Protocol of the Session on September 15, 2009

Ich möchte nicht, dass es demnächst statt „Bildung ist ein Menschenrecht“ heißt: Bildung ist teuer, Bildung ist käuflich, und Bildung zu kaufen ist ein Kundenrecht.

Frau Henzler, ich bin enttäuscht. Ich hätte es angemessener gefunden, dem Thema Inklusion eine Regierungserklärung zu widmen. Ich kann verstehen, dass Sie ein einzelnes Thema in den Vordergrund gestellt haben.Aber es hätte nicht das Thema selbstständige Schule, sondern das Thema Inklusion sein sollen, angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Wo respektieren Sie die selbstständige Entscheidung der Eltern, ihr behindertes Kind gemeinsam mit anderen in der Regelschule unterrichten zu lassen? Wo bleibt die Gewährleistung der Chancengleichheit für behinderte Menschen? Wann rüsten Sie die Regelschulen dahin gehend aus, damit ein gemeinsamer Unterricht für alle umgesetzt werden kann? Wann erhält die Inklusion ihren Stellenwert in der normalen Ausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte?

Die Kitas haben sich bereits seit Jahren selbstständig auf den Weg der Inklusion gemacht. Die Kommunen sind schon weiter als diese Landesregierung. Inklusion zielt nicht nur auf behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder ab; sie umfasst auch leseschwache und rechenschwache Kinder sowie Kinder, die sich nicht konzentrieren oder ausreichend sozial anpassen können. Ebenso umfasst Inklusion Kinder aus sozial schwachen Familien, aus bildungsfernen Familien, Kinder mit anderem kulturellen Hintergrund, mit einer anderen Muttersprache. Dazu zählen auch Kinder von Alleinerziehenden, die ganztags arbeiten gehen müssen. Kurzum, sie zielt besonders auf Kinder ab,die in der Familie kein ausreichend anregungsreiches Lernmilieu haben, keine qualitativ ausreichende Lernunterstützung bekommen oder schlicht zeitlich nicht ausreichend betreut und unterstützt werden können.

Das, meine ich, wäre eine Herausforderung gewesen, derer Sie sich in einer Regierungserklärung hätten annehmen sollen. Damit wären Sie Ihrem Ziel und dem von Herrn Koch, Hessen zum Bildungsland Nummer eins zu machen, tatsächlich ein Stück nähergekommen – schließlich ist das Urteil des UN-Kommissars Señor Muñoz, dass Deutschland die Bildungschancen ungerecht verteilt, noch lange nicht vergessen.

Diese Herausforderung, ein „inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen“ zu verwirklichen, wie es in der von Deutschland kürzlich ratifizierten UN-Behindertenkonvention heißt, hätte eine eigene Stabsstelle gebraucht, die an entsprechenden Umsetzungen in Schulgesetz und Lehrerbildungsgesetz arbeitet, mit einer Unterabteilung, die die Schulen dabei berät, wie sie ab diesem oder dem kommenden Schuljahr Inklusion umsetzen können. Diese Stabsstelle, diese Unterkommission hätten wir gut gebrauchen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen tolerieren Sie weiterhin, dass die frühe Selektion von der Förderschule bis zum Gymnasium zementiert wird; denn Sie sind schließlich beschäftigt. Sie bereiten gerade den Ausverkauf des öffentlichen Schulsystems vor.

Damit komme ich zum SPD-Antrag.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich dachte, zum Schluss!)

Er geht über die Regierungserklärung hinaus und mahnt richtige und wichtige Punkte an, indem er die Landesregierung auffordert, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in den Mittelpunkt ihres bildungspolitischen Handelns zu stellen.An vielen Stellen ist der Antrag allerdings unseres Erachtens nicht ausreichend spezifiziert worden und geht über eine Absichtserklärung nicht hinaus.

Punkt 1 ist eine längst überfällige Aufgabe. Die Rahmenvereinbarung zwischen dem Land und den Kommunalen Spitzenverbänden ist ein guter Vorschlag. Punkt 2 ist ebenfalls zu unterstützen.

