Protocol of the Session on September 26, 2012

Es gibt eine wachsende Zahl Menschen, die gezwungen sind, trotz Vollzeitbeschäftigung ihr geringes Einkommen mit Mitteln aus Hartz IV aufzustocken. Das ist natürlich in erster Linie für die Betroffenen entwürdigend. Das geht

aber zulasten der Allgemeinheit und belastet die Sozialversicherungssysteme.

Deshalb finde ich, dass die Ministerpräsidentin Thüringens, Christine Lieberknecht – in Klammer sage ich dazu, sie ist von der CDU –, völlig recht hat, wenn sie sagt, dass es überhaupt nicht hinnehmbar sei, dass Menschen trotz täglicher achtstündiger Arbeit als Bittsteller beim Staat vor der Tür stehen müssten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Petra Fuhrmann (SPD): Schön, dass das auch einmal jemand aus der CDU sagt!)

Für das Anwachsen des Niedriglohnsektors gibt es natürlich Gründe. Der DGB-Bezirk Hessen-Thüringen nennt an dieser Stelle – ich zitiere – „die arbeitsmarktpolitische Weichenstellung der jüngsten Vergangenheit, insbesondere die Hartz-Gesetzgebung“. Das sagt der DGB-Bezirk Hessen-Thüringen. Das sind die Liberalisierung der Leiharbeit durch Hartz I, die Einführung der Minijobs durch Hartz II und natürlich Hartz IV. Hartz IV bedeutet niedrigere Regelsätze, von denen die Menschen nicht leben können. Zudem stehen sie wegen der Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien unter dem Zwang, quasi jeden Job anzunehmen.

Wer heute in den Bezug von Geld nach Hartz IV rutscht und vielleicht in einem eigenen Haus oder einer eigener Wohnung lebt, bekommt nur dann Arbeitslosengeld II, wenn der Wohnraum nicht zu groß ist. Ansonsten muss das Eigenheim in der Regel verkauft werden.

Das ist natürlich schon absolut absurd. Erst wird den Menschen erzählt, sie sollen doch privat für das Alter vorsorgen. Sobald sie aber arbeitslos werden, müssen sie ihre gesamte Altersvorsorge erst auflösen, um überhaupt Arbeitslosengeld II zu bekommen. Das ist wirklich ein absurder Irrsinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Angst der Beschäftigten vor Hartz IV wirkt sich natürlich auf die Kampfbereitschaft der Gewerkschaften aus. Das hat mit dazu beigetragen, dass die Reallöhne in Deutschland in den letzten Jahren gesunken sind.

Der DGB hat bei der Einführung der Hartz-Gesetze genau vor der Entwicklung gewarnt, die heute beklagt wird. Liebe Mitglieder der SPD, wer heute über die Abnahme der Bindungskraft der Tarifverträge und über den allgemeinen Trend zu Niedriglöhnen klagt, der ist natürlich gut beraten, sich die Diskussionen um die Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die rot-grüne Bundesregierung noch einmal anzuschauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD setzt sich in der Opposition für die Lösung der Probleme ein, die sie selbst geschaffen hat. Denn der Ausbau des Niedriglohnsektors – so viel gehört schon zur Wahrheit dazu – war ein zentrales Projekt der rot-grünen Bundesregierung.

Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen, …

Das hat Exkanzler Schröder wörtlich gesagt. Den haben wir jetzt. Es handelt sich also nicht um irgendwelche unabsehbaren Fehlentwicklungen, sondern das war politisch gewollt.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben natürlich gezeigt, dass der Niedriglohnsektor keinesfalls ein Sprungbrett in

bessere Arbeitsverhältnisse ist, wie gerne behauptet wurde. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Wir haben es hier nicht mit einem Sprungbrett zu tun, sondern vielmehr mit einer Rutschbahn für die Löhne.

