Protocol of the Session on June 22, 2010

sind bekanntlich zweierlei.Der Zugang zum Recht erfolgt vor allem über die Gerichte. Sowohl bei den Arbeitsgerichten als auch bei den Amtsgerichten sind die räumlichen Entfernungen besonders bedeutsam. Bei den Arbeitsgerichten – Frau Hofmann hat es schon angesprochen – hängt das mit den obligatorischen Güteterminen zusammen. Der Arbeitnehmer muss dort erscheinen; er muss vor Gericht auftreten.Auch zu den Amtsgerichten – ich greife nur die Betreuungs- und die Nachlasssachen heraus – müssen die Betroffenen kommen. Es muss einen persönlichen Kontakt geben; das ist sogar gesetzlich vorgeschrieben.

Aber ich sage auch: Eine Reduzierung der Zahl der Arbeitsgerichte von zwölf auf sieben ist aus meiner Sicht noch nicht zwingend ein Verstoß gegen die Erreichbarkeit der Gerichte. Ich darf nur daran erinnern, dass wir in Hessen von alters her sieben Sozialgerichte haben, nicht zwölf. Ich kenne niemanden, der wegen mangelnder Bürgernähe für eine Erhöhung dieser Zahl plädiert. Auch DIE LINKE hat in ihrem Antrag nicht gefordert, fünf neue Sozialgerichte in Hessen einzurichten.

Ich glaube im Übrigen, dass für die Entscheidung, einen Prozess zu führen – die freiwillige Gerichtsbarkeit ist wieder etwas anderes –, die Frage, wo das Gericht angesiedelt ist, von eher untergeordneter Bedeutung ist. Es geht um die Erfolgsaussichten und darum, wie man sich vertreten lässt, was man mit seinem Gegenüber macht. Ob man als Arbeitnehmer wirklich 37 c von seinem Arbeitgeber einklagt, wird von vielen Fragen beeinflusst. Möglicherweise wird es auch von der Entfernung zum Gericht beeinflusst; aber das ist eher von untergeordneter Bedeutung.

Deswegen sage ich ganz klar zu dem Antrag der LINKEN, die hier im Grunde genommen fordern, dass das, was schon immer so war, auch so bleiben soll: Dieser Antrag ist uns, mit Verlaub, viel zu konservativ. Wir wollen in der Sache entscheiden: Was ist sinnvoll? Wo kann man Effizienzgewinne generieren? Wo spart man dadurch Geld, und wo ist eine Änderung im Ergebnis sinnvoll, ohne dass die Menschen unzumutbar belastet werden?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber dann müssen wir uns auch besonders gut anschauen, wie weit die Wege sind, die dadurch entstehen. Von Schwalmstadt, Frielendorf oder Neukirchen in der Schwalm, die bisher zum Einzugsgebiet des Arbeitsgerichts Marburg gehören,ist es bis Gießen,wohin sie in Zukunft gehören, unglaublich weit. Ich glaube, das ist die weiteste Fahrtstrecke, die entsteht.

Die Intervention aus dem Werra-Meißner-Kreis ist schon angesprochen worden. Sie sagen, sie wollen insgesamt unter die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Kassel fallen. Das macht aber ein anderes Problem deutlich. Aufgrund der vorgesehenen Verlagerungen gibt es oberhalb einer gedachten Linie Gießen – Fulda nur noch ein einziges Arbeitsgericht, nämlich das Arbeitsgericht Kassel. Ich denke, wir müssen in der Ausschussberatung sorgfältig darüber sprechen, ob das hinreichend bürgernah ist.

Nun wird die Aktion des Justizministers vor allen Dingen mit den Sparvorgaben des Finanzministers begründet. Also fragen wir uns einmal, was durch das Ganze eingespart wird. Beim Personal wird praktisch nichts eingespart. Wir haben gehört, dass es wegen der hohen Belastung der Justiz dort keine Reduzierungen geben kann. Ob ein Richter in Limburg oder in Wiesbaden richtet, es kostet immer das Gleiche. Eingespart werden ein paar Zulagen für künftig nicht mehr benötigte Direktorenstellen.

