Protocol of the Session on July 8, 2009

Wir haben auch etwas anderes zu verzeichnen. Wir müssen auch bei Kindern und Jugendlichen die alarmierende Feststellung der Armut treffen. Wir müssen für Hessen davon ausgehen, dass mindestens jedes sechste Kind in Armut lebt. Das ist ein Zeichen dafür, dass man in Hessen weit von Gerechtigkeit entfernt ist und auch weit davon, sich wirklich umfassend um alle Bürgerinnen und Bürger zu kümmern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In Hessen fehlte bisher eine solide Grundlage, um gerade auch vor diesem Hintergrund prüfen zu können, welche

Maßnahmen in welcher Region und welcher Bevölkerungsgruppe helfen, wie Wege aus der Armut gefunden werden können und wie der Abstieg in die Armut verhindert werden kann. Von daher möchte ich ausdrücklich festhalten, dass es mich erfreut, dass unsere jahrelang gezeigte Hartnäckigkeit und auch ein sehr fundierter Gesetzentwurf, den wir hier in das Verfahren eingebracht haben, dazu geführt haben, dass heute das gesamte Haus, also wir alle gemeinsam, eine Landessozialberichterstattung auf den Weg bringen werden. Das ist nicht nur ein großer Erfolg grüner Politik. Ich glaube, das ist vielmehr ein großer Erfolg für die Sozialpolitik in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Nach der Debatte, die wir hier gerade über Stilfragen geführt haben,möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der Mehrheitsfraktionen ausdrücklich bitten,sich ein Beispiel an den Sozialpolitikern ihrer Fraktionen zu nehmen,

(Alexander Bauer (CDU): Hört, hört!)

die hier auf unsere Vorschläge wirklich eingegangen sind, sodass die Beschlussempfehlung zu diesem Antrag umfassenden Inhalts hier angenommen werden kann. Die anderen Kollegen können viel von den Sozialpolitikern lernen. Ich finde, das sollte hier noch einmal gesagt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Ehrlich gesagt, hat mich jedoch die Debatte heute Morgen nicht ganz so hoffnungsvoll zurückgelassen. Denn ich musste mir die zum Teil doch etwas perfide Argumentation des Herrn Ministers Grüttner anhören.

Die Beschlussempfehlung zur Sozialberichterstattung wird auch deswegen unsere Zustimmung finden, weil der Inhalt des Antrags während der Ausschusssitzung in ganz wesentlichen Punkten noch verbessert werden konnte. Das hat dazu geführt, dass wir nicht nur einen Beraterkreis, sondern einen festen Beirat für die Landesozialberichterstattung bekommen werden.

Ein ganz großer Erfolg, der die Qualität sicherstellen wird, ist, dass alle Lebenslagen und verschiedene Gruppen Berücksichtigung finden werden. Es wird eine geschlechtsspezifische Betrachtung, eine Betrachtung der Kinder und Jugendlichen,der Familien,älterer Menschen, chronisch erkrankter und behinderter Menschen und natürlich auch der Menschen mit Migrationshintergrund geben. Auch das ist ein großer Erfolg. Und es wird eine Betrachtungsweise in verschiedenen Dimensionen geben. Das betrifft die Bildung, von der wir wissen, dass sie ein zentraler Punkt ist, der zu Armut führen kann, nämlich dann, wenn man an Bildung nicht teilhaben kann. Es geht um die Beteiligung am Erwerbsleben,um die Gesundheit, um Wohnen und vor allem auch – das ist ebenfalls ein ganz wesentlicher Punkt – um gesellschaftliche Partizipation.

Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede sagen, dass es mich ganz besonders freut, dass im Antrag auch der Satz steht, dass der Bericht hinsichtlich der Erfassung der Problemlagen und der Empfehlungen über die üblichen Armuts- und Reichtumsberichte hinausgehen soll. Ich finde, dass die Armuts- und Reichtumsberichte schon sehr weitgehend sind.Von daher freut mich der Anspruch,hier eine Weiterentwicklung hinzubekommen, wie immer sie dann auch aussehen mag.