Die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die zunehmenden prekären Beschäftigungsverhältnisse werden zu einer explodierenden Altersarmut führen. Es ist nicht so, dass wir heute dieses Problem nicht schon sehen würden. Heute liegen die gesetzlichen Renten in Hessen im Durchschnitt bei etwas über 700 €. Bei Frauen liegen sie noch niedriger.

Viele Menschen können schon heute nicht von ihrer Rente leben. Sie sind gezwungen, bis in das hohe Alter hinein zu arbeiten. Ich habe vor Kurzem von einem Taxifahrer gelesen, der 84 Jahre alt ist und in Vollzeit 50 Stunden die Woche arbeitet, einfach deswegen, weil er von seiner Rente nicht leben kann. Das ist kein Einzelfall. Die Zahl der Rentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, ist in nur sechs Jahren um fast 150.000 gestiegen.

Herr Gerling, Sie haben sich hierhin gestellt und gesagt, Grundsicherung zu erhalten, habe nichts mit Armut zu tun. Ich bitte Sie. Tun Sie doch nicht so, als hätten alle Empfänger der Grundsicherung drei Luxusvillen und ein Aktiendepot auf der hohen Kante. Natürlich sind die Empfänger der Grundsicherung von Armut bedroht. Das liegt doch völlig auf der Hand.

(Beifall bei der LINKEN)

Immer mehr Rentner sind gezwungen, bis ins hohe Alter hinein zu arbeiten, um überhaupt irgendwie auszukommen. Das ist doch ein deutlicher Beleg für wachsende Altersarmut.

Herr Gerling, wenigstens dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sollten Sie glauben. Es schreibt – ich zitiere –:

Stundenlöhne, die bei Vollzeit zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Alleinstehenden nicht ausreichen, verschärfen Armutsrisiken …

Das liegt natürlich auf der Hand. Deshalb ist es auch Blödsinn, sich hierhin zu stellen und zu sagen, es gebe da kein Problem.

Deshalb brauchen wir natürlich einen gesetzlichen Mindestlohn, der die Menschen vor Dumpinglöhnen schützt. Wir brauchen gute Löhne. In allererster Linie brauchen wir gute Tariflöhne. Aber wir brauchen auch einen Mindestlohn, damit dem Lohndumping endlich Einhalt geboten wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Mindestlohn allein wird das Problem aber nicht lösen. Denn auch der, der heute ein durchschnittliches Gehalt hat, ist nicht vor Altersarmut gefeit. Auch hier möchte ich wieder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales anführen. Nach deren Angaben droht allen Beschäftigten, die heute weniger als 2.500 € brutto im Monat verdienen, zukünftig eine Rente auf Grundsicherungsniveau. Das betrifft zwei von fünf Beschäftigten.

Selbst ein Stundenlohn von 10 €, wie wir ihn als LINKE als Mindestlohn fordern und der gerne als vollkommen überhöht und als viel zu radikal bezeichnet wird, würde das Problem natürlich nicht vollständig lösen. Denn nach den Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und

Soziales wäre ein Stundenlohn von 15,62 € über 35 Jahre hinweg notwendig, um überhaupt auf eine Rente von 688 € zu kommen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Das hat natürlich seine Ursache in der Absenkung des Rentenniveaus auf 43 %, das die rot-grüne Bundesregierung seinerzeit beschlossen hat. Erst wurde die RiesterRente eingeführt. Dann wurde das sogenannte Nachhaltigkeitsgesetz eingeführt – was für ein grotesker Name –, aufgrund dessen das Rentenniveau jetzt schrittweise sinkt.

Dann hat die Große Koalition noch zusätzlich die Rente ab 67 eingeführt. Die Rente ab 67 ist natürlich nichts anderes als eine weitere Rentenkürzung. In vielen Berufen wird das gesetzliche Rentenalter schon heute nicht erreicht. Der Dachdecker, der mit 63 Jahren nicht mehr arbeiten kann, weil ihn die Reform zur Rente mit 67 nicht gesünder macht, wird auch weiterhin mit 63 Jahren in Rente gehen, aber mit erheblich höheren Abschlägen.

