Protocol of the Session on June 18, 2009

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Von der Landesregierung gab es zu dem Eklat, der über Wochen die bundesweiten Feuilletons bestimmt hat, noch gar keine Erklärung außer den zwei lapidaren Presseinformationen der Staatskanzlei. Warum schweigen Sie zu dem Vorfall und erklären sich nicht? Warum erklären Sie nicht, wie es zu der äußerst tendenziösen Auswahl der Zitate aus Kermanis Essay in der Presseinformation der Staatskanzlei kam? Warum sagen Sie z. B. nicht offen, wer die Initiative zur Einberufung des Kuratoriums ergriffen hat,um Kermani den Preis abzuerkennen? Warum äußern Sie sich nicht darüber, ob Sie Lehmanns Ansicht, Kermanis Essay sei ein fundamentaler und unversöhnlicher Angriff auf das Kreuz, teilen? – Auf all diese Fragen, die die ganze Republik hoch- und runterdiskutiert, gibt diese Landesregierung keine Antwort. Das ist ein politischer Vorgang. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, dass sich die Landesregierung, und zwar namentlich der Hessische Ministerpräsident und Kuratoriumsvorsitzende Roland Koch, dieser Debatte endlich stellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Ich möchte nur noch einmal kurz einen Nebenkriegsschauplatz aufmachen, der zeigt, mit welch gesunkenem Niveau wir es hier zu tun haben. Die Entscheidung des Kuratoriums, Navid Kermani den Preis wieder abzuerkennen, wurde am 29. April getroffen. Erst im Laufe des 13. Mai wurde vergeblich versucht, Herrn Kermani über die Entscheidung des Kuratoriums zu informieren. Sie hätten zwei Wochen Zeit gehabt, Herrn Kermani anzuru

fen. Diese Zeit haben Sie aber nicht genutzt, sodass Herr Kermani dann durch einen Anruf von einem „FAZ“-Journalisten über die Aberkennung des Preises informiert wurde. Mindestens hier, Herr Koch, hätten Sie die mitteleuropäischen Umgangsformen wahren sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Apropos Umgangsformen und Anstand: Dass die FDP sich in dieser ganzen Debatte wochenlang gar nicht geäußert hat, ist nun wirklich beschämend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Weder der Integrationsminister noch die für die Kirchen zuständige Kultusministerin hat sich geäußert. Auch im Wissenschaftsausschuss verhielten sich die drei FDP-Abgeordneten wie die berühmten drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sprechen. Das armselige Spiel, das Sie hier veranstaltet haben, meine Herren von der FDP, hätte es mit Ruth Wagner nicht gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Der Präsident des Deutschen Bundestags, Herr Prof. Lammert, hat den Eklat um den Hessischen Kulturpreis als „Staatsposse“ bezeichnet, und er hat das schöne Zitat gebracht: Kultur ist schön, Toleranz auch, beides ist ohne Anstrengung nicht zu haben.

US-Präsident Obama hat in seiner viel beachteten Rede zum Verhältnis der westlichen Welt gegenüber dem Islam, die als eine Absage an den Kampf der Kulturen gewertet wurde, vor ein paar Tagen in Kairo von vielem gesprochen, was im interreligiösen Dialog wichtig wäre: von neuem Denken, vom Brückenschlagen, vom „Abschied vom Minenfeld der ewigen Missverständnisse“.

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit überzogen.

Herr Präsident, mein letzter Satz. – Ich persönlich erwarte trotz der Erfahrungen mit Roland Koch aus den letzten Jahren und der Abhärtung gegenüber seinem Politikstil doch noch etwas Niveau. Herr Koch, entschuldigen Sie sich bei Navid Kermani. Das ist wirklich das Mindeste.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und der LIN- KEN)

Das Wort hat Herr Kollege Dr.Wagner.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Nehmen Sie erst einmal die Äußerung von eben zurück!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich mache mir die Begriffe der Antragsteller, die von einem „Eklat“ sprechen, nicht zu eigen. Ich mache mir auch nicht zu eigen, jetzt auf Vokabeln wie „beschämend“, „Ignoranz“, „Intoleranz“, „Spaltungsversuch“ usw. zu antworten. Ich mache es deshalb nicht, weil der Gegenstand, über den wir uns heute unterhalten, nach meiner Überzeugung keine Polemik verträgt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Debatten über den interreligiösen Dialog verlangen Nachdenklichkeit und Gründlichkeit. Sie eignen sich nicht für einen vordergründigen Parteienstreit.