Deswegen erwarten wir mit großer Spannung die Vorlage dieses Berichtes noch in dieser Legislaturperiode. Wenn wir heute diesen Beschluss gefasst haben werden, werden wir eine Grundlage für eine konstruktive Debatte und für eine konstruktive Sozialpolitik in Hessen haben, die für mehr Gerechtigkeit sorgen wird, weil Wege in die Armut verhindert und Wege aus der Armut eröffnet werden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das Wort hat nun Herr Abg. Bauer für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrten Damen und Herren! Ein gewichtiger deutscher Bundespolitiker, der Altkanzler, hat einmal gesagt:

Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Das,was nach dem Studium der Gesetzentwürfe der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion DIE LINKE, was nach den Anregungen aus der schriftlichen Anhörung und was nach der sachlichen Beratung zu dem von den Fraktionen der CDU und der FDP eingebrachten Antrag zu einem Landessozialbericht am Ende als Ergebnis herausgekommen ist, ist eine gute Sache.

(Beifall bei Abgeordneten der CDUund der FDP sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir, die Mitglieder der CDU, haben von Anfang an gesagt, dass wir einem Armuts- und Reichtumsbericht nicht ablehnend gegenüberstehen.Das habe ich vor rund einem Jahr hier in diesem Hause in meiner Jungfernrede zu Protokoll gegeben.

Schon damals habe ich zu drei Aspekten meine Anmerkungen vorgetragen. Zum einen habe ich schon damals die Notwendigkeit eines Gesetzgebungsverfahrens infrage gestellt. Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass der Rhythmus konkret bestimmt werden muss, und welcher Aufwand mit einer solchen Untersuchung verbunden ist. Drittens habe ich den unabdingbaren Erkenntnisgewinn einer solchen Berichterstattung für das politische Handeln herausgestellt.

Auch in einem relativ reichen Land wie Hessen existiert Armut. Diese scheinbar banale Erkenntnis dürfte unstrittig sein, da sie unbestreitbar ist. Neben den Fragen, wie sich Armut definieren lässt und ob sie sich in einer freien Gesellschaft gänzlich beseitigen lässt, dürfte vor allem die Frage nach den gesellschafts- und sozialpolitischen Verhältnissen insgesamt von besonderem Interesse sein.

In der Begründung unseres Antrages heißt es deshalb folgerichtig, dass nur durch eine entsprechend umfassende Evaluation die gesellschafts- und sozialpolitischen Verhältnisse erfasst werden können, was dann zielgerichtete Verbesserungen ermöglicht.

Nicht die Dokumentation der Armut ist unser Ziel und wird es bleiben. Vielmehr ist die Schärfung der Maßnahmen zur Verminderung und zur Vermeidung der Armut unser Ziel und wird es bleiben. Der gemeinsame Antrag

der Fraktionen der CDU und der FDP ist der Beweis dafür, dass auch wir eine aussagekräftige Aufarbeitung der sozioökonomischen Lage in Hessen haben wollen.

Darin sollen Betrachtungen von Einzelthemen und Zielgruppen sowie Stellungnahmen von Kommunen enthalten sein. Das kann auch, wie in dem Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht, die Präzisierung sein, die jetzt aufgenommen wird:

Besondere Berücksichtigung finden ebenso die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen,Familien, älteren, chronisch kranken und behinderten Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund in den Dimensionen Bildung, Erwerbsbeteiligung, Gesundheit,Wohnen und gesellschaftlicher Partizipation.

Ich bin für diese Klarstellung dankbar, denn damit setzen wir am Ende das um, was CDU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben. Dort heißt es wörtlich:

Wir werden den Armuts- und Reichtumsbericht zu einem aussagekräftigen Sozialbericht weiterentwickeln.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht über den Titel einer solchen Untersuchung streiten.Wichtig ist, was am Ende herauskommt. Wir sind der Überzeugung, dass wir mit unserer Konzeption eines Sozialberichts weit über einen reinen Armuts- und Reichtumsbericht hinausgehen.