Aufgrund des Zuwachses an anderer Stelle werden die Kosten aber wieder aufgebaut. Im Grunde genommen ist das ein Nullsummenspiel.

Natürlich werden Kosten gespart, wenn Liegenschaften aufgegeben werden.Aber wie hoch ist die Ersparnis? Die kann nämlich tatsächlich realisiert werden. Der Herr Justizminister hat in der letzten Woche in der Vorlage zur Pressekonferenz erklärt, mit der Schließung der Arbeitsgerichte sollten 600.000 c eingespart werden. Mich würde interessieren, wie sich dieser Betrag zusammensetzt. Durch die Schließung der Amtsgerichte sollen übrigens 2 Millionen c eingespart werden. Konkretisiert haben Sie das nicht.Wir haben hier noch erheblichen Informationsbedarf. Aber Sie haben angekündigt, dass das im Ausschuss nachgeholt wird.

In der Pressekonferenz in der letzten Woche wurde übrigens auch erklärt,dass das Amtsgericht Idstein,das wegen seiner Größe durchaus als Schließungskandidat infrage gekommen wäre, nicht geschlossen werden soll. Das sei nicht möglich, da das dortige Gerichtsgebäude im Zuge von Leo an einen Investor verkauft und langfristig wieder angemietet worden sei.

Das ist genau das, was wir immer gesagt haben:Wenn man etwas für 30 Jahre anmietet, verhindert man, dass man irgendwelche Strukturentscheidungen treffen kann. Also auch hier: Immobilienfragen entscheiden über die rechtliche Struktur. Das ist unseres Erachtens falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bleiben wir dabei, wo gespart wird. Dazu gehört auch die Frage: Entstehen durch die Gerichtsschließungen unter Umständen an anderer Stelle Mehrkosten? Im Rechtsund Integrationsausschuss wollte ich durch einen Dringlichen Berichtsantrag erfahren, welche Einsparungen die Schließung der kleinen Amtsgerichte vor ein paar Jahren gebracht hat.

Eigentlich sollte man, wenn man sich daranmacht, die nächste Schließungsrunde vorzubereiten, wissen, was die letzte Schließungsrunde gebracht hat; aber die Antworten darauf waren ernüchternd: Das Ministerium weiß, dass es nichts weiß.

Das ist wohl auch der Eindruck in der betroffenen Richterschaft. Im Gegensatz zu den Arbeitsrichtern fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vom Justizministerium offenbar nicht sehr gut mitgenommen.

Ich habe ein Schreiben des Bezirksrichterrats beim Oberlandesgericht Frankfurt vom 12.06. an Staatssekretär Dr. Kriszeleit vorliegen. Dort wird kritisiert, es werde nicht hinreichend dargelegt,zu welchen Einsparungen es bisher gekommen sei. Ich zitiere einen Satz aus diesem Schreiben:

Soweit Sie, erst auf unsere Nachfrage, wenigstens einige Beispielzahlen für Bad Arolsen und Usingen genannt haben, sind diese nicht ausreichend, um auch nur ansatzweise beurteilen zu können, ob Ihre Ankündigung, „people“ seien wichtiger als der Erhalt von Beton, hier überhaupt eine Grundlage findet.

Ich habe in meinem Dringlichen Berichtsantrag übrigens unter anderem gefragt, ob durch die Schließung die Beträge für die Erstattung von Fahrtkosten für Prozessbeteiligte gestiegen oder gesunken seien. Nach meiner Auffassung müsste man das relativ schnell herausfinden können,

indem man einfach schaut, was in den Amtsgerichten X und Y vorher dafür ausgegeben wurde und was in dem zusammengelegten Amtsgericht Z anschließend dafür veranschlagt wird.Dann hätte man zwar keine Untersuchung mit nach Euro und Cent bezifferten Ergebnissen gehabt, aber zumindest eine Tendenz.

