Ein dritter Effekt: Wir brauchen auch endlich einen positiven Wettbewerb in diesem Bereich. Es gibt ganz viele tolle Institutionen – das sieht man in Hamburg –, die zwar auf dem Markt der Kinderbetreuung mitmachen wollen, es aber gar nicht können, weil das Geld schon vorher verteilt ist. Ich glaube, diesen kleinen Institutionen – das sind häufig ganz kleine Organisationen und Vereine – geben wir eine Chance, wenn wir das System endlich auf Gutscheine umstellen. Das ist ein riesengroßer Paradigmenwechsel in diesem Land.
Bei dem letzten Punkt,den ich ansprechen will,geht es um das Thema Integration. Herr Kollege Schäfer-Gümbel und auch der Herr Ministerpräsident haben etwas zum islamischen Religionsunterricht gesagt. Ich will bei dem Thema Integration zwei Punkte ansprechen.
Erstens. Wir haben in diesem Land einen sehr langen Kampf – einen Kulturkampf, kann man sagen – über die Frage geführt, wie man integriert. Wir sind uns mittlerweile einig – auch mit den GRÜNEN –, dass der Erwerb der deutschen Sprache Voraussetzung für jede Integrationsbemühung ist.
Nachdem früher Worte wie „Zwangsgermanisierung“ gefallen sind, haben wir diesen Konsens mittlerweile hergestellt. Herr Kollege Al-Wazir, ich finde es wichtig, dass mittlerweile alle Kräfte in diesem Haus sagen: Ja, der Erwerb der deutschen Sprache ist für uns unverzichtbar.
Wir haben in unserem Bundesland mittlerweile eine ganze Menge Kinder mit Migrationshintergrund. Ich sage es einmal – damit wir uns die Zahlen vorstellen können –: 40 % der Kinder, die in Wiesbaden geboren werden, haben einen Migrationshintergrund. Diese Kinder müssen mit ihren Familien integriert werden. Dafür gibt es verschiedene Maßnahmen.
Ich glaube,dass die Religionsausübung,sollte sie denn unter den Bedingungen, die wir formuliert haben, möglich sein, ein Punkt ist. Aber klar ist auch, dass sich die Muslime, die in diesem Land leben, auch irgendwann einmal untereinander organisieren müssen. Wir werden nicht so lange warten, wenn dieser Organisationsprozess noch 20 Jahre dauert. Wir werden – ich glaube auch, dass das der richtige Weg ist – diese Gespräche führen.
Aber wir können es nicht erzwingen, dass ein gutes Ergebnis dabei herauskommt. Diesen Zwang können wir nicht ausüben. Diese Religionsgemeinschaften, die unglaublich vielfältig und zersplittert sind und teilweise abstruse Positionen vertreten – auch rechtsstaatlich abstruse Positionen –, müssen sich zusammenreißen. Sie müssen versuchen, sich auf einen gemeinsamen Weg zu einigen.
Zweitens. Herr Kollege Al-Wazir, ich möchte das auch deshalb, weil ich glaube, dass die Gesellschaft es nicht zulassen darf,dass in Deutschland ein Islam gelehrt wird,der mit unserem Rechtsstaat überhaupt nichts zu tun hat.
Es läuft mir teilweise kalt den Rücken herunter, wenn ich von dem höre, was in Gebetshäusern verkündet wird. Ich habe gelesen, was Sie zu einer bestimmten Organisation und zur Frage der Überwachung durch den Verfassungsschutz gesagt haben, und ich muss Ihnen ehrlich sagen: Es ist nicht meine Aufgabe als Parlamentarier, dem Verfassungsschutz vorzuschreiben, wer überwacht wird. Diese Rolle trifft auf islamische Religionsgemeinschaften genauso wie auf Parteien zu. Das ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes.
Aber klar ist auch,dass wir,wenn wir Erkenntnisse haben, dass dort die Verfassungsbestimmungen gebrochen und gebogen werden, das in unseren Gesprächen zu berücksichtigen haben. Ich sage ganz offen: Ich glaube zunächst einmal dem Verfassungsschutz und nicht irgendwelchen Kollegen aus parteipolitischen Gremien.Herr Kollege AlWazir, ich glaube, dass der Verfassungsschutz dort eine ganz wichtige Aufgabe hat, die wir sehr ernst zu nehmen haben.
Ein weiterer wichtiger Punkt bei dem Thema Integration ist die Frage, wie wir uns in unserem Bundesland insgesamt aufstellen. Ich will einen letzten Punkt nennen, der der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen sehr wichtig sein wird, nämlich die Frage, wie wir es schaffen, hoch qualifizierte Menschen nach Hessen zu bekommen.
Es gab eine Initiative der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, die sogenannte Greencard. Sie war marketingtechnisch super aufgestellt. Aber sie war leider nicht sehr nachhaltig, wie man sagen muss, wenn man sich die Zahlen anschaut und feststellt, was dabei herausgekommen ist.
Aber Gerhard Schröder hatte damit recht. Ja, wir brauchen in einem Land, das aufgrund der Rahmenbedingun
gen, übrigens auch aufgrund des Steuerrechtes, jeden Tag viele hoch Qualifizierte verliert – in unserem Bundesland sind es über 100.000 in einem Jahr –, hoch Qualifizierte, die wir hierher einladen können. Ich glaube, diese Botschaft muss auch von diesem Bundesland ausgehen. Hoch Qualifizierte, die sich in Deutschland niederlassen wollen, sind in Hessen,einem Land der Mitte,einem Land der politischen Mitte, aber auch einem Land, das aufgrund seiner Infrastruktur gut angebunden ist, gut aufgehoben. Auch dieses Signal müssen wir aussenden.
