Hartz-Reformen eingeführt haben, würden Sie riskieren, meine Damen und Herren von der SPD. – Dazu sagen Sie nichts. Prima. Dann kann das Argument gar nicht so falsch sein.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD))

Wir sind der Meinung, dass von der Zahlung der Lohnuntergrenze bis zur Auszahlung eines Equal Pay – gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit – eine Zeitspanne von neun oder zwölf Monaten bestehen sollte, um eine entsprechende Entlohnung in den Firmen sicherzustellen und trotzdem die Effekte zu bewahren, die die Zeitarbeitsfirma hat, nämlich langzeitarbeitslose Mitarbeiter, die gering qualifiziert sind, in reguläre Beschäftigungsverhältnisse hineinzubringen, um diesen Menschen diese Chance zu geben. Wir sollten nicht Gefahr laufen, dass in den Zeitarbeitsfirmen dann wieder eine hohe Rotation, eine hohe Fluktuation besteht, von der wir eigentlich gedacht haben, dass wir sie überwunden hätten.

Meine Damen und Herren von der Opposition, nehmen Sie zur Kenntnis: Zeitarbeitsfirmen haben sich in Deutschland weiterentwickelt, und das durchaus, weil es Reformen unter Rot-Grün gab.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Lenders, vielen Dank. – Als Nächste wird Frau Wissler für die Fraktion DIE LINKE zu uns sprechen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir begrüßen, dass das Thema Leiharbeit auch in dieser Sitzung auf der Tagesordnung steht. Die SPD macht die Leiharbeit seit Jahren immer wieder zum Thema, erst, um sie auszuweiten, und jetzt, um sie wieder einzudämmen. Aber vor Erkenntnisgewinn ist niemand gefeit, Herr Lenders. Bei Attac gab es das Motto: Die Welt ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe: Oh!)

Die Realität hat gezeigt, dass die Leiharbeit systematisch genutzt wird, um Löhne zu drücken und Arbeitnehmerrechte abzubauen. Der Stundenlohn in der Zeitarbeitsbranche liegt bei durchschnittlich 7 €, Herr Lenders, und dabei geht es in der Mehrzahl um Menschen, die eine Berufsausbildung haben und die berufliche Erfahrung vorweisen können.

Die Leiharbeit ist eben keine Brücke zu regulärer Beschäftigung. Die viel beschworenen Klebeeffekte, wonach Menschen durch die Leiharbeit irgendwann einmal in einem Betrieb bleiben und eine reguläre Beschäftigung finden, stellen sich nachweislich nicht ein. Der einzige Kle

beeffekt, über den wir hier reden können, ist der Profit, der bei den Zeitarbeitsfirmen kleben bleibt, und von denen gibt es mittlerweile 7.000 in Deutschland. Es ist eine boomende Branche, die maßgeblich davon profitiert, dass die Arbeitsagenturen 60 % ihrer sogenannten Kunden in die Leiharbeit vermitteln, weil das für viele die einzige Alternative ist, um nicht in einem Ein-Euro-Job zu landen. Es ist die einzige Alternative, aber es ist natürlich keine Perspektive. Sozial ist eben nicht alles, was Arbeit schafft.

(Beifall bei der LINKEN – Judith Lannert (CDU): Natürlich ist das so!)

Deshalb begrüßen wir – wir werden morgen in der Aktuellen Stunde noch einmal darüber reden –, dass die IG Metall am 24. Februar zu einem betrieblichen Aktionstag gegen prekäre Beschäftigung aufruft.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ist das der Werbeblock?)

Dafür mache ich gerne Werbung. Herr Frömmrich, ich weiß nicht, wofür Sie werben, aber für Aktionen der IG Metall werbe ich gerne.

Die Bundesregierung beschwört hier einen Aufschwung. Die Gewinne steigen. Die Arbeitsplätze entstehen aber größtenteils in der Leiharbeit und sind befristet.

(Judith Lannert (CDU): Das ist überhaupt nicht wahr!)

Mehr als acht von zehn neuen Jobs entstehen in der Leih arbeit oder sind befristet. Nur 15 % der neuen Arbeitsverträge sind unbefristete reguläre Beschäftigungsverhältnisse. – Frau Lannert, da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Schauen Sie sich die Statistiken an.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Meine Damen und Herren, dass der Bundesagenturchef Weise diesen Boom bei der Leiharbeit in den letzten Tagen auch noch lobt, finde ich den Ausdruck einer völligen Ignoranz gegenüber den Sorgen der Betroffenen.

