(Zuruf von der CDU: Wäre es denn wichtig gewe- sen? – Gegenruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD): Ja, sehr! Denn die Faktenverdrehereien sind auch in der ersten Rede nicht in Ordnung!)
Frau Kollegin Cárdenas weist mich darauf hin, dass sie Cárdenas heißt. Ich will das ausdrücklich noch einmal betonen. Bitte sehr.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Thema dieser Aktuellen Stunde ist der Wortbruch der Regierung in Bezug auf die Verbesserung der Situation in den Kindertagesstätten. Konkret ist es jener bezüglich der Mindestvoraussetzungen. Die Gruppenstärke soll nun zwar noch verringert werden, jedoch erst bis zum 1. September 2012. Das ist scheinbar eine große Überraschung, darüber hinaus aber auch ein handfester Skandal. Mal ehrlich:Wen der Anwesenden wundert derlei Geschehen eigentlich noch? – Ich bin zwar erst ein Jahr hier im Landtag mit dabei, mich jedoch wundert hier inzwischen eigentlich gar nichts mehr, insbesondere dann, wenn es um Zusagen für progressive, fortschrittliche, bessere linke Politik geht,
die kurz darauf wieder einkassiert werden, Herr Wintermeyer. So läuft das Spiel mit der Macht, will mir nun einmal scheinen. Man macht Versprechungen, kassiert Vertrauen, Zustimmung und Sympathie, und dann, wenn man sie bekommen hat, können die Versprechungen gebrochen werden. Willkommen in der hessischen Landespolitik.
Alle wissen – und auch Sie konstatieren das –, dass es einen dringenden Bedarf an 6.000 bis 8.000 zusätzlichen Erzieherinnen gibt.Wir haben einen konkreten gegenfinanzierten Änderungsantrag zum Landeshaushalt gestellt, umgehend 7.000 neue Erzieherinnenstellen zu schaffen. Sie haben dies sowohl im Haushaltsausschuss als auch gestern bei der Verabschiedung des Landeshaushalts abgelehnt – wohlgemerkt: CDU, SPD, FDP und GRÜNE.
Dass Sie diese Stellen nicht alle sofort besetzen könnten und dass es eine Lücke von 5.000 Erzieherinnen gibt, ist ebenfalls selbst verschuldet, indem Sie seit Jahren versäumen, den Beruf attraktiver zu machen. Herr Bocklet hat dazu auch bestimmte Vorschläge gebracht.
Doch nun zum Thema. In deutschen Kitas allgemein und in hessischen im Besonderen gibt es zu wenig Personal, um die in verschiedensten Bildungsplänen formulierten Ziele umzusetzen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der Fachkraft-Kind-Relation“,die im letzten Monat gemeinsam vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin vorgestellt wurde. Die Verbände warnen darin vor einem Bildungs- und Erziehernotstand und fordern Bund, Länder und Kommunen zu einer gemeinsamen Qualitätsoffensive in den Kitas auf.
Auch die Fragen der Qualifizierung und Bezahlung pädagogischer Fachkräfte dürften dabei nicht länger ausgeklammert werden. Die Studie belegt, dass über die Qualitätsziele länderübergreifend zwar weitgehend Konsens bestehe, es sei jedoch an der Zeit, im Rahmen einer bundesweiten Qualitätsoffensive endlich sicherzustellen, dass diese Ziele auch in allen Kindertagesstätten umgesetzt werden können.
In Verbindung mit der Tatsache, dass die Zusammensetzung der Gruppen heutzutage viel heterogener als früher ist und Kindertageseinrichtungen oftmals auffangen müssen, was Kinder nur noch ansatzweise von zu Hause mitbringen, sind kleinere Gruppen und mehr Personal eine nahezu zwingende Voraussetzung für eine gute Kinderbetreuung.
Eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Kitas brauchen wir aber jetzt und nicht erst in einer schrittweisen Anhebung bis 2012. Im Grunde ist es schlichtweg ein Skandal, die Verbesserung der Rahmenbedingungen aufzuschieben. Zwei Fachkräfte für eine Kindergartengruppe sind das, was man in den Kitas braucht, um eine sichere Betreuung aller Kinder überhaupt gewährleisten zu können. Deshalb lautete unser Haushaltsantrag:210 Millionen c für 7.000 Erzieherinnen in einem ersten Schritt mit dem Ziel,zwei volle Fachkräfte für Bildung und Betreuung in einer Gruppe von 20 Kindern.
