Ich weiß, dass es aus der Sicht der Opposition vielleicht der falsche Tag für diese Diskussion ist, aber ich will auf das hinweisen, was in den Vergleichsstudien zu den Bildungsstandards steht, die gestern veröffentlicht worden sind. Ich sage Ihnen: Ja, ich bin unzufrieden, wie langsam es vorangeht. Ich weiß, dass uns z. B. die Implementierung neuer Formen der Ausbildung, neuer Formen der frühkindlichen Erziehung, die in die Grundschule hineinreichen – etwa im Bereich der Beherrschung von Sprache –, viel Arbeit macht und dass es länger dauert,als man es angesichts der Ungeduld von Politik für gut halten kann. Aber ich sage Ihnen auch: Die gestern veröffentlichten Ergebnisse sind gut. Sie sind immer noch nicht so, dass es nichts mehr zu verbessern gäbe; aber wenn heute in den Zeitungen steht, dass die Hessen zu den Südländern aufgeschlossen haben, dann sage ich: Ja, das ist richtig und gut. – In dem Zusammenhang erlaube ich mir, außerdem zu sagen – ich rede sonst nicht über Personen –: Manches, was man über Karin Wolff und ihre Politik gesagt hat, muss in diesem Licht in den Geschichtsbüchern vielleicht doch etwas anders geschrieben werden.
Wir können über die frühkindliche Erziehung reden. Wir können darüber reden, wie viele Grundschulen eine Betreuung angeboten haben, als Sie regierten.
Es waren 20 % der Schulen. Heute sind es 95 %.Wir können über die Frage reden, wer vorschulische Sprachtests eingeführt hat, die feststellen, ob Kinder, die in die 1. Klasse kommen sollen, die Sprache des Lehrers verstehen, und wer zuvor etwas davon erzählt hat, dass Bilingualität oder gar Multilingualität in der Grundschule ein kultureller Fortschritt seien. Ein Teil der Probleme, die sich heute in den PISA-Studien widerspiegeln,ist dadurch entstanden, dass in diesem Lande früher einmal so dummes Zeug erzählt worden ist.
Ich lasse jetzt sehr bewusst vieles aus; denn ich glaube in der Tat, dass in der Schule noch manches zu tun ist. In der Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode steht eine Menge solcher Projekte: von der immer stärkeren Konzentration auf vorschulische Erziehung über die Frage, was wir hinsichtlich der Selbstständigkeit von Schule machen, um auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren, bis zu der Verabredung über eine neue Form der Mittelschule, um dort die Parallelität von praktischer
und theoretischer Ausbildung besser zu organisieren.Wir stehen mitten in einem Prozess. Dieser Prozess wird so fortgesetzt, weil die Wählerinnen und Wähler das wollten und uns mit der stärksten Mehrheit für eine solche Politik ausgestattet haben, die es in diesem Landtag je gab. Dieser Prozess wird fortgesetzt unter dem Gesichtspunkt, dass wir glauben, dass die Schritte, die wir gegangen sind, in die richtige Richtung gehen.
Das gilt genauso für die innere Sicherheit. Die Bürger haben heute nur noch ein halb so großes Risiko, dass bei ihnen zu Hause eingebrochen wird, wie das vor zehn Jahren der Fall war.Die Zahl der Einbrüche in Automobile ist um 75 % gesunken.Hessen ist das einzige Bundesland,das im Ländervergleich hinsichtlich der Zahl der rechtsradikalen Gewalttaten keinen signifikanten Anstieg zu verzeichnen hat.
