Protocol of the Session on December 14, 2012

Da muss man wirklich feststellen – gerade in Ihre Richtung, Frau Wiesmann, die ich immer wieder in der Frage der Bindungsforschung sehr überzeugend finde –, dass kleine Kinder eine feste Bindung und einen festen Bezugspunkt brauchen. Die Krippengruppen in unverantwortlicher Weise auf 16 aufzublasen, ist daher nicht tragbar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ein anderer Punkt ist die Umstellung der Finanzierung von Gruppen zu real betreuten Plätzen mittels Pauschalen. Dazu möchte ich etwas sagen, was vielleicht etwas überraschend wirkt: Das gibt es in vielen Städten schon. In Frankfurt z. B. gibt es die sogenannte betreute Platzpauschale. Die Frage ist immer, wie man diese Pauschale ausgestaltet. Es ist keine Grundsatzfrage, sondern eine Frage der Ausgestaltung dieser Pauschalen. Frankfurt hat es vor über 20 Jahren gemacht und vor allem eines getan, nämlich sich mit den Trägern und Verbänden zusammengesetzt und eine gemeinsame Einigung erzielt.

Klar ist damit aber auch: Wenn Sie denselben Kuchen so verteilen, wie Sie es dann mit den betreuten Plätzen tun werden, wird es eine Veränderung von Finanzströmen hin zu großen Städten und Ballungsräumen geben, weil dort mehr Kinder betreut werden. Im ländlichen Raum schaffen Sie damit ein Problem, weil Kindergärten, die die Gruppen nicht bis oben voll haben, ein Problem mit ihrer Refinanzierung bekommen werden.

Ich glaube, das ist sicherlich eine Frage von Gerechtigkeit für die großen Kommunen, auch das Geld zu bekommen, das ihnen zusteht. Aber unser öffentliches Interesse kann es doch nicht sein, im ländlichen Raum soziale Infrastruktur zu zerstören. Deswegen brauchen wir dann eine Antwort, wie wir die Daseinsvorsorge auch für Kinder im ländlichen Raum aufrechterhalten. Die Antwort, die Sie geben, ist es nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein letzter Punkt.

Den letzten Punkt aber bitte sehr gerafft, Herr Kollege Bocklet.

Wir finden, Sie haben das Thema Inklusion sträflich vernachlässigt. Sie alle wollten, dass es gerade bei der Förderung von Behinderten- und Integrationsplätzen einen viel besseren Qualitätsstandard gibt. Wir haben eine große Zukunftsaufgabe bei der Inklusion.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer glaubt, dass CDU und FDP eine gute Kinderbetreuungspolitik machen, der glaubt auch, dass der Wetterdienst in Offenbach das Wetter macht: Beides ist nicht der Fall. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Das Wort hat die Frau Abg. Schott, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Wiesmann, ich habe einen riesigen Respekt vor Ihrer Rede. Ich finde es wirklich erstaunlich, wie Sie es hinkriegen, ein so

hundsmiserables Gesetz hier darzustellen, als sei es eine Errungenschaft und ein Fortschritt – alle Achtung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben es auch richtig gut gemacht. Wenn man dem so zuhört, kann man sich vorstellen, dass das jetzt die Verbesserung ist, die auf alle zukommt. Es ist nur gut, dass die Menschen auch noch lesen können, was in Ihrem Gesetz steht.

(Gerhard Merz (SPD): Und rechnen!)

Rechnen können die meisten auch, ja. – Wenn man das liest, anfängt zu rechnen und anfängt nachzudenken, dann stellt man fest, dass dieser Gesetzentwurf die absolute Erklärung des vollständigen Scheiterns Ihrer Politik bezüglich Bildung und Erziehung im Kleinkinderbereich in diesem Land bedeutet; denn Sie gestehen mit diesem Gesetz ein: Wir haben es nicht hingekriegt, und deswegen müssen wir jetzt gesetzlich alle Standards und die Förderung kürzen. – Anders kann man das, was Sie da tun, nicht erklären.

Es gibt überhaupt keinen pädagogischen inhaltlichen Grund für das, was Sie da tun. Es gibt keinen einzigen Grund, weshalb man plötzlich erlaubt und zulässt, dass mehr fachfremde Menschen an der Erziehung kleiner Kinder beteiligt werden. Pädagogisch gibt es dafür keinen Grund. Der einzige Grund ist tatsächlich der, dass Sie es in den letzten Jahren nicht geschafft haben, genug Fachpersonal zu finden und auszubilden, das diese Aufgaben übernimmt.