Ganz besonders betroffen von dieser Entwicklung sind junge Menschen, sind Berufseinsteiger. Gleichzeitig lamentieren Regierungen, dass junge Menschen keine Familien mehr gründen. Aber wie denn, wenn man von seiner Arbeit schon alleine nicht leben kann, wenn man nicht weiß, in welche Stadt man in der nächsten Woche entliehen wird oder ob man morgen überhaupt noch einen Job hat?

Leiharbeiter sein heißt, ständig auf Abruf zu leben, ohne feste Arbeitszeiten, ohne ausreichende Löhne und ohne verlässliche Lebensperspektive. Dieser Zustand muss beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Dezember hat das Bundesarbeitsgericht der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen die Tarifmächtigkeit, also das Recht, Tarifverträge abzuschließen, abgesprochen. Das BAG hat nach dem Arbeitsgericht Berlin und dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg bestätigt, dass die Branche in den vergangenen Jahren ein schlimmes Spiel mit den Beschäftigten gespielt hat. Dass dies möglich war, liegt auch an den Arbeitgebern der Leiharbeitsbranche, die sich bereitwillig an der Gründung der christlichen Gewerkschaften in ihren Betrieben beteiligt haben, um dann Tarifverträge abzuschließen, deren Tarife die

ganze Idee der Branchen- und Flächentarifverträge unterlaufen.

Durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das wir sehr begrüßen, könnten mehrere Milliarden Euro an Nachzahlungen an die Beschäftigten und die Sozialkassen fällig werden. Ob es dazu kommt, wird davon abhängen, wie viel Druck die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen, also die wirklichen Gewerkschaften, entfalten können.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung zeigt sich gegenüber den Anliegen der Beschäftigten bislang ziemlich taub, verweist darauf, dass die geltende Regelung unter einer rot-grünen Bundesregierung und maßgeblich auf Initiative der Hartz-Kommission eingeführt worden ist. Aber das ist kein Grund, hier nicht tätig zu werden. Gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung der Leiharbeit sind nötig. „Die Gewerkschaften“ allein – das schrieb der DGB 2009 in seinem Kommentar zum Elften Leiharbeitsbericht der Bundesregierung – „können unter den gegebenen Rahmenbedingungen keine ausreichende Regulierung erreichen.“

Im März 2010 – darauf bezieht sich Ihr Antrag – hat der Bundesrat eine bemerkenswerte Entschließung verabschiedet. Sie ist auf Initiative eines SPD-regierten Bundeslandes zustande gekommen und führt die Missstände und den ausufernden Missbrauch der Leiharbeit auf Gesetzesänderungen zurück, die aus der rot-grünen Regierungszeit stammen. Das wird ausdrücklich so erwähnt. Damit listet die SPD mit knapp einem Jahrzehnt Verspätung sämtliche Punkte auf, die der DGB schon 2003 bei den Beratungen zu den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, besser bekannt als Hartz-Gesetze, vorbrachte. Dabei geht es insbesondere um das Verbot der wiederholten Befristung und die maximale Befristung auf 24 Monate. Natürlich geht es auch um die Aushöhlung des Equal-Pay-Gebots durch Branchentarifverträge in der Leiharbeit. Von Anfang an war klar, dass die Beschäftigten in der Leiharbeitsbranche nicht so gut organisiert sind wie die Beschäftigten in anderen Branchen und deshalb natürlich auch keine so guten Tarifverträge verhandeln können wie die Stammbelegschaften.

Diese gesetzliche Regelung hat dem Lohndumping Tür und Tor geöffnet. Sie hat die Stammbelegschaften unter Druck gesetzt, indem ihnen vorgeführt wurde, dass andere ihre Arbeit billiger machen können – und zwar im selben Betrieb, an derselben Werkbank. Die Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch die Hartz-Gesetze waren ein ganz entscheidender Grund für die sinkenden Reallöhne in den letzten Jahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gab nicht immer Leiharbeit in Deutschland. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren wurde die Arbeitnehmerüberlassung, also die Leiharbeit, in Deutschland mit unerlaubter Arbeitsvermittlung gleichgesetzt und war deshalb verboten – wohlgemerkt, in Zeiten eines massiven Wirtschaftswachstums. Erst in den Siebzigerjahren wurden die Regelungen zur Leiharbeit liberalisiert, und erst 2003 wurden die Schleusen vollständig geöffnet – mit all den fatalen Folgen.

