Protocol of the Session on November 17, 2009

Sie sagen, die Funktionsfähigkeit der Sozialgerichte müsse erhalten bleiben. Diese Frage trifft in diesem Fall überhaupt nicht zu.

Im Augenblick ist es doch so: Frankfurt hat das größte Sozialgericht, Darmstadt das zweitgrößte. Durch Ihre vorgeschlagene Änderung würde das Sozialgericht Darmstadt das größte, und Frankfurt würde das zweitgrößte. Wäre unser Änderungsvorschlag angenommen worden, bliebe das Sozialgericht Frankfurt das größte, Darmstadt wäre dann das zweitgrößte.

Alle beiden Sozialgerichte sind funktionsfähig.Alle beide sind groß.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es handelt sich also nicht um Sozialgerichte mittlerer Größe. Es ist überhaupt nicht sinnvoll, hier eine Änderung vorzunehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich stelle fest: Sie haben unserem Vorschlag, die Zuständigkeit für die Stadt Offenbach beim Sozialgericht Frankfurt zu belassen, nicht zugestimmt, obwohl wir an dem Prinzip, das in Ihrem Gesetzentwurf steht, nichts ändern wollen, obwohl unser Änderungsvorschlag vor Ort in Offenbach befürwortet wird und obwohl er nichts kostet. Es würde nicht einmal zu einem Gesichtsverlust Ihrerseits kommen.

Sie haben keinen einzigen vernünftigen Grund für Ihre Lösung. Gleichwohl haben Sie den Änderungsantrag in der Ausschusssitzung abgelehnt, allein deshalb, weil er von den falschen Antragstellern kam. Das ist doch die reine Wahrheit. Das ist eine Form von Fundamentalmehrheit, die ich aus meiner Sicht nur ablehnen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten sich daran gewöhnen, auch die Opposition hat gelegentlich kluge Ideen.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Nur die Opposition!)

Wir werden Ihrem Fundamentalismus nicht einfach Fundamentalopposition entgegenstellen. Ich habe es ausgeführt: Der Entwurf hat Licht und Schatten. Deswegen werden wir uns im Ergebnis enthalten. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Es ist mir eine große Freude, auf der Besuchertribüne zwei Gäste besonders begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen, Herr Kollege und Regierungspräsident von Kassel, Herr Dr. Lübcke, und der frühere Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden, Herr Exner. Herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, es geht weiter in der Rednerliste. Frau Hofmann hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das vorgelegte Gesetz findet nicht die Zustimmung der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE) – Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich möchte Herrn Dr. Jürgens recht geben, der auch so ähnlich formuliert hat, dass die Intention des Gesetzes, nämlich die örtlichen Zuständigkeitsgrenzen der Sozialgerichte zukünftig an den Landkreisgrenzen zu orientieren, zwar die richtige sein mag. Aber es ist leider zu schlecht gemacht. Es führt zu vielen Unstimmigkeiten und vor allen Dingen zu längeren Wegen für die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger.

So haben z. B. die Bewohner des Gerichtsbezirks Weilburg eine eindeutige Orientierung nach Gießen und nicht nach Wiesbaden. Im nördlichen Teil des Landkreises Waldeck-Frankenberg sind die Einwohner eher nach Kassel und nicht nach Marburg orientiert, wie wir wissen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Waldecker sind etwas ganz Besonderes!)

Auch Dr. Jürgens hat sehr stark ausgeführt, weil es Bestandteil des Änderungsantrages der GRÜNEN war, dass die Zuständigkeit für die Stadt Offenbach am Main zukünftig beim Sozialgericht Darmstadt liegen soll. Hier ist klar – das wird aus der Stellungnahme der Stadt Offenbach deutlich –, dass die Bevölkerung in Offenbach, selbst wenn es die eine oder andere Unstimmigkeit zwischen den Offenbachern und den Frankfurtern geben mag, doch stärker nach Frankfurt als nach Darmstadt orientiert ist.

Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht vergessen, dass gerade bei der Sozialgerichtsbarkeit sehr viele rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger Hartz-IV-Empfänger sind. Für die werden die Wege nicht nur länger, sondern natürlich auch teurer und belasten so deren sowieso schon sehr schmales Budget.

(Beifall bei der SPD)

Eine weitere Problematik besteht aus unserer Sicht darin, dass das Sozialgericht Gießen die Zuständigkeit für den Amtsgerichtsbezirk Weilburg und den gesamten Vogelsbergkreis verliert. Diese „Verluste“ werden nicht die Funktionsfähigkeit des Sozialgerichts Gießen schmälern. Aber auch hier werden die Wegstrecken für das rechtsuchende Publikum weiter.Waren es früher z. B. vom Amtsgerichtsbezirk Weilburg ungefähr 30 bis 40 km, so werden es jetzt nach Wiesbaden 70 km und mehr sein.

Herr Klein, Sie haben die Frage gestellt: Wie oft kommt denn ein Bürger eigentlich zu Gericht? – Ich würde sagen: Oft genug, und es muss uns wichtig sein, dass das rechtsu

chende Publikum zeitnah und gut zu den einzelnen Gerichten kommt. Das muss die oberste Maxime für uns sein.

Sie dürfen nicht vergessen, dass gerade in der Sozialgerichtsbarkeit oft genug Anträge bei den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingereicht werden. Diese Möglichkeit wird gerade in der Sozialgerichtsbarkeit oft genug vom rechtsuchenden Publikum genutzt.

