Protocol of the Session on September 25, 2012

Man muss bei dem Thema auch einmal hervorheben, dass wir insgesamt über Verfassungsschutz reden. Ich halte es auch nicht für zielführend, dass Sie nur von einem Landesprogramm gegen Neonazismus reden und die anderen Erscheinungsformen des Extremismus nicht aufführen. Auch das halte ich für völlig falsch.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Horst Klee (CDU) und Wolfgang Greilich (FDP))

Diese einseitige Betrachtungsweise geht ebenso an der Realität vorbei, wie zu sagen, hier gäbe es kein Problem.

Ich denke, es lohnt in dieser Debatte auch, einen Blick auf den Auftrag des Verfassungsschutzes zu werfen. Der Auftrag des Verfassungsschutzes ist die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die Früherkennung von Gefährdung. Das bedeutet die Aufdeckung, Aufklärung sich entwickelnder oder bereits existierender, aber noch nicht notwendig aktivierter operativer Gefährdungspotenziale für unsere Werteordnung oder schon verdeckt operierender, aber noch nicht polizeiauffälliger Potenziale. Es geht also gerade um das Vorfeld polizeilicher Arbeit. Meine Damen und Herren von der Linkspartei, das haben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf völlig verkannt.

Frau Dr. Droste, die vielen in diesem Hause bekannt ist, hat sehr zutreffend ausgeführt, was zum Schutzgut der Verfassung gehört. Das zentrale Schutzgut der Verfassung ist nämlich der Mensch als Person mit seinem unveräußerlichen Recht auf Würde, unabhängig von religiöser und ideologischer Begründung, dem ein grundrechtlich geschützter Kernbereich seiner Freiheitsbetätigung nicht genommen werden darf. Diese Begrenzung ist Ausfluss des Demokratieprinzips. Es soll zum einen garantieren – das wird hier auch völlig vergessen –, dass die staatliche Machtausübung durch den Bürger konstituiert, legitimiert, kontrolliert und gegebenenfalls revidiert werden kann. Zum anderen soll mit der Freiheit der Einzelnen auch die freie politische Meinungsäußerung garantiert bleiben. In diesem Sinne muss auch ein funktionierender Verfassungsschutz vorgehalten werden; denn wir brauchen eine wehrhafte Verfassung.

(Beifall des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Jetzt ist es so – Herr Bellino hat es zum Glück erwähnt –, dass wir in der Tat gesellschaftliche Veränderungen haben und auch über Veränderungen beim Verfassungsschutz diskutieren müssen. Das geschieht nicht erst seit letztem November. Seit der Jahrtausendwende, da wird mir der Innenminister recht geben, wird auch auf der Innenministerkonferenz diskutiert, wie man den Verfassungsschutz künftig gestalten und aufstellen muss. Ich glaube, dass wir spätestens seit den furchtbaren Fällen um den NSU diese Reform dringend angehen müssen.

Herr Bellino, ganz ehrlich: Mit Ihrem Gesetzentwurf, den Sie morgen vorstellen, hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun,

(Beifall bei der SPD – Günter Rudolph (SPD): Das ist sowieso das Allerletzte!)

weil Sie morgen die Kontrolle über Abgeordnete regeln und nicht einen verstärkten Kontrollschutz über den Verfassungsschutz oder eine Neuaufstellung und ein Transparenter-Werden und ein Moderner-Werden von Verfassungsschutz; denn das braucht es.

(Alexander Bauer (CDU): Dann brauchen Sie das Handy für die Sitzung! – Gegenrufe der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Günter Rudolph (SPD): Das war der „Modernisierer“!)

Wir haben morgen noch genügend Gelegenheit, darüber zu reden, meine Damen und Herren von CDU und FDP.

Ich möchte gern erwähnen, was die Innenministerkonferenz am 28. August dieses Jahres in Angriff genommen hat – Herr Innenminister, das werden Sie vielleicht auch sagen –: dass dort eine Konzeption für die Neuausrichtung und Fortentwicklung eines das demokratische Selbstverständnis stärkenden Verfassungsschutzes auf den Weg gebracht werden soll, also strukturell sehr wohl Änderungen am Verfassungsschutz vorzunehmen sind. Ich glaube, die sind hier auch sehr wichtig.

Wir Sozialdemokraten in Hessen wollen einen Mentalitätswechsel beim Verfassungsschutz.

(Günter Rudolph (SPD): Der ist auch notwendig!)

