Protocol of the Session on March 20, 2013

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns heute Morgen ein bisschen mehr Zeit nehmen, um über das Thema Ausbildung und berufliche Abschlüsse zu reden.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Das war nicht ganz zu erwarten. Wenn der eine oder andere gesprochen hätte, wäre ich nicht mehr nach vorne. Aber der Beitrag von Herrn Klein ist es in der Tat wert, sich noch einmal mit seinen beiden Argumenten auseinanderzusetzen.

(Zurufe von der FDP)

Herr Klein, ich will zunächst noch einmal etwas hinsichtlich dessen klarstellen, auf das sich Ihre erste Bemerkung bezog. Sie bezog sich nämlich auf das Thema der sogenannten Bildungsab- und -aufsteiger. Der Hintergrund ist, dass ich aus einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Dezember 2012 zitiert habe, die zu dem Ergebnis kommt, dass in Deutschland im Bundesdurchschnitt auf ein Kind, das einen Schulwechsel von der Hauptschule auf die Realschule oder von der Realschule auf den gymnasialen Zweig vornimmt, vier Kinder kommen, die den umgekehrten Weg gehen.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

In Hessen ist das Verhältnis anders. In Hessen kommen auf ein Kind, das diesen Stufenwechsel vornimmt, neun Kinder, die den umgekehrten Weg gehen.

Frau Beer erzählt dann immer, dass die Zahlen nicht stimmen würden. Ich habe die Zahlen der Bertelsmann Stiftung zitiert. Ich sage das, damit wir wissen, über was wir reden.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe das gesagt, um die Ebenen klar zu kriegen.

(Zuruf des Abg. Günter Schork (CDU))

Der zweite Punkt, zu dem Sie gesprochen haben, betraf das Thema Übergangssysteme zwischen Schule und Beruf. Auch das lohnt es sich in der Tat noch einmal aufzugreifen. Denn es geht dabei um sehr unterschiedliche Themen. Herr Klein, ich will dazu noch einmal sagen, dass ich die Frage der Situation im Übergangssystem von Schule auf Beruf in meiner Rede nur am Rande gestreift habe, weil ich mich in meinen Ausführungen insbesondere auf den Block der Menschen zwischen 25 und 35 Jahren konzentriert habe. Die sind vom Übergang von der Schule in den Beruf in aller Regel gar nicht mehr betroffen.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Herr Klein, ich habe am Ende meiner Rede gesagt, dass wir auch da eine Baustelle haben.

(Zuruf)

Ja, Zuhören ist da schwierig.

(Manfred Pentz (CDU): Das ist auch wirklich schwierig!)

Mit Ihnen redet im Moment keiner. Ich rede gerade mit Herrn Klein.

(Zurufe)

Darf ich weiterhin mit Herrn Klein reden? – Ich versuche, auf seine Argumente einzugehen. Es ist hier „gelegentlich“ üblich, das zu tun. Danke schön.

Die zweite Bemerkung, die ich zum Thema Schule und Beruf gemacht habe, ist eine, die ich jetzt mit zwei oder drei Teilbemerkungen unterstreichen will. Beim Thema Schule und Beruf geht es unter anderem um die Herausforderung bei den vollschulischen Ausbildungsgängen. Wir haben dort etwa 19.000 – das ist die Zahl, die zumindest mir vorliegt –, die sich derzeit in vollschulischen Ausbildungsgängen befinden.

Nun gibt es in den Regionen bestimmte Situationen. Ich nehme jetzt einmal Alsfeld. Da werden im Moment von der Industrie und vom Gewerbe Industriekaufleute gesucht. Gleichzeitig wird von den beruflichen Schulen derselbe Ausbildungsgang angeboten. Das ist eine Konkurrenzsituation, die ich zumindest überdenkenswert finde. Man muss sich überlegen, ob das klug ist.

Herr Klein, da sind wir uns schon einmal einig. Da sind wir nicht weit auseinander.

Zweite Bemerkung. Bei dem derzeitigen System des Übergangs von der Schule in den Beruf erleben wir die Situation, dass sich ein Teil der jungen Menschen, die von der Schule abgehen, zwar in den Statistiken der Schule befunden hat, aber in den Statistiken der beruflichen Bildung dann nicht mehr auftaucht. Sie sind weg. Ich habe vor einigen Jahren in Gießen eine Runde mit Vertretern aus dem Staatlichen Schulamt, der Bundesagentur für Arbeit, der Jugendberufshilfe und einigen anderen Trägern zusammengeholt, um einmal zu schauen: Wo gehen die eigentlich

hin? Wo sind sie? – Denn auch die brauchen wir. Auch sie wollen wir in Ausbildung bringen.

