Protocol of the Session on September 29, 2010

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen.Meine Damen und Herren, nur wer umfassend und objektiv erkenntnisleitend Aufklärung betreibt, kann seinen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Extremismus in Deutschland keine Chance hat, egal, ob von rechts oder von links. Das müsste zumindest auch in dieser Stunde alle Demokraten in diesem Hause einen.

Ich möchte schließen und an ein Motto von Martin Luther King erinnern, der einmal sagte: „Es ist besser, Frieden zu wahren, als Frieden zu schaffen.“ In Analogie dazu würde ich sagen: Es ist besser, die Freiheit zu bewahren, als die Freiheit schaffen zu müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Mögen viele erfolgreiche und glückliche Jahre für uns Deutsche vor uns liegen, damit wir auch in 5 und auch in 50 Jahren Einigkeit und Recht und Freiheit gemeinsam feiern dürfen und uns an ein glückliches, ein wunderbares Kapitel der deutschen Geschichte erinnern dürfen, welches 1989 und 1990 geschrieben wurde.Erzählen wir diese Geschichte immer wieder unseren Kindern und Enkeln. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Vielen Dank,Herr Kollege Quanz.– Nächste Rednerin ist nun Frau Kollegin Schulz-Asche für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Ihnen vielleicht auch manchmal so geht wie mir, dass ich mich frage: „Was wäre eigentlich gewesen, wenn...?“ Ich habe mich das zum letzten Mal am Montag gefragt, als ich die hervorragende Lesung von Joachim Gauck aus seinem Buch gehört habe.Dabei habe ich mich gefragt:Was wäre gewesen, wenn der Kleingarten meiner Eltern 300 m weiter östlich gewesen wäre? Was wäre aus mir geworden? Wie wäre mein Leben gelaufen? Wäre ich so mutig gewesen, wie es einige in der DDR von Anfang an waren?

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

Wo wäre ich gelandet? Ich glaube, dass diese Frage: „Was wäre gewesen, wenn...?“, uns dazu verpflichtet, zu versuchen, eine gemeinsame Plattform des Gedenkens zu fin

den, wenn wir an so einen wichtigen Tag wie den 3. Oktober denken. Ich würde es angemessen finden, wenn wir das heute schaffen würden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der FDP)

Auch deswegen haben wir einen Änderungsantrag zu dem Antrag von CDU und FDP gestellt; denn ich gehe nach wie vor davon aus, dass wir ein gemeinsames Gedenken zustande bekommen sollten.

Der 3. Oktober ist ein großer historischer Tag in der deutschen Geschichte. Er steht am Ende eines Prozesses, als nach vielen, vielen Jahren aus Untertanen Bürgerinnen und Bürger wurden. Er steht dafür, dass es sich lohnt, Mut zu haben, für die Freiheit und die Demokratie zu kämpfen. 20 Jahre später heißt das aber auch, diese Freiheit zu verteidigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der FDP)

Wir sollten sie zum einen gegen die ewiggestrigen Feinde der Freiheit verteidigen, die wir schon aus anderer Vergangenheit Deutschlands kennen.Wir sollten für die Freiheit aber auch bei denjenigen werben, die aufgrund ihrer Lebensumstände an der Demokratie und an der Freiheit zweifeln, oder auch bei denen, die sich der Einfachheit halber einen alles regelnden und bevormundenden Staat wünschen. Ich glaube, wir haben den Auftrag, für Freiheit und Demokratie zu werben.Ein solcher Gedenktag ist ein gemeinsamer Auftrag an uns.

(Allgemeiner Beifall)

Dieses Werben, das Joachim Gauck Freiheit und Verantwortung nennt, muss nicht nur im Mittelpunkt der Gedenktage stehen, sondern auch entsprechender Anträge, die hier eingebracht werden. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Nr. 3 des Antrags von CDU und FDP – das ist hier schon angesprochen worden – keine einseitige politische Wertung enthielte, sondern weiter geöffnet und die Verantwortung vieler anderer aufgenommen worden wäre, wie wir dies in unserem Änderungsantrag fordern.

Meine Damen und Herren, natürlich ist es nicht das Verdienst einzelner CDU-Politiker oder des FDP-Politikers Herrn Genscher gewesen, sondern es war auch die Entspannungspolitik unter Willy Brandt und es war die Politik eines Michail Gorbatschow, die dazu geführt haben, dass dieser Prozess möglich wurde. Deswegen werden wir dem Antrag der SPD zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das darf alles nicht relativieren, dass im Mittelpunkt dieser Einheit die Bürgerinnen und Bürger der DDR gestanden haben, die ihr Leben dafür riskiert haben, diese Freiheit und diese Demokratie zu erkämpfen. Das sollten wir bei allen Anträgen nicht vergessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Lortz und Herr Kollege Greilich, wenn man auf die Geschichte zurückblickt,dann darf man auch nicht die stabilisierende Rolle der Blockparteien vergessen. Das ist ein Punkt, mit dem Sie sich auseinandersetzen müssen. Wir haben das hier im Haus übrigens schon getan. Der Änderungsantrag, den wir zu Ihrem Antrag stellen, ist schon gemeinsam verabschiedet worden. Ich

glaube, dass es gerechtfertigt ist, zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit auf die problematische Rolle der Blockparteien in der DDR im Hinblick auf die Stabilisierung hinzuweisen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege Quanz hat es schon angesprochen: Mit Verlaub, die deutsche Einheit – wir hatten in den letzten Wochen manchmal den Eindruck – ist nicht durch die hessische CDU zustande gekommen. Sie hat sicher ihren Beitrag geleistet. Meine Damen und Herren, auch Sie haben sicherlich dazu beigetragen, aber, ich finde, eine solche Überwürdigung steht einfach nicht in Relation zu dem, was sich damals tatsächlich in Deutschland abgespielt hat. Das muss so auch gesagt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN – Peter Beuth (CDU): Ein sehr verklärter Blick!)

