Protocol of the Session on December 15, 2010

Zudem stellt die Hessen-Agentur einen erheblichen Entwicklungsstau bei Investitionen fest. Das Land zieht sich zunehmend aus der Finanzierung zurück. Die anteilige Finanzierung der soziokulturellen Zentren durch das Land ist von 10 % im Jahr 2000 auf 5 % gesunken. Deutlich gestiegen sind aber die Zuschüsse der Kommunen, seit dem Jahre 2000 nämlich um 57 %. Das heißt, auch hier schieben Sie den Kommunen die Verantwortung zu, während Sie den Kommunen gleichzeitig im KFA die Mittel kürzen. Das ist Ihre Kulturpolitik.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sind viele Kulturschaffende immer mehr auf der Suche nach Sponsoren. Darunter leidet die künstlerische Arbeit, weil sehr viel Zeit damit verbracht werden muss. Es findet eine Abwanderung von Künstlerinnen und Künstlern aus Hessen statt, weil die Förderung weit unter der in Ländern wie Niedersachsen und Baden-Württemberg liegt. Die „Operation düstere Zukunft“ hat diese Situation verschärft: Zu geringe Projektmittel, mangelnde Infrastruktur und fehlende Weiterbildungsmaßnahmen führen eben dazu, dass viele Künstlerinnen und Künstler Hessen verlassen, wenn sie auf einer professionellen Grundlage arbeiten wollen. Wir brauchen eine Kulturpolitik in Hessen, die den Künstlern Perspektiven bietet, und keine Kulturpolitik, die Kultureinrichtungen systematisch kaputtspart.

(Jochen Paulus (FDP): Das zahlen Sie aus der Portokasse?)

Das sind Zahlen und Fakten, die die Hessen-Agentur erhoben hat. Wenn ich Sie wäre – eine gruselige Vorstellung –, dann würde ich diesen Bericht in Demut studieren, Herr Paulus, und würde konkrete Maßnahmen für Veränderungen schaffen. Wenn Sie das nicht wollen, wenn Sie keine Veränderung wollen, dann würde ich an Ihrer Stelle zu dem Thema lieber schweigen, aber keine Anträge vorlegen, die Ihr ganzes Unvermögen in diesem Bereich offenlegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Ihr Antrag bestimmt Kunst und Kultur als „Industriezweig“ und „Standortfaktor“. Deshalb siedeln Sie diesen Bereich jetzt offensichtlich beim Wirtschaftsministerium an. Unserer Meinung nach ist der Zugang zu Kultur ein Grundrecht und ein Aspekt gesellschaftlicher Teilhabe. Es ist auch nicht sinnvoll, marktförmige Bereiche wie Software und Werbung, in denen privatwirtschaftliche Unternehmen hohe Gewinne erzielen, mit kommunalen Kinos und freien Theatern zusammenzuwerfen. Es geht hier um

völlig unterschiedliche Strukturen, die völlig unterschiedliche Förderbedarfe haben. Deshalb darf man Kultureinrichtungen nicht mit Werbung und Softwareentwicklung vermischen.

Wenn die Landesregierung die Bereiche Kreativ- und Kulturwirtschaft zusammenfassen möchte, dann nur, um die sinkenden Zuschüsse für kulturelle Einrichtungen und deren prekäre Situation in Hessen zu kaschieren.

Ich komme zum Schluss. Wir brauchen eine ausdifferenzierte, flexible Förderstruktur. Deswegen brauchen wir nicht nur die Projektförderungen, sondern auch die Instrumente Konzeptionsförderung und Basisförderung, damit es zumindest mittelfristig eine Planungssicherheit gibt. Wir brauchen eine Einstiegsförderung für neue Gruppen und Künstler, um Erstproduktionen zu ermöglichen. Wir brauchen verbindliche Honoraruntergrenzen, damit die prekären Lebensverhältnisse von Künstlern nicht noch prekärer werden.

(Jochen Paulus (FDP): Mindestlohn!)

Genau, ein Mindestlohn. Herr Paulus, das haben Sie richtig verstanden.

