Wer allerdings, wie Kollege Merz – so habe ich es jedenfalls in einer Pressemitteilung gelesen –, von „fantasierten Parallelgesellschaften“ spricht und behauptet, es gebe keine Parallelgesellschaften in Deutschland,
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Natürlich gibt es Parallelgesellschaften! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)
Bei allem Engagement für Integration: Sie ist keine Einbahnstraße, sondern erfordert Partnerschaft. Sie ist ein Angebot, eine Chance, die aktiv genutzt werden muss.
(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut, sehr differenziert!)
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Zu Anfang ebenfalls ein Satz zur Frage des Schulbesuchs von Kindern ohne legalen Aufenthaltsstatus: Wir werden den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mittragen und unterstützen, und wir hoffen und erwarten, dass es diesmal endlich zu entsprechendem ministerialem Handeln kommt.
Zum Hauptthema. Wie steht DIE LINKE zur Religion? Wie steht sie zum Religionsunterricht an staatlichen Schulen? Wie steht sie zu einem islamischen Religions
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das interessiert euch mehr als uns, wie ihr dazu steht! – Heiterkeit)
Luc Jochimsen, die kulturpolitische Sprecherin unserer Bundestagsfraktion, hat im letzten Jahr einmal pointiert die Frage formuliert, ob die Partei ihr Heiligstes aufgeben dürfe, nämlich den Atheismus. Viele Genossinnen und Genossen sind Atheisten oder Agnostiker, entweder sind sie – vor allem im Osten – so aufgewachsen, oder sie haben sich, so wie ich, im Laufe ihres Lebens dazu entwickelt. Es gibt aber auch die AG Christinnen und Christen in unserer Partei. Unser religionspolitischer Sprecher, Bodo Ramelow, kandidiert zum thüringischen Ministerpräsidenten,und über 20 Pastoren sind Mitglieder unserer Partei.
Im letzten Jahr haben wir eine allseits beachtete Tagung zum Thema „Religion und Sozialismus“ unter Beteiligung von Muslimen, von Juden und der christlichen Kirchen durchgeführt. Wir sind eine plurale Partei. Uns eint der Kampf gegen Ungerechtigkeit, für gleiche Lebenschancen, und es ist meines Erachtens nachrangig, ob Solidarität und Gerechtigkeit aus der Bibel,dem Koran,aus dem Marxismus oder der Arbeiterbewegung abgeleitet werden. Mir persönlich ist das Bekenntnis zur Autonomie, zur Befreiung auch von geistiger Fremdbestimmung wichtig, und ich werde Religion immer wieder darauf befragen, ob sie real existierende soziale Widersprüche als etwas von Gott oder Allah Gewolltes ansieht.
Ich bin sicher, dass der Glaube auch als Opium eingesetzt werden kann, damit sich die Menschen nicht gegen erfahrenes Unrecht wehren. Das ist die affirmative und staatstragende Funktion von Kirche. Auf der anderen Seite erleben wir, z. B. hier in Hessen, dass die Wohlfahrtsverbände und mit ihnen die Kirchen in den Wahlkämpfen mit klaren Aussagen soziale Gerechtigkeit eingefordert haben. Religion kann revolutionäre Kraft sein, wie bei der Befreiung von der Sklaverei oder in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, sie kann aber auch reaktionäre Ideologie der besitzenden Feudalklasse sein, wie im Mittelalter oder in der Kolonialzeit. Der Mensch macht die Religion, nicht die Religion den Menschen.
Beim Verhältnis von Staat und Religion – das geht jetzt natürlich an die CDU – wurde in der jüngsten Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass ein staatlich verordneter Atheismus der Freiheit der Menschen nicht dient.Auf der anderen Seite darf es aber auch keine staatliche Bevorzugung einer Religion oder der Religion im Allgemeinen geben. Religion muss Privatsache bleiben.
Wie steht die LINKE zum Religionsunterricht an staatlichen Schulen? Folgende Überzeugungen sind Konsens in unserer Fraktion und teilweise auch grundgesetzlich festgelegt.
Es darf keine staatliche Bevorzugung einer Religion oder der Religion im Allgemeinen geben. Der Staat ist zur Neutralität und Toleranz verpflichtet.
Religiös gebundene Kinder, gleich welcher Glaubensrichtung, dürfen keine Benachteiligung wegen ihres Glaubens erfahren. Die Weltanschauungs- und Glaubensbekenntnisse der Kinder und ihrer Eltern müssen geachtet werden.
Das Wissen über Religion und kulturelle Traditionen muss wichtiger Bildungsinhalt und Gegenstand schulischer Bildung sein. Dazu kann religionskundlicher Unterricht dienen, der wie jedes andere Schulfach auch benotet werden kann.
Ein bekennender Unterricht, wie er in Hessen als ordentliches Lehrfach nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes garantiert ist und an öffentlichen Schulen in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt wird, vermittelt die Werte und Glaubenslehren der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Dies verträgt sich unseres Erachtens nicht damit, dass dies ein benotetes und versetzungsrelevantes Prüfungsfach ist.