Die Rentenreformen der letzten Jahre lassen das Niveau der gesetzlichen Rente langfristig dramatisch sinken. Die Versicherten sollen privat vorsorgen, z. B. mit der RiesterRente.

Aber da frage ich: Was ist denn mit den Erwerbslosen? Was ist denn mit denjenigen, die einen Niedriglohn haben? Wie sollen die privat vorsorgen?

Zudem hat die Deutsche Rentenversicherung mittlerweile vorgerechnet, dass das Riestern der Mehrzahl der deutschen Sparer überhaupt nichts einbringen wird. Die Rentenreformen haben letztlich den Versicherungskonzernen und den Unternehmern genützt, aber sonst niemandem. Dass diese Kürzung der Renten zulasten der kommenden Rentnergeneration dann auch noch unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit verkauft wird, ist vollends absurd.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will nur darauf hinweisen, dass die Abgeordneten, die die Rente mit 67 beschlossen haben, davon persönlich natürlich überhaupt nicht betroffen sind. Auch das finden die Menschen absolut ungerecht. Denn das bedeutet natürlich, dass sie Wasser predigen und selbst Wein trinken.

Sinkende Renten sind kein demografisches Problem. Vielmehr ist es letztlich ein Problem der Verteilung. Deutschland ist ein reiches Land. Der Reichtum wächst. Auch das wissen wir durch den Armutsbericht der Bundesregierung. Die Produktivität wächst. Deshalb ist letztlich die Rentenfrage eine Frage der Verteilung.

Beim Streit der SPD um das Rentenkonzept geht es aber doch um viel mehr als um die Rente. Es geht auch um mehr als um die Frage, welches Männergesicht die SPD auf ihre Plakate drucken wird. Der Konflikt hat eine grundsätzliche Bedeutung. Es geht letztlich darum, ob die SPD weiterhin auf dem Boden der Agenda 2010 steht. Dafür stehen Herr Steinmeier und Herr Steinbrück als die Architekten der Agenda 2010. Herr Steinbrück forderte erst vor wenigen Tagen auf dem Zukunftskongress der SPD, die Partei solle selbstbewusst mit dem Erbe der Agenda 2010 umgehen.

Etwas mehr Stolz, etwas mehr Selbstbewusstsein über das, was uns gelungen ist, täte dem öffentlichen Erscheinungsbild der SPD gut.

So sagte es Herr Steinbrück.

Da frage ich schon: Wie kann man ernsthaft stolz auf Hartz IV, auf die Riester-Rente und die Liberalisierung der Leiharbeit sein? – Mittlerweile wächst jedes siebte Kind in Armut auf. Das hat seine Ursache natürlich auch in dem Hartz-IV-Gesetz und im Niedriglohnsektor.

(Beifall bei der LINKEN)

In Ihrem Antrag loben Sie den Generationenvertrag, den die SPD doch selbst zerschossen hat, indem Sie die Rentenformel geändert und die Rente teilprivatisiert haben. Das Rentenkonzept, das Sigmar Gabriel vorgelegt hat, wird das Problem der Altersarmut nicht ansatzweise lösen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Was Sie da erzählen, glauben Sie doch selbst nicht!)

Er will keine schnelle Anpassung der Ostrenten. Er will keine Sonderregelungen, die Frauen besserstellen würden. Vor allen Dingen will er festhalten an der geplanten Absenkung des Rentenniveaus auf 43 % und an der Rente ab 67.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist völliger Unfug!)

So ebnet man vielleicht den Weg zu einer Neuauflage der Großen Koalition, aber die Altersarmut wird damit sicherlich nicht bekämpft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Wissler, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. Ich möchte zum Schluss meiner Rede noch eine Sozialdemokratin zitieren, nämlich Hilde Mattheis. Sie gehört zur Linken innerhalb der SPD. Sie sagt: