Protocol of the Session on April 28, 2010

Meine Damen und Herren, mehr als 50 % der Betriebe, die Zeitarbeit einsetzen, setzen diese weniger als drei Monate lang ein. Das halte ich auch für eine ganz wichtige Zahl, weil immer wieder gesagt wird, es würde dauerhaft

eingesetzt. Nur 10 % nutzen es ununterbrochen ein Jahr lang.

(Wolfgang Decker (SPD): Es geht um die, die hier Missbrauch betreiben!)

Ja, natürlich.Aber Sie stellen das immer so dar, als wäre dies die Mehrheit des Ganzen. – Das ist nicht der Fall. Es sind 10 % der Betriebe, die die Zeitarbeitnehmer durchgängig für ein Jahr lang einsetzen. Deswegen lehnt die CDU-Fraktion die Quotierung und Begrenzung der Verleihzeit weiterhin ab.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich will aber trotzdem auf einen Punkt eingehen – Herr Kollege Mick hat mir das schon ein Stück weit vorweggenommen –, auf Punkt 5 Ihres Antrags, wo Sie sagen, dass jeder achte Arbeitnehmer zusätzlich zum Zeitarbeitsgehalt Arbeitslosengeld II dazubekomme. Das ist so nicht ganz richtig. Es sind ca. 10 % der Zeitarbeitnehmer, die zusätzlich ALG II bekommen.Man muss auch dazusagen, dass ein Großteil dieser Personen Teilzeitkräfte sind. Das heißt: Ein Großteil sind vermutlich alleinerziehende Mütter, die einfach nur Teilzeit arbeiten können und deswegen auch einen Zuschuss bekommen.

Herr Kollege Burghardt, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Letzter Punkt. Wir sind im Bereich der Zeitarbeit auf einem guten Weg. Es gibt christliche Gewerkschaften, die jetzt Tarifverträge abschließen; und der DGB – das wird jetzt Sie von der kommunistischen Seite und die Gewerkschafter freuen – hat sich drangehängt.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Eieiei!)

Das bedeutet eine starke Verbesserung für die Zeitarbeitnehmer. Zum letzten Satz: Die CDU-Fraktion ist natürlich gegen den Missbrauch der Zeitarbeit zum Lohndumping. Dort, wo Lohndumping passiert, muss man sich diesen Vorwurf anschauen und Maßnahmen ergreifen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Burghardt. – Nächster Redner ist Herr Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, es ist nicht angebracht, dieses Problem der Zeitarbeit darauf zu reduzieren, ob es die Regierung Schröder/Fischer initiiert hat oder nicht. Die politische Dimension liegt darin, dass es der Politik generell gut ansteht,wenn sie Gesetze verabschiedet,in der Lage zu sein, nach fünf oder sechs Jahren solche Gesetze auch selbstkritisch zu evaluieren. Daher finde ich es relativ unangebracht, dazu Zwischenrufe zu machen oder es politisch so zu fahren: Das war doch Ihre Bundesregierung. Wollen Sie jetzt eine Rolle rückwärts machen? – Ich finde das al

bern.Als Politiker finde ich es richtig, unabhängig davon, ob man etwas in der Opposition oder in der Regierung beschlossen hat –

(Janine Wissler (DIE LINKE):War es denn falsch?)

Sekunde, Frau Kollegin, dazu komme ich gleich –, dass man evaluiert und, wenn man Korrekturbedarf hat und Nachsteuerungseffekte benötigt, auch dazu steht. Ich finde, das tut jeder Regierung gut. Es täte der Hessischen Landesregierung übrigens in vielen Dingen auch gut, wenn sie sagt: „Wir haben da etwas beschlossen, und wir merken, dass das in eine Richtung fährt, die wir so nicht beabsichtigt haben“, dass man sich der Sache annimmt und darüber redet. Im Wesentlichen ist das auch so passiert.Ich finde nur die hämischen Nebengeräusche der Sache nicht dienlich.