Die Gesetze zur Liberalisierung der Leiharbeit müssen zurückgenommen werden. Wir brauchen dringend gesetzliche Regelungen zur Eindämmung der Leiharbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Die erste Regel muss sein: Gleiche Arbeit darf nicht schlechter entlohnt werden. In Ländern wie Frankreich gibt es eine Flexibilitätsvergütung, durch die Leiharbeiter gegenüber anderen Arbeitnehmern privilegiert werden, damit Leiharbeit gerade kein Instrument für Lohndumping wird. 11 Milliarden € pro Jahr gibt der Bund für die sogenannten Aufstocker aus, also für Beschäftigte, die so wenig verdienen, dass sie gezwungen sind, zum Amt zu gehen, weil ihr Verdienst nicht zum Leben reicht. Mit Equal Pay bei der Leiharbeit und mit allgemein verbindlichen Mindestlöhnen könnte dem endlich ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden. Das Unternehmen „Lohnkosten sparen auf Kosten der Steuerzahler“ muss ein Ende haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Überlassungshöchstdauer muss begrenzt werden. Die Mitbestimmung muss auf die Leiharbeit ausgeweitet werden. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter dürfen nicht als Streikbrecher in bestreikten Betrieben eingesetzt werden. Das finde ich ganz wichtig. Auch die Synchronisation von Arbeitsverträgen und Ausleihzeiten muss unterbunden werden.

Umso dringlicher sind diese gesetzlichen Regelungen deshalb, weil am 1. Mai 2011 die Übergangsregelung ausläuft, die Deutschland im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU getroffen hat. Ab diesem Datum können Leiharbeitsfirmen aus den osteuropäischen Nachbarländern in Deutschland tätig werden und ihre Beschäftigten hier zu Löhnen einsetzen, die in ihrem Heimatland üblich sind. Das liegt daran, dass es innerhalb der Europäischen Union ein enormes Lohngefälle und riesige soziale Unterschiede gibt. Die Strategie der Europäischen Union ist, die Lebensverhältnisse europaweit aneinander anzugleichen. Das soll durch die Liberalisierung des Marktes, auch des Arbeitsmarktes, geschehen. Der Skandal ist, dass dabei keine Untergrenzen festgelegt werden.

Im Klartext heißt das, man überlässt es dem freien Spiel der Marktkräfte, dass sich die Lebensverhältnisse in Deutschland, in Portugal oder eben in Polen einander annähern. Das heißt nicht, dass sie alle auf das deutsche Niveau oder gar auf das Niveau in Schweden oder Dänemark angehoben werden sollen. Für die Beschäftigten werden massive Verschlechterungen billigend in Kauf genommen, indem man keine Untergrenzen einzieht.

Die Verdienstmöglichkeiten, z. B. in Polen, sind in vielen Branchen derart miserabel, dass gut ausgebildete, qualifizierte Facharbeiter eine Chance darin sehen, in Hessen Spargel zu stechen, weil ihnen das mehr einbringt als ihre Arbeit in Polen. Die deutschen Arbeitgeber nutzen genau dieses Lohngefälle aus, um lächerliche Hungerlöhne zu zahlen, von denen in Deutschland niemand leben könnte – es sei denn, für eine begrenzte Zeit auf dem Zeltplatz beim Spargelstechen.

Dieser Prozess wird ab dem 1. Mai professionell von Leih arbeitsfirmen organisiert werden. Deshalb brauchen wir einen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn. Den gibt es in den meisten EU-Staaten. Dass er in Deutschland noch nicht Realität ist, ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen Lohnuntergrenzen und europaweite Standards, damit die Arbeitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt und die Löhne gedrückt werden können. Sie dürfen nicht gegenseitig als Lohndrü

cker missbraucht werden. Deshalb müssen auch die Hartz-Gesetze weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Wissler. – Ich darf jetzt Herrn Burghardt für die CDU-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD hat mit ihrem Setzpunkt wieder einmal ein bundespolitisches Thema auf die Agenda gesetzt – nicht zum ersten Mal, sondern zum fünften Mal in diesem Jahr.