Protocol of the Session on May 18, 2010

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden das machen und trotzdem noch sparen müssen, wenn wir die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten wollen. Wenn wir das nicht tun, dann werden wir weiterhin in die Verschuldung gehen. Das bedeutet, dass wir immer größere Teile unseres Vermögens und unseres Bruttoinlandsprodukts für den Schuldendienst aufwenden müssen, wie es schon jetzt in steigendem Maße der Fall ist. Um das zu ändern, braucht man keine ritualisierten Tabubrüche, Herr Ministerpräsident. Wir müssen uns vielmehr stark machen in der Frage: an den richtigen Stellen sparen, effizienter werden und drittens die Einnahmen erhöhen. – Herr Rentsch, Sie werden jetzt sagen, der GRÜNE hat keine Lösung. Ich glaube, unsere Lösung funktioniert tausendmal besser als Ihre – jedenfalls wenn ich mir die letzten sieben Monate anschaue.

Wir haben uns im Januar, lange vor der Griechenlandkrise, Gedanken gemacht. – Lachen Sie nicht.

(Lachen bei der FDP – Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Da steht nichts drin!)

Wir werden Ihnen Schritt für Schritt darlegen,wie wir den Weg aus der Schuldenfalle gehen können. Wenn ich mir die Entwicklung auf Bundesebene anschaue, bin ich auch sehr sicher, dass die Wirklichkeit Sie Schritt für Schritt von Ihrem Wahnsinnskurs abbringen wird.Die Steuersenkungen sind schon perdu. Das hat Frau Merkel immerhin gelernt. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir werden irgendwann an den Punkt kommen, dass wir uns auch über die Einnahmen Gedanken machen müssen. Sonst funktioniert dieses Gemeinwesen nicht mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Al-Wazir, bitte kommen Sie zum Schluss.

Wenn Sie den Schuss weiterhin nicht hören, dann bin ich nicht sicher, was die Ministerpräsidenten und Angela Merkel am Ende machen werden. Dann sind Sie sehr viel schneller wieder in der Opposition, als Sie gedacht haben.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich ihr Vorsitzender, Willi van Ooyen, zu Wort gemeldet. Bitte, Herr van Ooyen.

Herr Präsident,verehrte Damen und Herren! Manche aktuellen Meldungen, die uns jetzt erreichen, haben mich natürlich etwas überrascht: Die Finanztransaktionssteuer, die Frau Merkel jetzt fordert, war vier Stunden zuvor wahrscheinlich noch übles Zeug. Man hat es uns immer um die Ohren gehauen, wenn wir darüber geredet haben, dass das eine Möglichkeit wäre, wie man die Steuern erhöhen und Bedingungen schaffen könnte, die für unser Land und für ganz Europa sinnvoll sind.

Aber lassen Sie mich zunächst einmal über die dramatisch inszenierte Krisensitzung reden, die den Rat der EU-Finanzminister ein beispielloses Rettungspaket in der Gesamthöhe von 750 Milliarden c erzeugen ließ. Damit sollen Spekulanten auf den Finanzmärkten von weiteren Attacken gegen hoch verschuldete EU-Staaten abgeschreckt werden, und der Wechselkurs des Euro soll gegenüber dem Dollar und anderen Währungen stabilisiert werden. Ob die Bekanntgabe dieses Rettungspakets eine solche Wirkung hat, muss sich erst noch zeigen. Kurzfristig sind die Kurse an den Aktienbörsen und auch der Eurowechselkurs gestiegen.Aber das hat sich inzwischen wieder gelegt.

Nach Meinung aller Beteiligten bestand dringender Handlungsbedarf. Schon unmittelbar nach der Genehmigung der sogenannten Griechenlandhilfe am 2. Mai hat es Signale gegeben, dass die Spekulanten nun auch andere EU-Staaten mit hohen Schulden ins Visier nehmen würden. Von Ansteckungsgefahr, Dominoeffekt und drohendem Flächenbrand war die Rede. Insbesondere Spanien wurde als nächster Wackelkandidat ausgemacht. Kurz zuvor hatten Ratingagenturen die Bonität portugiesischer und spanischer Staatspapiere herabgestuft.

Als dann auch noch der Wechselkurs des Euro auf den Jahrestiefststand rutschte und die Aktienkurse an den europäischen Börsen plötzlich abstürzten, schrillten die Alarmglocken in den EU-Zentralen grell.Von einer weltweit organisierten Attacke gegen den Euro war die Rede. Nun sei eine Generalmobilmachung dagegen nötig. Aus der Griechen-Krise war innerhalb einer Woche eine Eurokrise geworden.