Sprechen Sie doch einmal mit den Erzieherinnen, die derzeit zahlreich auf die Straße gehen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Sie werden Ihnen sagen, dass sie schon seit Jahren völlig überlastet sind mit der Umsetzung von immer neuen Projekten und Förderprogrammen, die Sie fleißig in die Kitas hineingeben, aber dennoch versuchen, die ihnen anvertrauten Kinder zu bilden und individuell zu fördern, so gut es geht. Sie werden Ihnen auch von der hohen Verantwortung erzählen, die auf ihnen lastet;denn wenn den Kindern etwas passiert,werden die Erzieherinnen auch noch der Verletzung ihrer Aufsichtspflicht beschuldigt – nicht die Politiker, die die schlechten Rahmenbedingungen eigentlich zu verantworten haben.
Ich möchte Ihnen das an einem konkreten Beispiel aus der Praxis deutlich machen, das mir von einer Erzieherin erzählt worden ist. Viele Kinder kommen heute mit Windeln in den Kindergarten. Das Wickeln ist Pädagogik und keine Fließbandarbeit. Experten haben errechnet, dass bei einer Kindergartengruppe mit fünf Wickelkindern – das ist der reale Durchschnitt – bei zwei Wickeldurchgängen à 10 Minuten am Vormittag eine Erzieherin schon fast zwei Stunden alleine mit Wickeln beschäftigt ist. Bei zurzeit noch 1,5 Fachkräften pro Gruppe können Sie sich ausrechnen, wie oft die anderen 24 Kindern dieser Gruppe sich selbst überlassen sind. Wie soll das anders gehen, frage ich Sie.
Ich habe bewusst dieses Beispiel gewählt, um den kühlen Rechnern unter Ihnen, die meist nur damit beschäftigt sind, auszurechnen, was der Einsatz von mehr Erzieherinnen in den Kitas kosten würde, einmal eine andere, eine an der Realität orientierte Bedarfsermittlung vorzurechnen. Eine gute Pädagogik im Elementarbereich lässt sich oft schlecht in Zahlen ausdrücken, aber sie ist eine wichtige Grundlage für die späteren Bildungschancen unserer Kinder.
Wer nun glaubt, diese Beispiele aus der Praxis seien überzogen, der sei herzlich eingeladen, in den Kitas in Hessen zu hospitieren und die Bedingungen vor Ort zu erleben. Ich habe in den letzten Jahren viele Kita-Kolleginnen fortgebildet und supervidiert, und ich weiß daher, wovon ich spreche. Viele von Ihnen werden froh sein, aus den Kitas wieder wegzukommen, weg von dem Lärm und von den Belastungen,denen die Erzieherinnen täglich ausgeliefert sind.
Wir als Partei DIE LINKE in Hessen fordern daher die umgehende Einführung eines Kita-Gesetzes mit verbindlichen Vorgaben zur Umsetzung von deutlich besseren Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen.
Damit verbunden ist allerdings, wesentlich mehr Geld in die Bildung in Hessen zu investieren, damit pädagogische Berufe attraktiver werden. Gute Pädagogen und gute Bildung gibt es nun einmal nicht im Sonderangebot. Im gegenteiligen Fall – das meine ich ernst – sollte die Landesregierung zumindest so mutig und so ehrlich sein, den Bildungs- und Erziehungsplan auszusetzen. Er vermittelt ein Bild, das in keiner einzigen Kita in Hessen auch nur annähernd mit der Realität in Verbindung zu bringen ist. Das wäre dann allerdings ein Quantensprung in den Minusbereich. Das gebe ich zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute viele Beiträge gehört. Manche haben sich mit dem Thema beschäftigt, andere weniger.
