Bei der Debatte zu Hartz I im Bundestag hat der damalige SPD-Wirtschaftsminister Clement, der heute auf keiner Veranstaltung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft fehlen darf, darauf hingewiesen, dass sich im Kern alle damals im Bundestag vertretenen Fraktionen einig seien, dass der Ausbau des Niedriglohnsektors ein zentrales Anliegen sei, um sogenannte verkrustete Strukturen zu modernisieren, wie es damals hieß. Ich finde es sehr
passend, dass Herr Clement nach seinem Ausscheiden aus der Regierung einen hoch dotierten Posten bei einer Zeitarbeitsfirma angenommen hat und jetzt die Zeitarbeit aus ihrer Schmuddelecke holen möchte, wie er es sagt.
Jetzt will sich die SPD für die Regulierung der Leiharbeit einsetzen, nachdem sie in der Regierung die Deregulierung des gesamten Arbeitsmarkts vorangetrieben hat. Sie machen sich jetzt daran, in der Opposition Probleme zu lösen, die Sie als Regierung geschaffen haben.
der sich offensichtlich bei Hartz I einstellt. Es wäre gut, wenn er sich auch noch bei Hartz IV einstellen würde und Sie versuchten, den Menschen zu helfen, denen Sie damals die Sicherheiten genommen haben.
Wir brauchen Sofortmaßnahmen,um die Situation zu verbessern: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Leiharbeit darf nicht schlechter entlohnt werden, beispielsweise durch eine Flexibilitätsvergütung. Wir brauchen eine Begrenzung der Überlassungshöchstdauer, wir brauchen eine Ausweitung der Mitbestimmung auf die Leiharbeit. Wir brauchen ein Verbot von Leiharbeit in bestreikten Betrieben.
Herr Decker, ich finde es gut, dass Sie diese Vorschläge alle gut und richtig finden. – DIE LINKE hat diese Vorschläge erst kürzlich in den Deutschen Bundestag eingebracht. Alle anderen Fraktionen haben diese Vorschläge zur Regulierung von Leiharbeit abgelehnt.
Mein letzter Satz: Die Leidtragenden sind die Arbeitnehmer; denn Leiharbeit schafft betriebsratsfreie Zonen, spaltet die Belegschaften und versucht, sie zu disziplinieren. Deshalb sind wir der Meinung, Leiharbeit muss wieder gesetzlich verboten werden. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für die Landesregierung hat nun Herr Arbeitsminister Banzer das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Über eines ist sich eigentlich ganz Europa einig: dass
Deutschland in schwierigen Zeiten mit seinem Arbeitsmarkt beachtlich gut über die Runden gekommen ist. Das ist eines der Dinge, auf die nach meiner Überzeugung die Politik insgesamt Grund hat stolz zu sein. Dieses Überdie-Krise-Kommen ist uns bis zum heutigen Zeitpunkt vor allem deswegen gelungen, weil der Arbeitsmarkt flexibel war und weil die Instrumente, die eingesetzt waren, passgenau gestimmt haben.
Ich glaube nicht, dass man eine Diskussion darüber führen sollte, was alles falsch läuft und was dringend reformiert werden muss. Vielmehr muss man sicherlich darüber reden, ob an jeder Stelle im Rahmen der Erhöhung der Flexibilität alle Kriterien richtig angesetzt werden, wo die Instrumente Missbrauchsmöglichkeiten zulassen und wie man sie so behutsam korrigieren kann, dass die Flexibilität erhalten bleibt, aber der Missbrauch reduziert oder vermieden wird.
Ich glaube, dass es in diesem Zusammenhang auch wichtig ist, den Blick für die Dimensionen zu behalten. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Lediglich 1,6 % der Arbeitsverhältnisse in Deutschland sind Zeitarbeitsverhältnisse. Das ist also kein Riesenproblem. 62 % aller neu begonnenen Zeitarbeitsverhältnisse werden von Menschen eingegangen, die vorher nicht in Arbeit waren. Das halte ich für ein ganz dramatisches Argument, weil daran ganz offensichtlich und deutlich wird, dass das eine geeignete Tür ist,um wieder in Arbeit zu kommen.Wenn es uns dann noch gelingt, eine nennenswerte Zahl dieser Zeitarbeitsverhältnisse in dauerhafte Anstellungen zu überführen, dann ist das ein ganz wesentlicher positiver Aspekt. Die Arbeitsmarktforschung ist noch nicht so weit,uns verlässliche Zahlen geben zu können; die Schätzungen variieren zwischen 10 und 30 %.
Ich glaube auch nicht, dass es richtig ist, Zeitarbeit immer nur als eine Niedriglohnstruktur darzustellen. Beispielsweise könnten viele Altenpflegeheime die Fachquote überhaupt nicht mehr erfüllen, wenn sie nicht die Möglichkeit hätten, sehr kurzfristig auf Zeitarbeitsfirmen zurückzugreifen, die ihnen helfen, die Quote zu erreichen. Ansonsten hätten wir das Problem, die Belegungen der Heime sehr kurzfristig zurückfahren zu müssen. Das wäre sicherlich nicht im Interesse der Betroffenen.
