Ich habe eben versucht, ihn anzusprechen. Er hat es leider nicht gehört. Herr Minister, ich bitte, die Zurufe zu unterlassen.
Zurück zu Hessen. Der Leitende Kriminaldirektor Lammel hat das Projekt „System 120“ angesprochen. Das „System 120“, das sich in Ihrem Antrag ebenfalls nicht wiederfindet, beinhaltet, dass es 120 Internetspezialisten in Hessen gibt, die noch zusammengeführt werden müssen. Die Kompetenzbündelung steht also noch am Anfang. Auch davon ist in Ihrem Antrag keine Rede. Da muss ich – wie gestern nach der Regierungserklärung – leider wieder feststellen: Wenn es hier um Debatten über die innere Sicherheit geht, dann geht es Ihnen nicht um Tiefe, sondern um Show-Veranstaltungen und um übermäßiges Loben. Das hat mit der Sache wenig zu tun.
Es gibt im Landeskriminalamt eine Bündelung von drei sehr großen Bereichen: Cybercrime, Telekommunikationsüberwachung sowie Entwicklungsunterstützung und Technik. Für diese drei Bereiche gibt es aber nur 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Nordrhein-Westfalen sind es deutlich mehr. Auch deshalb gibt es keinen Grund zum Loben. Ich denke, dass wir hier viel mehr Personal benötigen. Dazu findet sich in Ihrem Antrag leider nichts.
Außerdem ist ein ganz wesentlicher Bereich ausgelassen worden, um den es auch geht: Wo kommen derartige Fälle eigentlich an? Wenn z. B. ein Vater mit seinem Kind wegen Cybermobbing zur Polizei gehen will, wo geht er denn dann hin? Er geht zur örtlichen Polizeistation und nicht zu irgendwelchen Fachkommissariaten. Er geht zu der Station vor Ort, und dann geht es um eine schnelle Tatortspurensicherung im Internet. Deswegen ist entscheidend, dass alle Polizeibeamtinnen und -beamten entsprechend geschult werden.
Das gehört in eine gute Ausbildung. Das gehört schon in das Bachelor-Studium. Sie sollten sich lieber um Fortbildungsmaßnahmen kümmern, statt unnötige Pressekonferenzen zu diesem Bereich zu geben.
Es gibt einen weiteren Bereich, den Sie leider nicht genannt haben. Es ist bei der Kriminalpolizei so, dass man, wenn man befördert werden will, rotieren muss. Das heißt,
man muss in eine andere Abteilung gehen. Wenn man die Polizeibeamtinnen und -beamten, die in den Fachkommissariaten entsprechende Kenntnisse erworben und bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität viel zu tun haben, in anderen Bereichen einsetzt, verlieren sie einen Teil ihrer speziellen Kompetenzen. Deshalb muss man sich Gedanken darüber machen, ob man mit diesen Beamtinnen und Beamten nicht anders umgehen und sie auch dann befördern kann, wenn sie auf ihrer Stelle bleiben.
Wir brauchen außerdem dringend eine Qualifizierung der Richter, die derartige Fälle bearbeiten. Davon steht in Ihrem Antrag leider kein Wort. Auch bei den Staatsanwälten ist die Ausbildung sicher noch ausbaufähig. Herr Justizminister, Sie haben eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Gießen gebildet. Das ist sehr gut. Aber angesichts der vielen Fälle: Wie viele Staatsanwälte sitzen denn da? – Dort sitzen zwei Oberstaatsanwälte, und ein dritter rotiert. Es sind also ganze drei Staatsanwälte, die sich darum kümmern. Das ist wirklich nicht ausreichend.
Sie hören bei den Kommissariaten immer wieder, dass Ermittlungen bei solchen Fällen eingestellt werden müssen, weil nicht genügend Personal bei der Staatsanwaltschaft vorhanden ist. Daher unsere Forderung: Verstärken Sie das Personal auch in diesem Bereich, sonst können Sie diese Form der Kriminalität nicht hinreichend bekämpfen.
Herr Bauer, Sie haben es angesprochen: Es ist auch die Frage, wie die Nutzer mit dem Internet umgehen. Deswegen ist die Medienkompetenz ein ganz zentraler Punkt, der in diesem Bereich bearbeitet werden muss. Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe nicht, dass die Hessische Landesregierung etwas tut, um die Medienkompetenz zu stärken. Die SPDFraktion hat einen umfangreichen Gesetzentwurf eingebracht. Der Kollege Siebel hat ihn hier vorgestellt. Der Gesetzentwurf enthält umfangreiche Maßnahmen zur Stärkung der Medienkompetenz: in den Schulen, in Kindertagesstätten, in der Fortbildung insgesamt. Sie haben diesen Entwurf abgelehnt, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP. Stellen Sie sich deshalb nicht hierhin und tun Sie nicht so, als ob in diesem Bereich alles in Ordnung wäre. Sie haben unseren Gesetzentwurf abgelehnt, obwohl wir dringend eine Stärkung der Medienkompetenz brauchen.