Frau Kollegin Janine, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

(Heiterkeit)

Frau Kollegin Janine spricht noch zwei Sätze. – Herr Paulus, Sie haben es schon angesprochen: Wenn man Kunst und Kultur fördern will, darf man die Kunsthochschulen bei der staatlichen Hochschulfinanzierung nicht derart benachteiligen, wie Sie das gerade mit dem Hochschul pakt tun. Natürlich kommt man auch nicht umhin, mehr Geld für diesen Bereich einzustellen. Es geht hier nicht um Reichtümer, aber es geht um ein bisschen mehr Geld. Da werden Sie jetzt wieder sagen: Wir haben eine Schuldenbremse. – Die benutzen Sie als Vehikel, um im sozialen Bereich, in der Bildung und bei der Kultur zu kürzen. Das halten wir für ein Riesenproblem.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Rafael Reißer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Kulturund insbesondere die Kreativwirtschaft gehören zu den spannendsten und interessantesten Wachstumsbranchen der Zukunft. Ich darf einige Teilbereiche einmal aufführen: Musikwirtschaft, Literatur-, Buch- und Pressemarkt, Kunsthandwerk, Design, Kunstmarkt, Public Relations, Rundfunk, Film, Fernsehen, darstellende Kunst, kulturelles Erbe, Software und Games. Einige Kollegen haben diese Bereiche bereits erwähnt.

Diese Branchen zählen zu den dynamischsten Beschäftigungsfeldern in Hessen. Ich darf Ihnen hierzu ein paar Zahlen nennen, die teilweise schon genannt worden sind:

40.000 Unternehmen und eine stark steigende Zahl von Selbstständigen in diesen Bereichen. Allein in Hessen arbeiten 135.000 Menschen in diesen Branchen. Sie erwirtschaften über 20 Milliarden €; das sind 5 % des hessischen Wirtschaftsprodukts. Liebe Kollegen, die Sie vor mir gesprochen haben: Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie angesichts der vorliegenden Zahlen so ein Jammerlied angestimmt haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der LINKEN)

Da kann doch nicht alles falsch gewesen sein, wenn man eine solche Wachstumswirtschaft vorfindet. Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen dynamischen Bereich unterstützen. Die Kreativwirtschaft ist dynamischer als z. B. die Kulturwirtschaft, die in ihrem Wachstum um einige Prozentpunkte darunter liegt. Die Beschäftigungszahlen steigen stetig. Spitzenreiter, was neue Arbeitsplätze betrifft, ist der Bereich Software und Games. Die Frau Kollegin hat schon darauf hingewiesen, dass Werbung und Public Relations einen Anteil von über 35 % haben. Das sind die größten Teilbereiche und die größten Arbeitsplatzbringer. Auf den Plätzen 2, 3 und 4 folgen mit etwa 14 % Rundfunk, Film und Fernsehen, Literatur-, Buch- und Pressemarkt. Der Bereich Software und Games hat aber einen besonders bemerkenswerten Auftriebstrend zu verzeichnen.

Der gesamte kreative Bereich ist in vielen anderen Bereichen sehr, sehr wichtig geworden. Die Entwicklung neuer Technologien und kulturelle Inhalte treiben sich gegenseitig an. Es ist gut so, dass sie sich gegenseitig befruchten. Kultur, Kunst, Design und Technologie finden so neue Wege der Präsentation ihrer Projekte und werden dadurch einem weiteren Publikum zugänglich.

Die Kultur- und die Kreativwirtschaft sind ein wichtiger Standortfaktor. Ich halte es schon für richtig, dass wir hier von einem Standortfaktor reden, weil es nämlich von einem weichen zu einem harten Standortfaktor für die Kommunen wird, wenn dort eine vernünftige Kulturpolitik gemacht wird. Das ist in den letzten Jahren ganz wichtig geworden. Denken Sie an den Bereich Tourismus, denken Sie an die Entwicklung der Städte und der Regionen. Das gilt als wichtige Voraussetzung auch für innovative Technologien und die Wissensindustrie. Das ist ein wichtiger Bestandteil. Deswegen ist es wichtig, auch für die Bürger, die neu in eine Stadt kommen, dass in diesem Bereich viel gemacht wird.

