Protocol of the Session on September 9, 2010

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

dass es Menschen, Migranten in unserem Land gibt, die schlechter oder nicht integriert sind,die viel schlechter bezahlt werden, die viel schlechter ausgebildet sind, und auch welche, die kriminell werden.

All das muss man in unserer Gesellschaft sagen können, weil wir dann die Erfolge der Integrationspolitik, die unbestreitbar sind und über die wir beispielsweise auch in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten etwas gehört haben, zu sehr relativieren. Wir haben Erfolge erzielt,aber es ist noch vieles zu tun.Darüber sollten wir diskutieren und nicht jemandem, der provozieren will, damit noch ein falsches Parkett bieten.

Es gibt – ich kann mich noch sehr gut erinnern – seit 1999 in diesem Land Hessen ein schlüssiges und ehrgeiziges Integrationsprojekt, das bundesweit Maßstäbe gesetzt hat. Wir können uns auch noch sehr gut daran erinnern, dass uns entgegenschallte, als Sprachkurse für Jugendliche eingeführt wurden, das sei „Zwangsgermanisierung“.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von wem denn?)

Davon hört man heute nichts mehr. Heute ist dies in der gesamten Bundesrepublik zum Standard geworden, und das ist gut so.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Integrationspolitik besteht eben nicht nur aus Diskussionen, sondern vor allen Dingen,das ist die Aufgabe von Politik,aus Handeln. Wir haben in Hessen und auch in anderen Ländern gehandelt. Aber man muss doch auch sagen können, dass es in unserer Gesellschaft offensichtlich noch Gruppen gibt,die von diesem Handeln bisher nicht erreicht worden sind, vielleicht auch, weil sie nicht erreicht werden wollen. Über diese haben wir auch zu reden, und da müssen wir uns Gedanken machen, wie wir an diese Gruppen kommen, damit wir in unserer Gesellschaft keine Entwicklungen von Parallelgesellschaften haben werden, die der Integrationspolitik am Ende keinen Gefallen tun.

Deswegen ist es wichtig, dass auf der einen Seite die Politik, der Staat, und auf der anderen eben auch private Institutionen und Initiativen, gerade auch Sportvereine, das sage ich mit großem Stolz,vieles dafür tun,diese Kluft und diese Parallelgesellschaften zu überwinden. Deswegen war es uns wichtig, dass wir als CDU-Fraktion im Landtag heute keine Diskussion über einen Provokateur führen, sondern wir wollen die Diskussion eigentlich wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Wir wollen offen über Diskussionen und Probleme reden, aber auch deutlich machen, dass wir schon viel erreicht haben. Wir müssen diesen interkulturellen Prozess weiter fortführen und dürfen uns nicht provozieren lassen, sondern müssen sehr selbstbewusst das weiterführen, was zumindest seit 1999 in diesem Land geschieht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Dr. Müller, herzlichen Dank. – Bevor wir in der Debatte fortfahren,darf ich auf der Besuchertribüne unseren langjährigen Landtagskollegen und späteren Staatssekre

tär Karl-Winfried Seif begrüßen. Herzlich willkommen, schön, dass du da bist.

(Beifall)

Ich erteile nun das Wort an Frau Kollegin Cárdenas, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben uns zuerst gefragt, wie man denn diese beiden Themen in den Aktuellen Stunden von CDU und FDP eigentlich zusammenbinden kann. Sie haben meines Erachtens wenig miteinander zu tun, außer vielleicht, dass sie in das große Themenfeld der Integration passen. Bei dem Thema der FDP mutmaßten wir bereits,dass Sie sich noch einmal ein wenig loben lassen wollen. Frau Henzler, Herr Hahn, bitte gern: Es war eine gute Entscheidung vor gut neun Monaten, die Meldepflicht für Kinder ohne Papiere in den Schulen aufzuheben. Das war im Namen der Kinderrechtskonvention, der Menschenrechte und des allgemeinen Rechts auf Bildung wichtig.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Selbstverständlich haben Sie dafür unsere Unterstützung bekommen. Man hört, dass es in der Praxis noch nicht überall rund läuft, dass sich die Situation aber insgesamt beruhigt hat. Laut einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration machen Kinder ohne Status tatsächlich nur weniger als ein halbes Prozent der Schülerschaft aus, auch wenn die genauen Zahlen sehr im Dunkeln liegen. Die Studie schlussfolgert daher – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis –:

Die Einbeziehung aller Kinder in den Schulunterricht erscheint also nicht nur menschenrechtlich geboten, politisch gewollt und rechtlich machbar, sondern auch finanzpolitisch unproblematisch.