Wir sind diesbezüglich das Land mit der niedrigsten Kriminalitätsrate. Wenn zehn Verbrecher, Gauner – wie immer man sie nennen will – vor zehn Jahren eine Straftat begangen haben, hatten sechs von ihnen eine Chance, nicht erwischt zu werden.Heute sind es nur noch vier.Das führt zu mehr Sicherheit, das führt zu mehr Entwicklung, und das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Es wird zu meinen bleibenden Erlebnissen hinsichtlich der „Beweglichkeit“ von Verwaltung gehören, was ich im Jahr 1998 als Oppositionsführer im Landkreis WaldeckFrankenberg gesehen habe, der bei den modernen Projekten nicht so recht nach vorne kam. In den Polizeistationen mussten die Beamten die Anzeigen auf der AdlerSchreibmaschine zweimal tippen, weil nur sechs Durchschläge in die Maschine passten, man aber sieben Durchschläge brauchte, um die Anzeige ordentlich zu bearbeiten. Das war der Stand bei der Polizei, den wir vorgefunden haben. Heute hat jeder Polizeibeamte in Hessen einen eigenen Computer- oder Laptopanschluss. Fast jedes Polizeifahrzeug verfügt inzwischen über diese Form der Kommunikation. Die hessische Polizei gehört zu den am besten ausgestatteten Polizeieinheiten der Bundesrepublik Deutschland. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer Politik und unserer Politik.
Ich sage als vorletzte Bemerkung: Ich glaube daran, dass es die ökonomischen Aspekte sind, die dieses Land ausmachen. Dieser Meinung muss man nicht in jedem Punkt sein.Ich glaube aber daran,dass sich die Frage,wie uns die Bürger am Ende bewerten, an dem Umstand entscheidet, wie viel Arbeit sie haben, welches Einkommen sie haben. Das ist eine Frage, die uns manchmal zusammengeführt hat. Ich denke, dass Opel ein Beispiel dafür war, dass man Probleme gemeinschaftlich, über alle Parteigrenzen hinweg, regeln kann.
Eine weitere dieser Fragen betrifft den Norden Hessens. Das ist erwähnt worden: Tatsache ist heute, dass wir die Arbeitslosenstatistik mit den Zahlen aus Nordhessen tendenziell aufhübschen können, wenn es in Südhessen schwierig wird. Das ist eine Vorstellung, die man vor 15 Jahren nicht haben durfte. Das wäre einfach absurd gewesen. Da hat sich also etwas verändert.
Verehrter Herr Kollege Rudolph, ob das mein Verdienst ist, werde ich am Rednerpult nicht beschreiben; aber ich habe eine grobe Vorstellung hinsichtlich Ihrer Rede, die Sie halten würden, wenn es nicht so wäre.
Meine Damen und Herren, ich lese das, was Sie in Ihren Anträgen schreiben, bei denen Sie glauben, dass die Quantität über Lob oder Kritik entscheidet. Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt, dass zu den zentralen Aufgaben eines Staates – wir diskutieren gelegentlich darüber – die Bereitstellung einer ausreichenden Bildungsinfrastruktur und einer ausreichenden Verkehrsinfrastruktur gehört. Wenn der Staat diese beiden Aufgaben einigermaßen erfüllen kann,können freie und selbstbewusste Bürger in einem freien Land eine ganze Menge selbst organisieren.
Deshalb war die Verkehrsinfrastruktur mit all ihren Facetten eines der zentralen Elemente der Politik in dem Jahrzehnt, in dem ich hier die Verantwortung tragen durfte. Ohne etwas anderes zurückzusetzen: Dazu gehört natürlich auch der Ausbau des Frankfurter Flughafens, den die rot-grüne Koalition, die damals die Alternative war – oder eine rot-rot-grüne Koalition, die nach Ihren Vorstellungen heutzutage die Alternative hätte sein können –, niemals gewollt hätte.Vielmehr war das, was einige Sozialdemokraten möglicherweise wollten, immer Gegenstand des internen Fingerhakelns und des Versuchs von Herrn Al-Wazir gewesen, das zu verhindern.
