Protocol of the Session on December 12, 2012

Die Regierung müsste diesen Fakten endlich Taten entgegensetzen, anstatt immer nur zu erzählen, dass alles gut sei. Bereits Anfang des Jahres 2011 haben wir GRÜNEN eine detaillierte Gesetzesinitiative zur Umsetzung der Inklusion in den Schulen in den Landtag eingebracht. Darin waren sowohl konkrete Maßnahmen, als auch ein detaillierter Zeitplan und machbare Umsetzungsschritte beschrieben. All das fehlt von der Landesregierung nicht nur in den Schulen. Vielmehr ist der Aktionsplan ein weiteres Beispiel dafür, dass Sie nicht in der Lage sind, so detailliert die Maßnahmen zu planen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich ein drittes Beispiel nennen: Barrierefreiheit in der Mobilität. Auch hier möchte ich ganz konkret sein. Wir brauchen kontrastreiche Bahnhofspläne und Wegweiser in großer Schrift, Informationen in Gebärdensprache, gut einsehbare und ausreichend breite Radverkehrsanlagen, niedrigere Ticketschalter für Rollstuhlfahrer, deutliche Ansagen von Einfahrten, Ausfällen und Änderungen an Bahnhöfen. Das würde uns übrigens allen helfen, nicht nur beeinträchtigten Menschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen verständliche Tarifsysteme an Automaten, die Verwendung von verständlicher und einfacher Sprache bei Erklärungen, Toiletten für Menschen mit Behinderungen im Flugzeug, Einstiegsmöglichkeiten für Menschen mit großen Elektrorollstühlen in Bahn und Bus und natürlich auch mehr Servicepersonal an den Bahnhöfen. Meine Damen und Herren, hier an diesem Beispiel wird doch deutlich, wie Inklusion nicht nur beeinträchtigten Menschen die Teilhabe ermöglicht, sondern uns allen nützliche, zusätzliche Leistungen und eine bessere Lebensqualität verschaffen könnte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Doch die Landesregierung hat keine Antworten, wie die Aufgabe „Inklusive Gesellschaft“ gemeistert werden kann. Leider ist mit diesem Aktionsplan noch kein zukunftsfähiges Konzept zu erkennen.

Wir fordern – und das hat der Kollege Mick auch schon kurz angesprochen –, dass man jetzt einen sehr transparenten Prozess mit allen Beteiligten gestaltet, in einem offenen, gesellschaftlichen Dialog, und konkrete Ziele beschreibt, die auch zeitlich determiniert sind. Man muss sagen: Bis dann und dann wollen wir diesen und jenen Schritt erreicht haben, damit auch klar ist, was in der nächsten Stufe kommt. Hier muss noch sehr viel nachgearbeitet werden.

Wir sind der festen Überzeugung – und hoffentlich sind wir in Hessen da auf einem guten Weg –, dass die Expertinnen und Experten in eigener Angelegenheit, die beeinträchtigten Menschen, in diese Diskussion noch mehr einbezogen werden, als das bisher der Fall war. Denn ihre Mitwirkung ist Motor und Garant für eine erfolgreiche Umsetzung, die große Herausforderung an unsere Gesellschaft „Inklusion für alle Menschen“ zu erreichen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Siebel (SPD))

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche. – Herr Utter, jetzt haben Sie Gelegenheit, das Wort zu ergreifen. Sie sprechen für die CDU-Fraktion.

Herr Landtagspräsident, sehr geehrten Damen und Herren!

(Günter Rudolph (SPD): Ja, das wird es geben! – Irritation des Redners – Günter Rudolph (SPD): Es ist alles gut!)

Mit der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich viele Länder ein ehrgeiziges Ziel gesetzt – Länder, die sich auf einem sehr unterschiedlichen Niveau befinden, was die Förderung von Menschen mit Behinderungen angeht. Aber das Ziel ist ein gemeinsames.

Nun geht es darum, diese UN-Behindertenrechtskonvention mit Leben zu erfüllen. In einem föderalen Staat, wie das die Bundesrepublik Deutschland ist, kommt den Ländern dabei eine ganz besondere Rolle zu.

Ich habe unseren Aktionsplan einmal mitgebracht.