(Beifall der Abg. Mathias Wagner (Taunus) und Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich will nun etwas zur Sache sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Arbeitnehmerüberlassung wurde lange Zeit ausschließlich dazu genutzt, Auftragsspitzen abzufangen und kurzfristige Ausfälle von Beschäftigten zu kompensieren. Wenn Sie darüber ernsthaft nachdenken, dann werden Sie feststellen, dass wir die Leiharbeit, so wie sie sich heute darstellt, nicht mehr ernsthaft in diesem Lichte sehen können. Sie wird längst dazu benutzt, Stammbelegschaften zu ersetzen und Lohnkämpfe zu führen. Insofern ist die Frage, die es zu beantworten gilt, bevor wir in die konkrete Diskussion einsteigen: Gibt es einen Nachsteuerungsbedarf, oder gibt es ihn nicht? – Meine Fraktion sieht das genauso wie die der SPD:Es gibt einen Nachsteuerungsbedarf, weil Zeitarbeit, so wie sie heute organisiert ist, Probleme hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir sagen: Der Arbeitsmarkt von heute verlangt mehr denn je Risikobereitschaft.Mobilität,Flexibilität,das alles verlangt er von den Beschäftigten.

Wir sagen auch, dass die einseitige Verlagerung des Risikos in der flexibilisierten Arbeitswelt auf die Beschäftigten und prekär Arbeitenden so nicht akzeptabel ist. Wir brauchen deshalb eine ausgewogene Balance von Flexibilität und Sicherheit und zugleich auch mehr Souveränität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über ihre Lebensarbeitszeit. Für ihre berechtigten Interessen muss gesorgt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das muss man in dieser Stunde einmal sagen, wenn es um den politischen Überbau geht. Wenn wir sagen, dass wir die Risikobereitschaft belohnen müssen, dann wiederhole ich gerne die fünf Forderungen, die meine Fraktion im Bundestag – das ist vornehmlich ein bundespolitisches Thema – eingebracht hat. Die Forderungen beschränken sich auf fünf Punkte:

Wir brauchen erstens eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die in der Arbeitnehmerüberlassung tätig werden.

Wir brauchen zweitens das gleiche Geld ab dem ersten Tag für diese Zielgruppe.

Wir wollen drittens, dass der Mindestlohn selbstverständlich auch für diese Branche eingeführt wird.

Viertens sagen wir nach dem französischen Modell:Wenn es um dieses Risiko geht, das die Menschen in Zeitarbeit

haben, soll es einen Risikozuschuss von 10 % geben. – Dieses Modell gibt es in Frankreich.Wir finden es richtig, dass der Bruttoarbeitslohn um 10 % sozusagen aufgestockt wird. Diese vierte Forderung macht in diesem Zusammenhang auch Sinn.

Ich setze mich fünftens nachhaltig – das war auch ein politisches Thema hier – für eine Quotierung ein. Für Kundenunternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten würde dann eine Grenze von 10 % beim Einsatz von Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmern gelten. Diese Quote finden wir richtig.

Diese fünf Punkte haben wir in den Bundestag als Nachsteuerungsbedarf für das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingebracht.Wir finden das so richtig.Ich glaube,man kann es nicht so stehen lassen, wie es bisher ist.

Deshalb sage ich es noch einmal: Zwischen der radikalen Liberalisierung des Arbeitsmarktes, der Radikalisierung der neoliberalen Position von Arbeitnehmerentrechtung auf der einen Seite und der Position von Linkspartei und Kommunisten auf der andere Seite, dass jegliche Flexibilisierung Teufelswerk ist, gibt es eine Stimme der Vernunft, die sagt: Flexibilisierung war richtig, eine Nachsteuerung zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist in dieser Stunde das Gebot. Deswegen finden wir den Weg, den die SPD eingeschlagen hat, richtig. Wir begleiten ihn mit eigenen Forderungen, und wir sollten ihn nach fünf Jahren jetzt so beschreiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Die nächste Rednerin ist nun Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Fall Schlecker macht gerade bundesweit Schlagzeilen. Schlecker entlässt Tausende Mitarbeiterinnen,um sie in als Leiharbeiterinnen wieder einzustellen, aber dann befristet und zu Niedrigstlöhnen, von denen man nicht leben kann. Diese Beschäftigten werden zu Aufstockern; Schlecker bereichert sich also auf Kosten der Allgemeinheit.

