Protocol of the Session on June 23, 2010

Angesichts der Diskussion, gerade von der FDP, angesichts des Vorpreschens des Bundesgesundheitsministers über zu wenige Hausärzte und über die Auswirkungen auf das Studium hätte ich mir da Engagement erwartet, dass an dieser Stelle auch in Bezug auf die Universitätsklinika, die den wesentlichen, den praktischen Teil dieser Ausbildung darstellen, ein bisschen mehr passiert als nur redaktionelle Anpassungen.An dieser Stelle ist überhaupt kein Fortschritt, obwohl wir alle wissen, wie nötig er wäre.

Ähnlich ist es mit der zweiten wesentlichen Frage, der Interaktion mit den Fachbereichen, die schon vor zehn Jahren falsch gelöst worden ist. Inzwischen wissen es zumindest die meisten, dass die konsequente Trennung von Fachbereich und Klinikum nur zu einer Verarmung der Qualität der Ausbildung führen kann, und zwar nicht nur im einfachen Handwerklich-Praktischen der medizinischen Ausbildung, also Spritzen geben und kleinere Eingriffe vornehmen. Nein, nicht nur die handwerkliche Praxis, sondern viel wichtiger und überhaupt ein Kernpunkt unserer Kritik an unserem Gesundheitswesen ist die Frage der Ausbildung in der Interaktion, das Üben des Umgangs mit den Patienten, das Erlernen am Beispiel. Die Nähe von Fachbereich und Klinikum ist dringend zu intensivieren und nicht dieser Zustand des Auseinandergebrachten.

Denn eine Universitätsklinik ist für den Medizinstudenten ähnlich wie das Labor für den Chemiestudenten, jedenfalls in Bezug auf die Ausbildung. Es ist der Ort, an dem die Ausbildungspraxis stattfindet. Zum Kernpunkt der Ärzteausbildung muss viel mehr als bisher die Interaktion mit den Patienten, das Eingehen auf den Patienten gehören. Das ist einer der zentralen Kritikpunkte am deutschen Gesundheitswesen insgesamt, dass es nämlich hervorragende technische Medizin und eine eher dürftige Patientenorientierung aufweist. An dieser Stelle hätten wir uns ein paar Ideen gewünscht oder vielleicht wenigstens einen Ansatz, wie wir mindestens ein Modell in Hessen einführen.

Drittens. Wenn man schon das Universitätsklinikagesetz, das fast ausschließlich Frankfurt regelt,angeht,dann hätte

man an dieser Stelle vielleicht ein bisschen Kooperation mit dem für das Gesundheitswesen zuständigen Minister suchen können, eine Zusammenführung mit der anstehenden Novellierung des Hessischen Krankenhausgesetzes. Denn die Kooperation in der Region, wie sie jedenfalls nach dem, was man hört, im Kabinettsentwurf zum Krankenhausgesetz, der im Umlauf ist, angegangen wird, muss das Universitätsklinikum im Ballungsraum zentral einfügen – nichts, gar nichts in diese Richtung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Welche Rolle das Universitätsklinikum Frankfurt im Gesamtgefüge der öffentlichen Verantwortung für die Versorgung im Rhein-Main-Gebiet einnehmen soll, auch dazu gibt es keine Idee, keinen Ansatz, keine Zugänge.

Meine Damen und Herren, wir würden uns wünschen, dass man im Kabinett ein bisschen konsequenter miteinander über parallele Gesetzgebungsprozesse spricht. Das könnte die Qualität der Gesetzgebung und der Gesetzentwürfe der Regierung spürbar verbessern. Aber zum Glück haben wir eine Anhörung und eine Ausschussberatung.Vielleicht finden wir zumindest für die Dinge, die an diesen Stellen zusammenzubringen sind, noch einen Ansatz. Die grundsätzliche Frage ist ganz sicherlich Aufgabe der Regierung: hier Vorlagen zu machen.

Meine Damen und Herren, ein Letztes. Gerade im Zusammenhang mit der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg will ich gar nicht die Debatte führen, ob die Privatisierung richtig oder falsch war. Ich will diese Debatte heute gar nicht führen.Viel interessanter ist eine ganz andere Konsequenz. Denn selbst wenn Sie die Privatisierung richtig finden, dann ist mit dem Moment des Verkaufs eine völlig neue Situation eingetreten. Mit dem Moment des Verkaufes gibt es originäre Interessen des Landes und des Fachbereiches als eine Institution des Landes, die durchaus in Konflikt mit denen des privaten Betreibers stehen können. Diese Frage hat die Landesregierung bisher vollständig ausgeblendet. Außer Selbstbeweihräucherung und Selbstbejubelung ob der wunderbaren Effekte der Privatisierung ist nichts passiert.