Sie fragen aber nicht, warum das so ist und wie Sie es verändern können. Sie geben sich den Gegebenheiten hin und passen die Gesetze an. Das heißt, Sie schaffen schlechte Standards und anschließend passen Sie die Gesetze an Ihre schlechten Standards an, statt Sorge dafür zu tragen, dass wir bei kleinen Kindern eine Situation haben, in denen sich bestausgebildete Menschen um deren Bildung und Erziehung kümmern. – Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Dann schaffen Sie es, tolle Wörter dafür zu erfinden, die so klingen, als ob jetzt alles noch besser würde. „Kinderzentrierte Förderung“, das klingt doch einfach großartig. Ich beneide Sie um diese Fähigkeit. Ich weiß nicht, ob Sie dafür Kreative beschäftigen oder selber darauf kommen. Ich finde es erstaunlich; denn „kinderzentrierte Förderung“ klingt doch nach etwas Tollem.

Das heißt in Wahrheit doch nichts anderes, als dass das Kind in Teilchen gestückelt wird und eine bestimmte Anzahl an Stunden in der Betreuung ist und eine bestimmte Summe bezahlt wird. Wie aber die Gruppe und die Einrichtung damit zurechtkommen, ist ein ganz anderes Problem. Das ist das Gegenteil von kinderzentrierter Förderung. Es ist Kinder-Anwesenheitszeit-Förderung oder etwas in der Art, ich weiß es auch nicht.

(Clemens Reif (CDU): „Zentriert“ bedeutet nicht gestückelt! „Gestückelt“ ist filetiert!)

Sie behaupten, es sei zentriert. Und das ist ein niveauvoller Einwurf. Ich bin wirklich wieder beeindruckt. Das ist schon umwerfend.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Wir haben gestern in einem anderen Zusammenhang ganz lange über Schutz und Förderung von Familien geredet. Sie haben hier mit Inbrunst und Überzeugung erklärt, wie wichtig Ihnen das Fördern und Schützen von Familien ist. Hier aber machen Sie wieder das Gegenteil davon.

Wenn man die Standards verschlechtert, können Eltern, die sich Sorgen um die gute Erziehung ihrer Kinder machen, nur heftig überlegen, ob sie ihr Kind noch dorthin geben. Wenn sie zum dem Ergebnis kommen: „Das kann ich meinem Kind eigentlich nicht mehr zumuten“, dann ist das bewusstes und sehr reflektiertes Handeln.

Sie schaffen eine Situation, in der Betreuung verschlechtert wird. Wir haben doch jahrelang mühsam darum gekämpft. Es gab immer die Kritik, Kindertagesstätten seien Aufbewahrungseinrichtungen, da passiere keine Pädagogik, das seien viel zu viele Kinder, die Leute seien zu schlecht ausgebildet. Jahrelang ist mühevoll gegen dieses Bild angekämpft worden. Jahrelang ist mühevoll, in kleinteiliger Arbeit, nachgewiesen worden, wie wichtig die Erziehung in der Gruppe ist.

Die Situation ist verbessert worden, indem die Standards verbessert worden sind. Die Ausbildung ist verbessert worden. Wir sind in der Zwischenzeit doch bei hochwertiger pädagogischer Arbeit, bei Gruppengrößen angekommen, die vertretbar sind.

Jetzt drehen Sie das Rad rückwärts. Das hat nichts mehr mit dem Schutz von Familien zu tun. Das ist genau das Gegenteil davon.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben gestern – ich ziehe einen ganz anderen Bogen – über das Waldgesetz gesprochen und darüber, dass es heftigsten Wiederstand in diesem Land gegeben hat und dass er völlig überzogen sei. Auch gegen diesen Gesetzentwurf gibt es jetzt schon Widerstand. Ich weiß nicht, ob die Kinder organisieren müssen, dass die Pferde und die Reiter wieder vor dem Landtag aufmarschieren, damit sie eine Chance haben, etwas zu verändern. Denn nur ganz starke Bewegung von außen kann die Regierung oder die Regierungsfraktionen dazu veranlassen, von irgendetwas abzulassen, was sie einmal aufs Papier gebracht haben.

Ich weiß, dass man an den Buchstaben sehr hängt, die man niedergeschrieben hat. Aber hier erleben wir doch jetzt schon: Gemeinden schreiben uns. Ver.di hat geschrieben. Die GEW hat geschrieben, mehrere Seiten, die können Sie gerne nachlesen. Verschiedene Trägergruppen haben geschrieben. Erzieherinnenschulen schreiben. Erzieherinnen und Erzieher in Ausbildung schreiben. Besorgte Eltern schreiben.

