Protocol of the Session on March 4, 2009

Allerdings wird es spannend sein, wie sich diese Landesregierung, die von einer Partei getragen wird, die – darauf hat Herr Bartelt vorhin noch einmal hingewiesen –, auch Heiner Geißler in ihren Reihen weiß, dazu verhalten wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Kollege Dr. Spies, vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schulz-Asche. Sie spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, zum wievielten Mal wir im Hessischen Landtag über das Thema Krankenversicherung diskutieren, auf das wir relativ wenig Einfluss haben, weil darüber im Bundestag entschieden wird.

(Axel Wintermeyer (CDU): Warum stellen Sie ständig dazu Anträge?)

Was heißt „Sie“? Ich bin da nicht dabei.Mir liegt ein Antrag der SPD-Fraktion dazu vor.

(Axel Wintermeyer (CDU): Aber das letzte Mal waren Sie dabei!)

In guter Tradition dieses Hauses sage ich also: Mir liegt dazu von uns nichts vor. – Vielmehr liegt mir ein Antrag der SPD-Fraktion vor,in dem unter anderem vom „christlichen Weltbild“ die Rede ist.Ansonsten kann ich mit dem Inhalt leben. Über einzelne Punkte werden wir im Ausschuss noch diskutieren müssen.

Heute ist noch ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP dazugekommen, auf den ich gleich noch näher eingehen werde.

Ich vermute einmal, der eigentliche Anlass für die SPDFraktion, diesen Antrag, also den ursprünglichen Antrag, einzubringen, war ein Antrag, den die FDP-Fraktion im Bundestag eingebracht hat und der vom Inhalt her im Prinzip die seit Jahren bekannten Positionen der FDP darstellt. Natürlich hat er in der aktuellen Situation ein einziges Ziel, nämlich das, den altbekannten Lobbygrup

pen der FDP noch einmal rechtzeitig vor der Wahl alle möglichen Lockangebote zu machen.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Meine Damen und Herren, mein Gott, Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass Sie noch vor der Bundestagswahl eine Umstellung in dem Ausmaß hinbekommen wollen,wie Sie sie im Gesundheitswesen planen.Seien Sie also bitte so ehrlich, zu sagen, dass Sie in diesem Antrag alles zusammengefasst haben, damit alle wissen, was sie von Ihnen erwarten können, nämlich eine komplette Umstellung. Aber tun Sie doch nicht so, als ob das noch vor der Bundestagswahl möglich wäre. Ein bisschen Ehrlichkeit kann man in der politischen Debatte durchaus einmal aushalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich befasse mich jetzt mit dem Antrag der FDP-Fraktion. Denn er ist sehr viel interessanter als das,was hier von den Fraktionen der CDU und der FDP sowie der SPD vorgelegt wurde. Denn der Antrag der FDP kann für das relevant sein, was auf uns zukommt. Er fängt mit dem Satz an:

Die Bürger verstehen nicht mehr, was im Gesundheitswesen vor sich geht.

Ich glaube, der Satz ist richtig, aber das ist der einzige in diesem Antrag. Der Satz trifft zu, weil im Sinne einer Besitzstandswahrung für die Lobbys das soziale Gesundheitssystem, das wir haben, zerschlagen werden soll und die Risiken aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollen.Wie gesagt, das ist wirklich das Unglaublichste, was die FDP seit Jahren vorgeschlagen hat. Aber letztendlich ist es der Kern ihrer Gesundheitspolitik.

Wer wie die FDP in Zeiten wie diesen das Gesundheitssystem voll auf Kapitaldeckung umstellen will, orientiert sich nicht an sozialer Gerechtigkeit, sondern am sozialpolitischen Sadismus. Meine Damen und Herren, in dem Dringlichen Antrag, den Sie heute hier vorgelegt haben, steht etwas von teilweise einzusetzenden „kapitaldeckenden Elementen“. Darüber kann man reden. Aber das ist nicht der Kern des Inhalts des Antrags, den die FDP im Bundestag eingebracht hat. Das sollten die Bürgerinnen und Bürger wissen, wenn sie sich für diese Partei entscheiden.