Wenn hier von Geschichtsklitterung gesprochen wird – dann müssen wir, wie gesagt, alle ehrlich sein; ich glaube, das sind wir auch den Schülerinnen und Schülern aus Pößneck in Thüringen schuldig, die dort oben bei uns sitzen –, stelle ich fest:Wir reden alle über die Bedeutung von Bildung; dann sollten wir aber auch alle versuchen, mit unserer eigenen Geschichte im Reinen zu sein und das in solchen Anträgen entsprechend zu formulieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Peter Beuth (CDU): Das sollten Sie, Frau Kollegin!)

Herr Kollege Beuth, ich weiß jetzt nicht, was Sie mit diesem Zwischenruf meinen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das sehe ich genauso!)

Das stelle ich für mich als Person fest: Ich hatte seit 1981 Einreiseverbot in die DDR. Ich würde mit solchen Zwischenrufen etwas vorsichtig sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Meine Damen und Herren, um noch einmal an meine Rede anzuknüpfen: Deswegen fallen mir bei dem Thema Wiedervereinigung nicht zuerst die Namen Dr.Wallmann und Dr. Gerhardt ein, sondern – um nur einige zu nennen – Joachim Gauck, Ulrike Poppe, Robert Havemann, Ingrid Köppe,Wolf Biermann und natürlich Bärbel Bohley, die am 11. September dieses Jahres an Lungenkrebs gestorben ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Joschka Fischer!)

Der Journalist Robert Ide schrieb im Nachruf auf diese mutige und unangepasste Frau:

Denn ohne Bärbel Bohley, diese starke kleine Kämpferin aus Berlin, wäre heute Deutschland nicht wieder ein ganzes Land, sondern immer noch zwei halbe.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass er damit tatsächlich recht hat. Denn das zeigt der unglaubliche Mut dieser Frau, ein Leben der ständigen Verweigerung zu führen, das damit beginnt, dass auf dem Abiturzeugnis steht: „Bärbel ist bockig“, und das darin weitergeht, dass

ihr in einer Vernehmungssituation ein Stasivernehmer mit Haft droht, und sie dann sagt: „Aber ich komme hier wieder raus, Sie nicht.“ Welch ein Mut gehört dazu, in solchen Situationen solche Äußerungen zu machen? – Wir sollten uns alle fragen, ob wir jemals in der Lage gewesen wären, so viel Mut aufzubringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der LINKEN)

Es muss auch klar sein, dass solche Leute nicht einfach sind, nicht für die Weggefährten und nicht für diejenigen, die sich nachher schnell anpassten, vor allem aber nicht für einen Gregor Gysi und die Linkspartei. Solche Revolutionärinnen sind nicht einfach im Umgang. Sie sind für uns aber ein Spiegel, um eigene Veränderungen beobachten zu können. Der Nachruf Ides auf Frau Bohley endet damit:

Bärbel Bohley ist 65 Jahre alt geworden... Berlin hat eine am Ende stille Frau verloren, Deutschland eine seiner stärksten.

Dem möchte ich eigentlich nur zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben jetzt eine Vielzahl von Anträgen vorliegen. Mein Wunsch ist nach wie vor, dass wir dieses Gedenken gemeinsam gestalten können, weil wir eine gemeinsame Verantwortung für Freiheit und Demokratie haben. Deswegen werden wir die CDU und die FDP bitten, um ihren Antrag zustimmungsfähig zu machen, unseren beiden Änderungsanträgen zuzustimmen. Wir werden dem SPD-Antrag zustimmen; und wir werden uns bei dem Antrag der LINKEN enthalten, und zwar nicht, weil wir ihn inhaltlich falsch finden, nicht wegen dem, was dort drinsteht, sondern wegen dem, was nicht drinsteht. Ich glaube, dass es für alle, für die Nachfolger der Blockparteien, aber gerade für die Linkspartei, bei dem Gedenken an den 20. Jahrestag der deutschen Einheit dazugehört, sich mit seiner eigenen Geschichte kritisch auseinanderzusetzen und das auch zu benennen. Deswegen werden wir uns bei dem Antrag der LINKEN enthalten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Auch mit der Geschichte der GRÜNEN bei der Wiedervereinigung!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche. – Der nächste Redner ist nun Herr Kollege Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir feiern heute Morgen und am Ende dieser Woche den 20. Jahrestag der deutschen Einheit. Für uns alle hier im Raum ist das ein Anlass der Freude und des Respekts vor den Menschen, die das erkämpft haben, aber auch zur Frage, warum es nur die allermeisten sind, die sich mit uns freuen, und warum es einige gibt, die nach wie vor zweifeln.

Ich bin mit vielem einverstanden, was heute Morgen schon gesagt worden ist. Ich möchte aber auch ein bisschen den Blick darauf werfen,dass es nicht ausreicht,die

jenigen, die sich nicht mit uns freuen können, als Ewiggestrige abzutun.