Es ist also ein Erfolg auf allen Ebenen.

Herr Rentsch, Sie haben eben in Ihrer Rede ausgeführt, Sie wollten, dass man sich einbürgern lasse, statt hier illegal zu leben. Dann erleichtern Sie, bitte schön, die Legalisierung des Aufenthalts,und erleichtern Sie auch die Möglichkeit der Einbürgerung.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Bei einem weiteren Problem dieser Kinder und ihrer Familien würde ich Sie bitten, dies genauso unbürokratisch anzugehen und dazu Anstrengungen zu unternehmen. Diesen Kindern und ihren Familien wird nämlich noch immer der Anspruch auf medizinische Versorgung verwehrt. Ich weiß von Ärzten, die dieser unhaltbare Zustand nicht kalt lässt und die illegal behandeln, was bedeutet, dass diese Ärzte ein großes Risiko auf sich nehmen, nicht nur fiskalischer Art. Das Kinderhilfswerk und der Kinderschutzbund sowie alle anderen Organisationen, die sich nach Kräften um Hilfe für die Illegalen bemühen, mahnen eine solche Regelung seit Jahren an. Wir bitten, dass Sie dafür unbürokratische Lösungswege entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit komme ich zur zweiten Aktuellen Stunde. Auch hier haben wir uns gefragt, was uns die CDU sagen will, wenn sie fordert, Integrationsfragen offen anzusprechen.

Wir LINKEN haben uns nie gescheut, Integrationsfragen offen anzusprechen. Wir haben laut und deutlich angesprochen, dass Kinder mit Migrationshintergrund überproportional auf Sonderschulen verwiesen werden und dass dies einer Integration zuwiderläuft. Wir haben offen Fragen der Integration angesprochen, auch dass Integration und Partizipation – zumindest ohne das kommunale Wahlrecht – in Hessen nicht umsetzbar sein werden. Wir fordern seit Jahren eine schnellere und unbürokratischere Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Herr Rentsch.

(Beifall bei der LINKEN – Florian Rentsch (FDP): Das war nicht das Thema!)

Es wurde bereits deutlich, dass Sie dies alles mit dem offenen Ansprechen von Integrationsfragen nicht gemeint haben. Es darf aber unseres Erachtens nicht sein, dass im Landtag sogenannte Debatten ohne Tabus geführt werden können, dass die sogenannten berechtigten Sorgen der Bürger vor Überfremdung in diesem Haus Thema werden. Das wäre sehr gefährlich, und wir könnten damit dazu beitragen, rassistische Thesen und Zuschreibungen hoffähig zu machen, indem wir ihnen parlamentarische Weihen verleihen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Lafontaine redet über Fremdarbeiter!)

Ich bin mir sehr sicher, dass auch Herr Bellino damit nicht einverstanden sein wird; denn es würde die Anstrengungen der Enquetekommission für Migration und Integration konterkarieren.

Im Gegensatz zu den Horrorgemälden durch Sarrazin und Co. in den letzten Wochen sind die Bemühungen um Integrationserfolge trotz der schwierigen Bedingungen bei uns viel zu selten Gegenstand der Debatte. Aktuelle Untersuchungen beispielsweise des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2010 zur Situation der fünf größten in Deutschland lebenden Ausländergruppen belegen, dass der Bildungserfolg, der Bildungsaufstieg in der Generationenabfolge unverkennbar ist. 42 % der Ausländerinnen und Ausländer haben einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern, obwohl sie bezogen auf Ausbildungsniveau und Erwerbsbeteiligung in Hessen drastisch benachteiligt sind.

