Protocol of the Session on March 21, 2013

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Herr Müller, und das habe ich auch getan, als ich nämlich die ADAC-Unfallstatistik im Januar nachgelesen habe. Die kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Ich wollte nicht etwas vorschnell behaupten, sondern dachte, ich frage einmal beim Ministerium nach. Also habe ich am 14. Januar, vor über zwei Monaten, eine Kleine Anfrage mit der Bitte an das Ministerium gerichtet, genau diese Frage zu beantworten.

Herr Minister, nämlich: Worauf führt die Landesregierung zurück, dass die Zahl der im hessischen Straßenverkehr Getöteten im Vergleich zum Vorjahr angestiegen ist? Auf welchen Verkehrswegen ereigneten sich die Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang? Aber auch die Frage, wie stark der Anstieg der Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang auf den Autobahnabschnitten ist, wo die Geschwindigkeitsbegrenzung 2010 auf- oder angehoben wurde, und ob die Landesregierung hier einen Zusammenhang sieht.

Bisher habe ich darauf keine Antwort erhalten. Laut Geschäftsordnung – das wissen Sie – müssen Kleine Anfragen innerhalb von sechs Wochen beantwortet werden. Aber ich habe jetzt bereits zum zweiten Mal die Mitteilung erhalten, dass die Frist nicht eingehalten werden kann und meine Fragen erst bis Mitte April beantwortet werden können. Zur Begründung hieß es, dass die Informationen dem Ministerium noch nicht vorliegen würden und man bis Mitte April benötige, um zu einer – Zitat – „qualifizierten und aussagekräftigen“ Antwort zu kommen.

Herr Minister, deshalb bin ich sehr gespannt, ob Sie sich heute überhaupt zu Wort melden und was Sie gleich sagen werden, weil Sie nach den Angaben Ihres eigenen Ministe

riums ja keine qualifizierten und aussagekräftigen Angaben zum Thema machen können.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Er ist nicht das Ministerium!)

Es wundert mich schon, dass die FDP hier ein Thema auf die Tagesordnung setzt, zu dem sich der Verkehrsminister seit zwei Monaten außerstande fühlt, qualifiziert Stellung zu beziehen. Wenn es keinen Zusammenhang zwischen Verkehrspolitik und Verkehrstoten gibt und wenn Sie schon Kollegin Müller eine grobe Entgleisung vorwerfen, dann sollten Sie doch wenigstens in der Lage sein, auch zu belegen, dass es keinen Zusammenhang gibt.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Das haben Sie seit zwei Monaten nicht geschafft, indem Sie nicht einmal die Kleine Anfrage beantworten konnten.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Europäische Union hat das Ziel ausgegeben, die Zahl der Unfalltoten im Straßenverkehr bis 2020 zu halbieren. Man muss sich das noch einmal vergegenwärtigen: Auf deutschen Straßen werden jeden Tag mehr als zehn Menschen getötet, mehr als 200 Menschen schwer verletzt. Stellen Sie sich vor, jede Woche würden 70 Menschen im Bahnverkehr sterben. Stellen Sie sich vor, einmal im Monat würde ein vollbesetzter Passagierjet abstürzen. Ich glaube, Sie würden bei keiner anderen Verkehrsart akzeptieren, dass es so viele Unfalltote gibt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, deshalb ist es natürlich eine sinnvolle Maßnahme, dass Sie jetzt gegen Drängler vorgehen wollen. Viele Unfälle mit Toten und Verletzten könnten verhindert werden, wenn der notwendige Sicherheitsabstand eingehalten und nicht zu dicht aufgefahren würde.

Aber ich sage auch: Noch sinnvoller wäre ein generelles Tempolimit. Das ist eine einfache Maßnahme, die nichts kostet, die ausgesprochen wirksam ist und die es in allen anderen europäischen Staaten längst gibt.

Es gibt auf dieser Welt nicht mehr sehr viele Staaten, die kein generelles Tempolimit haben. Dazu gehören nur noch Deutschland, Afghanistan, Nordkorea, Somalia. Das sind die Länder, die kein Tempolimit haben, Herr Minister. Alle anderen europäischen Länder haben eines und fahren gut damit.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Sie haben hohe Verkehrstotenzahlen!)

In Afghanistan scheitert es schon an den Straßen, auf denen man diese Geschwindigkeit nicht fahren kann, wie man das in Deutschland kann. Aber Sie wollen sich weiter als Partei der Autolobby profilieren und lehnen ein generelles Tempolimit ab.

Es gibt viele gute Gründe für ein Tempolimit von 120 km/h. Es wäre sowohl ein Beitrag zum Klimaschutz als auch zur Verkehrssicherheit.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Ach du meine Güte!)

Damit könnte man schnell und ohne Kosten den CO2-Ausstoß senken, und es schafft weniger Anreiz, stark motorisierte und schwere Fahrzeuge zu kaufen. Laut Berechnungen des Bundesumweltamtes – Sie können sagen, es sei alles Quatsch – ließen sich durch ein Tempolimit von 120 km/h 3,4 Millionen t Kohlendioxid pro Jahr einsparen.

Und es geht natürlich auch um Verkehrssicherheit. Überhöhte Geschwindigkeit ist eine der Hauptursachen für Unfälle. Es gibt Berechnungen, unter anderem der Weltgesundheitsorganisation, die besagen, dass man die Zahl der Unfalltoten durch ein Tempolimit senken könnte.

Das sage ich auch gerade angesichts des demografischen Wandels. Auch die Autofahrer werden immer älter. Und die Höchstgeschwindigkeiten, die auf deutschen Autobahnen gefahren werden, überfordern viele ältere Verkehrsteilnehmer.

Die Unfallstatistik besagt, dass nämlich bei den Senioren ab 65 Jahren mit einer wachsenden Zahl der tödlich Verletzten zu rechnen ist. Tempolimits bringen allen Verkehrsteilnehmern mehr Ruhe, mehr Übersicht und mehr Sicherheit. Und sie schützen in erster Linie die schwächsten Verkehrsteilnehmer.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn die FDP behauptet, eintöniges Fahren führe häufig zu Verkehrsunfällen, kann ich nur sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Gerade hohe Geschwindigkeitsunterschiede führen zu Unfällen und vergrößern die Staugefahr. Durch eine geringere Spreizung der Geschwindigkeiten auf Autobahnen könnten Gefahren minimiert werden.

Herr Müller, das sage nicht nur ich, das sagt auch der Wissenschaftliche Beirat zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, der den Bundesverkehrsminister berät. Er empfiehlt nämlich in seinen Vorschlägen auch ein Tempolimit und verweist auf die – Zitat – „Risiken einer unbegrenzten, damit oft hohen und sehr heterogenen Geschwindigkeit.“

Man muss an der Stelle auch sagen, dass die Zahl der Verkehrstoten zwar abnimmt, die Unfallzahlen aber steigen. Die meisten Unfälle bleiben bei Sachschäden. Nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen betrug der volkswirtschaftliche Schaden durch Unfälle im Straßenverkehr allein im Jahr 2009 30,5 Milliarden €. Das entspricht 1,27 % des Bruttoinlandsprodukts. Ich habe nicht gedacht, dass diese Zahl so hoch ist. Aber ich finde, diese Kosten dürfen auch nicht vergessen werden. Und darüber reden Sie leider nicht, wenn Sie über die Kosten für Verkehr sprechen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun bejubeln Sie in Ihrem Antrag wieder einmal die Arbeit der Landesregierung für mehr Verkehrssicherheit und nennen unter anderem die gute Straßeninfrastruktur. Im aktuellen Bauherrenkostenbericht, den das Verkehrsministerium herausgibt, liest sich das allerdings etwas anders, Herr Minister. Danach decken die bereitgestellten Mittel den Bedarf für die Straßenerhaltung bei Weitem nicht. In dem Bericht heißt es wörtlich:

Vor dem Hintergrund der Konsolidierung des Landeshaushaltes und der Schuldenbremse ist weiterhin von einer entsprechenden Diskrepanz über die

nächsten Jahre und der weitergehenden Substanzverschlechterung im Landesstraßennetz auszugehen.

Das schreiben Sie selbst in Ihrem Bericht. Das können Sie auf Seite 5 nachlesen.