Es ist richtig: Die Betriebe unserer Wirtschaft brauchen hoch qualifizierte Menschen aus der ganzen Welt. Deshalb sagen wir: Ja, wir laden die Menschen hierher ein. – Es wäre richtig, wenn wir als die Mitglieder dieses Parlaments dieses Signal senden würden. Denn wir brauchen im Interesse unserer Gesellschaft diese Menschen. Sie stellen eine Bereicherung dar.Wir brauchen sie aber auch im Interesse unserer Wirtschaft. Denn wir müssen endlich dafür sorgen, dass diese hoch qualifizierten Arbeitsplätze erhalten bleiben. Dafür setzen wir uns ein.
Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede kommen. Ich glaube, das, was wir diskutiert haben, und das, was Herr Kollege Schäfer-Gümbel gesagt hat, zeigt ein wenig, wohin die Reise gehen wird. Ich glaube, die SPD muss ihren Selbstfindungsprozess erst einmal abschließen.
Nein, das ist mir wichtig. Das darf nicht nur Ihre Sorge sein. Das wäre nur Ihre Sorge, wenn Ihre Fraktion kein Teil dieses Parlaments wäre. Aber Sie sind ein wichtiger Bestandteil dieses Parlaments. Herr Kollege Rudolph, wir haben Anspruch auf eine gute Opposition.
Die Arbeit einer guten Opposition habe ich jedenfalls bis jetzt vermisst. Natürlich ist es Ihre Aufgabe, uns zu kritisieren, wenn wir Fehler machen. Sie haben hier aber nur Allgemeinplätze formuliert. Sie haben sich im Vortrag demoskopischer Zahlen verloren.Hier wurde sozusagen nur noch Mengenlehre nach Schäfer-Gümbel vorgetragen. Das ist für dieses Bundesland wirklich zu wenig. Ich bin mir relativ sicher, dass Sie das besser können.
Herr Kollege Wagner hat den letzten Landtag als „neuen Landtag“ bezeichnet. Der letzte Landtag hieß also neuer Landtag. Ich will nun sagen: Wir müssen einmal gucken, wie wir diesen Landtag nennen.
Nein, das will ich nicht übernehmen. Mit diesen Beifügungen habe ich keine guten Erfahrungen gemacht.
Vielleicht sollte man diesen Landtag 2.0 nennen. Auf jeden Fall hat dieser Landtag aber die Chance, vieles anders zu machen.
Es gibt auch Komplimente, die nicht ausgesprochen werden. Dass Herr Kollege Al-Wazir darüber nachdenkt, nach Berlin zu gehen, ist auch ein Kompliment. Es zeigt,
dass er glaubt, dass diese Landesregierung relativ stabil sein wird. Herr Kollege Al-Wazir, dafür sage ich vielen Dank.
Denn ich glaube, die Grabenkämpfe der letzten Jahre haben sich erledigt. Wir werden das sehen. Ich sagte es bereits: Wir setzen dabei natürlich auch auf die Opposition dieses Hauses.
Damit will ich es dazu bewenden lassen. Ich will noch eine persönliche Bemerkung machen. Dabei geht es um ein sehr ernstes Thema. Wir werden nachher dazu noch über Dringliche Entschließungsanträge diskutieren. Ich will das ganz frei von Initiativen sagen.
Vor einigen Tagen gab es einen Überfall rechtsextremistischer Art. Dabei wurde ein hessischer Bürger sehr schwer verletzt. Ich möchte von dieser Stelle aus – ich denke, da spreche ich für das gesamte Parlament – unsere besten Genesungswünsche aussprechen. Denn das kann von keinem Demokraten dieses Landes geduldet werden.
Herr Rentsch, vielen Dank für Ihre Rede. Vielen Dank insbesondere auch für Ihre letzten Sätze. Ich danke Ihnen sehr dafür.
Herr Al-Wazir, Sie erhalten jetzt das Wort. Es spricht der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Koalitionsvertrag, der die Grundlage des Regierungsprogramms ist, das heute hier vorgestellt wurde, ist schon eine ziemlich uninspirierte Aneinanderreihung vieler einzelner kleiner Punkte, mit denen unserer Ansicht nach auf die entscheidenden Fragen keine Antworten gegeben werden.Lieber Herr Ministerpräsident,mit der Regierungserklärung haben Sie heute noch einen draufgesetzt. Ich glaube, das, was wir heute hier erlebt haben, war der Beweis, dass dieser Koalition und damit auch dieser Landesregierung nichts Neues mehr einfällt.
Herr Ministerpräsident, während der fast 90 Minuten Ihrer Rede habe ich die ganze Zeit gedacht, jetzt müsste doch langsam irgendwann einmal irgendetwas kommen. Sie waren gerade fertig, da kam tatsächlich etwas herein, nämlich die Meldung von „dpa“, dass Frau Merkel plant,
Sie als Kommissar der Europäischen Union nach Brüssel zu schicken. Ich habe jetzt endlich verstanden, was die Rede sollte. Das war 90 Minuten lang der Ruf: Ich bin ein Ministerpräsident – holt mich hier raus.