Kommt ein Privatpatient zum Arzt. Er hat Stress im Büro, Ärger mit der Frau und Bauchschmerzen. Der Arzt nimmt viel Blut ab, macht Ultraschall von Bauch und Herz („Sie sind jetzt in dem Alter“), den Helicobacter-Atemtest, den Lactosetoleranztest und schreibt den Patienten sofort zur Darm- und zur Magenspiegelung ein. „Vorerst kommen wir ohne Kernspin aus“, sagt der Arzt. „Aber wir müssen dran bleiben, die Ursache finden wir schon.“ Bis morgen.
Wir wissen, dass wir an vielen Stellen eine Überversorgung haben. Wir haben ganz katastrophale Überversorgungssituationen bei der Diagnose und Behandlung von Brustkrebs, der in diesem Land völlig falsch behandelt wird. Das kann man im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern deutlich sehen. Da muss dringend etwas getan werden.Wir müssen in beiden Formen des Systems genau hinschauen und fragen,was zu optimalen Ausgabesituationen führt, und das ist nicht das, was auf der einen Seite aus wirtschaftlichem Interesse und auf der anderen Seite nur noch aufgrund von Kürzungen und des Sparhaushalts gemacht wird, sondern wir müssen schauen, was der Patient tatsächlich braucht.
Die Überversorgung, jedenfalls im System der privaten Krankenversicherung, ist ein wesentlicher Grund für den deutlich höheren Anstieg der Beiträge in den letzten Jahren, und das fühlt sich für die Menschen dort auch so an. Die Reform der FDP wird diesen Sachverhalt verstärken. Was das für die Gesundheitskosten bedeutet,sehen wir an den USA, dem weltweit am stärksten deregulierten Gesundheitssystem mit 15 % Ausgabenanteil. Wesentlich ist aber: Gesundheit ist keine Ware. Und zu einer humanen Gesellschaft zählt eine gleiche und hochwertige Gesundheitsversorgung für alle. Das ist ein Menschenrecht.
(Beifall bei der LINKEN – Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da gibt es noch Beifall, ich dachte schon, ihr wärt narkotisiert!)
Um das sicherzustellen, können und sollen durchaus auch ausgabenseitige Maßnahmen ergriffen werden. Einer der größten Kostentreiber ist der Arzneimittelbereich; hier brauchen wir eine Positivliste und mehr Kosten-NutzenBewertungen. Der aktuelle Arzneimittelreport hat ermittelt,dass wir,wenn in Deutschland für Arzneimittel die gleichen Preise wie in Schweden gezahlt würden, rund 9,4 Milliarden c einsparen könnten. Davon ist im Gesetzentwurf der FDP nicht nur nichts angedacht; er läuft komplett in die falsche Richtung.
Dazu gibt es mit dem Konzept der solidarischen Bürgerversicherung eine soziale und humane Alternative. Damit kann für alle hier lebenden Menschen eine umfassende, zuzahlungsfreie Gesundheitsversorgung – unabhängig vom Wohnort, Einkommen, Alter, Geschlecht oder Aufenthaltsstatus – garantiert werden. Zuzahlungen und Praxisgebühren können entfallen, und die Beiträge können abgesenkt werden.
Das tue ich. – Deshalb muss der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Bundesrat gestoppt werden. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen auf Bundesebene findet unsere Zustimmung. Es wird ein gutes Gesetz,
mit dem das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen nachhaltig ausgeglichen wird, Insolvenzen von Krankenkassen verhindert und die Kosten in einem ersten Schritt von den Arbeitskosten entkoppelt werden, damit der medizinische Fortschritt dauerhaft und unabhängig vom Einkommen allen Menschen zugutekommt.
Eine kurze Bemerkung zu meiner Vorrednerin. Es hat mich zwar gefreut, dass so ein Beginn von wirtschaftlichem Verständnis da ist, dass Sie die Kosten des Gesundheitswesens in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt und gesagt haben,der Anstieg sei nur mäßig und entspreche in etwa dem europäischen Vergleich – das ist richtig – aber in derselben Zeit stiegen die Krankenkassenbeiträge erheblich an. In den Sechzigerjahren waren es einmal 7 %. In den Siebzigerjahren waren es 11 %, und
heute sind es 15 %. Das Problem ist gerade, dass der Anteil am Bruttoinlandsprodukt relativ stabil bleibt, aber die Kostensteigerung einseitig den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, dem Kostenfaktor Arbeit, angelastet wird.