Auch im ländlichen Raum – das wurde hier kurz erwähnt – ist es ganz wichtig, dass man in diesem Bereich Möglichkeiten schafft. Wir haben in vielen Gebietskörperschaften die Umnutzung von Industrie- und Militärbrachflächen und dadurch die Chance, neue Arbeitsplätze in dem Bereich anzubieten, die auch unter dem Gesichtspunkt „bezahlbare Mieten“ eine Chance bieten könnten, Entwicklungen voranzutreiben, die sehr positiv sind. Das sind kreative Keimzellen, die oft für die Aufwertung eines Stadtteils oder eines Viertels verantwortlich und deswegen von großer Bedeutung sind. Deswegen werden wir dies mit unseren finanziellen Möglichkeiten weiter unterstützen.

Die Kollegin von der SPD hat die Bemerkung gemacht, all das, was wir hier eben vorgetragen haben, sei scheinheilig. Wenn Sie einen Vorschlag gemacht hätten, wie das, was Sie hier vorgetragen haben, im hessischen Haushalt finanziert werden soll, dann wäre das ein ordentlicher Vortrag gewesen. Sie haben aber überhaupt kein Wort

dazu gesagt, wie Sie das, was Sie hier vorgetragen haben, finanziell unter einen Hut bringen wollen, Frau Kollegin.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Lisa Gnadl (SPD))

Jetzt frage ich mich: Was ist daran scheinheilig? Das müssen Sie sich entgegenhalten lassen.

Ich darf darauf hinweisen, wie die Hessische Landesregierung in diesem einen Fall auch die Fördermöglichkeit der Zukunftsbranche genutzt hat. Das Programm Hessen-Invest-Film wurde genannt. Hessen-Invest-Film II wird jetzt aufgelegt. Über 20 Millionen € stehen hier zur Verfügung, verteilt auf mehrere Jahre, sehr flexibel abrufbar. Das wird von der Branche entsprechend honoriert und genutzt. Da hilft es nicht, Frau Kollegin, wenn Sie den roten Teppich kritisieren, wenn es um Filmpräsentationen geht. Anscheinend reagieren Sie reflexhaft auf rote Teppiche. Diese Filmveranstaltungen sind gute Veranstaltungen. Das wird auch so gesehen. Die, die dort geehrt werden, sind sehr angetan, dass sie einen Preis bekommen haben. Deshalb sollte man das nicht herunterziehen, wie Sie das eben gemacht haben.

(Zurufe von der SPD)

Erfolge sind in den unterschiedlichsten Bereichen feststellbar. Gehen wir in den Bereich der Architektur im Rhein-Main-Gebiet. Aus der Reihe der Projekte darf ich an folgende erinnern: Industriekultur Rhein-Main, Darmstädter Architektursommer, Wolkenkratzerfestival in Frankfurt. Uns ist bekannt, dass auch die Frankfurter hervorragende Arbeit machen. Wir sehen aber nicht nur Frankfurt. Frankfurt ist uns wichtig, aber ganz Hessen ist uns auch wichtig, Herr Kollege. Da machen wir keinen Unterschied.

Wir möchten auch in Zukunft diesen Bereich weiter ausbauen und fördern. Die Kompetenzen und das Engagement der vielen Autoren, Filmemacher, Musiker, Architekten tragen zur künstlerischen Qualität bei und steigern die kulturelle Vielfalt weiterhin. Das ist uns wichtig. Deshalb muss das in diesem Bereich konsequent angegangen werden – unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten, die wir haben. Das gehört zu der Verantwortung dazu.

Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit dieser Bereiche weiter stärken und die Erwerbschancen gerade der freischaffenden Künstler und der kleineren Betriebe in Hessen weiter verbessern. Das halte ich nämlich auch für ein Problem. Das ist zwar eine große Herausforderung, aber es ist leistbar. Wichtig ist, dass die einzelnen Kreativbereiche untereinander stärker vernetzt werden, um die Möglichkeit zu haben, Innovationen schneller und weiträumiger zu erschließen.

Als Beispiel will ich die Internetpräsenz der Hessischen Landesregierung unter www.kulturwirtschaft-hessen.de erwähnen. Das ist eine hervorragende Plattform, die das Ministerium eingerichtet hat.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Sehr kreativ ist sie aber nicht!)

