Protocol of the Session on November 18, 2010

Wir stellen erfreut fest, dass unsere grüne Forderung zum Schutzwall der Kommunen auf große Zustimmung trifft. Dazu wird es eine Formulierung im Gesetzentwurf geben, die die Bedenken der Kommunen aufgreift und sie vor Eingriffen in ihre Hoheitsrechte schützen und auch sicherstellen soll, dass sie nicht unter der Schuldenbremse leiden werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU und meine Herren von der FDP, ich möchte zum Abschluss noch darauf hinweisen: Wir sind bereit, mit den übrigen Fraktionen ernsthaft über den Gesetzentwurf zu reden und zu verhandeln, mit dem Willen, bis zur Dritten Lesung zu Regelungen zu kommen, die alle Fraktionen, die an der Schuldenbremse interessiert sind, gemeinsam tragen können. Ich hoffe in diesem Sinne auf gute Gespräche.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Schönen Dank, Frau Erfurth. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Rentsch, der Fraktionsvorsitzende, das Wort. Bitte schön, Herr Rentsch.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute, im November, die zweite Lesung des Gesetzentwurfs zur Einführung einer eigenen hessischen Schuldenbremse auf der Tagesordnung haben, so wie CDU und FDP diesen Gesetzentwurf im Sommer in diesen Landtag eingebracht haben, sodass wir in Hessen am 27. März eine Volksabstimmung darüber durchführen werden, ob Hessen endlich eine eigene Schuldenbremse bekommt. Das ist ein richtiger und guter Schritt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich freue mich auch deshalb, weil die Grundidee, die wir im Koalitionsvertrag verankert haben, dass wir in Hessen eine eigene Schuldenbremse einführen wollen, natürlich durch einen eigenen Gesetzentwurf nachvollzogen worden ist. Das ist klar. Ich glaube auch, und dazu werde ich gleich einige Ausführungen machen, dass es völlig richtig ist, dass man bei einem Gesetzentwurf, der zu einer Volksabstimmung und einer Änderung der Verfassung führen wird, versucht, einen gemeinsamen Kompromiss und Konsens zwischen den Fraktionen zu erreichen. Aber natürlich gibt es – ich sage das deshalb, weil wir heute auf der Besuchertribüne viele Institutionen haben, die dieses Verfahren in den letzten Monaten sehr intensiv begleitet haben, auch bei der Anhörung – auch für einen solchen Konsens Grenzen. Die Grenzen fangen dort an, wo wir den wahren Sinn der Schuldenbremse konterkarieren: Wir

müssen nämlich dazu kommen, mit diesen zu hohen Ausgaben, die wir haben, endlich aufzuhören.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wir werden deshalb nicht zulassen, dass wir in Hessen eine „Schuldenbremse light“ bekommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich freue mich aber auch darüber, dass wir diese Debatte so intensiv führen. Zu dem, was Herr Kollege Schmitt oder auch Frau Kollegin Erfurth gesagt haben, will ich nur eine kleine Korrektur machen: Frau Kollegin Erfurth – egal, ob wir es beschließen oder nicht –, ich kann Ihnen schon einmal prophezeien, dass wir auf jeden Fall unsere Zustimmung geben werden.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU)

Die grundgesetzliche Schuldenbremse gilt auf jeden Fall, und dieses Ziel werden wir hier nicht neu verhandeln. Ab 2020 werden in diesem Bundesland keine Schulden mehr gemacht. So sieht es das Grundgesetz vor. Deshalb obliegt uns diese Pflicht auf jeden Fall, egal, ob wir einen gemeinsamen Weg finden oder nicht. Das Grundgesetz gilt an dieser Stelle, und das ist im Übrigen auch gut so.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Zweitens: Ich bin der Auffassung – das ist bei der Einführung der grundgesetzlichen Schuldenbremse eine lange Diskussion gewesen –, dass die Länder in ihrer eigentlich zentralen Souveränität, nämlich darin, wie sie durch die Gestaltung ihres Haushalts die Politik, die sie machen wollen, umsetzen, natürlich eingeschränkt sind. Deshalb ist es bei der Klage, die Schleswig-Holstein gegen den Bund führt, nicht von der Hand zu weisen, dass es da um die Grundsatzfrage geht: Inwieweit kann der Bund Regelungen treffen, die letztendlich in die Kompetenz, die Souveränität der Länder eingreifen? Deshalb ist es auch ein Argument, dass wir, sollte diese Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich sein, nicht ohne eigene Regelung dastehen wollen.