Dazu komme ich gleich, hören Sie zu. – Nach Schätzungen der gesetzlichen Krankenkassen wäre ohne politisches Handeln im Jahr 2011 ein Defizit von 11,6 Milliarden c entstanden, das selbst bei Ausschöpfung der bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten durch Zusatzbeiträge nicht ausgleichbar gewesen wäre. Das hätte die Insolvenz von Krankenkassen bedeutet.
Durch eine gemeinsame Lastenverteilung von Leistungserbringern, Beitragserhöhung der Arbeitnehmer, Beitragserhöhung der Arbeitgeber und zusätzliche Steuerdefizite wird dieses Defizit ausgeglichen. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen wird auf eine solide Basis gestellt.
Im Einzelnen werden die Ausgaben um 2,8 Milliarden c gekürzt. Hauptteil ist die Erhöhung des Arzneimittelrabattes. Das spart 1,1 Milliarden c. Ärzte und Krankenhausträger werden mit 0,5 Milliarden c zum Sparen angehalten.
Auf der Einnahmeseite wird der Beitragssatz von 14,9 % auf 15,5 % angehoben. Dies entspricht dem Beitragssatz vor dem Konjunkturpaket. Die Anhebung des Arbeitnehmerbeitrags von 7,9 % auf 8,2 % und des Arbeitgeberbeitrags von 7,0 % auf 7,3 % führt zu Mehreinnahmen von 3,3 bzw. 3,0 Milliarden c. Ein zusätzlicher Steuerzuschuss von 1,0 Milliarden c kommt 2011 dazu.
Dies ist eine zumutbare und gerechte Aufteilung von Minderausgaben und Mehreinnahmen für alle Beteiligten.
Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen wird auch weiterhin solidarisch von der Gemeinschaft getragen, und die sogenannten starken Schultern leisten einen entscheidenden Beitrag. Gegenteilige Behauptungen halten einer Überprüfung nun wirklich nicht stand.
Erstens. Der Steuerzuschuss von 15,3 Milliarden c im Jahr 2011 und jeweils 14 Milliarden c in den Jahren 2012 und 2013 zeigt die Solidarität der Einkommensstärkeren, weil nun einmal 20 % der Einkommensstärksten 80 % des Einkommensteueraufkommens leisten.
Oder eine andere Zahl: Diejenigen, die mehr als 50.000 c jährlich verdienen – das sind nun wirklich nicht die ganz Reichen, da gehören wir alle dazu –, leisten zwei Drittel dieser Steuer.
Zweitens. Bei der dualen Finanzierung der Krankenhäuser werden die Gebäude und Großgeräte ebenfalls durch Steuern finanziert. Hessen nimmt hier im Ländervergleich weiterhin eine Spitzenposition wie schon seit Jahren und Jahrzehnten ein.
In diesem Zusammenhang erlauben Sie mir eine kurze Anmerkung. Ich finde es schon ziemlich dreist, dass ausgerechnet die Fraktion DIE LINKE die Solidarität bei der Finanzierung der Kosten im Gesundheitswesen anmahnt. Diese Solidarität hat in einem riesengroßen Kraftakt die Folgen des maroden Gesundheitssystems der DDR in den letzten Jahren überwunden.
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig! Genau! – Her- mann Schaus (DIE LINKE): Das Gesundheitssystem der DDR war nie marode!)
Gut, dass Sie das sagen, nach dem Motto: Es war ja nicht alles schlecht. – Das entlarvt Sie, wenn Sie so über eine Diktatur reden.
Die Quellpartei der LINKEN war auch dafür verantwortlich, dass zwei Drittel der Krankenhäuser der DDR 1989 älter als 50 Jahre waren – also älter waren, als die DDR bestanden hat – und das Gesundheitssystem gekennzeichnet war durch defizitäre Missstände in einer durch zentrale Direktiven gegängelten Gesundheitsbürokratie
nein, nein; Sie sind getroffen, ganz ruhig – und die Vereinigungseröffnungsbilanz einen Investitionsbedarf von 30 Milliarden DM berechnete – zitiert aus dem „Deutschen Ärzteblatt“ von Juni 2010.
