Protocol of the Session on March 5, 2009

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, dass wir darüber reden, Herr Minister!)

Man muss deutlich machen, dass der Beschluss – es ist nicht so einfach, wie Sie das gerne sehen wollen –, den Sie aus dem Juli 2008 zitiert haben, nicht der aktuelle Beschluss der Arbeitsminister ist, sondern es gibt einen Beschluss vom 13./14. November 2008, der ein großes Stück weiter gegangen ist. Insoweit ist Ihr Antrag etwas widersprüchlich, da in dem Juli-Beschluss Verfassungsänderungen sowohl für die Argen als auch für die Optionen gefordert waren; im November-Beschluss nicht mehr, sondern nur für die Argen.

Für die heutige Diskussion ist das nicht dramatisch. Darauf kommt es nicht an.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuhrmann?

Ich glaube, das führt zu nichts.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Frau Fuhrmann, die Vorgeschichte hilft uns nicht, das heute anstehende Problem zu lösen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Doch!)

Deswegen geht es jetzt ja um etwas, was für Politiker unglaublich wichtig ist, nämlich darum, wer recht hat. Das führt aber leider nie zu Lösungen und auch nicht in die Zukunft.Wir müssen zusehen, wie wir das Problem lösen. Das Problem ist doch, dass Herr Scholz die Optionskommunen bekämpft, während die CDU die Zukunftschancen der Optionskommunen erhöhen will. Darum geht es. Wir brauchen uns nichts vorzumachen.

Es gibt außerdem eine unterschiedliche Bewertung, ob der Kompromissvorschlag geeignet ist, die Optionskommunen in ihrem Bestand wenigstens stabil zu halten.

(Zurufe von der SPD)

Das ist eine schwierige Verfassungsfrage. Wir waren bisher der Meinung, die Optionskommunen hätten vonseiten der Verfassung nichts zu fürchten.Aber dadurch, dass die ZAGs, also die Argen, künftig über die Verfassung geschützt werden sollen, entsteht in der Statik des Grundgesetzes und auch einer möglichen Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Optionskommunen eine neue Bewertung; denn das eine ist in der Ver

fassung geschützt und gesichert, während das andere gar nicht in der Verfassung steht.Das führt dazu,dass wir über die Situation neu diskutieren müssen. Insbesondere der Änderungsvorschlag,der erarbeitet wurde,ändert die Absicherung der Optionskommunen.

Deswegen hat es keinen Sinn, zu fragen, wer recht und wer unrecht hat. Wir müssen vielmehr klar sagen, die Situation ist noch nicht abschließend geregelt. Grundgesetzänderungen sind nur möglich – das ist die demokratische Realität des Jahres 2009 –, wenn drei Parteien zustimmen: die CDU, die FDP und die SPD; ich habe Ihnen erspart, die CSU als vierte Partei zu nennen. Deshalb müssen wir zwischen diesen drei Parteien eine Einigung hinbekommen.

Das bedeutet, wir brauchen auf der einen Seite eine vernünftige ZAG-Lösung. Die ist noch nicht ganz vernünftig, da ist mir noch zu viel Bundeseinfluss drin, aber das kriegt man im Gesetzgebungsverfahren hin. Das halte ich für kein großes Problem.Wir müssen aber auch sicherstellen, dass die Optionskommunen, die an sich ordentlich arbeiten und bisher keine Probleme gemacht haben, durch die eine Lösung nicht selbst in Probleme geraten. Deshalb muss das abgesichert werden. Deshalb streiten wir darum, dass Herr Scholz sagt: Ja, das könnt ihr haben, aber dann müsst ihr euch darauf einigen, dass im Grundgesetz die Zahl der Optionskommunen auf 69 beschränkt wird. – Darüber müssten wir nicht mehr streiten, wenn wir realistisch wären und sagen würden:Wenn es die Kommunen so wollen, 160. – Ich würde aber sagen, es sollten nicht alle 400 Kommunen sein, weil wir sonst über die Zukunft der Bundesagentur und über viele Tausend Arbeitsplätze reden müssten. So leicht darf man es sich nicht machen.