Einen solchen Parteienstreit hätte auch das Kuratorium nicht verdient. Das Kuratorium besteht aus elf Persönlichkeiten, die mitten aus der Gesellschaft unseres Landes kommen und die nach meinen Informationen im gesamten Verfahren miteinander beraten und immer einstimmig entschieden haben.

Die CDU-Landtagsfraktion bekennt sich ausdrücklich zur Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs. Wir glauben, dass er notwendig ist, weil er das wechselseitige Verständnis unter den Religionen fördert. Wir glauben, dass mit diesem interreligiösen Dialog wechselseitige Vorurteile abgebaut werden können, dass dieser Dialog einen Beitrag zum Frieden in unserem Land leisten kann. Wir glauben, dass ein solcher Dialog religiös begründete Auseinandersetzungen, auch gewaltsame Auseinandersetzungen, vermeiden, jedenfalls einen Beitrag zur Vermeidung leisten kann.Dieser Dialog ist also notwendig,weil er eine Verständigung im Interesse aller Menschen ist.

Lassen Sie mich einige wenige Sätze ausführen, welche Anforderungen aus meiner Sicht an einen interreligiösen Dialog gestellt werden müssen. Ich denke, dass andere Religionen,vom jeweils eigenen Standpunkt aus,nicht mit den Maßstäben der eigenen Religion, des eigenen Glaubens gemessen und beurteilt werden dürfen. Nach meinem Dafürhalten ist wechselseitige Toleranz das oberste Gebot.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Am Rande will ich hinzufügen – wenn ich noch Zeit habe, werde ich einige Ausführungen dazu machen –: Toleranz ist nur möglich,wenn der eigene Standpunkt,von dem aus man argumentiert, für den Betreffenden hinreichend bewusst und gewiss ist. Vom eigenen Standpunkt aus muss der Versuch unternommen werden, die Position des anderen zu verstehen.Toleranz verbietet auch Kommentierungen, die andere in ihren religiösen Gefühlen verletzen könnten.

Lassen Sie mich einige wenige Sätze zum Ablauf der Ereignisse sagen. Frau Kollegin Sorge hat bereits einiges dazu gesagt. Ich wiederhole es daher in aller Kürze.

Der Preis ist im Jahre 1981 von der Landesregierung unter Ministerpräsident Börner gestiftet worden. Mit dem Preis, so heißt es in der Urkunde, sollen künstlerische und wissenschaftliche Leistungen mit besonderer Bedeutung für das Land Hessen gewürdigt werden.

Am Anfang – meine Damen und Herren, mir ist sehr wichtig, dass das in der öffentlichen Diskussion nicht aus dem Bewusstsein gerät – stand die Absicht des elfköpfi

gen Gremiums,den Hessischen Kulturpreis in diesem Jahr an Personen zu vergeben, die sich um den interreligiösen Dialog besonders verdient gemacht haben. Das Anliegen, Repräsentanten der drei großen monotheistischen Religionen, des Christentums, des Judentums und des Islam, zu würdigen, ist in hohem Maße ehrenwert und sehr, sehr akzeptabel.

Das Kuratorium wählte die vorbildlichen Persönlichkeiten Kardinal Lehmann, Prof. Steinacker und Salomon Korn aus. Für den Islam sollte Herr Prof. Sezgin, ein anerkannter Orientalist, Gründer und Leiter des Instituts für Geschichte der arabisch-islamischen Wissenschaften an der Universität Frankfurt, geehrt werden. Sezgin hat, das hat Frau Sorge bereits vorgetragen, den Preis wegen einer Äußerung des jüdischen Preisträgers Salomon Korn zur Politik Israels im Gazakrieg abgelehnt.