Dabei sehen wir doch nicht nur an Brandbriefen von Ärzten aus dem Krankenhaus, an Stellungnahmen von Hochschullehrern, die davongelaufen sind, weil sich die Bedingungen verschlechtert haben, sondern natürlich und gerade an der Stellungnahme des Wissenschaftsrats die Sorge angesichts der drohenden Verschlechterung der wissenschaftlichen Qualität.

Meine Damen und Herren, da ist das Land jemand, der Interessen gegen den privaten Betreiber hat und durchsetzen muss.Wir würden uns dringend wünschen, dass die Landesregierung nach vier Jahren endlich bereit ist, ihre originäre Aufgabe, Interessen geltend zu machen und durchzusetzen, zu übernehmen. Nachdem sie den einen Teil verkauft hat, muss sie sich anschließend darum kümmern, dass er das tut, was sie mit dem verbliebenen Anteil an eigenen Interessen und Rechten geltend machen muss. Das tut sie überhaupt nicht.

Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass wir uns im Wissenschaftsausschuss darauf verständigt haben, zuerst den Wissenschaftsrat einzuladen, um zu hören, wie seine Beurteilung der Entwicklung in Gießen und Marburg ist, und danach die Anhörung zum Universitätsklinikagesetz durchzuführen.Vielleicht kommen wir an der Stelle in die Lage, dass das Land seine Interessen und seine Positionen und die des Fachbereichs, dessen Sachwalter das Land ist,

tatsächlich gegen den privaten Betreiber geltend macht, wenn es zum Konflikt kommt. Das würden wir uns allerdings wünschen.

Meine Damen und Herren, ein großer Entwurf ist dieser Gesetzentwurf beim besten Willen nicht, so war es auch nicht gemeint. Das wäre ja in Ordnung, wenn es keine Aufgaben zu erledigen gäbe. Tatsache aber ist, dass die Herausforderungen des Gesundheitswesens, deren Grundlagen immer in der Ausbildung zukünftiger Ärzte gelegt werden, ganz andere Ansätze, eine ganz andere Komplexität der Arbeit erforderlich gemacht hätten. Schade, schade, vertane Gelegenheit. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Das Wort hat die Abg. Sarah Sorge, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin, eine motivierte Gesetzeseinbringung sieht weiß Gott anders aus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Spieß hat es eben schon gesagt: Es gibt eine Reihe von Problemen zu bewältigen. Es ist aber auch so, dass wir vor noch nicht so langer Zeit, vor einer Stunde, würde ich jetzt schätzen, darüber gesprochen haben, was die Landesregierung in den vergangenen Jahren getan hat. Die Privatisierung der Unikliniken gehört zu einem Punkt, den Sie sich immer auf die Fahnen schreiben. Wir haben diesen Weg immer kritisiert und kritisch begleitet. Dass man sich aber einen Punkt, den man sich selbst immer auf die Fahnen schreibt und herausstellt, hier nicht aufnimmt und nicht positiv verkauft, zeigt, dass zurzeit sehr wenig Esprit in der Landesregierung vorhanden ist.

Jetzt haben wir noch die Situation, dass ca. einen Monat, bevor dieser Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht wurde, die Evaluation des Wissenschaftsrats zur Privatisierung der Unikliniken eingegangen ist. Diese Evaluation findet überhaupt keinen Niederschlag in diesem Gesetzentwurf. Das finde ich schade.Wenigstens in der Rede hätten Sie sich doch auf die Stellungnahme des Wissenschaftsrats beziehen können. Das finde ich alles schon sehr erstaunlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir erinnern uns einmal kurz zurück: Die Unikliniken in Gießen und Marburg wurden vor fünf Jahren fusioniert und im Jahr 2006 privatisiert. Dieser Prozess wurde auch damals schon vom Wissenschaftsrat begleitet. Die Bewertung durch den Wissenschaftsrat nach drei Jahren war Teil der damaligen Versprechen, die die Landesregierung in den zum Teil – wir erinnern uns alle – sehr heftigen Auseinandersetzungen um die Privatisierung der Unikliniken gegeben hat. Diese nun vorliegende Evaluation in diesem Prozess vollkommen zu ignorieren, ist zum einen fahrlässig, zum anderen vollkommen unverständlich.