Eine vernünftige Erweiterung der Zahl der Optionskommunen – zumal das Konzept der Optionskommunen wirklich nicht erfolglos war –, ein bisschen Flexibilität, das wäre, glaube ich, der Lösungskorridor, auf den sich alle Fraktionen, die im Bundestag und im Bundesrat für eine Verfassungsänderung benötigt werden, zubewegen müssten. Man muss klar sagen: Alle drei Fraktionen müssten sich bewegen. Ich halte das nicht für aussichtslos.Wir sind mitten in einer ganz vernünftigen und produktiven Diskussion über die Entwicklungsmöglichkeiten und die Absicherung der Optionskommunen, ein handhabbares, das Gewicht des Bundes nicht zu sehr betonendes Konzept für die ZAGs. Wir haben eine vernünftige Organisation der Verwaltung und der Unterstützung der Langzeitarbeitslosen. Das bekommen wir schon noch hin, aber nur dann, wenn wir uns nicht zu sehr verstreiten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Danke, Herr Minister. – Nun hat sich Herr Schäfer-Gümbel für die SPD-Fraktion noch einmal zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil auch das Thema Arbeitsmarktpolitik eine gewisse Rolle in der Regierungserklärung gespielt hat und ich damals ausdrücklich gesagt habe, dass ich mir wünsche, dass wir von einseitigen Organisationsdebatten wegkommen. Das habe ich damals mit Blick auf den Kompromiss auf Bundesebene zur grundgesetzlichen Verankerung der entsprechenden Modelle gesagt. Deswegen will ich hier

drei Bemerkungen machen, die mir nach dem Verlauf der Debatte wichtig und notwendig erscheinen.

Zunächst zur Frage der Grundgesetzänderung. Fakt ist, es gibt in der Tat eine Reihe von Interessenunterschieden.Es gibt unterschiedliche Betonungen bei unterschiedlichen Modellen. Es gibt diejenigen, die die gesamtstaatliche Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik hochhalten. Dahinter stehen unterschiedlichste Organisationsideen, die vor allem von einem Wunsch geleitet waren und sind, dass nämlich das Fördern und Fordern aus einer Hand funktioniert. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war das Problem, dass genau das akut gefährdet war, und zwar wegen der Frage, wie das abzusichern ist.

Seit Längerem gibt es jetzt einen Kompromiss.Wie es bei Kompromissen immer so ist, hat sich keine Seite zu 100 % durchgesetzt. Ich glaube, dass der vorliegende Kompromiss ein sachdienlicher ist. Das kann man von Kompromissen nicht immer behaupten. Im konkreten Fall geht es aber um einen sachdienlichen Kompromiss, der zwischen der Union, der SPD und dem Bund, zwischen den Ländern und dem Bund, ausgehandelt wurde. Dieser Kompromiss ist umzusetzen, und er kann umgesetzt werden. Dann sind die Probleme erst einmal gelöst – immer unter dem Aspekt, dass es sich um einen Kompromiss handelt.

Das ist aber gar nicht das eigentliche Thema. Das eigentliche Thema ist, dass dies jetzt auf Bundesebene in der CDU/CSU-Fraktion genutzt wird, um im Rahmen eines Zwergenaufstands eine Machtprobe herbeizuführen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich bin froh über die Debatte. Es gibt offensichtlich ein überwiegendes Interesse,dass der Kompromiss umgesetzt wird.

Der zweite Grund, weshalb ich mich zu Wort gemeldet habe, war die Bemerkung der Kollegin Schott, Hartz IV sei „Armut per Gesetz“.

(Demonstrativer Beifall bei der LINKEN)

Mit Verlaub, auch hier gilt: Vertiefte Sachkenntnis erschwert die Meinungsbildung.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Haben Sie schon einmal von 350 c pro Monat gelebt?)