Hinsichtlich der Immobilien wurde uns damals angegeben, man habe 900.000 c gespart, allerdings auf der Grundlage eines fiktiven Quadratmeterpreises von 10 c pro Monat. Der fällt vielleicht im Rhein-Main-Gebiet an, ganz sicher aber nicht in den kleinstädtischen und ländlichen Räumen.

Die spannende Frage ist also: Was kommt für den Haushalt dabei heraus? Sie ist im Augenblick noch weit von einer Klärung entfernt.

Wir werden unsere Haltung ganz entscheidend davon abhängig machen, ob wir den betroffenen Rechtsuchenden die Belastung, die mit den längeren Wegen selbstverständlich verbunden ist, zumuten können. Diese steht den Effizienzgewinnen im Arbeitsablauf und den Einsparungen für den Haushalt der Justiz gegenüber.

Herr Justizminister, vor allem frage ich mich aber eines – die Frage haben Sie auch heute wieder nicht beantwortet –: Wie sollen eigentlich die 23,6 Millionen c Einsparung für den nächsten Haushalt zustande kommen? – Nach den Vorgaben des Finanzministers müssen Sie das einsparen. Denn all das, über das wir heute reden, wird frühestens im Haushaltsjahr 2012 wirksam werden. Denn die Schließung der Amts- und der Arbeitsgerichte braucht einige Zeit an Vorlauf.Vielleicht geht das beim Arbeitsgericht Limburg. Da ist der Mietvertrag schon ausgelaufen. Die sind jetzt beim Landgericht untergeschlüpft.

Wir brauchen eine Änderung des Gesetzes. Die Vorlage liegt dem Landtag noch nicht einmal vor. Es wird sich also hinziehen. Nach meiner Einschätzung würde das im Jahr 2011 nicht mehr wirksam werden.

Ich hatte das schon erwähnt. Wenn man es einmal zusammenrechnet, erkennt man, dass Sie bei den Amtsgerichten auf Einsparungen in Höhe von 2 Millionen c und bei den Arbeitsgerichten in Höhe von 0,6 Millionen c kommen. Das sind in der Summe 2,6 Millionen c und damit gerade einmal etwas mehr als 10 % des Gesamtbetrags, der eingespart werden soll.Also stelle ich auch hier die Frage:Wo kommt der Rest her?

Sie haben in der Presseerklärung und in der heutigen Erklärung ein paar Zahlen genannt, die nicht näher substanziiert waren. In der Summe würden Sie damit im Übrigen die 23,6 Millionen c gar nicht erreichen.

Ich will schon noch wissen, woher die Einsparungen eigentlich kommen sollen.Bisher ist das,was Sie hier erklärt haben, nur ein Hinweis darauf, dass Sie sparen wollen. Es ist noch kein Beleg dafür, dass Sie das tatsächlich einsparen können.

Wir werden sicherlich noch sehr intensive Diskussionen über dieses Thema im Ausschuss und auch im Plenum haben. – Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Jürgens, vielen Dank. – Das Wort hat nun Herr Abg. Dr.Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Staatsminister, auch Sie werden wahrscheinlich wie das gesamte Haus nach wie vor der Meinung sein, dass die Gerichte als die dritte Gewalt effektiv und effizient Recht sprechen müssen und dass Sie als Repräsentant der zweiten Gewalt die Aufgabe haben, dafür die ausreichende Finanzierung und die ausreichende Ausstattung – ich betone ausdrücklich – auch im ländlichen Raum sicherzustellen.

Herr Honka, ich bin mit Ihnen einer Meinung. Mit diesem Programm gerät der Rechtsstaat nicht in Gefahr. Daran arbeiten Sie an anderer Stelle. Wenn dieses Programm Realität würde, würde wieder einmal die Teilhabe am Recht, die Teilhabe an der Gesellschaft und die Teilhabe an unserer Gesellschaft im ländlichen Raum zurückgedrängt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben die aus Ihrer Sicht jetzt notwendigen Maßnahmen mit nicht sehr substanziellen, aber umfangreichen Ausführungen über die Krise begründet. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie sich auf Aussagen des Rechnungshofs aus dem Jahr 2005 bezogen. Das war deutlich vor der Krise.