Das Gutachten des Wissenschaftsrats lobt zum Teil, z. B. die Investitionen in das Uniklinikum und damit auch in Forschung und Lehre.Es setzt sich teilweise auch sehr kritisch, beispielsweise mit der Schwerpunktbildung der

Fachbereiche oder auch mit der fehlenden Aufbruchstimmung, mit der Privatisierung auseinander.

Der Wissenschaftsrat erwartet zu Recht, dass der Prozess einer abgestimmten Strategiebildung in Gießen und Marburg endlich vorankommt. Er benennt sehr deutlich – das sollte Ihnen zu denken geben – die Verantwortung des Landes, diesen Prozess endlich aktiv zu fördern. Er schlägt beispielsweise einen externen wissenschaftlichen Beirat vor.Sie müssen nicht alles aufnehmen,was der Wissenschaftsrat vorschlägt.Sie sollten es aber wenigstens zur Kenntnis nehmen und politisch bewerten. Das ist doch das Mindeste, was man verlangen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Wissenschaftsrat hat zu einer sachlichen und differenzierten Diskussion aufgerufen. Das halte ich für richtig. Wir GRÜNE sind dazu gerne bereit. Wir waren dazu auch während des Privatisierungsprozesses immer bereit. Allerdings müssen die Information und das AufeinanderEingehen auch von der anderen Seite kommen. Herr Spies hat es gerade angesprochen.Wir haben uns im Wissenschaftsausschuss darauf verständigt, dass wir erst einmal die Stellungnahme des Wissenschaftsrats im Ausschuss diskutieren und danach die Anhörung zum Uniklinikengesetz durchführen. Bei all diesen Anhörungen gehört auch dazu, dass man zuhört, dazulernt und die Argumente aufnimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das scheint bisher bei der Landesregierung nicht der Fall zu sein, wenn man sich diesen Gesetzentwurf ansieht, und vor allem auch, wenn man sich das anhört, was die Landesregierung nach diesem Gutachten des Wissenschaftsrats in die Öffentlichkeit gefiltert hat, nach dem Motto: Der Wissenschaftsrat lobt, der Wissenschaftsrat sagt, alles ist toll, wir haben das super gemacht. – Sie haben aber überhaupt nicht gelesen, was dort eigentlich steht. Da stehen nämlich ganz genau Hausaufgaben drin, zum einen für die Unikliniken selbst und zum anderen sehr definiert und ausgewiesen nach den Verantwortlichkeiten, was Aufgabe des Landes ist. Hierzu sollten Sie Stellung beziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der wichtigste Streit, aus meiner Sicht, bei der Diskussion um die Privatisierung des Uniklinikums war die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre.

Hierzu bekennt der Wissenschaftsrat in seiner aktuellen Stellungnahme, dass er die Auswirkungen nach so kurzer Zeit noch gar nicht beurteilen kann.Insofern haben wir zu dem wichtigsten Punkt überhaupt noch keine Stellungnahme, wie sich das entwickelt hat. Deswegen ist es unverständlich, dass eine der wenigen Sachen, die in dem vorliegenden Gesetzentwurf geändert werden,ausgerechnet wieder die Schwächung der Stellung der Wissenschaftsfreiheit ist. Die Passagen nämlich, die sich im aktuellen Gesetz auf die Definition der Wissenschaftsfreiheit im Hochschulrahmengesetz beziehen, werden gestrichen und durch einen kleinen Verweis auf die Hessische Verfassung ergänzt. Das ist eine Schwächung der Wissenschaftsfreiheit, obwohl eine Stärkung nötig wäre. Warum Sie das neu regeln, ist wirklich unverständlich.