Wir brauchen dringend mehr rechtsstaatliche Kontrolle, und wir brauchen auch gesetzliche Regelungen zum Einsatz von V-Leuten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das sind doch die Konsequenzen, die aus der letzten Debatte zu ziehen sind. Wir brauchen auch – da schaue ich noch einmal auf die rechte Seite dieses Hauses – dringend mehr Transparenz und Öffentlichkeit, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden wieder stärken zu können. Denn das ist zweifelsohne verloren gegangen. Außer in Hessen gibt es in der Bundesrepublik niemanden, der Zweifel daran hat, dass wir das brauchen.

Ich will zum Schluss noch einmal – –

Frau Faeser, bitte knapp jetzt. Ihre Redezeit ist um. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss, Herr Vorsitzender. – Zum Schluss will ich wiederholen: Die Extreme auf beiden Seiten dieses Hauses helfen bei der dringend notwendigen Aufarbeitung der Probleme beim Verfassungsschutz überhaupt nicht. Jetzt sind kluge und sachliche Schritte zur Umgestaltung, hin zu einem transparenten Verfassungsschutz, notwendig. Dazu hilft der Beitrag der Linkspartei heute allerdings überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Genauso wenig wie das, was andere wollen!)

Vielen Dank, Frau Faeser. – Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Dr. Wilken das Wort.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Oioioi!)

Herr Präsident! Frau Faeser, ich bedauere sehr, dass Sie die Klugheit unseres Gesetzentwurfs noch nicht erkannt haben.

(Lachen bei der SPD)

Ich bedauere auch sehr, dass weder Sie noch jemand aus der Fraktion der GRÜNEN unsere Einladung zu einem Werkstattgespräch, um genau diese Klugheit miteinander zu diskutieren, angenommen haben. Deswegen werden wir diese Diskussion hier weiter führen müssen.

Ich möchte Sie noch einmal darauf aufmerksam machen – ich bin mir nicht sicher, ob Sie es gelesen hatten und nur nicht verstanden haben oder es überlesen haben –: Wir haben die Aufgabe, die im Bundesgesetz für den Verfassungsschutz den Ländern zugewiesen wird, in unserem Gesetzentwurf sehr wohl berücksichtigt. Es gibt keinerlei Auflage des Bundesgesetzes, dass die Anstalt öffentlichen Rechts, die wir schaffen wollen, mit geheimdienstlichen Mitteln arbeiten muss. Das ist keine Auflage des Bundesgesetzes. Wenn Sie als Sozialdemokraten wollen, dass geheimdienstlich gearbeitet wird, dann müssen Sie auch sagen, dass das Ihr Wunsch ist. Es ist nicht Wunsch des Bundesgesetzes. Von daher ist unser Gesetzentwurf gesetzeskonform mit der Rechtslage des Bundes.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr Dr. Wilken. – Frau Faeser hat nun Gelegenheit zur Antwort.

Herr Präsident! Herr Wilken, zum einen habe ich keine Einladung Ihrer Fraktion zu einem Werkstattgespräch erhalten. Insofern kann ich sie auch nicht annehmen oder ablehnen. Herr Wilken, vielleicht sollten Sie es vorher prüfen, bevor Sie hier öffentlich sagen, dass ich bedauerlicherweise Ihre Einladung nicht angenommen hätte, wenn ich sie gar nicht habe.

Herr Wilken, ich sage es gern noch einmal: Nein, Ihr Gesetzentwurf ist nicht gesetzeskonform. Ich möchte es auch noch einmal begründen. § 2 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes sieht ausdrücklich vor, Landesämter für Verfassungsschutz einzurichten. Das haben Sie nicht getan. Sie richten hier lediglich Informations- und Dokumentationsstellen ein. Das genügt den Anforderungen nicht.

Im Übrigen lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, dass ich es bedauerlich finde – – Herr Wilken, Sie sitzen jetzt hinter mir, das habe ich gerade gemerkt.

Herr Wilken, ich muss Ihnen leider sagen, es entspricht nicht der Gesetzeslage, Sie erfüllen die Auflagen nicht. Insofern ist es schon rechtswidrig.

Aber wenn Sie mir die Gelegenheit geben, das noch einmal zu sagen: Ich hätte mir gewünscht, wenn Sie es anders umgestaltet hätten. Sie hätten es auch ins Innenministerium integrieren können – das machen andere Bundesländer –, z. B. als eigene Abteilung. Das gibt es durchaus auf allen Seiten.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Was ist mit dem Trennungsgebot?)

