Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben. Wir begrüßen es, wenn sie sich in unserem Land wohl und dazugehörig fühlen und sich als deutsche Staatsbürger engagieren. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist für uns mehr als nur ein Pass; sie ist mehr als nur ein Legitimationspapier.
Niemand gehört zwei Religionsgemeinschaften an. Nicht einmal zwei Parteien kann man sinnvollerweise zugleich angehören. Eine doppelte Staatsangehörigkeit soll nach unserer Überzeugung nur die Ausnahme sein.
(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wie weit sind Sie eigentlich von der Lebensrealität entfernt?)
Es geht einzig und allein darum, welchem Land mit all den damit verbundenen Rechten und Pflichten der Betroffene loyal angehören will. Die Staatsangehörigkeit ist ein starkes Band: ein Band der Loyalität zwischen Staat und Individuum. Für uns gibt es keine Staatsangehörigkeit unter Vorbehalt. Wir wollen, dass diejenigen, die sich einbürgern lassen, Loyalität gegenüber unserem Land empfinden und ganz bewusst Deutsche werden. Wir wollen aber nicht eine Art von Nützlichkeitsdenken, bei dem man die Vortei
le des deutschen Passes gern mitnimmt, ohne auf die Vorteile einer weiteren Staatsangehörigkeit zu verzichten.
Die Doppelstaatigkeit ist ein Privileg; das steht außer Frage. Es ist schon seltsam: Ausgerechnet DIE LINKE spricht sich hier für eine Privilegierung durch Geburt aus. Wir wollen, dass niemand wegen seines Migrationshintergrunds benachteiligt wird. Aber wir wollen auch nicht, dass jemand wegen seines Migrationshintergrunds privilegiert wird.
Im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht gilt aus guten Gründen das Prinzip, dass Mehrstaatigkeit vermieden werden soll; denn mit der Mehrstaatigkeit sind auch ganz praktische Probleme verbunden: im Steuerrecht, im Strafrecht, im internationalen Privatrecht, im Erb-, Unterhalts- und Familienrecht, in der Ausübung politischer Rechte, beim Wahlrecht oder auch beim diplomatischen Schutz.
Für die LINKEN, für die GRÜNEN und auch für die SPD ist die Gewährung der doppelten Staatsangehörigkeit ein Teil des Integrationsprozesses. Wir sind vom Gegenteil überzeugt. Für uns geht eine erfolgreiche Integration der Einbürgerung voraus; denn wer gleiche Rechte anstrebt, muss auch gleiche Pflichten haben. Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft – das unterscheidet uns – muss am Ende einer erfolgreichen Integration stehen, nicht am Anfang.
Meine Damen und Herren, Hessen ist und bleibt ein weltoffenes Land. Wir haben hier zahlreiche Beispiele einer erfolgreichen Integration. Wir betreiben in Hessen seit vielen Jahren eine erfolgreiche Integrationspolitik, und wir wollen diese künftig intensivieren. Derzeit arbeitet die eigens dafür eingerichtete Enquetekommission an ihrem Abschlussbericht, um weitere Perspektiven und neue Wege aufzuzeigen.
Wir wollen, dass Hessen – ganz Deutschland – für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zur neuen Heimat wird. Das muss man freilich wollen, und dazu muss man sich auch bekennen. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist eben nicht, wie schon erwähnt, nur ein Pass, sondern sie ist ein Bekenntnis zu unserem Land, das kulturelle und religiöse Toleranz fördert, aber auch einfordert. – Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Bauer. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Ende der Aussprache zur Regierungserklärung des Ministers der Justiz, für Integration und Europa betreffend „Integration geht uns alle an“.
Mit aufgerufen war unter Tagesordnungspunkt 26 der Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Einbürgerungen erleichtern – Optionspflicht abschaffen. Soll er an den Innenausschuss überwiesen werden? – Dann ist das so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 36 – ebenfalls mit aufgerufen –: Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend echte Integration und Teilhabe ermögli
chen: Einbürgerung erleichtern, Optionspflicht abschaffen. Sollen wir ihn überweisen oder darüber abstimmen?
