Protocol of the Session on June 18, 2009

Schönen Dank, Frau Kollegin Enslin. – Ich darf jetzt für die Fraktion die LINKE Herrn Schaus das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Schaus.

Herr Präsident, sehr geehrter Herr Prof. Ronellenfitsch, meine Damen und Herren! Ich denke, dass es wichtig ist, die Debatte um den Datenschutzbericht zu erweitern und insbesondere die Frage des Schutzes von Persönlichkeitsrechten, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich, zu diskutieren. Insofern sind wir dankbar für den Bericht.Wir sind dankbar für die Kritik und die Informationen, weil es unserer Meinung nach nach wie vor notwendig ist, ein Bewusstsein für Datenschutz zu schaffen.

Es gibt in unserer modernen Kommunikation, die sehr schnell und sehr praktisch ist, gewollt oder ungewollt eine Missbrauchsanfälligkeit. Wenn man alle Teile zusammennimmt und betrachtet, wo überall Daten gesammelt und aufbewahrt werden – nicht nur im Internet und bei E-Mails,selbst beim Mobilfunk,bei Onlinebanking,privaten Kreditkarten, Bonussystemen und vielem mehr –, dann wird die Dimension deutlich. Noch deutlicher ist sie bei den Datenskandalen in den privaten Unternehmen geworden, auf die ich noch zu sprechen kommen will.

Sämtliche Kommunikationsdaten, die gespeichert werden, unterlagen früher dem Post- und Fernmeldegeheimnis und waren in öffentlichen Einrichtungen gesichert. Heute liegt die Masse der Daten zweifelsohne im privaten Bereich. Von daher stellt sich die Frage, wie weit es mit dem Post- und Fernmeldegeheimnis her ist, wie weit das gesichert wird, wie weit das eingehalten wird und vor allem – diese Frage werden wir auch weiter diskutieren – wie das kontrolliert werden soll.

Dass heute schnell Daten erhoben werden und nahezu unbegrenzt gespeichert und zusammengeführt werden können, lässt Persönlichkeits-, Verhaltens- und Bewegungsprofile zu, wenn man dies will und wenn man dies kann. Es gibt leider in weiten Teilen der Bevölkerung, wie ich finde, in besonderem Maße sogar der Jüngeren unter uns, ein mangelndes Datenschutzproblembewusstsein.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Meinst du mich?)

Janine, dich nehme ich davon aus. – Im Internet werden soziale Netzwerke geknüpft, es findet ein Austausch über dieses Medium statt. Ich wundere mich aber sehr oft, was alles an persönlichen Informationen und Daten preisgegeben wird – freiwillig preisgegeben wird. Insofern ist auch darüber nachzudenken, wie man ein Datenschutzbewusstsein schaffen kann, auch für die eigenen Daten, und inwieweit es notwendig ist, z. B. in den Schulen damit zu beginnen, dieses Bewusstsein zu entwickeln und ein Stück weit zu erlernen.

Lassen Sie mich zu den Datenschutzskandalen in den Unternehmen kommen. Das sind sehr gravierende Datenschutzverstöße gewesen, wo Arbeitgeber ohne Kenntnis der Betriebsräte, ohne Kenntnis der Beschäftigten in einer gigantischen Art und Weise Daten gesammelt und ausgewertet haben, teilweise bis in den privaten Bereich hinein.

In einem Artikel der 24. Ausgabe des „Spiegels“ dieses Jahres ist der ehemalige Bundesinnenminister und Sonderermittler für die Datenschutzaffäre bei der Bahn und bei der Telekom, Herr Gerhart Baum, ausführlich befragt worden. Interessanterweise heißt dieser Artikel: „Spitze des Eisbergs“. Ich glaube, dass es in der Tat so ist, dass nur einige Dinge in die Öffentlichkeit gekommen sind und dass der Datenschutz gerade im privaten Bereich auch in vielen, vielen anderen Betrieben genauso im Ar

gen liegt, nur dass das in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, es noch nicht aufgeflogen ist.