Ich wage jetzt einmal, eine Analogie dazu zu ziehen: Das wäre ein bisschen so, als ob nicht nur im Fach Politikwissenschaften Politikkunde unterrichtet und zum Prüfungsinhalt würde, sondern als ob jede politische Partei ihren eigenen PoWi-Unterricht durchführte, zu dem die Eltern ihre Kinder je nach ihrer politischen Gesinnung anmelden. Für die Kinder von Nichtwählern gäbe es dann das Fach Poli-Ethik. Ihre Noten erhielten die Kinder dann dafür, wie authentisch sie sich mit dem jeweiligen Parteiprogramm identifizieren könnten, d. h. in welchem Maß sie sich dazu bekennen könnten. Ich denke, das wäre abstrus, darin können Sie mir auch zustimmen.
Darüber können wir uns später gern noch einmal unterhalten. – Daher sind wir LINKE der Überzeugung, dass es, solange wir noch Noten brauchen, entweder eine benotete Religionskunde
oder einen bekennenden Unterricht geben sollte, der dann aber kein ordentliches Lehrfach mehr ist und ohne versetzungsrelevante Benotung abgehalten wird. Dies bedeutet dann allerdings eine Änderung des Art. 7 Grundgesetz; das ist uns schon klar.
Aber wir brauchen noch etwas anderes, und in einer Einwanderungsgesellschaft ist dies für den gesellschaftlichen Frieden ganz entscheidend. Dazu haben schon einige Leute vor mir etwas gesagt.
Für alle Kinder sollte es einen religions- und weltanschauungsübergreifenden Unterricht geben, in dem es um gemeinsame humanistische Werte, um deren Gefährdungen sowie um grundgesetzliche Garantien geht. Dieser Unterricht sollte für alle verpflichtend sein; er dürfte also nicht nur von den konfessionslosen Kindern besucht werden.
Unsere durch unterschiedliche Religionen, Weltanschauungen und Kulturen geprägte Gesellschaft bedarf der Gemeinsamkeit, auch in der Debatte und in der Werteerziehung. Das Ziel wäre, ein kulturelles und demokratisches Verständnis, gegenseitige Toleranz und Konfliktfähigkeit zu entwickeln. Dies würde unserer festen Überzeugung
nach die Integration in unserem Land – wenn man sie denn nicht als Einbahnstraße versteht – ein großes Stück voranbringen.
Jetzt komme ich zu dem Punkt, wie die LINKE generell zum islamischen Religionsunterricht und speziell zu seiner Einführung in Hessen steht. Das ist schnell gesagt.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß, woher ihr kommt! Deswegen war es ein langer Anlauf!)
Der Islam fehlt auf diesem Parkett schon allzu lange. Er war bisher nur in Hinterhöfen und Gewerbegebieten geduldet. Dort hat er sich zum Teil in einer Art und Weise eingerichtet, die einer gemeinsam gestalteten Entwicklung unserer Gesellschaft nicht guttut.
In naher Zukunft wird hier jedes zweite Kind als Muslim bzw. als Muslima aufwachsen. Es wird sich mit dem Islam identifizieren. Muslimische und nicht muslimische Kinder haben nicht gelernt, sich auszutauschen, Gemeinsamkeiten zu entdecken, zu pflegen und weiterzuentwickeln sowie über Unterschiede zu reden, im positiven Sinne zu streiten und sie letztlich zu akzeptieren.
Andere Bundeslänger sind schon ein ganzes Stück weiter. Wir haben eben etwas über NRW gehört. In NRW hat, soweit ich weiß, nach der Einführung des Religionskundeunterrichts eine ganze Reihe von Eltern ihre Kinder nicht mehr in Koranschulen geschickt. Das möchte ich dem entgegenhalten, was eben gesagt worden ist. Natürlich muss im Sinne des Gleichstellungsgebots ein muslimisches Kind dieselbe Möglichkeit haben, in der Schule etwas über seine Religion zu erfahren, wie Kinder, die anderen Glaubensrichtungen angehören.
DIE LINKE wird also für die Verwirklichung des Gleichstellungsgebots streiten. Generell sind aus Sicht der LINKEN zu einem islamischen Religionsunterricht allerdings die gleichen Anmerkungen zu machen wie zum Religionsunterricht allgemein, den ich eben angesprochen habe.
In Hessen war es längst überfällig, ein für die Integration so ungemein wichtiges Projekt wieder ernsthaft anzugehen. Frau Henzler, dafür haben Sie, auch angesichts der Widerstände, die Sie zu überwinden haben, unsere Anerkennung.
Allerdings sollten wir uns nichts vormachen. Die Bedingungen, unter denen ein solches Angebot zustande kommen soll, sind kompliziert. Meine Vorredner haben schon einiges dazu gesagt. Ich will das nicht weiter ausführen.
In der Vergangenheit wurde ein Antrag der IRH, der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, Religionsunterricht zu erteilen,abgelehnt.Wie ich gehört habe,steht jetzt eine andere Gemeinschaft kurz davor, anerkannt zu werden.Weitere werden folgen.Wir sollten dem keine Steine in den Weg legen.
Von daher ist uns die Formulierung sympathisch, die die SPD-Fraktion im sechsten Spiegelstrich des zweiten Punktes ihres Antrags gewählt hat. Dort ist von den „an