Abstimmung. – Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – DIE LINKE, die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – CDU und FDP. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 57: Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Optionsmodell hat sich bewährt: bewusste Entscheidung für die neue Heimat statt Wanderer zwischen zwei Welten. Wer möchte zustimmen? – CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Die übrigen drei Fraktionen. Damit ist der Antrag mit Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt 58: Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Hessen baut Vorreiterrolle in der Integrationspolitik weiter aus. Wer möchte zustimmen? – CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Die übrigen drei Fraktionen. Damit ist dieser Antrag mit Mehrheit angenommen.
Ich darf auf weitere Anträge hinweisen. Eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend hessische Chemie- und Pharmaindustrie hat strategische Bedeutung – Initiative Gesundheitsindustrie der Landesregierung greift zu kurz. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 59 und könnte mit Tagesordnungspunkt 38 aufgerufen werden. – So ist es beschlossen.
Weiterhin ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Steuerhinterziehung bei Amateuren wie Profis gleichermaßen bekämpfen, eingegangen. – Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Dann könnte dieser Antrag als Tagesordnungspunkt 60 mit Tagesordnungspunkt 25 aufgerufen werden. Einverstanden? – Dann können wir so verfahren.
Ich weise auf einen weiteren Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend „Sonderprogramm“ der Landesregierung ist ein Schildbürgerstreich – Wohnraummangel durch ehrliche und stetige Wohnungspolitik bekämpfen, hin. – Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Er wird Tagesordnungspunkt 61 und könnte mit Tagesordnungspunkt 35 aufgerufen werden. – Die parlamentarischen Geschäftsführer bestätigen das. Vielen Dank. Damit haben wir die Tagesordnung ergänzt.
Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Regelung des Jugendarrestvollzuges in Hessen – Drucks. 18/7179 –
Zur Einbringung darf ich Kollegin Hofmann das Wort erteilen. Die Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten je Fraktion.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Jugendarrest in Hessen muss besser werden. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. 70 % der jugendlichen Arrestan
ten werden nämlich rückfällig. Der hessische Steuerzahler wird nach dem Haushaltsplan im nächsten Jahr 13 Millionen € für den Jugendarrest ausgeben.
Bei jugendlichen Straftätern, deren Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, haben wir die größten Einwirkungsmöglichkeiten dahin gehend, dass sie künftig ein Leben ohne Straftaten führen. Diese Chance müssen wir nutzen: im Sinne der Jugendlichen, aber auch im Sinne der Gesellschaft, die vor Straftaten geschützt werden muss.
Der Jugendarrest ist, wie Sie vielleicht wissen, ein Zuchtmittel. Er ist im Moment in der Tat nur rudimentär ausgestaltet – etwa in Verwaltungsvorschriften und in Rechtsverordnungen –, obwohl Hessen nach der Föderalismusreform dafür eine gesetzliche Zuständigkeit hat. So hat das Bundesverfassungsgericht selbst im Jahr 2006 angemahnt, dass Grundrechtseingriffe wie der Freiheitsentzug – damit haben wir es hier zu tun – einer gesetzlichen Grundlage bedürfen.
Meine Damen und Herren, da die Landesregierung wohl nicht mehr die Kraft und auch keine Konzeption für den Jugendarrest hat, haben wir als SPD-Fraktion nun einen Gesetzentwurf in den Hessischen Landtag eingebracht.
(Beifall der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU) – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Nicht so überheblich, Herr Bauer! – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Darauf werde ich später eingehen. – Schwerpunkt unseres Gesetzentwurfs ist die Förderung des Jugendlichen, insbesondere die erzieherische Ausgestaltung des Jugendarrests und die Bildung des Jugendlichen. Wir wollen dies in ein pädagogisches Gesamtkonzept fassen, bei dem Förderung, Erziehung und Bildung der Jugendlichen im Vordergrund stehen. Konzeptionell wollen wir dabei einen Blick auf den Dauerarrest werfen, weil wir bei dem Dauerarrest die größte Möglichkeit haben – im Vergleich zu dem Kurzarrest –, auf die Jugendlichen einzuwirken.