(Der Redner hält eine Broschüre hoch.)

Das ist ein schönes Werk geworden. Regelmäßig treffe ich mich mit den behindertenpolitischen Sprechern von CDU und CSU, und wir diskutieren darüber, was alles in den Ländern geschieht, um diese UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Einmal sind wir in der Opposition, an anderen Stellen sind wir in der Regierung. Allseits aber wird gelobt, dass unser Aktionsplan alle Bereiche des Lebens umfasst, dass er konkrete Ziele benennt, dass er Bereiche benennt und dass er sich nicht nur auf die Politik beschränkt, sondern die gesamte Gesellschaft einbezieht. Denn anders wird man dieses Ziel nicht umsetzen können.

Der Aktionsplan geht auf die Bewusstseinsbildung innerhalb der Gesellschaft ein. Ohne die geht es gar nicht, denn verordnen lässt sich ein Bewusstsein nicht, sondern es muss wachsen. Denn es ist ja nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern auch im privaten Bereich notwendig, Menschen mit Behinderungen offen zu begegnen und ihnen eine Teilhabe zu ermöglichen.

Recht und Verwaltung werden angesprochen, Barrierefreiheit im öffentlichen und im privaten Raum. Auch die Themen Kinder und Familien spielen eine große Rolle, und selbst Arbeit, Studium und Ausbildung werden hier behandelt. Einzelne Gruppen wie Senioren, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund werden hier nicht vergessen. Selbst Gesundheitsfragen, Kultur und Tourismus, ja, auch die Kirchen und Verbände haben sich hier beteiligt.

Vorbildlich am hessischen Aktionsplan war seine Entstehung. Denn diesen Aktionsplan hat sich nicht einfach die Regierung ausgedacht, sondern von Anfang an wurden in vorbildlicher Weise die Verbände und Betroffene beteiligt. Es gab einen ersten Entwurf. Darauf war die erste Reaktion, dass Menschen gerne viel dazu sagen wollen. Die Landesregierung hat die Fristen sogar verlängert.

Trotzdem ist klar, was hier auch schon gesagt wurde: Dieser Aktionsplan ist nur der erste Schritt auf einem langen

Weg. Aber er ist ein guter Schritt. Denn er ist übersichtlich und gut zu lesen.

(Zurufe – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er ist übersichtlich!)

Frau Schulz-Asche, der Trick daran ist: Sie können ihn umdrehen, und auf der Rückseite befindet sich eine Version in leichter Sprache. Diese leichte Sprache kann ich uns Politikern eigentlich nur empfehlen. Man sieht, wie man auch mit einfachen Worten komplizierte Dinge ausdrücken kann. Das täte uns allen gut.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist auch eine interessante Anregung, zu überlegen, welche Dokumente wir z. B. hier im Landtag, aber vielleicht auch die einzelnen Parteien und Fraktionen ebenfalls in leichter Sprache zur Verfügung stellen können. Wir sind jetzt alle auf dem Weg zu einer Landtagswahl, und somit ist es auch eine Frage an uns als Parteien, ob wir auch solche Programme machen, die für Menschen zugänglich sind, die eine sprachliche Behinderung haben, und wie das möglich ist.

Herr Utter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Spies?

Herr Kollege Utter, würden Sie mir zustimmen, dass genau an dieser Stelle das Problem des Aktionsplans deutlich wird: wenn die Bundesregierung im Jahr 2010 – eine CDU/FDP-geführte Bundesregierung – feststellt, dass der Aktionsplan alle öffentlichen Stellen zur Formulierung aller bürgerrelevanten Informationen, insbesondere von Bescheiden etc., in leichter Sprache verbindlich macht und der gerade eben ausgesprochene Appell zwar überaus löblich und ehrenwert ist,

(Holger Bellino (CDU): Geht das auch ein bisschen kürzer, wenn es eine Frage sein soll?)

aber an der Sache vorbeigeht, weil die Landesregierung bei ihren gesamten Publikationen dafür sorgen müsste,

(Holger Bellino (CDU): Ich glaube, hier schlägt es 13! Das ist doch keine Frage!)

dass sie in leichter Sprache sind?

(Zurufe)

Herr Dr. Spies! Hallo!