Die Regierung von CDU und FDP und die Regierung der CDU haben immer an einen Strang gezogen, um ein solch schwieriges Projekt durchzusetzen. Das war nicht einfach. Es führte – und führt immer noch – zu Problemen. Das Nachtflugverbot ist ein Beispiel dafür, dass das alles nicht ohne Blessuren abgegangen ist – auch bei uns nicht. Am Ende steht jedoch die Tatsache, dass wir heute einen rechtssicheren Planfeststellungsbeschluss für den Bau haben und dass damit die Chance besteht, statt 50 künftig 80 Millionen Passagiere in diesem Land willkommen zu heißen. Das bedeutet, dass dieser Flughafen bei der Fracht und bei der Passage unter den zehn besten Flughäfen der Welt bleiben darf. Nur damit es einmal gesagt ist: Es gibt keinen anderen Flughafen auf der Welt,der gleichzeitig unter den zehn besten Frachtflughäfen und unter den zehn besten Passagierflughäfen ist, was seine Kapazität betrifft. Das gilt für keinen anderen Flughafen auf der Welt. Das ist die derzeitige Situation.
Wir haben die Entscheidungen in den letzten zehn Jahren so getroffen – es hat eben zehn Jahre gedauert –, dass in Hessen Wohlstand und Arbeitsplätze auch für die nächsten Jahrzehnte gewährleistet sind. Wohlstand – das kommt in dem höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zum Ausdruck. Arbeitsplätze – das bedeutet gesicherte Arbeitsbedingungen quer durch das Land, wobei die Situation im Vergleich zu anderen Teilen der Bundesrepublik inzwischen überall günstig ist. Auch das ist eine Leistung, über die man diskutieren darf.
Wenn ich das zum Schluss sagen darf: Ich habe, was diese Diskussionen angeht, im Landtag gelegentlich versucht, darüber zu sprechen. Ich habe auch versucht, mich an die Vereinbarungen zu halten, wie laut wir die Trommeln schlagen und wie groß diese sind. Das ist uns, wie auch diese abschließende Debatte zeigt, nicht vollständig gelungen. Wahrscheinlich bin ich daran nicht unerheblich beteiligt.
Wissen Sie, ich habe solche Hilfsinstrumente nie gebraucht, um, wenn das an der richtigen Stelle war, ordentlich Lärm zu machen.
Aber ich verhehle nicht, dass es einen objektiven Grund dafür gab, warum unsere Auseinandersetzung immer so hart war. Die Mehrheiten sind in unserem Lande nämlich erst seit kurzer Zeit so eindeutig wie jetzt; sie waren über lange Zeit, eigentlich 25 bis 30 Jahre lang, sehr knapp, wobei das in die unterschiedlichsten Richtungen ging. Deshalb ist dies ein Parlament, in dem von allen Seiten um jeden Millimeter Raum,um politische Argumentationskraft und auch um Skandalisierung gefochten wird.Wie gesagt, ich verhehle nicht, dass ich dabei war,
Ich befinde mich in meiner Fraktion gelegentlich sogar in der schwierigen Situation,das,was Sie,Herr Rudolph,machen, zu entschuldigen. Ich sage dann, wir waren auch einmal in der Opposition.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP – Günter Rudolph (SPD): Das ist aber wirklich nicht nötig!)
Eines kommt allerdings immer hinzu – dazu bekenne ich mich nach wie vor –: Ich glaube, dass die parlamentarische Auseinandersetzung auch hart sein muss. Ich glaube, dass es manchmal schwierig ist, das der Öffentlichkeit zu erklären; denn da wird getobt, da wird ein Stück weit gebrüllt,da wird gerungen,und der Herr Präsident hat in der Diskussion die Rolle eines Schiedsrichters inne, wie es im Augenblick in einem weit entfernten Teil der Welt der Fall ist, wo es darum geht, wie viele Gelbe und wie viele Rote Karten verteilt werden sollen. Da muss diszipliniert werden.
Aber ich glaube, wir sollten uns gelegentlich daran erinnern – das bleibt meine Überzeugung –, warum es eine Demokratie gibt und warum wir das so machen, d. h. welche Funktion die drei Tage dauernden Sitzungen haben. Warum stimmen wir nicht einfach per Computer von zu Hause aus ab? Die meisten wissen sowieso, wie die Abstimmungen in den nächsten Jahren ausgehen. Warum machen wir das nicht?
