Protocol of the Session on February 27, 2013

Hinzu kommen noch – wie die SPD das in ihrem Antrag richtig schreibt – Infraserv und Vodafone. Hinzu kommt, lieber Herr Thorsten Schäfer-Gümbel, aber auch der massive Stellenabbau durch die Insolvenz bei der „Frankfurter Rundschau“. Ich finde es ein bisschen schade, dass die SPD in ihrem Antrag so viele Unternehmen aufführt, ausgerechnet aber die „Rundschau“ vergessen hat, an der Sie schließlich über Ihre Mediengesellschaft beteiligt sind und bei der Sie aktiv Einfluss nehmen könnten. Herr SchäferGümbel, ich finde, die hätten Sie auch mit aufführen können.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Clemens Reif und Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU) – Günter Rudolph (SPD): Das ist Beifall von der falschen Seite!)

Der Applaus von der FDP ist mir jetzt auch ein bisschen peinlich.

(Günter Rudolph (SPD): Das wäre mir auch peinlich!)

Angesichts dieser Liste stellt sich aber die Frage: Was hat denn eigentlich die Landesregierung unternommen, um diese Arbeitsplätze zu erhalten?

(Unruhe)

Das ist aber leider herzlich wenig.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Die „FAZ“ hat aber gleichzeitig die Liste der Neueinstellungen veröffentlicht. Ich finde, diese Rangliste der Firmen mit Neueinstellungen ist nicht weniger alarmierend. Ich will sie Ihnen kurz beschreiben: Auf Platz 1: Orizon, Zeitarbeitsfirma; auf Platz 2: Adecco, Zeitarbeitsfirma; Platz 4: Time-Partner, Zeitarbeitsfirma; auf Platz 5 kommt dann die Bahn, und dann folgen noch vier weitere Zeitarbeitsfirmen auf dieser Liste.

Das zeigt, wie verbreitet Leiharbeit inzwischen ist. Wer heute einen Arbeitsplatz sucht, der findet oftmals überhaupt nur noch in der Zeitarbeit Beschäftigung. Leiharbeiter sein heißt, ständig auf Abruf zu leben, ohne feste Arbeitszeiten und ohne eine verlässliche Lebensperspektive.

Meine Damen und Herren, ja, der Fall Amazon ist schockierend. Aber leider ist er kein Einzelfall, sondern er ist vielmehr die Spitze eines Eisbergs. Viele Unternehmen nutzen die Leiharbeit systematisch, um Tarifverträge zu unterlaufen und Lohndumping zu betreiben. Deshalb: Wer über Amazon spricht, der darf über die Hartz-Gesetze nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn erst durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, auch „Hartz I“ genannt, wurde die Leiharbeit in Deutschland massiv ausgeweitet. SPD und GRÜNE haben diesen Gesetzentwurf im Jahr 2002 in den Bundestag eingebracht. Ich will Ihnen einmal einen Satz aus der Gesetzesbegründung vorlesen. Da heißt es wörtlich:

Arbeitnehmerüberlassung wird … von all denjenigen Regelungen befreit, die bisher als Schutzmaßnahmen notwendig waren, weil Leiharbeit aufgrund … hoher Flexibilitätsanforderungen mit relativ geringen Entgelten vielfach als prekär angesehen werden musste.

Das heißt also, diese Schutzmaßnahmen wurden ganz bewusst abgeschafft. Man wusste, dass Leiharbeit Prekarisierung bedeutet. Man hat sie dennoch ausgeweitet.

Der zuständige Minister war damals Wolfgang Clement. Auch er verdient sein Geld heute bei einer Leiharbeitsfirma, allerdings nicht als Leiharbeiter.

