Protocol of the Session on September 27, 2012

In Griechenland wurden mittlerweile über 2.000 Schulen wegen der Sparauflagen geschlossen. Eine wachsende Zahl von griechischen Kindern geht nicht mehr zur Schule, weil die Beförderungskosten nicht mehr übernommen werden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Spanien und in Griechenland mittlerweile bei 50 %.

Diese Jugendlichen wollen doch nicht nach Deutschland auswandern. Sie wollen und sie brauchen eine Perspektive in ihren Ländern. Es geht Ihnen auch nicht darum, den armen Spaniern zu helfen. Sie wollen billige Arbeitskräfte anwerben; um deren Ausbildung brauchen Sie sich dann nicht zu kümmern. Sie wollen die Krise und die Verzweiflung ausnutzen und junge Spanier als Lohndrücker missbrauchen. Das halte ich ehrlich gesagt für das Allerletzte.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer ständig über einen drohenden Fachkräftemangel klagt, muss dafür sorgen, dass hier die Arbeitsbedingungen besser werden und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf überhaupt ermöglicht wird. Ich kenne junge Frauen, die gerne arbeiten gehen würden, es aber nicht können, weil sie kein Betreuungsangebot für ihre Kinder haben. Diesen Frauen hilft das Betreuungsgeld überhaupt nicht. Im Gegenteil, dieses Geld fehlt beim Kitaausbau und verhindert die Erwerbstätigkeit junger Frauen. Deswegen darf dieser Quatsch auch nicht beschlossen werden.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wer Fachkräfte will, muss ausländische Berufsabschlüsse endlich anerkennen. Es kann doch nicht sein, dass Ärzte mit ausländischen Berufsabschlüssen in Frankfurt Taxi fahren. Selbstverständlich muss man an der Stelle etwas machen. Natürlich geht es auch um die Frage der Wiedereingliederung von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt. In aller ersten Linie geht es aber um die Frage der Ausbildung.

(Clemens Reif (CDU): Haben Sie schon einmal richtig gearbeitet?)

Das ist die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen, und der kommen sie nicht nach. Es ist sehr viel über

den Kommissionsbericht geredet worden. Vor ein paar Tagen hat auch das Wirtschaftsministerium den Bericht zur Berufsausbildung in Hessen im Jahr 2012 vorgelegt. Dieser Bericht zeigt, dass die Lage auf dem Ausbildungsmarkt noch lange nicht rosig ist.

Es ist bei Weitem noch nicht so, dass es ein reales Überangebot an Ausbildungsplätzen gibt. Die Anzahl der unversorgten Bewerber ging in Hessen zwar zurück, aber im bundesweiten Vergleich unterdurchschnittlich. Insgesamt befinden sich immer noch 26.000 Jugendliche im Übergangsbereich, also in berufsvorbereitenden Maßnahmen, von denen der Bericht des Wirtschaftsministeriums sagt, deren Arbeitsmarktchancen seien vergleichsweise schlecht.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Zu Beginn des letzten Ausbildungsjahres waren immer noch 15,7 % aller Bewerber, das sind immerhin über 6.600 Jugendliche, noch nicht vermittelt. Das ist besser als in den letzten Jahren, aber das ist noch lange kein Grund für Jubelarien.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Der Bericht des Wirtschaftsministeriums kommt zu dem Schluss, dass weiterhin deutlich mehr Jugendliche einen Ausbildungsplatz gesucht haben, als freie Ausbildungsstellen registriert wurden. Den Stellenüberhang, von dem hier gerne gesprochen wird, gibt es rechnerisch nur in Frankfurt, sonst gibt es überall ein Defizit an Ausbildungsstellen. An der Stelle will ich anmerken, dass laut dem Bericht des Wirtschaftsministeriums die meisten unbesetzten Stellen im Einzelhandel zu finden sind. Das hat sicher ein Stück weit mit dem zu erwartenden Gehalt zu tun. Aber vielleicht sollte sich die Landesregierung auch einmal fragen, ob sie mit der immer weiteren Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten auch dazu beigetragen hat, dass Berufe im Einzelhandel nicht besonders attraktiv sind, weil auch hier die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere für Frauen, ein Riesenproblem geworden ist.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)

In dem Bericht ist auch zu lesen, dass die Bedeutung des öffentlichen Dienstes auf dem dualen Ausbildungsmarkt abnimmt. Der öffentliche Dienst bildet immer weniger aus. Das ist auch eine Folge der schlechten finanziellen Situation der Kommunen. Statt mit gutem Beispiel voranzugehen, fallen Ausbildungsplätze weg.

Die Unternehmen klagen gerne über den Fachkräftemangel, aber sie tun nichts dagegen. In Hessen sank die Zahl der Ausbildungsbetriebe sogar. Auch die Ausbildungsquote, also der Anteil der Auszubildenden an den Beschäftigten, ist gesunken. Sie liegt in Hessen bei nur 5,2 % und damit weiter unter dem Durchschnitt der westdeutschen Länder. Der Bericht des Wirtschaftsministeriums spricht von einem „Trend abnehmender Ausbildungsbereitschaft“. Es sind die Klein- und Kleinstunternehmer, die immer noch überproportional ausbilden.

(Holger Bellino (CDU): Sie werden von uns unterstützt!)

Es kann doch nicht sein, dass sich die DAX-Unternehmen vor dieser Aufgabe drücken und Andere die Ausbildung

übernehmen lassen. Deswegen ist die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage weiterhin richtig, damit sich Großunternehmen, wenn sie schon selber nicht ausbilden, wenigstens an der Finanzierung beteiligt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Bericht zeigt auch, dass es Hauptschüler auf dem Ausbildungsmarkt enorm schwer haben.

Kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede.

Ich komme zum Schluss. – Aber Sie verdreifachen lieber die Mittel für sogenannte Hauptschülerprogramme, statt endlich der Tatsache ins Auge zu sehen, dass die Hauptschule abgeschafft werden muss. Ich würde jetzt gerne noch etwas zu den Hochschulen sagen. Auch hier haben wir das Problem, dass die Hochschulen völlig unterfinanziert sind.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Bitte, letzter Satz.

Auch hier werden Fachkräfte nicht ausgebildet.

Bildung ist ein Menschenrecht, deswegen dürfen Bildungschancen junger Menschen nicht von der Kassenlage oder von der Konjunktur abhängig sein.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatssekretär Saebisch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt das zutreffende, aber auch sehr unterhaltsame Bonmot, dass Prognosen immer unsicher sind, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.

(Timon Gremmels (SPD): Das gilt insbesondere für die FDP!)

Herr Gremmels, das gilt, glaube ich, für alle, es sei denn, Sie haben eine kleine Wahrsagerkugel, in die Sie immer hineinsehen. Das würde Ihnen offen gestanden auch nicht besonders guttun.

Eine Prognose ist aber sicher: Wir werden in Hessen mittelfristig zu Herausforderungen in der Deckung des Fachkräftebedarfs kommen. – Herr Bocklet, ich sage es ausdrücklich, weil Sie es schon so angesprochen haben, als gäbe es heute schon einen akuten Fachkräftemangel. Dem ist eben nicht so. Die Kommission hat sehr klar – wenn Sie über das Deckblatt hinaus geblättert haben, können Sie

es bereits auf der dritten Seite sehen – festgestellt, dass wir heute keinen berufsübergreifenden, landesübergreifenden Fachkräftemangel haben. Wir müssen uns aber in der Perspektive wappnen, denn durch die demografische Entwicklung müssen wir Strategien für die Zukunft entwickeln.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Jetzt frage ich Sie: Welchen Vorwurf machen Sie eigentlich der Hessischen Landesregierung?

(Zuruf von der SPD: Dass Sie nicht handelt!)

Der Ministerpräsident hat nach dem besten Prinzip vorsorgender Politik, sehend dass in Zukunft ein Problem entsteht, im letzten Jahr eine Fachkräftekommission eingesetzt. Diese Fachkräftekommission – das ist ja auch das Bemerkenswerte – hat über alle Grenzen hinweg, über Parteigrenzen und Grenzen der Sozialpartnerschaft hinweg, einheitliche Handlungsempfehlungen vorgenommen.

Das bedeutet, wir haben in Hessen zwischen der Wirtschaft, den Gewerkschaften, großen und kleinen Unternehmen einen Konsens über Handlungsempfehlungen. Das ist der einzige konsensuale Bericht, den eine Landesregierung in Deutschland bisher vorlegen konnte. Das ist doch ein Grund zum Feiern und kein Grund, sich darüber zu beklagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Wissler, dass Ihnen dieser Konsens nicht passt, das ist schon klar. Trotz alledem sind wir stolz darauf, dass wir mit den Gewerkschaften,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das habe ich gar nicht kritisiert!)

mit der hessischen Wirtschaft, dem Mittelstand und der Industrie zu gemeinsamen Handlungsempfehlungen kommen konnten. Das zeigt, mit welcher Kraft sich die Landesregierung Zukunftsthemen stellt. Dafür sollten Sie auch einmal ein Lob parat haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Das habe ich gar nicht gesagt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass dieser Konsens von der Opposition in dieser Debatte leider nicht aufgenommen worden ist, ist sehr bedauerlich. Ich sage Ihnen auch jetzt schon, dass bei den Gesprächspartnern, die Sie aus der Wirtschaft und von Gewerkschaften haben werden, der Hang zur Konfrontation bei diesem Thema nicht gut ankommt. Es geht darum, gemeinsam Strategien zu entwickeln; da kann sich keiner ausklinken. Da kann sich keiner in die Sozialistische Internationale oder wohin auch immer flüchten. Es geht darum, auch Verantwortung zu übernehmen. Da sind Sie auch mit aufgefordert.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Wissler, Herr Bocklet, deswegen werden wir sehr intensiv daran arbeiten, dass wir die an uns gerichteten Handlungsempfehlungen erfüllen. Herr Bocklet, das sage ich besonders in Ihre Richtung: Nicht alle Handlungsempfehlungen sind an die Landesregierung gerichtet. Wenn Sie den Bericht gelesen haben, werden Sie sehen, dass es entsprechende Hinweise an die Bundesregierung gibt, dass auch die Sozialpartner sich selbst in die Verantwortung nehmen, für entsprechende Mitarbeitermodelle zu werben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Unternehmen müssen auch etwas machen!)

Es gibt eine Verpflichtung, sowohl bei den Gewerkschaften als auch bei Arbeitgebern, bei Tarifverhandlungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Die Tarifautonomie kann der Staat nicht ersetzen. Es ist Teil der sozialen Marktwirtschaft, dass es Tarifautonomie gibt. Dass ausgerechnet hier die Parteien der Werktätigen die Tarifautonomie aushebeln wollen, ist auch ein bemerkenswerter Vorgang.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das hat niemand gesagt! Hören Sie auf damit, Sie verdrehen alles!)