Ich glaube also, dass es wichtig ist, dass man darüber diskutiert. Frau von der Leyen hat für die Bundesregierung Initiativen angekündigt und in Gang gesetzt, z. B. zum Fall Schlecker. Darüber müssen wir reden. Wir wollen keine reine Marktwirtschaft, sondern weiterhin eine soziale Marktwirtschaft haben. Ich glaube, dass Zeitarbeit ein wichtiges positives Mittel für einen gedeihlichen und erfolgreichen Arbeitsmarkt und für eine gute und erfolgreiche soziale Marktwirtschaft ist.
Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt.
Es ist vorgeschlagen, den Antrag der SPD-Fraktion und den Antrag der Fraktion DIE LINKE an den Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit zu überweisen. Was soll mit dem Dringlichen Entschließungsantrag geschehen?
Das habe ich mir schon gedacht. – Dann überweisen wir alle drei gerade behandelten Tagesordnungspunkte an den Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit.
Ich habe folgende frohe Nachricht zu überbringen: Die Geschäftsführer haben sich gerade abgesprochen, dass wir nach diesem Tagesordnungspunkt in die Mittagspause eintreten. Ich unterbreche die Sitzung bis 14:45 Uhr. Ich wünsche Ihnen guten Appetit.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie,Platz zu nehmen,damit wir die unterbrochene Sitzung fortführen können.
Eingegangen sind zwei Dringliche Anträge, die auf Ihren Plätzen verteilt wurden. Ich komme zuerst zu dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN betreffend erneute völlig unangemessene Äußerungen des Abg. Irmer, Drucks. 18/2287. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 72. Redezeit: fünf Minuten pro Fraktion. – Zur Geschäftsordnung, Herr Wagner.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich zur Geschäftsordnung zu Wort gemeldet, um vorzuschlagen, dass wir diesen Antrag, den meine Fraktion gestellt hat, heute möglichst unmittelbar behandeln.
Es steht eine unglaubliche Entgleisung des Kollegen Irmer im Raum. Heute steht in der „Wetzlarer Neuen Zeitung“ – ich zitiere –:
Diese unglaubliche Entgleisung sollte von diesem Landtag so schnell wie möglich zurückgewiesen werden.
Diese Äußerungen widersprechen in so eklatanter Weise den Beschlüssen dieses Hauses, dass wir ganz schnell einen Beschluss fassen sollten, der für die Öffentlichkeit klarstellt: Das ist nicht die Meinung dieses Hauses, das ist nicht die Meinung des Hessischen Landtags, der Hessische Landtag distanziert sich von Äußerungen, wie ich sie hier vorlesen musste.
Deshalb beantrage ich für meine Fraktion, dass wir diesen Antrag möglichst schnell aufrufen, dass das möglichst schnell aus der Welt geschafft werden kann. Wir beantragen, dass unser Antrag unmittelbar nach dem Setzpunkt der FDP, also nach dem nächsten Tagesordnungspunkt, aufgerufen und behandelt wird. Wir gehen von der Zu
stimmung des gesamten Hauses aus, weil wir der Meinung sind, dass alle Kolleginnen und Kollegen ein Interesse haben, sich von diesen unglaublichen Äußerungen zu distanzieren.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wagner, wir haben der Dringlichkeit nicht widersprochen – das ist Ihnen sicherlich aufgefallen –, weil über Anträge, die die GRÜNEN stellen, durchaus diskutiert werden kann. Wann wir darüber diskutieren, ist eine andere Frage.
Ich erinnere mich daran,dass wir am Dienstagmorgen,gegen 8:45 Uhr, von Ihnen, den Antragstellern, gehört haben, dass wir bestimmte Anträge – ich nenne das Stichwort „Enquetekommission Fluglärm“ – unbedingt in diesem Plenum behandeln müssen. Jeder Punkt, den wir jetzt dazwischenschieben, führt dazu, dass ein anderer Punkt, den wir im Arbeitsprogramm des Hessischen Landtags haben, nicht mehr behandelt werden kann. Deswegen werden wir einer Behandlung dieses Antrags, wie Sie es vorgeschlagen haben, nicht zustimmen.
Wir können im Hessischen Landtag jederzeit über Äußerungen diskutieren, aber die Wiederholung solcher Anträge zeigt im Prinzip – –
(Janine Wissler (DIE LINKE): Er wiederholt es ja! – Weitere Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Herr Al-Wazir, Ihr Gedächtnis scheint kürzer zu sein als Ihre Haare. – Eine Wiederholung ist insofern gegeben, weil wir über den „Wetzlar Kurier“ hier im Plenum schon häufiger diskutiert haben, weil es angeblich dringlich war.