Sie hat das Ziel, die Kultur und die Kreativwissenschaft stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Ich glaube, das ist für diesen Bereich gelungen. Frau Kollegin, man kann immer alles viel besser machen, wenn man richtig viel Geld hat. Aber angesichts der Bedingungen, die dort vorhanden sind, ist das eine gute Sache.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Eine Homepage kann man auch ohne viel Geld machen!)

Wenn Sie immer solche Wünsche äußern, müssen Sie es sich auch gefallen lassen, dass wir Sie auffordern, Vorschläge zu machen, wie wir das finanzieren sollen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Machen wir ja!)

Gleichzeitig bildet diese aktuelle Internetplattform den Hintergrund für einzelne Projekte. Sie gibt auch Hilfe, wie man an Fördermöglichkeiten kommen kann. Das ist ein guter Service, den wir begrüßen.

Hessen bietet also vielfältige Möglichkeiten und Chancen, neue Entwicklungspfade zu erschließen. Das muss aber auch in den Städten gemacht werden. Das heißt, die Kulturämter in den Städten, die Standortförderer und andere Beteiligten müssen sich mit einbringen, sodass das zu einer runden Sache werden kann.

Hier kann das Land, abhängig von dem finanziellen Beitrag, den es leisten kann, einen entsprechenden Rahmen bieten: Zurverfügungstellung ungenutzter Brachflächen – die Sie schon erwähnt haben –, Schaffung von kreativen Freiräumen im Rahmen der bestehenden Förderprogramme und des Stadtumbaus. Das ist möglich. Das gibt es bereits. Deswegen kann man das nutzen. – So viel zu dem Thema, was es in Hessen bereits alles gibt.

Dabei setzen wir auf den Dialog in der Branche, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kreativpotenziale in Hessen weiter optimal zu nutzen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Auf dem Weg sind wir erfolgreich. Wir werden das konsequent weiterführen. Auch bei knappen Mitteln werden wir dort einen Schwerpunkt setzen, weil das ein wichtiger Standortfaktor ist. Das ist ein wichtiger Bereich, den wir damit anbinden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Reißer. – Das Wort hat Herr Staatsminister Posch.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir nach dieser Diskussion ein paar Bemerkungen zur Bedeutung der Kreativwirtschaft, wobei ich auf einen Aspekt nicht im Detail eingehen will: der Bereich, in dem die Landesregierung eine ganze Menge macht, wenn es darum geht, unsere Schulen, unsere Hochschulen und insbesondere auch unsere Museumslandschaft zu fördern. Das ist ein Bereich, der, wie ich glaube, in hervorragender Weise durch das Wissenschaftsministerium unter Frau Kühne-Hörmann betreut wird.

Aber wenn ich in dem Antrag der GRÜNEN die Aufforderung lese, dort noch mehr zu machen, muss ich Ihnen sagen: Sie scheinen überhaupt nicht wahrnehmen zu wollen, was wir auf diesem Gebiet machen. Die Förderung der Museumslandschaft in Kassel mit 200 Millionen € ist ein Leuchtturm, den die Landesregierung vorzuzeigen hat und der in den anderen Bundesländern seinesgleichen sucht. Das sollten Sie nicht unterschlagen; Sie sollten nicht so tun, als würde es auf diesem Gebiet so etwas nicht geben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich etwas zur wirtschaftlichen Bedeutung der sogenannten Kreativwirtschaft sagen, wobei ich feststellen muss – ich glaube, das wird auch in dieser Diskussion sehr deutlich –, dass die Kreativwirtschaft als solche sehr schwer definierbar ist. Sie ist nicht verkammert, und sie ist nicht in einheitlichen Organisationen vertreten.

Ich habe vor wenigen Tagen an einer Veranstaltung in Kassel teilgenommen. Wir haben eine Untersuchung der Kreativwirtschaft in der Stadt und im Landkreis Kassel mitfinanziert, in der das sehr deutlich geworden ist. Wir haben nämlich unterschiedliche wirtschaftliche Bereiche, die zwar der Kreativwirtschaft zugerechnet werden, aber in vielen Statistiken auch in anderen Bereichen auftauchen.