Das ist nicht das Problem.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ach ja!)

Nein, das ist bei einer Behörde, die selbst arbeitet, nicht das Problem. Das machen viele Bundesländer so.

(Minister Boris Rhein: Niedersachsen beispielswei- se!)

Das tangiert das Trennungsgebot in keinster Weise. Das Trennungsgebot sagt aus, dass keine Ermittlungsarbeit vonseiten des Verfassungsschutzes ausgeführt werden darf, dass er mit polizeilicher Arbeit nichts zu tun haben darf. Das ist historisch gut so, und wir sollten am Trennungsgebot zwingend festhalten.

Aber noch einmal: Herr Wilken, Ihr Gesetzentwurf erfüllt die Anforderungen überhaupt nicht und ist auch kein guter Beitrag dazu, zu überlegen, wie ein Verfassungsschutz rechtsstaatlich und den modernen Anforderungen an Gesellschaft entsprechend umgestaltet werden kann und wie wir aus den Fehlern der NSU-Mordfälle, die jahrelang nicht aufgeklärt werden konnten, lernen müssen.

(Beifall des Abg. Marius Weiß (SPD))

Danke, Frau Faeser. – Nächster Redner wird Herr Frömmrich für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir schon fast gedacht, dass das wieder eine Debatte wird, wo die rechte Seite die linke Seite braucht, um sich gegenseitig „Wertschätzung“ zu bezeugen. Aber ich glaube, das sage ich in Richtung des Kollegen Bellino, dass man in dieser Frage durchaus nachdenken sollte und nachdenken muss. Denn das, was wir mit den Sicherheitsbehörden, insbesondere auch mit den Verfassungsschutzbehörden, in den letzten Monaten erlebt haben, muss uns als Innenpolitiker geradezu dazu zwingen, darüber zu diskutieren, ob es sowohl an der Organisation der Verfassungsschutzbehörden als auch an der Zusammenarbeit dieser Behörden untereinander für uns als Gesetzgeber irgendetwas zu besorgen gibt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es für uns da etwas zu ändern gibt.

Es hat doch in der Vergangenheit Fehler gegeben. Das bestreitet im Übrigen außer der hessischen CDU und dem Kollegen Bauer in seiner Presseerklärung niemand. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Ziercke hat ganz deutlich gesagt, dass die Sicherheitsbehörden in diesem Fall versagt haben. Herr Fromm, der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat das sehr deutlich vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gesagt. Selbst der Bundesinnenminister Friedrich, CSU, hat zugegeben, dass es ein Versagen der Sicherheitsbehörden gegeben hat und dass es insbesondere ein Versagen in der Bekämpfung des Rechtsextremismus gegeben hat, dass man dort nicht genau hingeschaut hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, von daher plädiere ich dafür, dass man über diesen Themenkomplex sehr sachbezogen und, wie ich meine, mit Abstand disku

tieren sollte. Das, was die Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei hier vorgelegt haben, kann durchaus ein Diskussionsbeitrag sein. Entschuldigung, ich glaube, es ist die verkehrte Schlussfolgerung aus dem, was stattgefunden hat. Aber ich glaube schon, dass man in diesem Bereich darüber diskutieren muss, was man an diesem System ändern muss, und dazu haben Sie hier einen Vorschlag vorgelegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Wie gesagt: Ich halte Ihre Schlussfolgerung nicht für konsequent. Ich glaube auch, dass diese Schlussfolgerung, den Verfassungsschutz abzuschaffen, nicht die richtige ist. Diesem Vorschlag sollte nicht gefolgt werden. Die von Ihnen vorgeschlagene Dokumentationsbehörde wird dem Problem, das wir haben, nicht gerecht. Wenn man sich den Gesetzentwurf einmal genauer anschaut, sieht man, er strotzt zum Teil vor Dingen, die so nicht stimmen und so nicht stehen gelassen werden können.

Im Übrigen – das sage ich auch in Richtung des Kollegen Wilken – sind wir als Fraktion und ich in dieser Frage jederzeit sprechfähig. Wenn Sie aber mit uns sprechen wollen, sollten Sie Ihre Einladungen auch an uns adressieren und sich nicht vor den Hessischen Landtag stellen und sagen, wir würden an irgendwelchen Workshops oder Werkstattgesprächen nicht teilnehmen. Wenn Sie uns eine Einladung schicken, kommen wir natürlich auch zu Ihren Werkstattgesprächen.