Die FDP – ich befasse mich weiterhin mit ihrem Antrag – will den sozialen Ausgleich aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausschneiden. Da steht etwas von – ich zitiere – „leistungsgerechten Prämien“. Diejenigen, die diese Prämie nicht bezahlen können, sollen eine – ich zitiere wieder – „zielgerichtete Unterstützung“ erhalten.

Wer sich mit dem Beitragssystem der privaten Krankenversicherung befasst hat, weiß, dass alte Menschen, Frauen und kranke Menschen aufgrund der Beitragskalkulation höhere Beiträge zahlen als junge gesunde Männer. Das kann doch kein Modell für die Krankenversicherung der gesamten Bevölkerung sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Für den Fall,dass Sie weiterhin einen Versicherungsschutz für alle Bürgerinnen und Bürger haben wollen – ich unterstelle Ihnen das einmal, weil ich nett bin –,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Manchmal sind wir es!)

würde das bedeuten, dass Subventionen aus dem Bundeshaushalt in mehrstelligen Milliarden-Euro-Beträgen fällig würden.Auch das kann doch nicht das Ziel einer vernünftigen und solidarischen Versicherung aller Bürgerinnen und Bürger gegen Krankheit sein.

Die Mitglieder einer Partei,die verspricht,Steuern zu senken, und gleichzeitig solche Subventionen für die Krankenkassen vorsieht, haben wirklich nicht verstanden, wie der Sozialstaat funktioniert. Meine Damen und Herren, denn Sie fordern in Ihrem Antrag, dass die Leistungen auf das „medizinisch wirklich Notwendige“ reduziert werden sollen. Das ist schon das Grundprinzip der heute existierenden gesetzlichen Krankenversicherung. Das heißt, Sie wollen weitere Leistungen auslagern. Man muss den Bürgerinnen und Bürgern also auch sagen, dass die Leistungen aus dem Versicherungsschutz verkleinert werden sollen und die Kosten unter Umständen letztendlich noch ansteigen.

Meine Damen und Herren, die Gewinner dieses Modells, das Sie hier vorschlagen,sind ganz offensichtlich.Das sind die privaten Krankenversicherungen, deren Risiken durch den Staatshaushalt abgesichert werden sollen. Das kennen wir inzwischen auch aus anderen Bereichen. Gewinner wären die Arbeitgeber, die sich nicht mehr am Solidarsystem beteiligen müssten, und die Ärztinnen und Ärzte, die in wohlhabenden Regionen und Stadtteilen ihre Praxis haben,die von – ich zitiere wieder aus dem Antrag der FDP-Fraktion – „intelligent ausgestalteten Selbstbeteiligungslösungen“ profitieren könnten.

Meine Damen und Herren,in Ihrem gemeinsamen Dringlichen Antrag steht etwas von der „demografischen Entwicklung“.Wir müssen dann auch darüber reden, dass wir in Hessen inzwischen viele Arztpraxen haben, die aufgrund der abnehmenden Zahl der Patienten kaum noch überleben können.

