Protocol of the Session on April 28, 2010

Die zwei Minuten sind um, Herr Schäfer-Gümbel. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zu meinem letzten Satz. – Die Vorschläge von Herrn Weimar sind aus unserer Sicht sehr diskussionswürdig. Sie enthalten viel extrem Kluges und Richtiges. Wir werden sie in weiten Teilen unterstützen, weil sie es wert sind. Das, was die FDP vorgeschlagen hat, ist es nicht wert, und dazu hätten Sie sich heute verhalten können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Herr Schäfer-Gümbel. – Nun haben Sie die Gelegenheit zur Antwort, Herr Milde. Sie haben ebenfalls zwei Minuten.

(Günter Rudolph (SPD): Nur ein Wort zum Steuerkonzept der FDP, Herr Milde! Nur ein Wort! – Gegenruf des Abg. Fritz-Wilhelm Krüger (FDP): Das lässt sich nur mit zwei Worten beschreiben: Sehr gut!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt gar nicht mehr viel zu dem Thema sagen, weil ich mich sehr eindeutig zu der Frage geäußert habe, was wir uns leisten können und was nicht.

(Zuruf von der SPD: Kein Deut besser!)

Es ist überhaupt keine Frage, dass wir im hessischen Haushalt keinen Spielraum haben. Das habe ich hier sehr deutlich gesagt, und ich glaube, darüber brauchen wir nicht weiter zu reden.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Milde, schämen Sie sich fremd!)

Damit hier keine Legenden gebildet werden, was die SPD-Politik der letzten Jahre betrifft, möchte ich Ihnen Ihren Parteikollegen Poß näherbringen. Ich zitiere ihn wörtlich, damit keine Legenden entstehen:

Die beiden Leitplanken einer erfolgreichen Finanzpolitik,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!)

Haushaltskonsolidierung auf der einen und Steuersenkungen auf der anderen Seite,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Und Abgaben!)

gelten heute wie morgen. Darauf können Sie sich verlassen.

Bei Ihnen können wir uns jedenfalls nicht darauf verlassen, Herr Schäfer-Gümbel.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Deswegen haben wir es auch zusammen gemacht, Herr Milde!)

Meine Damen und Herren, wir setzen die Rednerfolge fort. Als Nächster spricht Herr van Ooyen, Fraktionsvorsitzender der LINKEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf ihrem Bundesparteitag in Köln hat die FDP – wieder einmal,muss man sagen – ein neues Steuerkonzept beschlossen.

Was uns dort präsentiert wurde, war einerseits der Versuch, das in die Realpolitik zu übersetzen, was von den neoliberalen Steuerexperten der Partei in elf Jahren der Opposition im Bundestag herbeifantasiert wurde. Andererseits war es der Versuch, den Schein zu wahren, man könnte tatsächlich in der gegenwärtigen Krisensituation der öffentlichen Haushalte Steuern senken und die eigene Klientel damit bedienen. Nicht zuletzt hat sie gebetsmühlenartig ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem gefordert, auch wenn sie damit nur umschrieben hat, was man gemeinhin „Steuergeschenke für Reiche“ nennen würde.

(Beifall der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE) – Zurufe von der FDP: Oh!)

Die FDP war also angetreten, ein niedrigeres, ein einfacheres und ein gerechteres Steuersystem zu schaffen. Das Konzept verfehlt allerdings alle drei Ziele.

Niedriger ist es nicht. Denn entlastet werden vor allem mittlere Einkommen, während die Pauschalierungen, die Sie vornehmen wollen, vor allem Geringverdiener belasten werden. Belastet werden auch die Leistungsträger, die sonntags und nachts arbeiten. Denn die entsprechenden Zuschläge wollen Sie ja besteuern. Offenbar gilt das Motto „Leistung soll sich wieder lohnen“ hier nicht.

Auch einfacher wird das Steuersystem durch Ihre Vorschläge nicht. Durch das Stufenmodell der FDP werden die Bürger nicht in die Lage versetzt, ihren Steuertarif ganz einfach selbst zu berechnen. Denn – anders als von Ihnen suggeriert – bei Ihrem Stufenmodell handelt es sich nicht um Stufen des tatsächlich zu zahlenden Effektivsteuersatzes, sondern um Stufen des Grenzsteuersatzes. Was das bedeutet, verstehen nur noch Steuerexperten, die sich selbst mit der Steuerformel auseinandergesetzt haben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die die Masse der Einkommensteuerpflichtigen bilden, kennen die Details dieser Steuerformel nicht.