Meine Damen und Herren, all diese Unwägbarkeiten und diese Schwierigkeiten konnten wir den vielen Stellungnahmen der Anzuhörenden entnehmen. Nicht nur, dass für den einzelnen Bürger die Wege länger und teurer werden, sondern wir dürfen natürlich auch die Vertreter der beklagten Leistungsträger nicht vergessen, die gleichermaßen betroffen sind. Der Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist super!)

konnte aus unserer Sicht das Gesetz auch nicht wesentlich verbessern.

Lassen Sie mich noch auf ein Argument eingehen, das im Gesetzgebungsverfahren angeführt worden ist, dass nämlich die Bestellung ehrenamtlicher Richter jetzt leichter sei und sich das Verwaltungshandeln auf den Gebieten des SGB II oder des SGB XII nun an der Rechtsprechung eines Sozialgerichts orientieren könne.

(Hugo Klein (Freigericht) (CDU): So ist es!)

Es ist doch jetzt schon gang und gäbe, dass sich bundesweit Sozialversicherungsträger mit der Rechtsprechung unterschiedlichster Sozialgerichte befassen müssen, auch aufgrund der komplizierten Hartz-IV-Gesetzgebung und deren Ausprägung, aber natürlich auch einzelner Spruchkörper eines Sozialgerichts.Das ist doch heute schon gang und gäbe. Also orientieren Sie sich einmal ein bisschen mehr an der Praxis.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will Ihnen zum Abschluss noch einen Grund dafür nennen, warum die SPD-Fraktion diesem Gesetz nicht zustimmen wird. Aus der Begründung des Gesetzes wird klar, was eigentlich noch dahintersteckt. Es ist nämlich hier angeführt, dass sich der Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichte künftig an dem Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte orientieren wird.

Meine Damen und Herren,für uns ist dieses Gesetz damit der Wegbereiter für das, was Sie eigentlich vorhaben, nämlich die Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenzulegen. Wie Sie wissen, sind wir strikt dagegen, denn die einzelnen Fachgerichtsbarkeiten haben sich auch im internationalen Vergleich bewährt. Daran wollen wir festhalten. Wir wollen für Sie nicht der Wegbereiter dafür sein, dass Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammengelegt werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Danke sehr, Frau Kollegin Hofmann. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Dr.Wilken zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eben haben wir aus der CDU-Fraktion etwas von Bürokratiemonstern gehört – von Ihnen, Herr Beuth. Jetzt führt uns unter anderem die CDU-Fraktion vor, wie sie Bürokratie gegen Bürgernähe ausspielt.

(Hugo Klein (Freigericht) (CDU):Abenteuerlich!)

Herr Klein, ich habe von Ihnen jetzt und auch im Ausschuss sehr viel über Effizienz der Verwaltungsgerichtsbarkeit gehört,über Effizienz der Verwaltung gehört,aber das Wort Bürgernähe kommt gar nicht mehr über Ihre Lippen.In der Abwägung der Geschichte dieses Gesetzes, wie es uns vorliegt – dazu hat Herr Jürgens ausführlich gesprochen –, stützen Sie ganz klar eindeutig Verwaltungsinteresse und gefährden die Bürgernähe der Sozialgerichte.Auch das ist in der Anhörung mehr als deutlich geworden.

(Hugo Klein (Freigericht) (CDU):Wo denn?)

Am besten hat das der grüne Änderungsantrag zu Ihrem Gesetzentwurf auf jeden Fall deutlich gemacht, zumal Hartz-IV-Empfänger, denen das Geld – daran müssen Sie offensichtlich wieder erinnert werden – sicherlich nicht so locker in der Tasche sitzt wie Ihnen, demnächst von Offenbach über Frankfurt nach Darmstadt fahren müssen, anstatt in Frankfurt Recht gesprochen zu bekommen.

An diesem Beispiel – das ist in der ersten Lesung von der GRÜNEN-Fraktion schon erwähnt worden – hat damals der Justizminister Hahn noch Offenheit signalisiert. Da wird man sicherlich übereinkommen, haben Sie sinngemäß gesagt, Herr Hahn.

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Überlegt!)

Nach dieser Anhörung, nach den Beratungen im Ausschuss kann man nur klar sagen: Egal, was angehört wird, egal, was beraten wird, diese Regierungsfraktionen gehen nach dem Motto „Arroganz ist Macht“ vor,und Sie ziehen das durch.

(Hugo Klein (Freigericht) (CDU): Haben Sie das überhaupt einmal gelesen?)

Herr Klein, ich bin des Lesens und des Zuhörens durchaus mächtig.Von Ihnen weiß ich das nicht immer.

(Beifall bei der LINKEN – Peter Beuth (CDU): Sie verstehen es offenbar nicht!)

Ich möchte ebenso wie meine Vorrednerin, Frau Hofmann, mit der Erinnerung an Ihre Koalitionsvereinbarung schließen und auch die Warnung aussprechen:Wenn hier mit vorbereitet wird, wie Sie es in Ihrer Koalitionsvereinbarung niedergelegt haben, dass Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammengelegt werden, wäre das nicht der erste, schon gar nicht der hundertste, aber ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. Wir werden diesen Gesetzentwurf deswegen ablehnen. – Danke.