Bei Ihnen steht etwas von den „intelligent ausgestalteten Selbstbeteiligungslösungen“. Wie soll das denn, bitte schön, im ländlichen Raum gehen? Bei Ihnen steht etwas von der „demografischen Entwicklung“. Befassen Sie sich bitte wirklich mit den Problemen der Menschen dieses Landes und nicht nur mit Ihren eigenen Vorstellungen und den Problemen Ihrer Lobbys.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Frau Kollegin Schulz-Asche, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich darf Sie bitten, jetzt zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Bei aller Kritik, die auch wir am Gesundheitsfonds haben: Vom Prinzip der Leistungsfähigkeit bei der Finanzierung und dem Bedarfsprinzip bei der Leistungsgewährung wollen wir nicht abweichen. Das geht nur mit einer Versicherung von allen für alle, d. h. mit einer solidarischen Bürgerversicherung. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Frau Schulz-Asche, vielen Dank. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Bartelt. Er spricht für die CDU-Fraktion.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ziel der Gesundheitspolitik muss es sein, Vertrauen zu schaffen, und zwar in dreifacher Hinsicht. Zum einen geht es um das Vertrauen der Patienten, dass sie optimal medizinisch behandelt werden, und zwar unabhängig von ihrem Einkommen. Dann geht es um das Vertrauen der Leistungserbringer, dass sie Kalkulationssicherheit für ihr Unternehmen haben. Es geht da nicht um die Existenzsicherung des Unternehmens, aber um Kalkulationssicherheit. Außerdem geht es um das Vertrauen der Beitragszahler, der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, auf Stabilität der Beiträge.

Dieses Vertrauen muss von den Beteiligten und der Politik immer wieder erarbeitet werden.

Eine Herausforderung der aktuellen Gesundheitspolitik ist die Abkoppelung von den Lohnnebenkosten. Wenn wir hier nichts tun, werden die Beiträge zur Krankenversicherung in weniger als zehn Jahren 20 % übersteigen.

Eine Herausforderung ergibt sich aus dem demografischen Wandel. Sie haben eben etwas polemisch über kapitaldeckende Elemente gesprochen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Spies ist nie polemisch!)

Wir werden nicht darum herumkommen,darüber nachzudenken, wie man die Aspekte, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben, mit kapitalgedeckten Elementen absichern kann.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Unter den Bedingungen des demografischen Wandels nutzt das gar nichts!)

Weiterhin müssen die Wettbewerbselemente im bestehenden System der gesetzlichen Krankenkassen systematisch gefördert werden.

Angesichts der unterschiedlichen Koalitionen auf Bundesebene und auf Landesebene ist es natürlich verständlich, dass die Koalitionsparteien hier in Hessen unterschiedliche Positionen einnehmen. Sie haben zu Recht gesagt: Die entscheidenden Fragen werden auf der Bundesebene geregelt werden.– Seien Sie sich sicher,dass wir bei unseren Grundsätzen bleiben. Falls es der Wähler wünscht und es nach der Bundestagswahl zu einer Mehrheit der CDU und der FDP kommt, werden wir uns zusammensetzen und zu vernünftigen Lösungen kommen, die beide Partner tragen werden.

Keineswegs verhandlungsfähig ist aber das, was meine beiden Vorredner als Bürgerversicherung bezeichnet haben. Die Argumente „Zerstörung der privaten Versicherungen“, „Absicherung der Beamten“, „Wie verhält es sich mit den Rücklagen?“, und „Abtötung jeglichen Wettbewerbs“ will ich aufgrund der geringen Redezeit hier nur stichwortartig erwähnen.

Ich möchte aber einen weiteren wichtigen, entscheidenden Nachteil der Bürgerversicherung – oder was Sie als solche bezeichnen und was bisher in der Diskussion wenig Beachtung gefunden hat – nennen, nämlich die unabsehbare Belastung des Mittelstandes, und zwar mittelständi

scher Einkommen von Arbeitnehmern schon ab 4.000 c bei Überschreiten der Beitragsbemessungsgrenze.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das sind zwar Menschen, die überdurchschnittlich viel verdienen. Meinetwegen haben sie auch stärkere Schultern.Aber es sind nicht die reichen Leute,die Neidgefühle der Gesellschaft verdienen und die mit einer Sondersteuer bestraft werden sollten.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Herr Kollege Spies, damit ich das Wesentliche verstehe, damit Sie das auch verstehen und damit das die Wählerinnen und Wähler auch verstehen, schlage ich nun das Standardwerk „Die Bürgerversicherung“ von Thomas Spies

(Zurufe von der CDU und der FDP: Nein!)

für Gesundheitspolitik für Fortgeschrittene der Sozialdemokratie auf.