Ebenfalls unterstützen wir die Einrichtung von Schuleingangsstufen in Punkt 3. Allerdings bedeutet jahrgangsübergreifendes Unterrichten neue Kooperationsbeziehungen zwischen den Lehrern. Ich halte es für notwendig, diesen Prozess zu begleiten und die Erfahrungen aus den Modellversuchen entsprechend einzubeziehen.

Zum Thema echte Ganztagsschulen habe ich bereits einiges ausgeführt. Den Anspruch auf einen wohnortnahen Platz in einer echten Ganztagsschule und ein kostenloses Mittagessen befürworten wir natürlich. Wir hatten selbst schon einen Antrag dazu eingebracht.

Punkt 5 muss unbedingt spezifiziert werden, um operationalisierbar zu sein.Wir schlagen vor, diesen Punkt herauszunehmen und dazu eine Anhörung zu machen. Dazu gehört ebenfalls Punkt 6, der natürlich richtig und wichtig ist. Die weiterführenden Schulen haben ihre Verantwortung bisher in keiner Weise wahrgenommen.

Der Sozialindex in Punkt 7 ist eine alte Forderung, und seine Einführung ist meines Wissens bereits von der Landesregierung zugesagt worden. Ich wüsste dazu gerne Genaueres von Frau Henzler.

Die Punkte 8 und 9 betreffen die Aus- und Weiterbildung. Der Vorschlag, in dualen Ausbildungsberufen, in denen kein auswahlfähiges Angebot besteht, vollschulische Ausbildungsgänge anzubieten, ist richtig, aber nicht ausreichend.Zum Prinzip der Modularisierung müsste ebenfalls ausführlicher Stellung genommen werden.

Punkt 10, das kostenlose Studium, wird von uns natürlich unterstützt. Punkt 11 wird von uns abgelehnt. Unseres Erachtens muss es andere Möglichkeiten geben, einen sogenannten positiven Wettbewerb der Länder um die Stu

dierwilligen. Sie wissen, dass wir die Bildung Marktgesetzen nicht unterwerfen wollen.

Von daher besteht intensiver Diskussionsbedarf. Wir möchten vorschlagen,den Antrag dem Ausschuss zu überweisen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Cárdenas. – Als Nächster hat Herr Döweling für die Fraktion der FDP das Wort.

(Günter Rudolph (SPD):Jetzt hören wir endlich etwas zur Schulsozialarbeit von der FDP! – Gegenruf des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Günter Rudolph (SPD): Den ganzen Nachmittag warte ich darauf! Deswegen sitze ich noch hier!)

Herr Rudolph, dazu verweise ich auf die Presseerklärung, die meine Fraktion – bzw. ich – gestern herausgegeben hat. Dort lesen Sie alles, was dazu zu sagen ist.

(Lachen bei der SPD)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte natürlich die Gelegenheit nutzen, die Sicht meiner Fraktion auf die Regierungserklärung der Kultusministerin darzulegen. Ich möchte zunächst auch mit drei kleinen Zeitungszitaten starten. So schreibt die „HNA“ am 22.08.2009 in Bezug auf das Staatliche Schulamt Hersfeld-Rotenburg und Werra-Meißner, die Unterrichtsabdeckung sei gut. Die „Fuldaer Zeitung“ schreibt am 24.08. in Bezug auf das Staatliche Schulamt Fulda, die Ausgangslage sei gut.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Hat Herr Irmer Ihnen die Zeitungsartikel gegeben?)

Damit mir Herr Wagner nicht unterstellen kann, das sei alles zentral gesteuert: Die „FAZ“ schreibt am 24.08.2009 und bezieht sich auf den Verband der Oberstudiendirektoren, der bekanntermaßen unabhängig ist: Die Lage zum neuen Schuljahr sei positiv zu bewerten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Und was schreibt der „Wetzlar Kurier“?)