Dabei ist sichergestellt, dass sich Kommunen, Kirchen, Verbände, Wissenschaft und das Statistische Landesamt in einem Beraterkreis mit ihrem jeweiligen Sachverstand einbringen können. Dass sich dieser Beraterkreis auf Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zukünftig in einem Beirat zusammenfindet, wird gern mitgetragen. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit – ich will das auch dem Herrn Al-Wazir sagen,weil er die Beratungsresistenz angesprochen hat; Sie hatten es auch erwähnt –

(Volker Hoff (CDU): Der ist im Spiegelsaal!)

nur einmal darauf hinweisen, dass wir in diesem Ausschuss konstruktiv zusammengearbeitet haben. Die Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, die mit konstruktiven Vorschlägen zu einer Optimierung beigetragen haben, ist von Ihnen schon angesprochen worden, Frau Kollegin.Wir haben im sozialpolitischen Ausschuss das umgesetzt,was hier eingefordert ist, nämlich um die Sache zu streiten und das beste Ergebnis auszuhandeln.

Meine Damen und Herren, das ist erfolgt. Ich denke, dass die Rhythmisierung dieses Berichtes mit dem Auftrag an die Landesregierung, beginnend ab der Mitte der 18. Wahlperiode alle fünf Jahre einen Landessozialbericht vorzulegen, eine vernünftige und sachdienliche Zeitachse ist. Der Landessozialbericht, der so ins Leben gerufen wird, soll mehr als eine bloße Datenwüste sein. Er soll mehr als ein bloßes Ranking bundesweiter Pro-KopfWerte oder relativer Indikatoren sein.

Wir wollen vor allem zielgerichtete Handlungsempfehlungen mit Vorschlägen für Zielvereinbarungen, deren Erfüllung sich die Landesregierung zur Aufgabe setzen soll. Damit wird der Bericht den Problemen der betroffenen Menschen gerecht und schlägt eine Brücke von der Erkenntnis zum Handeln.

Meine Damen und Herren, der von allen Fraktionen mitgetragene Landessozialbericht wird als aussagekräftige

Darstellung der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse in Hessen einen wichtigen Beitrag für eine vernünftige und zielgerichtete Sozialpolitik in Hessen leisten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das Wort hat Frau Abg. Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bereits im letzten Jahr hat die LINKE einen Antrag zum Thema Armuts- und Reichtumsbericht eingebracht, und es gab einen Gesetzentwurf der GRÜNEN. Nun haben auch CDU und FDP einen Antrag für einen Landessozialbericht eingebracht. Ich bin froh, dass die Regierungskoalition endlich einsieht, dass es notwendig ist, die sozialen Verhältnisse in unserem Land gründlich zu analysieren.

So erfreulich die Aussicht ist, dass es demnächst eine Art Armuts- und Reichtumsbericht geben wird, so traurig sind der Grund und die Tatsache, dass es überhaupt eines solchen bedarf. Wer sich andererseits vorurteilsfrei und unideologisch mit der Funktionsweise von Marktwirtschaft beschäftigt, weiß, dass Armut gerade ein Produkt von Marktwirtschaft und Kapitalismus ist.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ein Schwachsinn, das ist unglaublich!)

Traurig ist ebenfalls, dass der Beschluss erst jetzt zustande kommt. Versuche vonseiten der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN in den letzten Jahren sind von der CDU und der FDP regelmäßig abgelehnt worden. Offenbar bedurfte es erst des Einstiegs der LINKEN, Ihnen klarzumachen – –

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Alle Planwirtschaftssysteme sind pleite!)

Herr Präsident, könnten Sie Herrn Irmer bitte auffordern, mich in Ruhe reden zu lassen?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Ich habe doch mit dem Herrn van Ooyen gesprochen! – Minister Jörg-Uwe Hahn: Das ist doch ein Parlament!)

Frau Kollegin, in der Frage des Mikrofons haben Sie die Macht.Es war aber noch nicht so,dass ich hätte eingreifen müssen. Jetzt haben Sie bitte wieder das Wort.

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Man darf nicht so emp- findlich sein!)

Offenbar bedurfte es erst des Einzugs der LINKEN, um Ihnen klarzumachen, dass Ihre Versuche, wachsende Armut bei gleichzeitig wachsendem Reichtum zu vertuschen, nicht mehr funktionieren.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)