Drittens. Wir wollen – das war eine unserer Grundüberlegungen – ein aktiv gegebenes Ja der Bürgerinnen und Bürger, dass wir in Hessen endlich mit dem Schuldenmachen aufhören. Am Schuldenmachen waren in den letzten 30 Jahren alle Parteien beteiligt. Da kann sich niemand ausnehmen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch die GRÜNEN nicht. Stehen Sie also zu Ihrer Verantwortung.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Anhörung hat relativ eindeutig ergeben – da bin ich nicht der Auffassung des Kollegen Schmitt –, dass eine Schuldenbremse angesichts ihrer Wirkung der richtige Weg ist. Sie ist auch deshalb der richtige Weg, weil Hessen als reichstes Bundesland ein definitives Ausgabenproblem hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Dieses Ausgabenproblem müssen wir in den Griff bekommen. Ich möchte an dieser Stelle gern den von den GRÜNEN benannten Experten zitieren. Prof. Lenk hat – wie ich finde, sehr gut – vorgetragen. Er hat übrigens auch „drei E“ genannt – Einsparung, Effizienzsteigerung und Einnahmeerhöhung –, die der Kollege Al-Wazir gestern zu seinen „drei E“ gemacht hat. Es sind aber eher die „drei E“ von Herrn Prof. Lenk.

Kollege Al-Wazir, zum Thema Einnahmesteigerungen hat Prof. Lenk einen relativ konkreten Vorschlag gemacht. Er hat nicht gesagt, dass man nur über Landessteuern und Abgaben sprechen kann. Er hat zwei Aspekte angesprochen. Man kann die Effizienz steigern; man kann das, was man zur Einnahme von Steuern braucht, effizienter organisieren. Da sind wir beispielsweise bei der Frage: Wie kann man die Erhebung von Steuern verbessern? Prof. Lenk hat aber auch zu erkennen gegeben, dass der Länderfinanzausgleich an dieser Stelle konträr zu diesem Ziel wirkt.

(Beifall bei der FDP)

Das Problem unseres Bundeslandes ist nun einmal, dass die Mehreinnahmen, die wir haben, zum größten Teil an andere Länder fließen. Deshalb müssen wir klug überlegen, wo es überhaupt Sinn macht, aktiv zu werden.

Prof. Lenk hat ein Zweites gesagt, und ich bin gerne bereit, darüber zu diskutieren. Er hat – wie andere Experten, z. B. Prof. Korioth und Prof. Feld – gesagt, dass man darüber nachdenken kann, analog dem Schweizer Modell die Steuerautonomie der Länder mit eigenen Heberechten zu stärken. Dann kommen wir natürlich in eine völlig andere Situation. Ich finde das eine spannende Diskussion, weil sich aus unserer Sicht der Föderalismus nicht nur, aber natürlich auch dadurch kennzeichnen kann, welche Lebensbedingungen zu welchen Preisen geschaffen werden können. Ich will an dieser Stelle mit einem Vorurteil aufräumen. Es wird ein bisschen der Eindruck erweckt, wir Hessen hätten nicht mehr genug Geld, unsere Aufgaben zu erfüllen. Wenn man sich einmal die Ausgaben des Bundeslandes Hessen über die letzten 30 bis 40 Jahren anschaut, dann sieht man, dass die Ausgaben deutlich überproportional zur normalen Inflationsentwicklung gestiegen sind. Es gibt überhaupt keinen Grund, nicht zu sagen, dass dieses Land aktuell das reichste Bundesland ist, was die Ausgaben angeht. Wir geben so viel aus, wie noch kein Landtag zuvor ausgegeben hat.

(Widerspruch bei der SPD)

Nein, Sie machen es ja teilweise mit. Sie haben es ja selbst gemacht. Das war in Ihren Zeiten nicht anders. – Deshalb ist die prioritäre Aufgabe, erst einmal zu schauen, welche Aufgaben wir erfüllen müssen und wo wir einsparen können, bevor wir den Menschen wieder in die Tasche langen. Letzteres kann nicht der richtige Weg sein.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das ist das, was mich stört. Sie versuchen, eine neue „Balance“ aufzumachen nach dem Motto: Eine Schuldenbremse ist okay, aber sie darf nicht zu schmerzhaft sein. – Richtig ist: Einzusparen ist natürlich nicht einfach. Wir haben ja gesagt, dass es kein einfacher Schritt war, in diesem Haushalt 400 Millionen € einzusparen. Wir haben aber gezeigt, dass das geht. Wir haben mit diesem Haushalt bewiesen, dass man sparen kann, wenn man sparen will. Daran wird sich auch nichts ändern.

(Beifall bei der FDP)

Herr Al-Wazir, Kopfschütteln hilft nicht; denn der Haushalt, den wir jetzt beschlossen haben, zeigt, dass wir es richtig gemacht haben. Auch nach Verabschiedung dieses Haushalts werden unsere Bemühungen nicht nachlassen.