Es ist so, dass das Hochschulrahmengesetz ausläuft. Das ist auch mir bekannt. Man könnte aber beispielsweise die Formulierungen des Hochschulrahmengesetzes 1 : 1 in die Gesetzesnovelle aufnehmen. Man könnte sich aber auch, weil man das einzige Land ist, das ein privatisiertes Uni

klinikum hat, in dem Gesetzentwurf noch ergänzend damit beschäftigen.Alles das bleibt aus. Ich rege an, wenigstens die Formulierungen des Hochschulrahmengesetzes in das Uniklinikengesetz inhaltsgleich zu übernehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann gibt es noch eine weitere Änderung in dem Gesetzentwurf. Wie gesagt, es sind nur zwei Seiten, das Meiste davon ist die Aufnahme der weiblichen Geschlechtsform in die einzelnen Bezeichnungen. Hierzu meine absolute Zustimmung.

(Beifall der Abg.Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Von den wenigen Dingen, die Sie regeln, ist das eine das mit der Wissenschaftsfreiheit, und das zweite ist auch systematisch unlogisch und von daher falsch.Nach bisheriger Regelung bedürfen Beschlüsse und Maßnahmen des Klinikumsvorstands, die die Belange von Lehre und Forschung betreffen, der Zustimmung des Dekans. Das ist auch richtig so. Wenn diese Einigung nicht zustande kommt,dann kann die Entscheidung des Aufsichtsrats beantragt werden.

Hier soll es nun künftig nicht mehr auf das Einvernehmen des Dekans ankommen, sondern auf eine Einigung mit dem Präsidium. Der Dekan ist demzufolge nicht einmal mehr mit einbezogen.Das ist erstens inhaltlich falsch,weil der Dekan des Fachbereichs Medizin fachlich von den Belangen in Forschung und Lehre im Fachbereich Medizin mehr Ahnung hat als jemand aus dem Präsidium. Das ist aber auch systematisch falsch, weil das Präsidium ohnehin im Aufsichtsrat vertreten ist. Es soll also Kontrollfunktion seiner eigenen Beschlüsse wahrnehmen. Zudem ist ein Hochschulpräsident oder eine Hochschulpräsidentin viel mehr in übergeordnete Interessen eingebunden. Sinnvoll wäre es, das Gleichgewicht, dass es zurzeit gibt, zwischen Klinikumsvorstand und Fachbereich Medizin zu wahren.

Das sind zwei kritische Punkte an dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Kritik aufnehmen könnten. Alles Weitere besprechen wir dann nach der Anhörung des Wissenschaftsrats und der normalen Anhörung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Sorge. – Das Wort hat der Abg. Dr. Büger, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Universitätsklinikengesetzes und in geringen Umfang auch des Hochschulgesetzes wollen wir den eingeschlagenen erfolgreichen Weg der Universitätsklinika in Hessen weitergehen.

(Günter Rudolph (SPD): Das überrascht!)

Lassen Sie mich mit einer grundsätzlichen Aussage beginnen:

(Dr. Thomas Spies (SPD): Was sagt Herr Rösler dazu?)

Die Privatisierung des fusionierten Universitätsklinikums Gießen und Marburg hat zu erheblichen infrastrukturellen Investitionen des privaten Betreibers an beiden Standorten geführt, die die baulichen Rahmenbedingungen für die Krankenversorgung und die patientenorientierte klinische Forschung auf ein wettbewerbsfähiges Niveau angehoben haben. Auch durch zusätzliche Investitionen des Landes Hessen konnten die Bedingungen für die Forschung und Lehre verbessert werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, diese Aussage stammt nicht direkt aus meiner Feder. Das schreibt der Wissenschaftsrat in seiner „Stellungnahme zur Entwicklung der universitätsmedizinischen Standorte Gießen und Marburg nach Fusion und Privatisierung der Universitätsklinika“. Diese Stellungnahme zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Dabei ist klar: Universitätsklinika haben zwei Aufträge. Sie dienen einerseits der Versorgung Kranker, wie jedes andere Krankenhaus auch. Andererseits sind sie in bedeutendem Maße Orte der Ausbildung,also Orte von Forschung und Lehre. Unterschiedliche Funktionen bedingen unterschiedliche Strukturen. Der Krankenhausbetrieb als solcher kann durchaus effizient und zum Besten aller Beteiligten von privater Seite betrieben werden. Der Betrieb eines Krankenhauses ist jedenfalls per se keine staatliche Aufgabe. Deshalb war die Privatisierung der Universitätskliniken Gießen und Marburg vom Grundsatz her richtig, ohne an dieser Stelle auf alle Details der Umsetzung eingehen zu wollen.