Die vorgestrige Entscheidung des Marburger Arbeitsgerichts, das den Mitarbeiterinnen, die sich gegen diese Praxis wehren, recht gegeben hat, ist eine große Schlappe für Schlecker, und das begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Patrick Burghardt (CDU))

Schlecker ist die Spitze des Eisberges, aber Schlecker ist kein Einzelfall. Leiharbeiter sind oft die ehemaligen regulär Beschäftigten, die auf Gehalt, betriebliche Altersvorsorge, Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten müssen. Oftmals werden so Tarifverträge unterlaufen und Lohndumping betrieben.

Zu Recht fordert die Gewerkschaft ver.di eine generelle Überprüfung der Regeln für Leiharbeit. Die Stundenlöhne in der Zeitarbeitsbranche liegen bei durchschnittlich 7 c. Leiharbeiter zu sein heißt, auf Abruf zu leben, ohne feste Arbeitszeiten und ohne eine verlässliche Lebensperspektive.

Zu den viel beschworenen Klebeeffekten, wonach Menschen durch die Leiharbeit irgendwann in einem Betrieb hängen bleiben und eine reguläre Beschäftigung finden, ist zu sagen: Die stellen sich kaum ein. Warum denn auch sollten Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter übernommen werden, wenn man doch gerade einen Teil der Stammbelegschaft in die Leiharbeit ausgegliedert hat?

Der einzige Klebeeffekt, der festzustellen ist, ist der Profit,der bei den Zeitarbeitsfirmen kleben bleibt.Von denen gibt es mittlerweile sage und schreibe 7.000 in Deutschland, eine wirklich boomende Branche, die auch davon profitiert, dass die Arbeitsagenturen 60 % ihrer sogenannten Kunden in die Zeitarbeit vermitteln.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Zuge der Krise wurden die Leiharbeiter als Erste gefeuert. Jahrelang wurde vom atmenden Arbeitsmarkt gesprochen. In der Krise hat sich gezeigt, wie das tiefe Ausschnaufen eines deregulierten Arbeitsmarktes Tausende Menschen in Verzweiflung bringt.

Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen: Wenn SPD und GRÜNE heute die Auswüchse von Leiharbeit und Niedriglöhnen beklagen, dann muss man sie daran erinnern, dass es eine rot-grüne Regierung war,die die „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ zu verantworten hat. Diese Gesetze sind besser bekannt als HartzGesetze. Sie sind die Grundlage für die Ausbreitung von Leiharbeit in Deutschland. Diese Politik hat Rot-Grün vorangebracht.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch die Grundlage für die Linkspartei!)

Gerhard Schröder sagte 1999:

Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen, der die Menschen, die jetzt Transfereinkommen beziehen, wieder in Arbeit und Brot bringt.

Meine Damen und Herren, heute arbeiten immer mehr Menschen in Beschäftigungsverhältnissen, von denen man nicht mehr leben kann. Rot-Grün hat die Voraussetzungen für die Erosion der regulären und abgesicherten Beschäftigung geschaffen.

(Wolfgang Decker (SPD): Das ist immer die alte Leier! Sagen Sie, wie es besser geht!)

Das Ergebnis sind Leiharbeit, Minijobs, die Befristung von Arbeitsverhältnissen und der Abbau des Kündigungsschutzes.Außerdem haben Hartz IV und Leiharbeit die Löhne in Deutschland gedrückt.Das Ergebnis können wir alle sehen.

Noch in den Fünfziger- und Sechzigerjahren war die Arbeitnehmerüberlassung, also die Leiharbeit, in Deutschland verboten. Sie wurde mit unerlaubter Arbeitsvermittlung gleichgesetzt. Erst Anfang der Siebzigerjahre wurde das in der Form dereguliert, und unter Rot-Grün sind dann alle Dämme gebrochen.

(Wolfgang Decker (SPD):Wie selbstgerecht!)