Eine Studie hebt weiterhin hervor, selbst bei gleichen in Deutschland erworbenen Ausbildungsabschlüssen haben Migranten schlechtere Arbeitsmarktchancen als Deutsche, und junge Türken sind besonders benachteiligt.Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die sogenannten Integrationsprobleme der migrantischen Bevölkerung im Wesentlichen soziale Ursachen haben. Die Integrationspolitik muss deshalb einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und die gleichberechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen zum Ziel haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Da sind natürlich Kürzungen, wie Sie sie als Landesregierung z. B. bei den Sprachkursen vorhaben, völlig kontraproduktiv. Das heißt, es gibt viele Integrationsfragen, die wir hier offen ansprechen, beraten und Lösungen zuführen sollten. – Ich bedanke mich bei Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Merz, SPD-Fraktion. Kollege Merz, wir bedanken uns, dass Sie Nachsicht mit uns haben, dass wir in der Rednerreihenfolge durcheinandergekommen sind.Aber:Wir altern ständig. Das wird auch Ihnen hoffentlich so gehen.Wir bitten um Nachsicht.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe Nachsicht, gerade mit dem Alter, denn: Wem sagen Sie das?

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir die Gelegenheit dieser Aktuellen Stunde, in der es auch um unser Verhältnis zum Islam und zu den Muslimen geht, nicht vorübergehen lassen sollten, ohne zu erklären, dass wir die geplante Koranverbrennung in Gainesville, Florida, verabscheuen und verurteilen

(Allgemeiner Beifall)

und dass wir uns in dieser Situation an die Seite unserer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stellen. Ich glaube, das ist angemessen in einem Land, in dem Heinrich Heines prophetisches Wort: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“, zur furchtbaren Realität geworden ist.

Meine Damen Herren,Anlass für diese Debatte, für diese Aktuelle Stunde ist die durch die Veröffentlichung des Buchs von Thilo Sarrazin ausgelöste Diskussion. In dieser Diskussion geht es nach meiner Überzeugung im Kern nicht um praktische Probleme der Integration und nicht um pragmatische oder realitätstaugliche Ansätze der Integrationspolitik, sondern es geht um fundamentale Fragen unseres Menschen- und Gesellschaftsbildes. Deshalb ist es wichtig, sich mit den Thesen Thilo Sarrazins auseinanderzusetzen.

Meine Damen und Herren, die „FAZ“ hat am Dienstag auf der Titelseite dieses Foto abgedruckt mit dem Titel: „Basken-Gen entdeckt“.

(Der Redner hält die Titelseite hoch.)

Seitdem wissen wir, dass Heinrich Böll Träger des „Basken-Gens“ war. Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass man ihn des Terrorismus verdächtigt hat.

Besser, als der „Stern“ es macht, kann man den intellektuellen, moralischen und politischen Bankrott eines Menschen nicht zusammenfassen. Besser kann man die Verwechslung von Religion, Kultur und Rasse nicht ins Bild setzen. Deshalb habe ich Ihnen dieses Bild gezeigt.

(Beifall der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Der Begriff „Rasse“ ist nichts anderes als ein von Rassisten geschaffenes Konstrukt, und deshalb ist jeder Versuch zum Scheitern verurteilt, ernsthaft und intellektuell redlich über „Rassen“ und „Rasseneigenschaften“ zu reden, einzelnen Völkern oder Volks- und Bevölkerungsgruppen genetisch bedingte Eigenschaften zuzuordnen und – vor allem – aus diesen angeblich genetisch bedingten Eigen

schaften Urteile über deren Höher- oder Geringerwertigkeit abzuleiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU, der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Schon die Nationalsozialisten sind bei diesem Versuch,zumindest was die Theorie angeht, kläglich gescheitert. Für die Definition dessen, was ein Jude ist, musste am Ende doch auf die religiösen bzw. kulturellen Eigenschaften zurückgegriffen werden – bzw. auf das göringsche Diktum: „Wer Jude ist, bestimme ich.“ Auf diesen Teil von Herrn Sarrazins Umwälzung der Wissenschaften hat in der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses,Maram Stern,die passende Antwort gegeben – ich zitiere –: