Protocol of the Session on September 25, 2012

(Clemens Reif (CDU): Das war ein Unrechtsstaat!)

Wir, die Fraktion DIE LINKE, bekennen uns eindeutig und unmissverständlich zu unserem demokratischen und sozialen Rechtsstaat, und deswegen sind wir gegen Geheimdienste. Wir, die Öffentlichkeit der Demokraten, brauchen Hinweise darauf, wer in unserer Gesellschaft neonazistische, rassistische, gruppenbezogen menschenfeindliche sowie antidemokratische Einstellungen vertritt. Genau das leistet der Inlandsgeheimdienst offensichtlich nicht.

Das kann aber eine, auch mit wissenschaftlichen Methoden arbeitende, Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie, wie wir sie mit unserem Gesetzentwurf einführen wollen, leisten. Dann liegen auch Erkenntnisse darüber vor, an welcher Stelle mit Landesmitteln offensiv am Einsatz für die Demokratie und gegen z. B. den Neonazismus gearbeitet werden muss.

Das Konzept vom wehrhaften Staat ist eine Lehre aus der deutschen Geschichte: Nie wieder soll eine Bewegung die Macht erlangen, deren Ziel die Abschaffung jener Demokratie ist, die sie überhaupt erst zur Geltung hat kommen lassen.

Meine Damen und Herren, Sie hatten bereits in der letzten Woche argumentiert und werden das wahrscheinlich gleich wieder tun, wir wollten die Abschaffung des Verfassungsschutzes, weil Sie uns durch diesen Geheimdienst beobachten lassen. Ich habe hoffentlich deutlich gemacht, dass wir andere, prinzipielle Gründe haben.

(Clemens Reif (CDU): Haben Sie Angst? – Gegenrufe der Abg. Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE))

Aber die Anmerkung sei gemacht: Es ist nicht mit Demokratie und Rechtsstaat vereinbar, wenn die Regierung eine ihr unbequeme Oppositionsfraktion geheimdienstlich überwacht und so öffentlich diskreditiert. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Haben Sie etwas zu verbergen? Ich habe nichts zu verbergen, Herr van Ooyen! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das weiß ich nicht genau!)

Danke, Herr Dr. Wilken. – Als Nächster spricht Herr Bellino für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der LINKEN, der auf eine Abschaffung des Verfassungsschutzes abzielt, ist ein weiterer Beweis dafür, dass diese Partei noch nicht auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung angekommen ist.

(Beifall bei der CDU)

Schlimmer noch: Sie handeln meines Erachtens grob fahrlässig. Denn wer die Abschaffung des Verfassungsschutzes fordert, setzt die Demokratie wehrlos ihren Feinden aus,

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LIN- KE))

und zwar sowohl auf der linksextremen, auf der rechtsextremen wie auch auf der islamistischen Seite. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer so agiert, der reißt vorsätzlich Löcher in unsere Sicherheitsarchitektur. Wer so agiert, schadet unserem Land und seinen Bürgern.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So ist es!)

Vielleicht ist das aus Sicht der LINKEN – der Vorredner hat es schon angedeutet – nur konsequent; denn bei einer Abschaffung des Verfassungsschutzes würden auch die verfassungsfeindlichen Bestrebungen von Teilen der LINKEN unbeobachtet bleiben – ein weiterer Beweis dafür, dass das Sprichwort: „Wer einen Sumpf trockenlegen will, sollte damit nicht die Frösche beauftragen“, zutreffend ist.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, unser Verfassungsschutz hat in den vergangenen Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Demokratie geleistet. Alle Vertreter der demokratischen Parteien haben das anlässlich des diesjährigen Jubiläums auch gewürdigt. Von der Spionageabwehr bis hin zur Verhinderung islamistischer Terrorangriffe oder rechtsextremer und linksextremer Taten haben die Männer und Frauen in dieser Behörde einen wichtigen Beitrag für unser Land geleistet. Deshalb verdienen sie auch unseren Respekt und unsere Anerkennung.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Unsere Gesellschaft verdient es, dass sich die Sicherheitsarchitektur weiterentwickelt, dass sie sich den neuen Rahmenbedingungen anpasst, nicht nur den technischen Rahmenbedingungen, die sich immer wieder ändern, sondern auch den gesellschaftspolitischen. Daher werden wir morgen einen Gesetzentwurf einbringen, der sich intensiv und konstruktiv mit notwendigen, sinnvollen Änderungen des Verfassungsschutzgesetzes auseinandersetzt:

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das glauben Sie doch selbst nicht!)

mehr Kontrolle, wo vertretbar, mehr Transparenz, wo vertretbar, die Einrichtung eines Sachverständigen, auf den zurückgegriffen werden kann, Akteneinsichtsrechte und vieles mehr.

Ich bin der festen Überzeugung, dass bei allen Differenzen, die bestehen, sich die demokratischen Parteien in diesem Hause konstruktiv damit auseinandersetzen werden.

Vielleicht gibt es auch eine Einigung. Auch wenn das nicht der Fall sein sollte, so wird es ein gemeinsames Bemühen geben, unsere Sicherheitsarchitektur konstruktiv weiterzuentwickeln und den aktuellen Anforderungen anzupassen.