Gerechter sind die Pläne der FDP schon deshalb nicht, weil die höchsten Entlastungen bei Einkommen über 53.000 c entstehen. Wer mehr verdient, darf nach Ihren Vorschlägen 1.534 c weniger an Steuern zahlen. Bei demjenigen, der allerdings weniger verdient, fallen auch die Entlastungen entsprechend geringer aus. Belastet werden sogar Bezieher niedriger Einkommen allein schon dadurch, dass Werbungskosten nur noch in Höhe von 2 % des Einkommens abzugsfähig sind.Wer mehr als 46.000 c verdient, profitiert hingegen von dieser Regelung.

Ihre Vorschläge führen also weder zu einem niedrigeren, zu einem einfacheren noch zu einem gerechteren Steuersystem. Es ist – wie von der FDP nicht anders zu erwarten – Klientelpolitik. Denn profitieren werden – wie gesagt – insbesondere die Einkommen ab 53.000 c. Alle anderen dürfen draufzahlen, da die staatlichen Leistungen in Zukunft zusammengestrichen werden müssen.

Wer also öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder von ermäßigten Eintrittspreisen für öffentliche Einrichtungen profitierte, wird nach Ihrem Modell bald weniger netto haben. „Mehr netto für alle“ gilt bei der FDP nur für die als Stammklientel auszumachenden Besserverdiener. Aber nichts anderes haben wir von Ihnen erwartet.

Der eigentliche Skandal ist jedoch, dass sich diese Partei hier immer wieder als die Sparpartei geriert. Wir kennen ja noch die Sparvorschläge aus den Bundesministerien und wissen, was aus ihnen geworden ist. Seit der schwarzgelben Bundesregierung gibt es mehr Staatssekretäre. Das heißt, es wird nicht mehr gespart, sondern es werden neue Schulden für Steuergeschenke gemacht.

Übrigens hätten wir kein Problem damit, dass die Landesregierung in der gegenwärtigen Krise Schulden aufnehmen würde, wenn damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisiert würde. Aber genau diese gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisieren Sie mit Ihren Steuergeschenken nicht.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das kommt immer darauf an!)

Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise wollen Sie Land und Kommunen über 800 Millionen c an Einnahmen wegkürzen.Wo sollen diese Summen eigentlich noch eingespart werden? – Diese Frage bleibt völlig offen.

Da gibt es immer noch die Hoffnung, dass wieder einmal die ominösen Selbstfinanzierungseffekte ziehen würden, die schon seit Jahrzehnten zu wachsenden Defiziten in den öffentlichen Kassen geführt haben. Wie gering diese sind, untersucht eine aktuelle Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass sich Steuersenkungen nur zu 25 % selbst finanzieren. Dies gilt aber auch nur dann, wenn nicht gleichzeitig die Ausgaben des Staates zurückgefahren werden. Genau das ist es aber, was sowohl

Bundesregierung als auch Landesregierung vorhaben: Steuern senken und Ausgaben kürzen. Dieses Rezept haben auch die Sparminister Waigel und Eichel schon versucht. Wachsende Arbeitslosigkeit und Schulden waren das Resultat.

Dies wird, sollten Sie Ihre Pläne wahrmachen, auch in Hessen in besonderem Ausmaße die Kommunen treffen. Sie nehmen den Kommunen jetzt schon 400 Millionen c weg. Diese haben sie nicht einmal.Was es bedeutet, wenn die hessischen Kommunen noch einmal zusätzlich über 150 Millionen c einsparen sollen,kann man sich nicht einmal ausmalen.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Man kann nichts wegnehmen, was man nicht hat!)

Ja, das stimmt. Aber diese Summe soll zusätzlich aus dem Betrag herausgenommen werden, der den Kommunen bisher noch zur Verfügung stehen sollte.