(Dr. Thomas Spies (SPD): Herr Kollege, Sie haben das nicht verstanden! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Sie kann man überhaupt nicht verstehen!)

Darf ich bitten, diese Dialoge im Plenarsaal zu beenden? – Herr Utter, Sie haben das Wort, bitte.

(Holger Bellino (CDU), an Abg. Dr. Thomas Spies (SPD) gewandt: Wer Sie versteht, der muss erst noch geboren werden! Unerhört ist das!)

Herr Dr. Spies, nach der Sommerpause hatten wir hier im Landtag eine Veranstaltung des Sozialministeriums. Dazu waren sehr viele Verbände eingeladen, und zumindest am Anfang waren auch viele Kollegen dabei. Dort gab es Arbeitsgruppen, in denen verschiedene Themen behandelt wurden. An einer Arbeitsgruppe habe ich teilgenommen. Dort ging es genau um dieses Thema. Dort haben auch Leute aus der Verwaltung und von Behindertenverbänden teilgenommen,

(Wolfgang Greilich (FDP): Da war der Herr Spies auch da!)

und sie haben genau dieses Thema miteinander diskutiert. Da wurde dann die rechtliche Problematik deutlich: dass Bescheide und dergleichen natürlich rechtskonform sein müssen. Ein Ansatz, den man dort diskutiert hat, war z. B., dass man in solchen Bescheiden am Anfang in möglichst leichter Sprache den Sachverhalt, um den es geht, darstellt, und dann erst im zweiten Teil das, was rechtsförmlich mitgeteilt werden muss, damit er rechtlichen Bestand hat. Da gibt es also Lösungsansätze, auch hier aus der Verwaltung. Ich fand das ausgesprochen spannend und interessant, dort mit Leuten aus der Praxis zu reden.

Ich kann es sowieso nur empfehlen, bei diesen wirklich hervorragenden Konferenzen, die das Sozialministerium organisiert, in die Arbeitsgruppen zu gehen, denn dort erfährt man aus der Praxis wirklich sehr viel.

Ich möchte noch kurz auf das wirklich große Problem, das wir dort gehört haben, eingehen: die Integration in den Arbeitsmarkt. Die Landesverwaltung ist dabei nicht einfach nur vorbildlich, das wurde schon gesagt, sondern sie nimmt in der Bundesrepublik einen Spitzenwert ein.

(Beifall der Abg. Judith Lannert (CDU) – Zuruf von der SPD)

Doch, sind wir! – Das Tolle daran ist, dass sich das kontinuierlich hält. Das ist auch erklärbar. Wenn nämlich ein Arbeitsplatz erst einmal eingerichtet ist, wird dieser Arbeitsplatz, wenn der ursprüngliche Stelleninhaber in Ruhestand geht, erneut mit einem behinderten Menschen besetzt. Deswegen ist es gut, diese zum Teil kostenaufwendigen Arbeitsplätze zu schaffen.

Ich sage es aber ganz offen: Unbefriedigend bleibt die Situation in der freien Wirtschaft. Man muss kein Prophet sein mit der Aussage: Wenn es nicht zu Veränderungen kommt – es gibt Initiativen wie beispielsweise die Initiative „Inklusion“ –, ist damit zu rechnen, dass möglicherweise irgendwann die Schwerbehindertenabgabe erhöht wird. Das ist nicht auszuschließen.

Eine wichtige Frage wurde auch schon angesprochen, aber da ist auch der Bundesgesetzgeber gefragt. Dabei handelt es sich um die Frage: Wenn jemand aus einer Werkstatt hinaus in den ersten Arbeitsmarkt geht, herrscht oftmals die Angst, ob er jemals wieder zurückkehren kann. Dieses

Rückkehrrecht muss besser geregelt werden. Es würde vielen mehr Mut machen zu sagen: Ich probiere es, und wenn es nicht funktioniert, kehre ich wieder zurück. – Das wäre etwas, das noch geändert werden könnte.

Insgesamt ist das Glas halb voll. Ich finde es schon ziemlich voll, denn wir tun ziemlich viel. Aber es ist der Anfang eines Weges, den wir gemeinsam gehen.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Glas steht gerade erst da, es ist aber noch leer!)