Was aber DIE LINKE hier macht, kann nur als Sarkasmus oder grobe Fahrlässigkeit bezeichnet werden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist Absicht!)

Beides ist unangemessen, lädt Extremisten und Terroristen sogar nach Deutschland ein und verhöhnt die Opfer.

Der Verfassungsschutz ist ein unverzichtbares Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie in unserer Republik. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das bleibt auch so.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Frühwarnsystem! – Weitere lebhafte Zurufe von der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Bellino. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Faeser.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte das erwartet: Von beiden Seiten dieses Hauses war hierzu keine sehr kluge und gute Debatte zu erwarten. Ich muss das nach den beiden Redebeiträgen sehr bedauernd feststellen.

(Wolfgang Greilich (FDP): Jetzt kommt bestimmt etwas besonders Kluges! – Zurufe von der CDU)

Ich glaube schon, dass man mit Ernsthaftigkeit darüber reden muss, was in den letzten Wochen und Monaten passiert ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist in der Tat so, dass der Verfassungsschutz – das hat mit den Erkenntnissen aus dem letzten November zu tun – zu Recht in der Diskussion steht, nachdem wir im November von der furchtbaren Mordserie des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrundes, erfahren haben und erschüttert zur Kenntnis nehmen mussten, dass die Sicherheitsbehörden über zehn Jahre in der gesamten Bundesrepublik keine Ergebnisse erzielt haben. Ja, ich teile die Ansicht von Herrn Ziercke, immerhin dem Präsidenten des BKA in der Bundesrepublik, dass die Sicherheitsbehörden an dieser Stelle versagt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau deshalb gilt es aufzuklären, und zwar dringend, warum es dazu kommen konnte, dass solche Versäumnisse aufgetreten sind. Deshalb ist es sicher auch richtig, dass viele in diesem Bundesland Hessen mit Spannung die Aussage des Ministerpräsidenten Bouffier am Freitag im Untersuchungsausschuss in Berlin erwarten.

Ich glaube, wir werden sehr ernsthaft und sehr sachlich miteinander diskutieren müssen, wie man diese Versäumnisse vermeiden kann. Ich muss ehrlich sagen, dass dabei

die Hinweise von beiden Seiten nicht sehr hilfreich sind. Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, es ist wenig hilfreich, wenn Sie in dem Zusammenhang in den letzten Wochen erklären, dass in Hessen alles gut sei und dass hier keine Fehler passiert seien. Das ist schlicht falsch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber die andere Seite, die als Reaktion darauf sagt: „Wir wollen den Verfassungsschutz abschaffen“, ist ebenso wenig hilfreich und genauso falsch.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in Hessen im Jahr 2006 leider einen eigenen Mordfall in Kassel zu vermelden. Deshalb ist es völlig absurd – das muss man wirklich einmal sagen –, zu behaupten, hier sei alles gut gelaufen. In der gesamten Bundesrepublik werden Fehler von denjenigen eingestanden, die Verantwortung tragen. Ich meine, dass man das auch in Hessen erwarten kann. Meine Damen und Herren, das zu negieren ist völlig absurd.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Linkspartei, es ist aber auch völlig absurd, den Verfassungsschutz auflösen zu wollen, und im Übrigen rechtlich unzulässig. Dazu haben wir heute leider nichts gehört. Die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes ergibt sich nämlich aus Art. 83 und Art. 84 des Grundgesetzes. In § 2 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes ist ausdrücklich geregelt, dass die Bundesländer Landesämter für Verfassungsschutz einrichten. Meine Damen und Herren, dazu haben Sie keine Antwort gegeben. Herr Wilken, das ist sehr bedauerlich. Da kann auch der rechtspolitische Streit dahinstehen, ob es – Sicht des Bundes – so ist, dass die Landesämter das Bundesverfassungsschutzgesetz anwenden, oder ob – Sicht der Länder – die Länder es nur ausführen. Es ist rechtlich vorgegeben, dass die Länder Landesämter für Verfassungsschutz einrichten und vorhalten. Ich halte das zum Schutz der Verfassung auch für zwingend notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Horst Klee (CDU) und Wolfgang Greilich (FDP))

Frau Faeser, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Wilken?

Nein. Herr Wilken, vielleicht um darauf zu reagieren, was Sie fragen wollten: Sie haben fast erkannt, dass es hier ein rechtliches Problem gibt.

(Zurufe der Abg. Janine Wissler und Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Ich habe Ihr Gesetz sehr wohl gelesen. – Denn Sie wollen eine Informations- und Dokumentationsstelle einrichten. Die hätten Sie nicht einrichten müssen, wenn Sie nicht glauben würden, dass man irgendetwas brauchen würde. Aber diese wird den rechtlichen Anforderungen in keinster Weise gerecht, Herr Wilken.

Man muss bei dem Thema auch einmal hervorheben, dass wir insgesamt über Verfassungsschutz reden. Ich halte es auch nicht für zielführend, dass Sie nur von einem Landesprogramm gegen Neonazismus reden und die anderen Erscheinungsformen des Extremismus nicht aufführen. Auch das halte ich für völlig falsch.