Nun konnte sich auch die deutsche Kanzlerin dem Drängen anderer nicht mehr entziehen.Am 7. Mai berieten die Staats- und Regierungschefs der Eurozone unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Umstände eiligst über die Einrichtung eines neuen europäischen Stabilisierungsmechanismus. Zwei Tage später wurde das Vorhaben auf einer außerordentlichen Tagung des Finanzministerrats der EU abgesegnet.

Aber was ist der Preis für diese Eurorettung? Wie schon bei der Griechenlandhilfe ist die Inanspruchnahme an scharfe Bedingungen und Auflagen gebunden. „In allen EU-Staaten müssten die ÇPläne für finanzielle Konsolidierung und strukturelle Reformen’“ – so werden sie genannt – „jetzt Çbeschleunigt’ werden.“ So heißt es in dem Papier, das die Finanzminister beschlossen haben. Portugal und Spanien werden aufgefordert, dem Rat der Finanzminister bis zum 18. Mai, also bis morgen

(Zurufe: Heute ist der 18.!)

bis heute, vielen Dank –, signifikante zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen für 2010 und 2011 vorzulegen. Mit anderen Worten: Der beschlossene Stabilisierungsmechanismus wird benutzt, um Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben, endlich auf den Pfad der neoliberalen Tugenden zurückzukehren.

Die vom Herrn Ministerpräsidenten vorgeschlagenen ersten Kürzungsrunden bei der Bildung und bei der Kinderbetreuung sollen also nur der Anfang sein. Mit dem Hinweis auf die Stabilität des Euro werden alle EU-Staaten zu einem verstärkten Sparkurs im Inneren gezwungen. Das heißt, die Stabilisierung des Euro wird von der Bevölkerung der EU-Staaten mit weiterem drastischem Sozialabbau, Verschlechterung der Renten, Einschränkung der Ausgaben für Gesundheit und Bildung und weiterem Stellenabbau bei den öffentlichen Diensten bezahlt.

Die EU bleibt ihrer Lissabon-Strategie treu, in der festgeschrieben wird, dass sich die neoliberale Grundausrichtung weiter verschärfen soll. Die Geldwertstabilität des Euro hat Vorrang vor allen sozialen Anliegen. Die Lasten der Wirtschaftskrise werden mittels EU-Vorgaben auf die Bevölkerung abgewälzt. In erster Linie gerettet werden damit die in Euro notierten großen Vermögen der Reichen,die Kriegskassen der multinationalen Konzerne und ihre Fähigkeit, mit dem harten Eurofirmen in anderen Ländern aufzukaufen und Standorte zu verlagern.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Deshalb wollen Sie einen weichen Euro!)

Herr Milde, in dem beschlossenen Papier ist auch von der Notwendigkeit rascher Fortschritte bei der Finanzmarktregulierung, insbesondere hinsichtlich des Derivatmarktes und der Rolle der Ratingagenturen, die Rede. Aber von konkreten Schritten in diese Richtung und von echten Maßnahmen zur Bekämpfung der Spekulation ist in dem Text nichts zu finden.

In der Zwischenzeit wurden neue Details aus dem „Einverständnismemorandum“ bekannt, das mit Datum vom 2. Mai von EU, IWF und der griechischen Regierung unterzeichnet worden ist. Damit wird bestätigt, dass die griechische Regierung praktisch nur noch das ausführende Organ einer von EU und IWF diktierten Arbeitsund Auftragsliste ist. Im Einzelnen fordert die neoliberale Phalanx von der griechischen Regierung Folgendes – da ich in der Bundesrepublik nichts gefunden habe, habe ich diese Information der „L’Humanité“ entnommen –: Bis Ende Juni 2010 muss die griechische Regierung ein Gesetz verabschieden lassen, das die monatliche Veröffentlichung von Daten über alle Einnahmen und Ausgaben des Staates vorsieht.

Nach dem zweiten Quartal 2010 muss die Regierung Maßnahmen zur Privatisierung und Rationalisierung des Eisenbahnwesens vorlegen, einschließlich der Schließung Verlust bringender Strecken.

Im dritten Quartal 2010 muss die griechische Regierung ihre Kürzungspläne für die öffentliche Verwaltung vorlegen. Gebietskörperschaften sollen fusioniert werden, und die Zahl der Staatsbediensteten soll brutalstmöglich reduziert werden. Ab 2012 gilt die Regel, dass von fünf Staatsangestellten, die in Rente gehen, vier nicht mehr ersetzt werden.

Im dritten Quartal 2010 ist ein Regierungsdekret über die Liberalisierung der Elektrizitätsversorgung und die Rationalisierung der Stromtarife vorzulegen.