Ich komme zum Schluss. – Wir brauchen wirksame Strategien zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Wir brauchen mehr Personal bei der Polizei. Wir brauchen eine Qualifizierung der Justiz und eine Fortentwicklung des Rechts. Wir brauchen aber auch verantwortungsbewusste Nutzer und Anbieter. Wir brauchen aber keine Jubelanträge von CDU und FDP, um dieses Thema ernsthaft zu bearbeiten.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eines vorweg: Ein Ruhmesblatt hessischer Regierungspolitik ist die Bekämpfung der Internetkriminalität bislang definitiv nicht,
auch wenn der vorliegende Entschließungsantrag von CDU und FDP dies behauptet. Ich will versuchen, Ihnen zu erklären, warum und weshalb das so ist.
Zunächst einmal sprechen die offiziellen Zahlen eine ganz unmissverständliche Sprache. Ich beziehe mich auf die polizeiliche Kriminalstatistik des Landes Hessen aus dem Jahr 2011. Danach hat die Zahl der registrierten Internetstraftaten in Hessen kontinuierlich von rund 16.500 auf knapp 18.000 zugenommen. Die Dunkelziffer dürfte enorm hoch sein. Im gleichen Zeitraum ist die Aufklärungsquote kontinuierlich gesunken, nämlich von guten 81 % auf nur noch 65 %.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Peter Beuth (CDU): Wie hat sich die Internetnutzung in dieser Zeit entwickelt?)
Dabei ist die Bekämpfung der Internetkriminalität gerade jetzt überaus wichtig. Wir dürfen davon ausgehen, dass mit dem zu erwartenden weiteren Bedeutungswachstum der digitalen Wirtschaft leider auch eine Zunahme der internetspezifischen Kriminalität einhergeht; denn dort, wo Geld gemacht wird, wachsen seit jeher auch die Begehrlichkeiten.
Aber gerade bei einem nicht nur wachsenden, sondern auch verhältnismäßig jungen Betätigungsfeld der Menschen mit krimineller Energie muss man frühzeitig und überlegt eingreifen. Man muss sich Gedanken darüber machen, wie das Entstehen dieser Kriminalität zu verhindern ist. Hier gilt für uns GRÜNE: Vorsorgen ist besser als Nachsehen.
Vorbeugende Verbrechensbekämpfung ist Prävention. Ganz besonders beim Internet bedeutet das definitiv, dass wir Konzepte dafür brauchen, wie wir die User fit machen. Ich will versuchen, auch das anhand von Beispielen für die Internetkriminalität nachvollziehbar zu machen.
Ausweislich der PKS für Hessen 2011 haben insbesondere das Ausspionieren von Daten und der Computerbetrug außerordentlich hohe Steigerungsraten und extrem schlechte Aufklärungsraten. Man muss sich also Gedanken darüber machen, mit welchen Methoden man diesen spezifischen Delikten erfolgreich begegnen kann. Computerbetrug und Datendiebstahl sind definitiv Delikttypen, die ganz besonders von der Art- und Sorglosigkeit – von mir aus auch der Einfalt – der User profitieren. Es sind die Unkenntnis und
die Unsicherheit vieler User, die dazu führen, dass sie auf die billigen Betrugsversuche im Internet hereinfallen.
Nehmen Sie z. B. die auch in der PKS aufgeführten Fälle der sogenannten Behördentrojaner. Kein einigermaßen internetkompetenter Mensch kommt auf die Idee, dass das BKA einen Computer direkt sperrt, um ihn später gegen die Zahlung von 500 € wieder freizuschalten. Wenn man also die User frühzeitig und eindringlich über die Vorgehens- und Funktionsweise solcher Trojaner informiert und bei den potenziellen Opfern Präventionsarbeit leistet, kann man sicherlich davon ausgehen, dass eine Vielzahl solcher Delikte schon im Versuchsstadium scheitert und dass sie verschwinden, sobald sie sich nicht mehr lohnen.