Mir zumindest fehlt dafür die Fantasie. Denn – anders, als es hier zum Teil suggeriert wird – in Hessen gibt es keine Stadt, die goldene Bordsteine hat, die man zur Aufbesserung der Stadtkasse verkaufen könnte.

Aber offenbar hat man bei der FDP für einiges Fantasie. Oder wie erklärt es sich, dass die Liberalen in ihrem Steuerkonzept die Absenkung der Grenzen für die Buchführungspflicht fordern, obwohl das schon längst – leider, muss ich hinzufügen – seit 2007 Gesetz ist? – Für mich ist dies ein Zeichen des zunehmenden Realitätsverlustes der Finanzpolitiker der FDP, die keine soziale Gerechtigkeit, ja auch keine Verteilungsgerechtigkeit wollen, sondern den Staat nachhaltig schädigen.

Es bleibt notwendig, gegen Steuerkürzungen für die Reichen bei gleichzeitig wachsenden Belastungen für die ärmeren Menschen aktiv und demonstrativ vorzugehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir werden dies mit der Aktion am 12. Juni in Stuttgart unter dem Motto: „Wir zahlen nicht für eure Krise“ erneut beweisen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr van Ooyen. – Als Nächste spricht Frau Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Milde, Sie waren wirklich nicht zu beneiden.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja!)

Sie mussten hier ein weltfremdes Konzept Ihres Koalitionspartners verteidigen. Dann haben Sie sich gerettet, indem Sie die wesentliche Aussage, nämlich das Steuersenkungsvolumen, einfach ausgeblendet haben, und das bisschen, was man durchaus positiv würdigen kann, haben Sie herausgezogen, um zu sagen: Wir müssen Vereinfachungen vornehmen. – Dann haben Sie die Steuervorschläge des Finanzministers gelobt, über die man wirklich reden muss. Da haben Sie Recht. Man muss darüber reden, wie man das Steuerrecht vereinfachen kann. Herr Kollege Milde, aber so kann es nicht gehen. Man kann doch nicht einfach sagen: „Das gefällt uns nicht. Das ist in der Parteizentrale entstanden. Dann schauen wir einmal,

wo die Realität die FDP noch erwischt.“ Ich finde,so kann es nicht gehen. Da sollten Sie sich ein bisschen mehr an dem orientieren, was die FDP beschlossen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Rentsch (FDP): So kann das aber nicht gehen!)

Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen vorstellen: 22,9, 19,9, 17, 15, 14. Das sind zwar fünf Zahlen, aber es ist nicht das Fünfstufenmodell der FDP. Meine Damen und Herren, das sind die Eingangssteuersätze des deutschen Einkommensteuerrechts von 2000 bis 2010. Der Eingangssteuersatz wurde also in den letzten zehn Jahren um 8,9 Prozentpunkte gesenkt. Bis zum Jahre 2005, also während der rot-grünen Bundesregierung, sind wir von 22,9 auf 15 % heruntergegangen. Das ist die Realität. Das ist das, womit wir uns auseinandersetzen müssen.

Diese Zahlenreihe könnte ich Ihnen auch für den Spitzensteuersatz aufmachen. Ich nenne nur die Eckdaten: 51 % im Jahr 2000. Dann hat Rot-Grün den Spitzensteuersatz bis 2005 auf 42 % gesenkt. Da ist er noch immer. Dazu gekommen ist jetzt die sogenannte Reichensteuer mit 45 % im Spitzensteuersatz bei sehr hohen Einkommen von über 250.000 c.

Meine Damen und Herren, wenn ich mir diese Zahlen betrachte, dann frage ich mich:Wo war die FDP eigentlich in den letzten zehn Jahren? Wo hat die FDP die letzten zehn Jahre verbracht? Die Steuersätze sind so niedrig wie nie zuvor in Deutschland seit 1958. Vor zehn Jahren, da mag Ihr DreistufensmModell – so hieß es damals noch – sicher eine wichtige Überlegung gewesen sein, wie man die damals zu hohen Steuersätze absenken könnte.Aber, meine Herren von der FDP, die Welt hat sich seitdem weitergedreht. Es hat die Absenkung gegeben, wie ich sie Ihnen vorgetragen habe.