Protocol of the Session on March 5, 2009

(Leif Blum (FDP): Das geht uns aber allen so! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie haben es nicht verstanden, Frau Wissler!)

Ich möchte doch noch kurz etwas zu den Hartz-IV-Gesetzen sagen.Sie haben heute und auch gestern die Hartz-IVGesetze als eine „Erfolgsgeschichte“ bezeichnet. Ich finde, das ist zynisch gegenüber den Menschen, die aufgrund dieser Gesetze in Armut leben. Ja, Hartz IV ist Armut per Gesetz. Die Menschen sind gezwungen, von 350 c pro Monat zu leben,und darüber entscheiden Menschen, die sehr viel mehr verdienen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hartz IV nimmt den Menschen nicht nur das Geld, sondern es nimmt ihnen auch die Würde, indem sie entwürdigende Hartz-IV-Fragebogen ausfüllen müssen. Man muss sozusagen einen Striptease machen und angeben, was man alles besitzt, z. B. was für Gemälde und was für Schmuck man hat. Ich frage mich: Wird denn bei den staatlichen Geldern in Milliardenhöhe, die an Unternehmen und Banken fließen, gefragt, ob es Vermögen gibt, mit dem die Betreffenden vielleicht haftbar gemacht werden können?

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Hartz-IV-Empfänger muss jederzeit damit rechnen, dass Sozialfahnder von der Arbeitsagentur bei ihm vor der Tür stehen und im Schlafzimmer herumschnüffeln, um herauszufinden, ob er vielleicht illegalerweise in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Wenn das die gerechte Politik der SPD ist, bitte schön.

Noch viel schlimmer – das unterstelle ich Ihnen – war die Zielrichtung dieses Gesetzes. Es geht nämlich nicht nur darum, Arbeitslose zu entwürdigen. Hartz IV hat außerdem Druck auf die Tarifverträge ausgeübt und die Kampfkraft der Gewerkschaften geschwächt;

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist eine Unverschämtheit!)

denn die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist in den Betrieben aufgrund der Hartz-IV-Gesetzgebung sehr groß geworden.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist völliger Unsinn, was Sie da erzählen! – Unruhe)

Frau Wissler, entschuldigen Sie bitte. – Es ist sehr laut im Saal. Frau Wissler hat, wie alle anderen, einen Anspruch darauf, dass wir ihr zuhören, wenn sie am Rednerpult steht. Deswegen darf ich Sie bitten, ein bisschen leiser zu sein. Herzlichen Dank.

Die Menschen können so lange gearbeitet haben, wie sie wollen. Wenn sie arbeitslos werden, zwingt Hartz IV sie, ihre Altersvorsorge aufzubrauchen und ihre Lebensversicherungen zu kündigen. Ich sage Ihnen: Man erzeugt Al

tersarmut, wenn man den Leuten auf der einen Seite erzählt, sie sollten privat für das Alter vorsorgen, und sie, wenn sie arbeitslos werden, zwingt, ihre komplette Altersversorgung wieder aufzulösen. Das ist die Programmierung von Altersarmut.

Deswegen ist es auch klar, dass die Menschen eine solche Angst vor der Arbeitslosigkeit haben. Man kann 10, 20 oder 30 Jahre lang gearbeitet und in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt haben: Nach zwei Jahren ist man bei 350 c im Monat angelangt, und das ist genau das Problem.

Deswegen bleibt die LINKE dabei: Hartz IV muss weg. Dieses Gesetz lässt sich nicht in irgendeiner Form verschlimmbessern. Dieses Gesetz muss vielmehr komplett rückgängig gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Wissler. – Das Wort hat Herr Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nenn mal die Offenbacher Zahlen!)

Das muss ich als Frankfurter verschweigen. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege SchäferGümbel, Sie haben mich direkt angesprochen. Ich habe mir speziell die SPD-Zahlen vorgenommen – Sie haben recht mit Gießen –, weil ich es als eine gewisse Zumutung empfinde, dass man sich im Hessischen Landtag damit beschäftigt, was eigentlich bei der Politik der Großen Koalition in Bezug auf die Jobcenter gut oder schlecht läuft. Das ist die eine Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Herr Schäfer-Gümbel, umgekehrt habe ich mich gefragt – auch meine Kollegen von den GRÜNEN haben sich das gefragt –, was eigentlich mit den Missständen ist, die ich im Jahr 2005 und im Jahr 2006 angesprochen habe. Wenn ich durch die Jobcenter gegangen bin und gefragt habe: „Warum landen diese Mittel nicht bei den Alleinerziehenden, die sie dringend brauchen, und bei den Arbeitslosen, die eine Fortbildung und eine Qualifizierung benötigen?“, lautete die Antwort: Das Gesetz ist jetzt ein Jahr alt.