Im „Deutschen Ärzteblatt“ war auch zu lesen: Die Lebenserwartung in der damaligen DDR war im Schnitt fünf Jahre weniger.
Drittens. Es wird wider besseres Wissen die Behauptung wiederholt, der medizinische Fortschritt werde künftig nur durch Zusatzbeiträge der Versicherten finanziert. Das ist falsch. Richtig ist: Derzeit beträgt der maximale Zusatzbeitrag der Versicherten 1 % des Bruttoeinkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Sollte dies für die Kassen nicht ausreichen, ist die Finanzierung derzeit nicht geklärt.Leistungseingrenzungen,Konkursgefahren der Kassen wären die möglichen Folgen. Durch die künftige Gesetzeslage werden für 2010 und 2011 gar keine weiteren Zusatzbeiträge berechnet. Sollten danach weitere Zusatzbeiträge erforderlich sein, ist die maximale Belastung für den Bürger 2 %, also 1 % mehr als heute. Sollte auch dies nicht ausreichend sein, finanzieren alle Steuerzahler durch die Überforderungsklausel den weiteren Bedarf. Im Verfahren ist der Versicherte kein Bittsteller, er muss kein Formular ausfüllen.
Also ganz einfach zusammengefasst: maximal 1 % mehr, aber erst in zwei Jahren, dafür dauerhafte Absicherung. Wir finden dies sozial nachhaltig und auch solidarisch, weil bei dieser Steuerfinanzierung über einen Zusatzbedarf von 2 % hinaus eben auch der Vorstandsvorsitzende und auch der Politiker einbezogen werden.
Die sogenannte Bürgerversicherung stellt wirklich keine diskussionswürdige Alternative dar. Sie sehen das, glaube ich, mittlerweile auch selbst.
Zwei kleine Beispiele: Während die SPD-Autoren Spies, Ypsilanti, Schäfer-Gümbel noch die völlige Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze forderten – Frau Kollegin Schott hat das eben in ihrem Redebeitrag auch gemacht; das war die Grundlage ihrer Kalkulation einer fantastischen Absenkung der Beiträge –, schlägt nun selbst Prof. Lauterbach eine Angleichung der Beitragsbemessungsgrenze der Kranken- und Rentenversicherung vor, nämlich eine Erhöhung von 3.500 auf 5.000 c. Das ist ein bis
schen mehr Realismus; das ist gut. Aber dann brechen ja alle zahlenmäßigen Kalkulationen zusammen, und Ihr Konzept ist dann auch für Ihre eigenen Anhänger nicht mehr attraktiv.
Während Sie noch von der Einbeziehung der Beamten schwärmten, sagt Lauterbach heute, nur die neuen Bediensteten sollten Mitglieder der Bürgerversicherung sein. Die Folge wären für Beamte, die nach altem Beihilferecht behandelt würden, erheblich mehr Ausgaben, und für die jüngeren Bediensteten wären die Einzahlungen in die neue Bürgerversicherung erheblich höher. Die Folge wären also eine erhebliche Belastung der öffentlichen Haushalte und Unzufriedenheit der Betroffenen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir unterstützen dieses Gesetz der Bundesregierung, weil auch die Schuldenfreiheit der Sozialsysteme ein entscheidender Beitrag zum Zusammenhalt der Generationen und der Gesellschaft ist. Wir wollen die Schuldenbremse der öffentlichen Haushalte und die Schuldenbremse der Sozialsysteme gemeinsam offensiv angehen.Zusammenhalt von Alten und Jungen, Kranken und Gesunden ist eine tragende Säule der sozialen Gerechtigkeit. Wir gehen dies offensiv an. Wir haben das Selbstbewusstsein, dass wir diese Thematik hervorragend besetzen können. – Herzlichen Dank.
Danke, Herr Dr. Bartelt. – Ich darf jetzt der Kollegin Schulz-Asche für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben in Berlin seit einem Jahr eine schwarz-gelbe Regierung.