Wir machen das so,weil es auch um das räumlich verengte Zusammenführen von Menschen geht – in diesem Gebäude in besonderer Weise –,die nach bestimmten Regeln nicht nur Sachpunkte, sondern auch Emotionen auf den Prüfstand stellen. Damit wird ein Stück weit die Luft ab
gelassen und dafür gesorgt,dass diese Emotionen nicht an einer anderen Stelle der Gesellschaft in unkontrollierter Form zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden.Wenn wir hier immer nur wie in einem Mädchenpensionat bzw. wie in einem Jungenpensionat säßen – das gilt für Frau Fuhrmann, die eine gute Repräsentantin dieser Emotionalität ist; das gilt vielleicht auch für mich und für viele andere –, würden wir der Demokratie damit keinen Gefallen tun.
Es kann sein, dass ich einigen auf die Füße getreten bin, und Herrn Schmitt habe ich wahrscheinlich für den Rest seines Lebens traumatisiert.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das halte ich wirklich für ausgeschlossen!)
Ich will jetzt nicht behaupten – nicht einmal Ihnen gegenüber, lieber Herr Kollege Schmitt –, dass es mir leidtut. Aber ich möchte Sie bitten, es so zu verstehen, dass das nicht dem Menschen, sondern immer dem Politiker im Plenarsaal gegolten hat, in dem die Auseinandersetzung zu führen ist und in dem man mit Härte und Klarheit Argumente austauschen kann. Das haben wir – Sie und ich – immer für uns in Anspruch genommen. Daher brauchen sich die Demokraten auch gar nichts dabei zu denken. Wenn wir hier alle ruhig wären, würde keiner mehr zuschauen. Aber, was noch schlimmer wäre, der Konsens in der Gesellschaft würde dann nur ein fadenscheiniger sein, weil Interessenunterschiede,Meinungsunterschiede,Analysen und Bewertungen nicht mehr so auf den Tisch kämen, wie es jetzt der Fall ist.
Ich verhehle nicht, es hat mir immer Spaß gemacht. Ich bin nicht sicher, aber da ich glaube, dass Sie mich in den nächsten eineinhalb Jahren nicht dazu provozieren werden, das an anderer Stelle zu machen – obwohl ich an dem Tag, an dem ich das Parlament verlasse, sicherlich noch Gelegenheit habe, mich von Ihnen zu verabschieden –, will ich Ihnen an dieser Stelle sagen: Das hessische Parlament ist sicherlich das rauflustigste, das wir in Deutschland haben. Aber ich persönlich finde nicht, dass es das schlechteste Parlament ist, das wir in Deutschland haben. Außerdem glaube ich, dass Hessen ein Land ist, das so hart an der Kante des Fortschritts segeln muss, dass wir es uns leisten dürfen und leisten sollten, besonders heftig um die Zukunft zu streiten.Wenn es einem in einem Streit am Ende gelingt, die Mehrheit zu erringen – nicht nur im Parlament, sondern auch bei den Wahlen –, ist es umso schöner.
Sie werden verstehen, dass ich nach elf Jahren als Regierungschef in aller Gelassenheit sagen kann: Es hat sich gelohnt, hier zu streiten. Ich habe viele Jahre lang streiten müssen – auch mit Ihnen als Oppositionsführer –, bevor wir eine Mehrheit der Bürger in diesem Lande überzeugen konnten.Aber ich bin dankbar, dass ich diese Chance gehabt habe, und ich bin – erlauben Sie mir das – auch ein bisschen stolz auf das, was ich mit meinen Kollegen von der CDU, mit den Kollegen von der FDP sowie mit vielen Kolleginnen und Kollegen in der Regierung in den etwa elfeinhalb Jahren geleistet habe.
Ich bedanke mich bei jedem von Ihnen, dass dies möglich war. Sie verzeihen, dass ich versuche, eine Debatte, die als Streit angelegt war, so versöhnlich zu beenden. – Vielen herzlichen Dank.
(Die Abgeordneten von CDU und FDP erheben sich von ihren Plätzen und klatschen lang anhaltend Beifall.)