Ein letztes Argument zu der Frage des Kollege Schmitt. Lieber Kollege Schmitt, Sie werfen uns implizit vor, wir wollten keine festen Quoten vereinbaren, weil wir jetzt

noch einmal viele Schulden machen wollen, bevor wir Ihnen das Land übergeben, und Sie müssten in den letzten drei Jahren dieser Legislaturperiode alles aufholen.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Erstens. Gehen Sie davon aus, wir werden weiterhin sparen, wie es das Grundgesetz verlangt und wie es auch die Schuldenbremse verlangen wird, die von den hessischen Bürgerinnen und Bürgern wahrscheinlich beschlossen wird. Zweitens. Gehen Sie auch davon aus, dass wir nicht wollen, dass das Land ab 2018 – oder ab wann auch immer – von Ihnen regiert wird, sondern wir wollen, dass dieses Land weiterhin von uns regiert wird. Wir wollen den Haushalt deshalb in Ordnung bringen, weil wir das den Bürgern schuldig sind.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Es gibt zwei Meldungen für Kurzinterventionen: zuerst Herr SchäferGümbel und dann Herr Al-Wazir.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Florian Rentsch, ich habe mich deshalb zu Wort gemeldet, weil ich den Eindruck hatte, dass wir gestern im Gespräch, zumindest was die Problembeschreibung anging, deutlich weiter waren, als es heute in Ihren Ausführungen deutlich wurde.

Wir waren uns gestern sehr einig, dass es bei einem strukturellen Haushaltsdefizit von etwa 1,8 bis 2,3 Milliarden € bei niemandem, der gestern in der Runde saß, zum jetzigen Zeitpunkt eine Fantasie darüber gibt, wie das alleine durch Ausgabenkürzungen gestemmt werden soll. Darüber bestand gestern Einigkeit.

Wir waren uns auch an einem zweiten Punkt sehr einig, dass nämlich ein Teil des Problems die Finanzpolitik aller Parteien in den letzten 40 Jahren war. Gestern wurde scherzhaft darauf hingewiesen: Der letzte ausgeglichene Bundeshaushalt war der im Jahr vor meiner Geburt. – Generationen von Politikern aus allen Parteien haben mit vielen Luftbuchungen versucht, die Probleme irgendwie wegzuinterpretieren. Deshalb ist die Bezeichnung „mittelfristige Finanzplanung“ auch so irreführend. Dasselbe machen Sie auch gerade wieder. Sie geben auf die Frage, wie Sie mit dem strukturellen Defizit umgehen, keine konkrete Antwort.

(Beifall bei der SPD)

Sie reden abstrakt über den Länderfinanzausgleich. Ich habe Ihnen gestern klar gesagt: Was passiert denn, wenn Sie mit einer Klage, die wir gern begründet hätten, scheitern, weil politische Spielräume für eine andere Verteilung trotz des aus hessischer Sicht berechtigten Interesses, größere Anteile aus dem Länderfinanzausgleich zu behalten, nicht gegeben sind? Ich will in diesem Zusammen

hang darauf hinweisen: Der derzeit geltende Länderfinanzausgleich ist von dieser Regierung verhandelt worden, nicht von der Opposition.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man das alles ernst nimmt, lieber Florian Rentsch, dann wird die Debatte um die Frage der Schuldenbremse nicht ganz so oberflächlich zu führen sein, wie das heute in Ihrem Beitrag deutlich geworden ist. Deshalb hoffe ich, dass wir in den nachfolgenden Gesprächen an der Substanz der Gespräche von gestern anschließen, nicht an Ihrem Beitrag von eben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schönen Dank. – Herr Al-Wazir.

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Rentsch, Sie haben gesagt, alle hätten einen Schluck aus der Pulle genommen. Dann haben Sie gemeint, Sie hätten ein Ausgabenproblem, man müsse einmal ordentlich sparen.

Ich habe das Glück, diesem Haus schon etwas länger anzugehören. Ich bin auch einer von denen, die noch erlebt haben, wie es eine rot-grüne Koalition in diesem Hause gab. Herr Kollege Rentsch, „sparen“ bedeutet ja, dass man in einem Jahr weniger ausgibt als im Jahr davor. Das versteht man landläufig unter „sparen“. Es gab einen einzigen Fall in den letzten 40 Jahren, wo eine Regierung drei Jahre hintereinander jeweils weniger ausgegeben hat als im Jahr davor. Das waren die Haushaltsjahre 1996, 1997 und 1998. Wir haben im Jahr 1996 0,5 % weniger ausgegeben als im Jahr davor, im Jahr 1997 0,6 % weniger als im Jahr davor und im Jahr 1998 0,7 % weniger als im Jahr davor.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Aber die Haushalte haben trotzdem gegen die Verfassung verstoßen!)

Da wurde gespart. Sie haben das in Ihren elf Jahren ein einziges Mal geschafft, nämlich im Haushaltsjahr 2004 – Stichwort: „Operation düstere Zukunft“. Aber schon im Jahr darauf haben Sie wieder mehr Geld ausgegeben als im Jahr 2004. Deswegen glaube ich, dass wir – Sie können sich ja unsere Konzepte anschauen – ein bisschen besser wissen als andere, was es wirklich bedeutet, zu sparen.