Sie loben in Ihren Anträgen die gute Verkehrsinfrastruktur, die sich aber nach Aussage des Verkehrsministeriums in den nächsten Jahren verschlechtern wird. Ich finde, da sollten sich die Mitglieder der CDU und der FDP ein Beispiel an mir nehmen. Sie sollten wenigstens die Veröffentlichungen der Landesregierung lesen, bevor Sie solche Anträge schreiben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch um die Qualität hessischer Autobahnen steht es nicht allzu gut. In der ADAC-Studie „Verkehrsqualität auf deutschen Autobahnen“, die im September 2012 erschienen ist, ist nachzulesen:

Lässt man die Stadtstaaten außen vor, so zeigen sich die ungünstigsten Situationen in Baden-Württemberg, Hessen und NRW. Dort liegt … der Anteil von Autobahnabschnitten mit mangelhafter oder unzureichender Verkehrsqualität bei über 20 %.

Auch hier gibt es also keinen Grund zum Jubeln.

Wir, die Mitglieder der LINKEN, fordern die Verkehrswende. Derzeit hat der motorisierte Individualverkehr einen Anteil von mehr als drei Viertel am gesamten Personenverkehr. Gerade diese Art des Verkehrs verursacht hohe Kosten und ökologische Schäden, hat einen enormen Flächenverbrauch und mindert die Lebensqualität durch Lärm und Abgase. Statt den motorisierten Individualverkehr weiterhin zu privilegieren und auszuweiten, muss der öffentliche Personenverkehr ausgebaut werden, und zwar so, wie ihn die Menschen brauchen, also flächendeckend, attraktiv, barrierefrei und bezahlbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss meiner Rede. – Laut Bundesverkehrsministerium wird das Verkehrsaufkommen in den nächsten Jahren weiter zunehmen, in erster Linie auf den Straßen. Ich finde, wir müssen darüber nachdenken, wie man den Verkehr reduzieren kann. Das kann beispielsweise durch die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe, wohnortnahes Arbeiten und Regionalentwicklung geschehen.

Ich denke, das wäre ein Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität vieler Pendler, die viele Stunden am Tag im Auto und im Stau verbringen. Ich glaube, das ist der Weg, den wir gehen müssen. Wir dürfen nicht immer weiter die Privilegierung des Straßenverkehrs vornehmen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Wissler, vielen Dank. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Caspar von der CDU zu einer Kurzintervention zu Wort gemeldet. Herr Caspar, Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Frau Präsidentin! Frau Wissler, ich habe mich zu der Kurzintervention zu Wort gemeldet, weil Sie hier behauptet haben, dass die Verringerung der Strecken auf den Autobahnen, bei denen es standardmäßig Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt, im Wesentlichen Ursache dafür sein soll, dass wir im letzten Jahr bedauerlicherweise 20 Verkehrstote mehr in Hessen hatten.

Wir hatten im Jahr 2012 283 Verkehrstote. Das sind 20 mehr als im Vorjahr. Wenn Sie sich mit den Zahlen beschäftigt hätten, würden Sie wissen, dass 60 % der Menschen auf den Landstraßen, 28 % beim innerstädtischen Verkehr und nur 12 % auf den Autobahnen zu Tode kommen. Da werden Sie doch nicht ernsthaft behaupten können, dass das Plus von 19 % erstens auf die Autobahnen zurückzuführen ist. Das Plus von 19 oder 20 Personen kann nicht auf die Autobahnen zurückgeführt werden.

Zweitens kann das schon gar nicht einmal auf die paar Strecken zurückgeführt werden, bei denen es zu einer Veränderung hinsichtlich der Geschwindigkeitsbegrenzung gekommen ist. Wenn Sie sich damit beschäftigt hätten, müssten Ihnen doch schon allein die Zahlen dokumentieren, welcher Unsinn das ist, den Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Herr Caspar, vielen Dank. – Frau Wissler, Sie haben die Möglichkeit, zwei Minuten lang zu erwidern.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Caspar, erst einmal möchte ich sagen, dass das kein Plus von 19 % ist. Das wäre dramatisch. Es handelt sich um ein Plus von 7,6 %.