Wir schreiben das Jahr 2009.Viele Jahre sind ins Land gegangen. Die Tatsache, dass in Groß-Gerau von 12 Millionen c nur 8 Millionen c ausgegeben wurden und im Wetteraukreis von 11 Millionen c nur 8 Millionen c, kann nicht daran liegen, dass das Hartz-IV-Gesetz neu ist. Darin müssen Sie mir wohl recht geben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie haben in der Sache recht!)

Dann erwarte ich von der SPD, dass sie nicht nur in Richtung Berlin schimpft, sondern auch sagt: Lieber Herr Kollege SPD-Landrat, was tut ihr eigentlich, damit in eurer Arge der Laden endlich richtig läuft? – Nichts anderes habe ich in meiner Rede gesagt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich fordere Sie nochmals auf, dem Redner,der hier vorne steht,zuzuhören.In einem gewissen Umfang sind Zwischenrufe erwünscht, weil sie die Debatte beleben.Aber zu viele Zurufe sind doch nicht so toll. Ich darf Sie also bitten, sich ein bisschen zurückzuhalten. Herzlichen Dank.

Insofern reden wir doch – das werden wir zukünftig noch öfter tun – über die Umsetzung von Hartz IV in den Optionskommunen und auch in den Argen. Ich habe Ihnen nur das vorgehalten, wofür Sie zuständig sind. Offensichtlich ist die Not groß. Ich appelliere dringend an Sie, da mehr zu machen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD):In der Wetterau! – Zurufe von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, bevor ich Applaus aus der falschen Ecke bekomme, sage ich Ihnen, ich habe hier auch die Zahlen von den Argen, in denen es CDU-Hauptverantwortliche gibt.

(Petra Fuhrmann (SPD): In der Wetterau!)

Glauben Sie mir,die Zahlen sind nicht besser.An die Zahlen von den Optionskommunen kommt man schlecht heran; aber auch die liegen demnächst vor. Die Zahlen sind in allen Argen wenig befriedigend.

(Florian Rentsch (FDP): Marburg!)

Daher brauchen Sie nicht zu klatschen. Es ist ein Missstand, dass die Umsetzung nicht stattfindet. Sie findet auf dem Rücken der Arbeitslosen statt.

Wir müssen den Menschen helfen, statt sie weiter zu gängeln. Das ist die Kernthese von uns GRÜNEN.Wir sagen: Hilfe für die Menschen, Schluss mit dem Gängeln und eine gute Umsetzung von Hartz IV, das wäre jetzt richtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.Wir sind am Ende der Aussprache angelangt.

Es ist vorgeschlagen, die beiden Anträge zur weiteren Beratung an den Sozialpolitischen Ausschuss zu überweisen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 43:

Dringlicher Entschließungsantrag der F raktion der SPD betreffend Zurückw eisung der öffentlichen Einflussnahme in ein laufendes Verfahren durch den Hessischen Minister der Justiz, für Integration und Europa – Drucks. 18/154 –

Die erste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Hofmann von der SPD-Fraktion. Die Redezeit beträgt fünf Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Alle Fraktionen dieses Hauses haben in der gestrigen Debatte über

den Flughafenausbau trefflich über die rechtlichen und politischen Konsequenzen des Beschlusses des VGH gestritten und diskutiert. Diese Debatte war auch richtig und wichtig.

Es geht aber nicht an, wie sich der hessische Minister der Justiz am gestrigen Tage verhalten hat. Er hat nämlich in seinem Wortbeitrag den Beschluss des VGH vom 15.01. dieses Jahres in unsäglicher Weise kommentiert und bewertet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Erlaubnis der Präsidentin darf ich wörtlich zitieren:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir als die Mitglieder der ersten Gewalt des Landes sollten uns überlegen, ob diese Rechtsprechung für uns wirklich klug ist oder ob wir nicht die Balance of Power weiterhin im Rechtsstaat haben wollen und die erste Gewalt demnach nicht alles bestimmt, sondern die dritte Gewalt auch etwas bestimmt.

Diese Worte sind skandalös.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP)

Denn mit diesen Worten nimmt der Minister eine inhaltliche Bewertung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vor.

(Beifall bei der SPD)