Im Einzelnen soll im Jugendarrest mit den unterschiedlichen Professionen, dem allgemeinen Vollzugsdienst, Sozialarbeitern, Psychologen, direkt am Jugendlichen vernetzt zusammengearbeitet werden. Meine Damen und Herren, das wollen wir mit sozialen Trainingskursen, Angeboten der Jugendbildungsarbeit, aktiver Freizeitgestaltung, aber auch mit der Vermittlung von Anlaufstellen, Kontaktstellen für die Jugendlichen erreichen.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Frömm- rich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)
Ganz wichtig ist uns, dass in dieser denkbar knappen Zeit mögliche Leerlaufzeiten für die Jugendlichen begrenzt werden. Wir wollen in dieser Zeit im Arrest eng und effizient am Jugendlichen arbeiten. Wir wollen für jeden Jugendlichen einen sogenannten individuellen Förderplan aufstellen, ihm Verantwortungsbewusstsein für sein eigenes Leben, aber auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Straftat verschaffen. Wir wollen ihn dazu befähigen, sozial verträgliches Verhalten zu erlernen. Der Bildungsansatz unseres Gesetzentwurfs ist es, die Fähigkeiten und Begabungen jedes einzelnen Jugendlichen zu wecken und zu fördern.
Bei der Freizeitgestaltung wollen wir individuelle Angebote machen, aber auch Gemeinschaftsaktivitäten herausstel
Wir denken – das ist ganz, ganz wichtig – auch an die Nachsorge nach dem Arrest. Wir müssen schauen, dass es nicht mit dem Arrest aufhört, sondern die jungen Menschen müssen, wenn sie aus dem Arrest entlassen werden, in ein Netzwerk entlassen werden. Man muss ihnen Angebote für Anlaufstellen machen, Personen, Vereine, Bildungsstätten, die sich außervollzuglich mit dem Jugendlichen beschäftigen,
damit er eben nicht ins Leere fällt, sondern weitere, an den Jugendarrest anknüpfende Angebote erhält. Genau das ist unser Ansatz.
Herr Müller, Sie von der FDP werden jetzt wahrscheinlich gleich einwenden – Sie haben es schon über die Presse verlautbaren lassen –: „Dieser Gesetzentwurf ist ein Schnellschuss. Wir machen doch schon guten Jugendarrest in Hessen.“ Herr Müller, vorauseilend darf ich Ihnen dazu aber sagen: Die Zahlen – 70 % Rückfallquote – sprechen doch gegen Sie und sind ein Armutszeugnis. Sie zeigen uns, dass der Jugendarrest in Hessen viel, viel besser werden muss.
Herr Bauer, weil Sie das vorhin schon dazwischengerufen haben: In der Tat haben wir unseren Gesetzentwurf mit Experten aus Wissenschaft und Praxis ausführlich diskutiert. Unser Gesetzentwurf lehnt sich an die Eckpunkte der länderübergreifenden Arbeitsgruppe an. Es gibt bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf in Nordrhein-Westfalen. Auch in Hamburg – hören Sie bitte einmal zu – hat die CDU-Bürgerschaftsfraktion einen entsprechenden Entwurf auf den Weg gebracht. Auch von dieser Seite hat man offensichtlich Handlungsbedarf gesehen.
Ich lade Sie deshalb, gerade die die Regierung tragenden Fraktionen, ein, unseren Gesetzentwurf als Grundlage für einen besseren Jugendarrest zu begreifen und ihn mit uns im Sinne der Sache zu beraten. Außerdem wissen alle Justizvollzugspraktiker: Wir brauchen endlich ein Konzept für den Jugendarrest. Wir brauchen endlich eine gesetzliche Grundlage. Danach lechzt der Jugendarrest.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir brauchen mehr denn je alle jungen Menschen. Wir sind völlig verrückt, wenn wir sie der Drogenszene, der Prostitution, dem Diebstahl und der Gewalt ausliefern. Helfen Sie, den jungen Menschen in unserem Land mit diesem Gesetz eine neue Perspektive zu geben.