Jedem, der immer noch glaubt, die Agenda 2010 sei eine Erfolgsgeschichte, empfehle ich das Buch „Deutschland dritter Klasse“. Darin wird unter anderem die Geschichte von Volker Hoppe beschrieben: fünf Jahre arbeitslos, trotz 560 Bewerbungen, von der Mittelschicht in Hartz IV abgerutscht. Die Altersversorgung, Eigenheim, Freundeskreis und soziales Umfeld – alles bröckelte nach und nach weg. Er fand in fünf Jahren einen einzigen Job, und das bei einer

Leiharbeitsfirma, die ihn in die Verwaltung eines Großunternehmens schickte. Er erzählt – ich darf das zitieren –:

Ich hab da zwar nur 9 € brutto die Stunde bekommen, halb so viel wie meine Kollegen. Aber ich war trotzdem begeistert. Ich hab mich reingehängt, Überstunden gemacht, mich von der allerbesten Seite gezeigt.

Alle hätten ihm signalisiert, dass er bald auf eine feste, regulär bezahlte Stelle übernommen werden könnte.

Dann, nach fast drei Monaten, an einem Freitagmittag, hat mich der Chef zu sich geholt …

und gesagt:

„Sie brauchen am Montag nicht mehr zu kommen, wir benötigen Sie nicht mehr“ … Es war wie ein Schlag in den Magen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass sie mich übernehmen wollen.

Er habe sich dann umgehört, mit vielen Kollegen gesprochen und erfahren, dass das immer so laufe. Man bestelle immer Leiharbeiter für zwei, drei Monate, melde sie dann wieder ab, und dann kämen die nächsten. Er hatte geglaubt, er habe eine Chance, wenn er sich wirklich bewähre. Am Montag ging er dann zu der Leiharbeitsfirma, denn dort hatte er einen unbefristeten Vertrag unterschrieben. Aber die haben ihm gesagt, dass sie ihn nur so lange beschäftigen, solange das große Unternehmen ihn anfragt.

Meine Damen und Herren, so sehen die Erfahrungen eines Betroffenen aus. Leiharbeit erfüllt einen Zweck für die Unternehmen – nämlich dass sie Mitarbeiter einfach zurückgeben könne, wie es ihnen gefällt, dass sie im Falle von Urlaub oder Krankheit keine Kosten haben. Das ist ein Vorteil für Unternehmen – aber das ist eine moderne Form der Sklavenarbeit. Deshalb treten wir als LINKE auch dafür ein, dass die Leiharbeit verboten wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Um die Situation der Leiharbeiter zu verbessern, müssen Sofortmaßnahmen umgesetzt werden. Als Erstes natürlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Natürlich müssen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter den gleichen Lohn erhalten. Es darf nicht sein, dass ein Tarifvertrag schlechtere Bedingungen vorsehen darf.

Wir brauchen die Wiedereinführung des Synchronisationsverbots, das durch Hartz I abgeschafft wurde. Wir müssen die Dauer, für die Leiharbeiter an ein und dasselbe Unternehmen verliehen werden, auf drei Monate begrenzen. Die Mitbestimmung muss auf die Leiharbeit ausgeweitet werden. Und wir brauchen ein Verbot von Leiharbeit in bestreikten Betrieben: Leiharbeiter dürfen nicht als Streikbrecher missbraucht werden.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Die Deregulierung des Arbeitsmarkts durch die Hartz-Gesetze hat eine Rutschbahn der Löhne in Gang gesetzt. Der Niedriglohnsektor ist so stark angewachsen wie in keinem anderen Industrieland. Diese Ausbreitung der Niedriglöhne ist eben kein Kollateralschaden der Agenda 2010, sondern ein integraler Bestandteil. Gerhard Schröder erklärte damals wörtlich, man müsse in Deutschland einen Niedriglohnsektor schaffen. Genau den haben wir jetzt. Fast jeder Fünfte arbeitet zu Niedriglöhnen.

Deshalb hat der DGB damals vollkommen zu Recht vor den Hartz-Gesetzen gewarnt und sie abgelehnt.

Wir müssen Tarifflucht bekämpfen. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Vor einigen Jahren war DIE LINKE noch die einzige Partei im Bundestag, die für den Mindestlohn war. Mittlerweile fällt es selbst der FDP schwer, den Menschen, die für 4 € pro Stunde arbeiten, zu erklären, dass der Markt dieses Problem schon lösen werde. Brüderle und Westerwelle haben deshalb ein Einlenken beim Mindestlohn angedeutet. Vielleicht ist das nur Wahlkampfgeplänkel, aber für Guido Westerwelle ist das ein weiter Weg, denn 2007 hat er behauptet: „Mindestlohn ist DDR pur, ohne Mauer“.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Frau Höhn zahlt 4 € die Stunde!)

Ich finde, das ist mit Abstand so ziemlich die dümmste Aussage, die ich in diesem Zusammenhang bisher gehört habe.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Frau Höhn von den GRÜNEN zahlt 4 € die Stunde! – Gegenruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und weitere Wortwechsel)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Der Antrag der SPD ist mit den Worten überschrieben „endlich Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herstellen“. Wer aber hat denn diese Ordnung beseitigt? Ich finde, Ihr Einsatz für die Beschäftigten in Hessen wäre glaubwürdiger, wenn Sie sich endlich kritisch mit der Agenda 2010 auseinandersetzen würden und auch mit der Rolle Ihrer eigenen Partei.

Es ist gut, dass die Reportage über Amazon eine solch breite Empörung ausgelöst hat. Aber die Debatte darf nicht bei Amazon stehen bleiben. Wir müssen darüber nachdenken, welche politischen Konsequenzen aus diesem Skandal gezogen werden können. Und dazu, ja dazu gehört auch die vollständige Rücknahme der Hartz-Gesetze. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für die FDPFraktion hat Herr Lenders das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Geschäftsmodell, das nur dadurch funktioniert, dass es seine Mitarbeiter gängelt und einschüchtert, ist kein Geschäftsmodell, das in der sozialen Marktwirtschaft Platz haben darf.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das sollte in diesem Hause Konsens sein. Ich denke, das ist es auch. Bei dem Fall Amazon haben die Berichterstattungen uns alle aufgeschreckt. Es darf aber auch nicht sein, dass politisches Handeln allein auf einer solchen Berichterstattung fußt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Bundesarbeitsministerium angekündigt hat, diesen Vorgang zu prüfen. Den in der Berichterstattung aufgeworfenen Fragestellungen soll nachgegangen werden. Genau das tut auch

die Hessische Landesregierung. Deswegen kann ich Ihre Vorwürfe, hier würde nichts passieren, überhaupt nicht nachvollziehen.

(Beifall des Abg. René Rock (FDP))

Die Fragen, die in der Berichterstattung selbst stecken, müssen geklärt werden. Es muss geklärt werden, wie viel an dieser Berichterstattung und den Vorwürfen dran ist. Aus diesen Überprüfungen müssen wir dann Konsequenzen ziehen und dürfen nicht voreilige Schlüsse ziehen.

Wir sind gegen Lohndumping, und wir sind gegen die Ausbeutung von Arbeitnehmern. CDU und FDP haben in der Leiharbeit einen Mindestlohn geschaffen, ob ihnen das nun gefällt oder nicht. CDU und FDP haben ihn eingeführt.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wie hoch ist der?)

Zurzeit 8,19 €.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Super!)

Herr Schaus, das ist das Problem bei dem Mindestlohn: Es wird immer fleißig darüber gestritten, wie hoch er tatsächlich sein soll. Auf diese Tatsache machen wir immer wieder aufmerksam.

Es zeigt sich nun, dass es immer wieder Unternehmen gibt, die eine solche Energie entwickeln, sich an diesen Mindestlöhnen nicht zu orientieren und die Mindestlöhne zu unterschreiten. Damit verstoßen sie gegen geltendes Recht. Wenn Unternehmen mit einer solchen Energie betrieben werden, können die besten Mindestlöhne den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht helfen, da helfen nur Kontrollen und Gesetze,