Herr Baum sagt – insofern gibt es einen Zusammenhang der Verantwortung von uns als Gesetzgeber und staatlichen Stellen; ich darf zitieren –: „Der Kontrollwahn ist Ergebnis einer Mentalität, die staatliche Stellen vorgelebt haben.“

Da haben wir die Verbindung zwischen staatlichen Stellen und den Privaten. Ich denke, da geht es auch darum, was die Behörden mit den Daten tun, und um den zitierten Kontrollwahn. Leben sie etwas vor, was die Privaten dazu verführt, entsprechend sorglos und gezielt vorzugehen?

Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich ein weiteres Zitat aus der Pressemitteilung zu dem 22.Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten in diesem Zusammenhang vortragen. Er sagt dazu:

Die vielfältigen Datenschutzvorfälle in der Privatwirtschaft dürfen aber nicht den Blick dafür verstellen, dass staatlichen Sicherheitsinteressen auch in den vergangenen... Jahren Vorrang vor der Privatsphäre des Einzelnen eingeräumt wurde. Mit Onlinedurchsuchung,

das ist mehrmals angesprochen worden –

Vorratsdatenspeicherung und dem immer regeren Informationsaustausch zwischen verschiedenen staatlichen Stellen sind wir auch für den Staat zunehmend auf dem Weg zu einem gläsernen Bürger.

Meine Damen und Herren, ich denke, das gilt es in der Tat zu verhindern. Deswegen wundert es mich, wenn Herr Reißer hier im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsgesetz von einem Bürokratiemonster spricht, das es zu verhindern gelte. Wir hingegen sind der Meinung, dass – und zwar unabhängig von der Nutzung – das Recht des einzelnen Bürgers auf die Einsicht in entsprechende behördliche Daten, und damit ein Gleichgewicht zwischen Bürgern und Behörden und staatlichen Stellen, erst entwickelt werden muss, natürlich auf eine – das ist völlig klar – praxistaugliche Art und Weise.Insofern denken wir, dass ein Informationsfreiheitsgesetz, das dieses Gleichgewicht zwischen den Bürgern und den staatlichen Behörden gewährleistet, wichtig und notwendig ist. Wir werden das in den nächsten Wochen in den Ausschüssen und im Plenum wieder diskutieren.

Es ist auch Aufgabe dieser Debatte im Plenum zum 36. Rechenschaftsbericht, Lösungsansätze zu diskutieren. Deswegen will ich mich sehr konkret darauf beziehen,was im privaten Bereich notwendig ist.

Die Gewerkschaften fordern schon seit Jahren ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Sie sagen, es sei notwendig, dass der Gesetzgeber die Grundrechte schützt, und dass Sanktionen notwendig sind, die mit diesem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz umgesetzt werden sollen. Es geht um die Verhinderung von gezielter Überwachung am Arbeitsplatz. Diese soll verboten werden. Es geht auch um konkrete Aufklärung von Verdachtsmomenten und weitere Maßnahmen.

Jegliche Datenverarbeitung muss unter Zustimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfolgen, und hierfür ist es sicher sinnvoll und notwendig, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen abzuschließen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gilt im Übrigen auch die Stärkung und die Unabhängigkeit von betrieblichen Datenschutzbeauftragten vorzunehmen und auch ein Verbandsklagerecht im privatrechtlichen Bereich einzuführen. Das sind einige von vielen zentralen Forderungen, die die Gewerkschaften zum Arbeitnehmerdatenschutz haben und die wir unterstützen.

Lassen Sie mich zum Schluss meiner Ausführungen nur noch darauf hinweisen, dass wir als Gesetzgeber angesichts der Tragweite der aktuellen Datenskandale und auch angesichts der Bedrohungen, denen die freiheitliche Gesellschaft durch die Entwicklung hin zu einem gläsernen Bürger ausgesetzt ist, jetzt klare Grenzen ziehen und die richtigen Signale setzen müssen. Datenschutz ist Bürgerschutz, ist Kundenschutz, ist Arbeitsschutz. In diesem Sinne werden wir die Diskussion um die Zusammenlegung des öffentlichen und des privaten Bereichs weiter führen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Herr Kollege Schaus. Das war eine großzügige Auslegung der Redezeit, aber Sie haben gerade noch die Kurve gekriegt.

Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Greilich.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum wiederholten Male in dieser Woche sprechen wir hier im Plenum über das große und wichtige Thema Datenschutz. Ich muss sagen, ich bin froh, dass der Datenschutz in diesem Haus einen solch hohen Stellenwert einnimmt.

Herr Prof. Ronellenfitsch hat schon Ausflüge in die Vergangenheit unternommen. Auch ich will das tun. Denken wir einmal zurück in die Sechzigerjahre, als der Datenschutz in den USA und im Folgenden auch in Europa und in Deutschland seinen Anfang nahm. Damals war Gegenstand der Diskussion noch das Bestreben, vor allem die Menschen, die die Daten in die neuen, teuren und nur in geringem Umfang verfügbaren Maschinen eingeben, unter Schutz zu stellen. Damals hatte man keine Vorstellung davon,mit welcher Geschwindigkeit wir im Jahre 2009 auf der Welt und um die Welt kommunizieren können.

Die technische Entwicklung überholt uns jeden Tag aufs Neue. Networking ist nicht mehr nur ein Begriff, unter dem man Neudeutsch das Knüpfen und Pflegen von persönlichen Kontakten versteht, wie auch wir Politiker dies auf vielen Veranstaltungen und bei vielen Gelegenheiten machen. Es ist vor allem im Wortsinne der Aufbau eines Kontaktnetzes ohne Grenzen über alle Kontinente hinweg, sei es zu geschäftlichen Zwecken oder aus privaten Gründen. Wir sind alle begeistert von den Chancen, die das Internet bietet, nämlich eine Fülle von Informationen schnell erhalten zu können, Antworten auf Fragen oder Probleme in kürzester Zeit im Internet finden zu können oder völlig außerhalb von Ladenöffnungszeiten und Feiertagsregelungen im Internet einkaufen zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aber auch darauf hat uns der Datenschutzbericht wieder hingewiesen: So faszinierend diese grenzenlos erscheinenden Möglichkeiten sind, die unser Leben augenscheinlich so erleichtern, so gefährlich sind sie gleichzeitig in ihren Auswir

kungen – nicht unbedingt für Sie und für mich. Da wir uns hier gerade im Rahmen unserer politischen Arbeit besonders intensiv mit dem Thema befassen, sind wir auch besonders sensibilisiert. Doch wie viele unserer Mitbürger, wie viele Jugendliche, wie viele Schüler geben arglos Daten preis, veröffentlichen Persönlichkeitsprofile in bestimmten Portalen, laden Bilder von privatesten Anlässen hoch, geben ihre Bankverbindung an, ohne irgendein Gespür für möglichen Missbrauch zu entwickeln.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Auf der anderen Seite gibt es unendliche, besser noch, unsägliche Beispiele, die beweisen, wie die unbedarfte Veröffentlichung von Privatem wieder als Pfeil auf den Betroffenen zurückfliegt. Ich erinnere nur beispielhaft daran: Unter Schülern ist Mobbing im Internet an der Tagesordnung. Fast jeder ist schon einmal Empfänger von unerwünschten Werbe- oder Spam-E-Mails geworden. Es gibt keinen Weg, ohne Spuren durch das Internet zu gehen. Frau Kollegin Enslin hat es schon gesagt: Das Internet vergisst nichts.

Deshalb hat die Tatsache besondere Bedeutung: Je einfacher und umfangreicher Daten veröffentlicht, gespeichert und weitergeleitet werden können, desto schwieriger wird es, praktikable Sicherheitsmechanismen einzubauen und dem Missbrauch entgegenzuwirken.

Deshalb ist der allerbeste Beitrag zum Datenschutz der Grundsatz der Datensparsamkeit. Das ist eine Botschaft, die wir mit keinem Gesetz der Welt regeln können. Hier sind wir alle gefordert, die Menschen zu sensibilisieren, das Bewusstsein der Internetnutzer zu schärfen, also durch Datensparsamkeit den Datenmissbrauch zu bekämpfen.

Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass wir in Hessen einen sehr gut funktionierenden Datenschutz haben, zum einen beim Regierungspräsidium Darmstadt für den privaten Bereich – Sie hatten es erwähnt, Herr Prof. Ronellenfitsch – und zum anderen beim Hessischen Datenschutzbeauftragten hier in Wiesbaden für den öffentlichen Bereich.

Herr Prof. Ronellenfitsch, die anderen Kollegen haben es schon getan. Lassen Sie auch mich Ihnen und Ihren Mitarbeitern an dieser Stelle meinen ganz besonderen Dank und Respekt aussprechen, auch im Namen meiner Fraktion, für Ihre engagierte und sorgfältige Arbeit und für Ihren ausführlichen Datenschutzbericht.

(Beifall bei der FDP)

Darüber hinaus danke ich vor allem auch dafür, dass Sie sich an die Spitze der Bewegung gesetzt haben und bei jeder Gelegenheit die schon erwähnte Notwendigkeit der Datensparsamkeit einfordern. Sie haben eine sehr sensible Aufgabe, bei der Sie immer weiter entwickelte technische Voraussetzungen durch Ihr juristisches Expertenwissen in gegebene rechtliche Rahmenbedingungen einordnen müssen, und Sie werden nicht müde, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen und genau so, wie sich die technischen Möglichkeiten ändern, entsprechende Weiterentwicklungen bei der Gesetzgebung anzumahnen. Auch dafür sind wir Ihnen als FDP sehr dankbar. Es ist Ihre Aufgabe als Datenschutzbeauftragter des Landes Hessen, und wir greifen das als Fraktion immer gerne auf.

Datenschutz war und ist für uns über die letzten Jahre und bis zum heutigen Tag durch die verschiedenen Legislaturperioden hindurch immer ein wichtiges Anliegen gewe

sen. Der Schutz der Daten und, Herr Kollege Siebel, vor allem der Schutz der Menschen hinter den Daten ist eine Kernaufgabe liberaler Politik.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das werden wir auch jetzt in der wiedergewonnenen Regierungsbeteiligung weiter umsetzen.Wir werden diesem Thema den hohen Stellenwert einräumen, den es verdient. Zusammen mit unserem Koalitionspartner werden wir das Thema auf der Liste der Topthemen behalten. Die nächsten Monate, bis das lange erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshofs gesprochen wird, werden wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, für die Prüfung nutzen, und zwar in aller Sorgfalt und Unaufgeregtheit – denn auch das ist dem Thema angemessen –, unter welchen Bedingungen bei gleichzeitiger Lösung der Frage der Exekutivbefugnisse und der Justiziabilität ein unabhängiges Kompetenzzentrum Datenschutz eingerichtet werden kann, das sowohl für den staatlichen als auch für den privaten Bereich zuständig ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Sorgfalt bei der Prüfung werden wir auch bei der Prüfung der Vorlagen zum Informationsfreiheitsgesetz anwenden.Wir haben mit großem Interesse verfolgt, dass die Reaktionen der SPD auf die Bemerkungen des Datenschutzbeauftragten zu diesem Thema recht positiv ausfielen. Die Konsequenz könnte eigentlich fast sein, dass Sie das zurückziehen.Aber wir werden es in der Anhörung noch einmal prüfen.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Denn es macht in der Tat keinen Sinn,etwas zu regeln,was keinen Effekt hat und was letztlich nicht genützt wird.

(Beifall bei der FDP)

Aber, Frau Kollegin Faeser, lassen Sie uns das in aller Ruhe prüfen und beraten. Sorgfalt vor Schnelligkeit.

Herr Prof. Ronellenfitsch, Sie haben viele Punkte angesprochen, die wir als Gesetzgeber in datenschutzrechtlicher Hinsicht beachten müssen.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Herr Siebel, es hat mich vorhin schon etwas gejuckt, als Sie auf uns zu sprechen kamen. Wissen Sie, es hat etwas Unsägliches, wenn Sie als SPD im Bundestag das BKAGesetz beschließen, die Onlinedurchsuchung einführen, gestern und heute in Berlin das Bundesdatenschutzgesetz scheitern lassen, nicht in der Lage sind, dort eine Novelle herbeizuführen, aber sich hier als Hüter des Datenschutzes aufführen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)