Trotz schwierigster Haushaltslage wurde durch die Regierung und die sie tragenden Fraktionen 2009 und gleichsam, weil wir mit dem Haushalt etwas später dran waren, zu Beginn des neuen Schuljahrs eine große Anzahl von Verbesserungen für die heimischen Schulen erreicht. Wir haben – es ist schon mehrfach gesagt worden – 1.000 neue Lehrerstellen geschaffen, so viele wie nie zuvor zu einem neuen Schuljahr.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte ausdrücklich den Dank meiner Fraktion an die vielen Kräfte zum Ausdruck bringen, die dabei geholfen haben, dass die Besetzung von 2.292 Lehrerstellen, wie von der Ministerin erwähnt, zum neuen Schuljahr funktioniert hat. Dafür ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben es schon mehrfach gehört: Damit ist endlich einmal der Unterricht an hessischen Schulen zu gut 100 % abgedeckt. Wir haben auch schon gehört, dass wir die Mittel für die Lernmittel um 6,2 Millionen c auf 34 Millionen c erhöht haben. Wir haben den Ausbau der Ganztagsschulen weiter vorangetrieben, wozu 105 Stellen geschaffen wurden. Das ist auch so viel wie noch nie zuvor. Außerdem steht der finanzielle Gegenwert von weiteren 65 Stellen zur Verfügung.

Wir haben auch schon die Zahl gehört: 28 % der hessischen Schülerinnen und Schüler besuchen nun eine Ganztagsschule. Das kann man auch nicht kleinreden, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition. Ich frage da: Ist das nichts?

(Beifall bei der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Was ist eine Ganztagsschule? Mit Mittagessen und Betreuung, oder was?)

Dazu sage ich einfach nichts.Ich schlage vor,Sie schauen die Definition nach.

(Lachen bei der SPD und der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle G-8-Gymnasien erhalten nun die pädagogische Mittagsbetreuung, und wir lassen nicht gelten, dass Sie das hier als Mogelpackung abtun wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Wir haben hier in Hessen einen Paradigmenwechsel in der Schulpolitik vollzogen. Ich habe schon mehrfach in diesem Hause gesagt: Man kann das, was in 60 Jahren Schullandschaft gewachsen ist, nicht innerhalb von zwei, drei oder auch fünf Jahren umkehren. So etwas muss von selbst kommen. Wir wollen nicht den Schulen von oben überstülpen, wie sie sich zu entwickeln haben.Wir wollen Freiwilligkeit und Selbstständigkeit der Schulen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Punkt, der schon erwähnt wurde, sind die kleineren Klassen in den Eingangsklassen sowie ein gezieltes Nachsteuern bei den Grundschulen, wo wir kurzfristig und unbürokratisch dafür sorgen konnten, dass wir maximal 25 Kinder in einer Grundschulklasse haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Lassen Sie mich nun zum großen Leitbild der liberalen Schulpolitik kommen, der selbstständigen Schule. Ich denke, dazu gibt es noch einiges zu sagen. Die Ministerin hat das aus meiner Sicht sehr gut ausgeführt.Wir sind hier auf einem sehr guten Weg. Ich habe es vorhin schon gesagt: Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, den wir für Hessen wollen, und der ist nur schrittweise zu erreichen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ein erster Schritt dazu ist, dass die Schulen überhaupt eine Budgethoheit haben, dass sie überhaupt in der Lage sind, ein eigenes Budget zu führen, und damit auch der 10-%-Erlass,der in diesem Schuljahr in Kraft tritt und den die Ministerin vorhin auch erwähnt hat.

Des Weiteren ist für uns eine freie Entscheidung der Schulen über die innere Struktur der Schule und die Unterrichtsorganisation unabdingbar. Ich nenne als Beispiel: Es gibt sehr viele Schulen, die in diesem Rahmen

vom 45-Minuten-Rhythmus der Schulstunde abweichen. Das sei ihnen gegönnt; denn das können sie als selbstständige Schulen frei verantwortlich und in Zusammenarbeit mit den Gremien vor Ort erreichen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Heike Habermann (SPD): Das gibt es in Hessen doch schon lange! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Zur Personalauswahl. Die Ministerin hat es gesagt: Wir kommen immer mehr weg von dem starren Ranglistenverfahren zu schulscharfen Ausschreibungen. Es ist unabdingbar für eine gute Zusammenarbeit im Team, dass die entsprechende Kollegin, der entsprechende Kollege zum Profil der Schule vor Ort passt. Nur so kann jeder Topf sein passendes Deckelchen finden und kann größtmögliche Unterrichtsqualität für die Kinder gewährleistet werden.