Meine Damen und Herren, vielleicht wäre es nach dieser Absage richtig gewesen,den Preis nur an die verbliebenen drei Personen zu vergeben. Hinterher ist man immer klüger. Ich stelle diese Frage nur in den Raum.

Dass sich das Kuratorium trotz der Absage darum bemühte, einen anderen ehrungswürdigen Repräsentanten für den Islam zu finden, ist aus meiner Sicht ein Beleg dafür, wie sehr die handelnden Personen im Kuratorium bemüht waren, den Gedanken des interreligiösen Dialogs, gerade auch mit dem Islam, aufrechtzuerhalten.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Wahl fiel auf Navid Kermani. Kermani studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaften in Köln, Kairo und Bonn. Seit 2006 ist Kermani Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Heute lebt er als freier Schriftsteller und Regisseur in Köln. Wichtige Themen seiner Arbeit sind das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Orient, der Kampf bzw. der Dialog der Religionen sowie die menschliche Ursuche nach dem Gottesbild und dem Sinn des Leids. Es gab also durchaus Anlass, darüber nachzudenken und zu dem Ergebnis zu kommen, Herrn Kermani als Mitpreisträger vorzuschlagen.

Am 14. März 2009 veröffentlichte Kermani in der „Neuen Zürcher Zeitung“ eine Bildbetrachtung des Altarbilds „Kreuzigung“ von Guido Reni in der Basilika San Lorenzo in Lucina in Rom. Der Aufsatz – insoweit hat Frau Sorge richtig zitiert,sie hat aber nicht alles zitiert – enthält versöhnliche Passagen. Kermani schreibt – ich wiederhole das, weil es zum Gesamtzusammenhang der Geschichte gehört –:

Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man –, ich könnte an ein Kreuz glauben.

Der Aufsatz enthält aber einen Bruch, denn zuvor schreibt Kermani Folgendes.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist ja der Witz daran!)

Lassen Sie mich doch einmal in aller Ruhe den Sachverhalt vortragen. Sie können es ja anders würdigen als ich.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Zuvor schreibt Kermani:

Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt... Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung...

Hauptgegenstand der Kontroverse war aber folgende Passage:

Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie.

Idolatrie bedeutet Götzendienst. Der Vorwurf der Lästerung des eigenen Gottes ist in allen Religionen der schwerste religiöse Vorwurf überhaupt. Das ist ein wichtiger Punkt, über den wir wenigstens sprechen müssen und bei dem wir einander zuhören sollten, auch hier im Raum.

Er trifft deshalb den christlichen Glauben in seinem Kern. Der Vorwurf stellt die Christen in Gegnerschaft zu ihrem eigenen Gott. Ich füge hinzu: Für mich als evangelischen Christen ist es deshalb nachvollziehbar, dass Kardinal Lehmann und Prof. Steinacker in ihren religiösen Gefühlen tief verletzt waren.

Wechselseitige Toleranz bedeutet, dass man die jeweils andere Seite in dem Glauben, den sie hat und lebt, anerkennt und dass man sie nicht verunglimpfen darf. Das gilt wechselseitig. Das müssen wir bei der gesamten Debatte beachten.

Herrn Kermani wurde übermittelt, dass sich die beiden christlichen Preisträger eine erklärende schriftliche Äußerung vom ihm wünschen. Dies lehnte Herr Kermani ab.

Hinzu kommt – auch das gehört zum gesamten Sachverhalt dazu –, dass Herr Kermani mit seiner anschließenden öffentlichen Polemik gegenüber dem Herrn Ministerpräsidenten und dem gesamten Kuratorium die Atmosphäre belastet hat.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Das ist unglaublich! – Tarek AlWazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er belastet die Atmosphäre! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)