Das ist ein Thema, das wir angehen müssen. Ich stelle fest, dass das nicht systematisch geschieht. Im Einzelfall gibt es dazu Projekte. Aber es gibt keinen systematischen Zugang.

Deswegen hat unter anderem die VhU in den letzten Wochen mehrfach kritisiert, dass das System des Übergangs von der Schule in den Beruf nicht funktional ist und dass es dort erhebliche Hausaufgaben zu machen gibt. Auf nicht mehr und nicht weniger habe ich hingewiesen. Denn der Schwerpunkt meiner Ausführungen lag auf dem, was Herr Rentsch mit einem Satz angesprochen hat.

Ich sprach z. B. von den 25- bis 35-Jährigen, die in der Tat das Problem haben, dass sie, wenn sie schon Kinder haben, aufgrund der Ausbildungsvergütung überhaupt nicht mehr in der Lage sind, eine Ausbildung zu machen, weil sie dann nicht wüssten, wie sie ihre Familie ernähren sollten. Teilweise wollen sie auch nicht auf das Amt gehen, um mögliche Zuschüsse zu erhalten.

Das sind die Herausforderungen, um die es uns heute Morgen ging. Ich nehme Sie jetzt einmal ausdrücklich aus. Aber einem Teil von Ihnen ging es offensichtlich um etwas anderes. Das interessiert uns aber nicht. Denn wir sprechen im Kern nicht über das, was Sie interessiert, sondern über das, was die Menschen interessiert, die von dem betroffen sind, was wir ändern wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Schäfer-Gümbel, vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie so oft in der Politik gibt es in mancher Debatte zwei Wahrheiten. Auch wenn wir über die berufliche Ausbildung der Menschen in unserem Land reden, gibt es zwei Wahrheiten. Sie widersprechen sich noch nicht einmal.

Natürlich ist es richtig, dass das duale System der Bundesrepublik Deutschland ein Erfolgsmodell ist, um das wir weltweit beneidet werden. Das ist völlig richtig.

(Günter Rudolph (SPD): Das hat auch keiner bezweifelt!)

Das will auch niemand infrage stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben eine gute und erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Auch das ist eine Wahrheit, die keiner bestreiten sollte.

Die andere Wahrheit ist aber, dass es auch viele Menschen gibt, die bislang keinen Platz für eine Berufsausbildung gefunden haben. Sie sind in dem Alter zwischen 18 und 35 Jahren und habe bisher keine berufliche Ausbildung bekommen. Wahr ist auch, dass weiterhin viele junge Menschen nach der Schule keine berufliche Ausbildung finden

und in das sogenannte Übergangssystem gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, warum fällt es Ihnen eigentlich so schwer, anzuerkennen, dass wir auch für diese Menschen etwas tun müssen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Es hilft eben nicht, sich in den guten Daten des Arbeitsmarktes zu sonnen. Es hilft nicht, zu sagen: Es gibt viele, denen es gut geht. – Vielmehr muss die Aufgabe der Politik immer auch darin bestehen, nach den Menschen zu fragen, denen es nicht gut geht und die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Auch um diese müssen wir uns kümmern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, wenn Sie dem Fehler erliegen, sich von den guten Zahlen des Arbeitsmarktes blenden zu lassen, Ihren eigenen Parolen zu glauben und in unserem Land die Menschen zu vergessen, denen es nicht gut geht, dann machen Sie einen entscheidenden Fehler.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie sprechen von Wohlstand, und Sie sprechen von Chancen. Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, wir fragen Sie: Von Wohlstand für wen und von Chancen für wen reden Sie? Lassen Sie sich blenden, oder haben Sie noch einen Blick für die Probleme in unserem Land?

Wir müssen doch etwas für die 2.500 jungen Menschen in jedem Jahrgang tun, die nach der Schule eben nicht in eine Berufsausbildung, sondern in das Übergangssystem gehen. Für sie müssen wir doch eine Antwort auf die Frage haben, wie auch sie eine berufliche Qualifikation bekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass das sogenannte Übergangssystem, so wie es in Hessen organisiert ist, also das, was wir da tun, effektiv ist? Es ist auch in anderen Bundesländern so organisiert. Das sage ich, damit wir hier nicht wieder einen Streit an der falschen Stelle bekommen.

Bei ganz vielen Maßnahmen ist es doch so, dass die Teilnehmer wissen, dass sie sinnlos sind. Diejenigen, die sie anbieten, wissen, dass sie sinnlos sind. – Wir stecken wahnsinnig viel Geld da hinein. Deswegen ist es doch der Mühe wert, dieses System zu reformieren, damit sich die jungen Menschen nicht in Warteschleifen befinden, sondern am Ende eine berufliche Qualifikation haben. Darum geht es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)