Es gibt jetzt schon sehr viel vollgeschriebenes Papier, das sagt: Bitte lassen Sie diesen Entwurf nicht zu einem Gesetz werden. – Ich kann nur an die Regierungsfraktionen und die Regierung appellieren, dafür ein offenes Ohr zu haben, sich sehr genau zu überlegen, was Sie hiermit anrichten, und zu schauen, dass man so etwas nicht auf den Weg bringt und, soweit es schon auf dem Weg ist, zurückholt.

Ich bin gespannt auf die Beratungen und die Anhörung. Ich hoffe sehr, Sie werden in der Lage sein, zuzuhören und aus dem Gehörten die richtigen Schlüsse zu ziehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank. – Es gibt den Wunsch auf eine Kurzintervention, Frau Kollegin Wiesmann.

Liebe Frau Kollegin Schott, Sie haben mich so nett persönlich angesprochen. Darauf möchte ich kurz reagieren.

Zunächst zur Fachkraft-Kind-Relation und den Gruppengrößen. Ich muss sagen: Sie schaffen es in einer rührenden Weise, an den wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs vorbeizulesen. Es ist ausdrücklich geregelt, dass die Fachkraft-Kind-Relation, und zwar in allen verschieden Altersgruppen, um die es geht, genau so, wie es bisher in der MVO geregelt ist, erhalten bleibt. Es gibt lediglich mehr Möglichkeiten in der Gruppengestaltung,

(Lachen bei der SPD und der LINKEN)

und das nur in eng definierten Maximalgrößen. Das heißt, dass das elfte oder zwölfte Kind in der U-3-Gruppe durchaus noch Platz hat. Im Schnitt sind es, wenn die Altersklassen gemischt sind, nur noch maximal 13 Kinder. Bei den Einjährigen bleibt die Maximalgrenze wie bisher bei zehn Kindern, und bei den Zweijährigen ist sie rechnerisch 16,7, also, wenn Sie so wollen, 17.

(Gerhard Merz (SPD): Wo haben Sie Gruppen, wo nur unter Zweijährige sind?)

Moment, wir haben U-3-Gruppen. Da gibt es Einjährige und Zweijährige. Das erschließt sich, selbst wenn man noch nie eine Kindertagesstätte von innen gesehen hat.

Ich muss sagen, ich finde es nicht redlich, was Sie machen. Sie werfen verschiedene Aspekte der Regelung in einen Topf. Sie können sich beklagen und die Flexibilität, für die sich die Kommunen ständig einsetzen und auf die sie vor Ort händeringend warten, kritisieren. Aber unterstellen Sie nicht, dass die Betreuungsintensität, das Verhältnis von Fachkräften zu Kindern, unter dieser Regelung leiden wird. Das wird sie nicht, sie wird sich nicht ändern.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zum zweiten Punkt noch kurz, zum Thema Inklusion. Es ist mir sehr wohl bewusst, unsere Integrationspauschale wird zunächst einmal steigen, und zwar um die Hälfte. Das mag noch nicht allen Bedürfnissen Rechnung tragen, aber man muss eindeutig darauf verweisen: Die Rahmenvereinbarung Integration ist nicht mit der Landesregierung geschlossen worden. Sie erwarten von der Landesregierung, dass sie in eine Lücke eintritt, die dadurch entsteht, dass Träger und Kostenträger sich an dieser Stelle neu einigen müssen und ihrer Verantwortung für Kinder mit Behinderungen gerecht werden müssen, die nicht in der Zuständigkeit der Träger der öffentlichen Jugendhilfe liegt.

Frau Kollegin Wiesmann, Sie müssen der Redezeit gerecht werden.

Zu der Finanzierung noch drei eindrucksvolle Zahlen. 1999 waren es 75,5 Millionen € für die frühkindliche Bildung. Ich habe extra den Vergleich mit 2006 gebracht. Den fand ich fairer. Damals waren es 101 Millionen € unter dieser Landesregierung. Heute oder ab 2014 sind es fast eine halbe Milliarde Euro. Ich weiß nicht, wo Sie die Gründe für Ihren Druck auf die Tränendrüsen hernehmen. Ich kann nur feststellen, dass wir uns für die frühkindliche Bildung im Land in Quantität und Qualität ausgesprochen intensiv engagieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Kollegien Schott, bitte.