Im vierten Quartal 2010 soll die Regierung einen Plan zur Privatisierung von Staatsunternehmen und anderem staatlichem Eigentum vorlegen, dessen Ziel es ist, in der Periode von 2011 bis 2013 mindestens 1 Milliarde c zu erlösen. Die Gesundheitsversorgung wird unter die Kontrolle des Finanzministeriums gestellt und buchhalterischen Regeln unterworfen.

Im vierten Quartal 2010 sind Maßnahmen zur Verstärkung der Einrichtungen des Arbeitsmarktes vorzulegen. Vorgesehen sind die Reduzierung der Kosten für Überstunden und die Einführung von mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitregelung. Die Tarifverträge sollen Öffnungsklauseln erhalten, die es ermöglichen, in einzelnen Unternehmen Löhne unterhalb des Tarifniveaus einzuführen. Der staatliche Mindestlohn – immerhin gibt es den in Griechenland – wird für drei Jahre auf dem gegenwärtigen Niveau von 4,28 c eingefroren.Auch die Renten werden eingefroren, und die Möglichkeit von Rentenkürzungen ist faktisch eingeplant. Das Renteneintrittsalter wird schrittweise auf 65 Jahre angehoben.Ab 2020 wird es alle drei Jahre in Abhängigkeit von der Entwicklung der Lebenserwartung angepasst.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das kommt viel zu spät! Das alles hätte schon längst gemacht werden müssen!)

Festgeschrieben ist auch, dass der Gesamtaufwand für die staatlichen Sozialrenten bis zum Jahr 2060 nicht mehr als 2,5 % des jährlichen Bruttoinlandsprodukts betragen darf.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Was haben unsere Rentner denn gemacht?)

Anders als die Staatshaushalte und die Mehrheit der Menschen, die auf handlungsfähige Staaten angewiesen sind, werden die Banken verschont – mehr noch: Sie können weiter an der Krise verdienen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Koch, Sie geben an, in Ihrer Regierungserklärung auch auf die Notwendigkeit der Beteiligung von Spekulanten und Banken an der Bewältigung der Krise hingewiesen zu haben. Aber wenn dies international nicht durchsetzbar ist,wollen Sie lieber die Finger davon lassen. Die Banken haben weiterhin die Möglichkeit, sich bei der EZB billig Geld zu leihen und dies anschließend zu Wucherzinsen an die europäischen Staaten weiterzuverleihen.

Aber statt den Spekulanten Einhalt zu gebieten, lassen Sie zu, dass diese die schwarz-gelben Regierungen vor sich hertreiben. Erst unter dem Druck der Spekulanten ließen Sie Vorbehalte unter den Tisch fallen, mit deren Hilfe Sie noch vor wenigen Wochen eine rechtzeitige Hilfe für Griechenland verhindert und so die Krise des Euro noch einmal verschärft haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe heute eine Zeitung gelesen, in der Folgendes stand

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU):Welche?)

ich sage es Ihnen gleich –:

Wie die Politik den Banken das Paradies erschafft.

(Leif Blum (FDP): Das stand im „Neuen Deutschland“!)

Das ist falsch. Das stand heute Morgen in der „Financial Times Deutschland“.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Axel Wintermeyer (CDU): Können Sie noch mit Genuss frühstücken, wenn Sie die lesen?)

Natürlich kann ich das. Ich habe das heute Morgen gelesen. Dabei ging es mir richtig gut. Ich brauchte das „Neue Deutschland“ gar nicht zu lesen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Endlich hat er einmal eine anständige Zeitung in der Hand!)

Ich meine, das fasst die Situation gut zusammen.

Sie sagen: Das Hilfspaket für Griechenland verhindert, dass uns die Währungsunion um die Ohren fliegt. – Ich sage Ihnen: Die Währungsunion wird uns um die Ohren fliegen,wenn Sie weiterhin in Deutschland rabiates Lohndumping fordern und fördern, mit dem wir die anderen Euroländer totkonkurrieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Koch – er ist leider nicht da –, deshalb ist Ihr Lob für die deutschen Gewerkschaften für deren Lohnzurückhaltung nicht angebracht. Die Lohnzurückhaltung in Deutschland ist eine Ursache für die Finanzkrise. Das analysieren alle vernünftigen Ökonomen.

Für das Protokoll will ich Folgendes sagen: Herr Ministerpräsident Koch hat sich für wenige Minuten entschuldigt.

Deutsche Unternehmer haben aufgrund des deutschen Lohndumpings seit dem Jahr 2000 einen Außenhandelsüberschuss von 1,3 Billionen c erzielt. Dies führte zu einer Verschuldung anderer Länder, die sich mittelbar auch in Gestalt wachsender Staatsdefizite auswirkt. In Europa sind dies vor allem die Südländer. Deshalb geraten sie auch als Erste ins Visier der Finanzmärkte.