Liebe Frau Wissler, im Gegensatz zu Ihnen komme ich aus Lebensverhältnissen, wo das vielleicht schon einmal eine Rolle gespielt hat. Deswegen akzeptiere ich von Ihnen keine Belehrungen bei diesem Thema. Das muss völlig klar sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN)

Das eine ist, intellektuell über Armut zu reden, das andere, in Armut irgendwie zurechtzukommen. Deshalb: Von Ihnen keine Belehrungen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lebhafte Zurufe von der LINKEN)

Deshalb lasse ich die Aussage „Armut per Gesetz“ nicht durchgehen.Sie müssen beim Thema Hartz IV sehen,dass wir im Kern über drei große Gruppen reden, erstens über die, die aus der Sozialhilfe kommen, die vorher weniger hatten, die über die Pauschalierung 15 % mehr bekommen.Am stolzesten bin ich darauf, dass wir zweitens über Hartz IV Menschen, denen Sozialleistungen zustehen, aus der Nichtbeantragung dieser Sozialleistungen herausge

holt haben, indem wir die immer wieder gefühlte Stigmatisierung der Sozialhilfeempfänger aufgehoben haben. Auch das ist ein Erfolg dieser Reform.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der dritte Punkt war in der Tat politisch immer umstritten. Das war die Frage, ob Menschen nach zwölf Monaten ALG-I-Bezug auf Hartz IV heruntergehen müssen. Das hatte auch etwas mit der Entscheidung im Bundesrat zu tun. Hier haben wir auf dem Parteitag in Hamburg Veränderungen vorgenommen, weil Rot-Grün beschlossen hatte, die Reform immer wieder auf ihre Wechselwirkungen zu überprüfen und anschließend gegebenenfalls zu ändern. Deshalb lasse ich es Ihnen nicht durchgehen, wenn Sie hier den Unfug „Armut per Gesetz“ formulieren. Das heißt aber nicht, dass im Einzelfall oder bei bestimmten Gruppen nachgearbeitet werden muss; beispielsweise hat das Verfassungsgericht in der Frage der Regelsätze für Kinder eine präzise Entscheidung getroffen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Mein Freund Marcus Bocklet erfreut mich immer besonders. Er hat sich schon häufiger in diesem Hessischen Landtag als arbeitsmarktpolitische Fachkompetenz geriert. Mein lieber Marcus Bocklet, ich bitte Sie einfach, zwei Sachen zur Kenntnis zu nehmen:

Der Landkreis Gießen ist CDU/FDP/FWG-regiert. Das heißt, wenn Sie hier schon Ohrfeigen verteilen wollen, machen Sie es bitte so, dass auch die Empirie stimmt.

Der zweite Punkt ist – das ist das eigentliche Problem, das war auch meine Aufforderung, meine Bitte und mein Angebot an den Herrn Minister –, dass wir im Hinblick auf die Ausschöpfung der Mittel bei den Argen und bei den Optionskommunen insgesamt, d. h. bundesweit, nach wie vor Probleme haben, weil der Grundsatz des Förderns und Forderns,und zwar in der Reihenfolge,wie es auch im Gesetz steht, eben nicht in der notwendigen Gebotenheit umgesetzt ist.

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Die Redezeit ist abgelaufen.

Letzter Satz. – Dort gibt es Erhebliches zu tun. Deswegen habe ich dafür plädiert, die Organisationsdebatte endlich zu beenden und zu den Inhalten der Arbeitsmarktpolitik zurückzukommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank,Herr Schäfer-Gümbel.– Frau Kollegin Wissler, bitte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte doch noch kurz etwas dazu sagen.

(Zurufe: Frau Präsidentin!)

Entschuldigung, das tut mir leid.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Der Gleichheitsgrundsatz gilt auch hier!)

Ich war etwas irritiert über die Ausführungen von Herrn Schäfer-Gümbel.