Sie sagen: Wir haben jetzt eine Krise, da gehen wir doch einmal davon aus, dass jetzt deutlich weniger Arbeitsgerichtsverfahren anhängig werden, weil es mit Arbeitsplätzen im Land keine Probleme gibt. Deswegen setzen wir das, was der Rechnungshof im Jahr 2005 gesagt hat, heute um. Verstärkt wird das durch die Krise. – Sie müssen mir schon zugestehen, dass ich da weder etwas Verantwortungsvolles noch etwas sozial Verträgliches oder etwas Intelligentes erkennen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Bevor nachher wieder die Frage kommt, wo wir sparen wollen, will ich den Spieß einmal herumdrehen.

(Zuruf)

Ich habe auch gerade eben hingeschaut. Er ist nicht da. Deswegen konnte ich das sagen. Ich danke für den Hinweis.

Warum denn sparen? Setzen Sie sich doch endlich einmal dafür ein, dass wir wieder Geld in die öffentlichen Kassen bekommen. Wir haben in den letzten Jahren 80 Milliarden c in den öffentlichen Kassen wegen der Sparprogramme von Rot-Grün, Schwarz-Rot und jetzt SchwarzGelb verloren. Setzen Sie sich doch endlich einmal dafür ein, dass wir wieder mehr Geld für die öffentlichen Hände haben. Dann wären solche Maßnahmen wie die, die Sie hier vorschlagen, schlicht und ergreifend überflüssig.

(Beifall bei der LINKEN)

Bitte ersparen Sie uns in Zukunft, immer wieder darauf hinzuweisen, dass uns das Grundgesetz zum Sparen verpflichten würde. Sie haben die Verantwortung dafür, dass das so im Grundgesetz steht.Sie können uns das nicht vorwerfen. Sie müssen jetzt die Verantwortung dafür übernehmen. Ich verstehe diesen Zusammenhang nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum zweiten Punkt. Ich bin da ganz bei meinem Vorredner,Herrn Jürgens.Sie sind uns schon eine Antwort darauf schuldig geblieben, wie Sie dieses angeb

liche Einsparpotenzial mit den Schließungen erreichen wollen. Da findet sich ein längerer Absatz über die Vorzüge der EDV. Dem kann ich weitestgehend folgen.

Weder durch den Einsatz der EDV noch durch die Zusammenlegung der Standorte wird jedoch die Zahl der Fälle oder die Anzahl der Sitzungen verringert. Es wird sich dadurch auch nicht der Verwaltungsaufwand verringern. Die Zahl der Säle und des Personals für die Sitzungen kann nicht unbegrenzt eingeschränkt werden.Einsparungen können Sie allenfalls bei der Besetzung der Eingänge der Gerichtsgebäude und durch die Einsparung einiger Stellen bei den Gerichtspräsidenten erreichen.

Zu etwas haben Sie überhaupt nichts gesagt.Das war aber auch wiederum typisch. Sie haben nichts dazu gesagt, was eventuell an neuen Belastungen hinzukommt, z. B. ein hoher finanzieller Aufwand für die Anmietung, den Umbau oder den Neubau der Gebäude, die Sie jetzt am neuen Standort benutzen wollen. Dazu haben Sie nichts gesagt.

Es gibt eine dritte Facette. Wir müssen uns schon anschauen, welche Nachteile durch die Schließung der Gerichtsstandorte und die Zusammenlegung kleinerer Gerichte zu größeren Einheiten entstehen. Es geht jetzt also um die Nachteile.

Sie wissen das. Sie haben das in der letzten Woche noch einmal lautstark gesagt bekommen. Wenn ein Amtsgericht oder ein Arbeitsgericht von seinem angestammten Ort verschwindet und an einen weiter entfernten Ort zieht, dann ist es für die Menschen nicht mehr wahrnehmbar. Wir wissen auch, dass kleinere Einheiten durchaus weniger abschreckend auf die Rechtsuchenden als riesige Justizpaläste wirken.

(Beifall bei der LINKEN)