Doch diese Aufklärungsarbeit leistet die Landesregierung nicht. Diese Aufklärungsarbeit leistet bestenfalls die freie Web-Community. Die Entstörungsprogramme kommen von Websites, die man erst einmal suchen und auch finden muss. Der Staat ist dort nicht vorhanden – die Hessische Landesregierung auch nicht.
Das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnologie geht davon aus, dass bereits 80 % der Cyberangriffe abgewehrt werden können, wenn übliche Schutzmaßnahmen, z. B. eine aktuelle Antiviren- und Firewall-Software, angewendet werden.
Um zu erfahren, wie das funktioniert, welche Angebote es gibt und wo man das bekommt, bedarf es der Hinweise der Landesregierung und staatlicher Behörden: eine zuverlässige, aktuelle und kompetente Aufklärungswebsite, die über Anlaufstellen und aktuelle Gefahren aktiv und populär informiert. Eine solche Website, auf der nicht nur Informationen bereitgestellt, sondern auch Fragen beantwortet werden und über die man mit den Leuten in den Dialog tritt, wäre eine gern angenommene Präventionsmaßnahme, die auch dabei helfen könnte, weitere Fälle zu erfassen und – vor allem – aufzuklären.
Das hat einen ganz einfachen Grund: Der User, dessen Computer von einem Trojaner befallen ist, denkt nämlich zunächst gar nicht daran, die Polizei zu informieren. Es könnte sogar sein – auch das muss man an dieser Stelle bedenken –, dass er das Virus von einer illegalen Website hat. Diese User suchen vor allem Hilfe, um die Seuche wieder loszuwerden.
Übrigens sind Computerbetrug und Datendiebstahl auch die beiden Delikttypen, bei denen es laut PKS seit Jahren extrem schlechte Aufklärungsquoten gibt. Aktuell wird nur ein Drittel der festgestellten Straftaten aufgeklärt. Was lernen wir daraus – wahrscheinlich hilft Prävention hier mehr als Repression.
Gleichzeitig ist allerdings festzustellen, dass, auch ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik für Hessen 2011, die Zahlen für zwei Fallgruppen seit dem Jahr 2007 erfreulicherweise ganz erheblich zurückgegangen sind: Die Zahl der Straftaten gegen das Urheberrecht ist um rund 80 % zurückgegangen, und die Verbreitung pornografischer Schriften hat um über 50 % abgenommen.
Meine Damen und Herren, das ist erfreulich, und es lohnt sich auch, sich zu überlegen, wie das kommt. Das sind zwei originäre Kernbereiche der internetspezifischen Kri
minalität. Gerade die Verstöße gegen das Urheberrecht sind ursprünglich in einem erheblichen Maße nicht aufgrund des Vorhandenseins bedeutender krimineller Energie, sondern vor allem aus mangelndem Unrechtsbewusstsein – ich würde sagen: auch aus Ignoranz und Dummheit – begangen worden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es gerade bei strafrechtlich relevanten Urheberrechtsverletzungen nicht um eine unglaublich konsequente Strafverfolgung geht – die es auch nicht wirklich gibt. Wer, außer Kim Schmitz von Megaupload, sitzt schon wegen Urheberrechtsverletzungen im Internet ein? – Es ist also nicht die ins Leere laufende Strafandrohung, die insbesondere junge Menschen davon abhält, im Internet illegal up- oder downzuloaden.
Nein, ein durch Aufklärung gestiegenes Unrechtsbewusstsein und zivilrechtliche Konfliktregelungen sind die Gründe, weshalb illegales Downloaden an Attraktivität verliert: Wer das macht, ist nicht cool. Wessen Eltern einmal ein anwaltliches Abmahnschreiben über 500 € bezahlen mussten, hat verstanden, dass man das nicht darf, und überlegt sich sehr genau, wie viele Songs er für dieses Geld eigentlich kaufen könnte.
Das ist allerdings eine sehr rustikale Art der Aufklärung. Ich glaube, dass es auch anders geht, insbesondere durch eine verbesserte Medienkompetenzbildung bei Kindern und Jugendlichen, die derzeit auf dem Weg in das nahezu komplett unregulierte World Wide Web allein gelassen werden. Sie werden insbesondere dann ganz allein gelassen, wenn sie aus bildungsfernen Schichten kommen und ihre Eltern es nicht gewohnt sind, das Internet zu nutzen oder den Computer täglich zu bedienen.
Ich kann Ihnen nicht sagen, was diesen Jungs und Mädels im Internet begegnet oder wem sie begegnen. Ihre Eltern können das sicherlich auch nicht sagen. Ich kann Ihnen aber zusammen mit allen Experten sagen: Medienkompetenz ist der beste Jugendschutz.