Ich will jetzt auf den Punkt zurückkommen, über den wir eigentlich reden. Wir reden über folgende Festlegungen beim Betreuungsschlüssel: zwei Betreuerinnen bzw. Betreuer bei U 3, 1,75 bei Kindern bis zum Schuleintritt, 1,5 bei Kindern ab Schuleintritt, 1,75 bei gemischten Gruppen. Dieser Schlüssel gilt ab dem 1. September. Ich kann nicht nachvollziehen, was Sie hier veranstalten. Dieser Betreuungsschlüssel gilt,und genau diese Zuweisung wird vom Land Hessen bezahlt.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
An der Stelle möchte ich Sie auffordern, bei der Sache zu bleiben. Wir haben eine schwierige Situation. Ich denke, selbst die GRÜNEN stellen mittlerweile den einen oder anderen Bürgermeister.
Auch Sie müssen deshalb die Diskussion kennen, die in der kommunalen Familie über dieses Thema geführt wird. Ich kann mir nicht vorstellen,dass Sie gegenüber den Bürgermeistern so argumentiert haben.
Dass die Kollegen auf der linken Seite diese Kommunikation nicht führen müssen, weil sie kommunal nicht verankert sind, ist ein anderes Thema.
Sie müssen sich auch einmal die Frage stellen, wer es umsetzen soll. Die, die das umsetzen sollen, müssen wir doch mitnehmen. Wir haben am Dienstag ausführlich über die Frage diskutiert, was die Kommunen machen dürfen, in welchem Umfang die Kommunen Verantwortung tragen. Genau vor dieser Frage stehen wir.Irgendeiner muss doch das, was wir hier beschließen, am Ende in die Realität umsetzen.
In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen sagen: Es gibt nicht nur Frankfurt, es gibt auch noch andere Kommunen in Hessen.
Wenn Sie sagen, Sie wollen etwas erreichen, dann müssen Sie die mitnehmen, die Sie brauchen, um das umzusetzen. Deshalb müssen Sie an der Stelle die Kommunen mitnehmen. Wenn Sie einfach ausblenden, was die Kommunen sagen, dann kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.
Ich will an der Stelle ganz klar sagen: Minister Banzer hat das einzig Richtige gemacht. Es ist natürlich bedauerlich, dass die Bürgermeister, die gesagt haben: „Herr Banzer, machen Sie das“, jetzt nicht in die Zeitung schreiben las
sen: „Ich finde toll, was der Minister gemacht hat, das habe ich immer gefordert“.Damit muss Herr Banzer eben leben, aber, ich glaube, das kann er.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Jetzt möchte ich zu dem Thema kommen, wie das umgesetzt werden soll.Wir, die Fraktionen von FDP und CDU, und die Landesregierung haben erklärt, dass das eine zentrale politische Aufgabe ist. Wir haben viel Geld in die Hand genommen. Wir haben jetzt auch Anreize gesetzt. Alle Kommunen, die jetzt mitmachen, bekommen ihr Geld. Die Kommunen, die das jetzt noch nicht schaffen, die langsamer sind, die es aus bürokratischen oder baulichen Gründen noch nicht umsetzen können, bekommen eine Frist. Erzählen Sie bitte draußen nichts anderes.
Herr Bocklet, ich habe mit Sicherheit in keiner Pressemitteilung erklärt, die GRÜNEN hätten wieder einmal keine Ahnung.Auf dem Niveau bewege ich mich mit Sicherheit nicht.
Ja, machen Sie das.Aber auf dem Niveau habe ich mich nicht geäußert. Sie sollten nicht nur die Überschrift lesen, sondern auch den Text.
Ich setze mich mit Sicherheit konstruktiv mit Ihnen auseinander. – Über 1.000 Erzieherinnen und Erzieher müssten dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Das haben Sie selbst erkannt, das haben Sie geschrieben. Ich darf Sie daran erinnern, wie das in der Diskussion um das TAG war. Damals hat die zuständige Regierung geschaut, wie es aussieht, ob wir in die Ausbildung investieren müssen oder nicht. Damals war die Argumentation:Wir brauchen innerhalb eines gewissen Zeitrahmens 40.000 Erzieher; die stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.– Das hat die Bundesregierung so gesehen. Das haben auch Sie so gesehen – nicht wir. An der Stelle ist natürlich klar: Wenn in dem Bereich immer mehr Bedarf entsteht, dann wird man wohl nachsteuern müssen.